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PDF anzeigen BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 24/10 vom 8. Februar 2011 [X.]St: nein [X.]R: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _____________________________ AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 UStG § 15 Abs. 1 Jedenfalls dann, wenn derjenige, für den eine Lieferung ausgeführt wird, weiß, dass diese Teil eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuer angelegten Systems ist, so ist er hinsichtlich dieser Lieferung nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Macht er dennoch die in einer Rechnung für diese Lieferung ausgewiese-ne Umsatzsteuer nach § 15 UStG als Vorsteuer geltend, begeht er eine Steuer-hinterziehung. [X.], [X.]schluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10 - [X.] in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. - 2 - wegen zu 1.: Steuerhinterziehung zu 2.: versuchter Steuerhinterziehung zu 3.: Steuerhinterziehung u.a. zu 4.: Steuerhinterziehung u.a. zu 5.: Steuerhinterziehung u.a. - 3 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 8. Februar 2011 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. August 2009 werden als unbegründet verworfen. Jeder [X.]schwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Gründe: Verfahrensgegenstand sind Steuerdelikte (Hinterziehung von Umsatz-steuer), die in den [X.] 2006 und 2007 im Rahmen von —zwei groß angelegten und gut organisierten sowie auf Verschleierung ausge-richteten Steuerhinterziehungssystemenfi begangen (System —[X.] fi, [X.]
GmbH & Co. KG in [X.]; Steuerverkürzung durch un-berechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 10 Mio. •) oder versucht (System —[X.] fi, [X.]AG & Co. KG; vergebliche unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 4,8 Mio. •) wurden. Die in näher festgestellter Weise hieran beteiligten Ange-klagten wurden, differenziert nach Art und Maß ihrer [X.]teiligung, wegen vollen-deten und/oder versuchten Steuerhinterziehungen jeweils zu Gesamtfreiheits-strafe verurteilt. 1 Ihre auf eine von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 [X.]). 2 I. - 4 - Mit der Verfahrensrüge wird geltend gemacht, der in der am [X.] 2008 begonnenen Hauptverhandlung häufig als alleiniger Urkundsbeamter der Geschäftsstelle (Protokollführer) eingesetzte [X.]sei zuvor entgegen § 153 Abs. 5 [X.] nicht mit dieser Aufgabe betraut worden; daher sei insoweit die Hauptverhandlung entgegen § 226 Abs. 1 [X.] ohne Urkundsbeamten der Geschäftsstelle durchgeführt worden (§ 338 Nr. 5 [X.]). 3 1. Folgendes liegt zu Grunde: 4 Der [X.]war nach [X.]stehen der entsprechen-den Prüfung seit 2004 am [X.] tätig und dort 2006 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut worden. Zum 15. September 2008 wechselte er zum [X.]. Mit Verfügung vom 22. September 2008 übertrug ihm die Personalleiterin die Aufgaben eines Angestellten in Serviceeinheiten. Mit Schreiben vom 11. August 2009 (dem Tag vor der Verkündung des angefochtenen Urteils) betraute ihn der Geschäftsleiter des [X.] im Auftrag der Präsidentin des [X.] mit Wirkung vom 15. September 2008 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäfts-stelle beim [X.]. 5 2. Eine [X.]trauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle muss erfolgen, bevor der [X.]traute diese Aufgabe wahrnimmt (O[X.], [X.] 1984, 337; [X.], [X.], 53. Aufl., § 153 [X.] Rn. 3), sie ist also nicht rückwirkend möglich. Wäre sie erst am 11. August 2009 erfolgt, wären zuvor bezüglich des [X.]die Voraus-setzungen des § 153 Abs. 5 [X.] nicht erfüllt gewesen. 6 - 5 - 3. Der [X.] entnimmt jedoch die entsprechende [X.]trauung des Justiz-fachangestellten [X.]mit genügender Klarheit der genannten Verfügung der Personalleiterin vom 22. September 2008. 7 a) Unter den Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] hier in Verbindung mit § 8 der [X.] ([X.]) der Justizbehörde der [X.] vom 13. Dezember 2004 (HmbJVBl 2004, 95 f.) kön-nen Angestellte mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut werden. Es handelt sich dabei um ein Geschäft der Justizverwaltung [X.]. § 22 Satz 1 HmbAG[X.], das den Gerichtspräsidenten zugewiesen ist. Diese können gemäß § 22 Satz 2 HmbAG[X.] zur Erledigung ihnen [X.] die ihrer Dienstaufsicht unterstellten [X.] heranziehen. Die Personalleiterin untersteht der Dienstaufsicht der Präsidentin des [X.]. Sie ist, wie sich aus der ergänzenden Revisi-onsgegenerklärung der St[X.]tsanwaltschaft im Einzelnen ergibt, unter anderem mit der Entscheidung über den Einsatz von Angestellten im Geschäftsbereich des [X.] betraut. Einen Grundsatz, wonach insoweit eine Einschrän-kung gelte, weil die [X.]trauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle durch den Präsidenten selbst erfolgen müsse, gibt es nicht (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 1985 - 1 StR 18/85, [X.] 1985, 492; allgemein zur Mög-lichkeit, diese nicht an eine bestimmte Form gebundene [X.]trauung zugleich mit der Zuweisung weiterer Aufgaben an den Angestellten zu verbinden, vgl. OLG Bremen [X.] 1984, 109; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 153 Rn. 22). 8 b) Die Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] liegen hier vor. [X.]i [X.] dieser [X.]stimmung (Gesetz zur Neuregelung des Rechts des [X.] vom 19. Dezember 1979, [X.] I 2306) war die Ausbildung von [X.] nicht auf eine Tätigkeit als Urkundsbeamter 9 - 6 - der Geschäftsstelle ausgerichtet (BT-Drucks. 8/2024, [X.], 14). Daher sollte sichergestellt werden, dass nur geeignete Angestellte (BT-Drucks. [X.]O S. 14) nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit dieser Aufgabe betraut wurden (vgl. [X.]/[X.] [X.]O). Inzwischen umfasst die [X.]rufsausbildung zum [X.] auch das Führen von Hauptverhandlungsprotokollen in [X.] (vgl. § 3 Nr. 8 und § 4 der - bundeseinheitlichen - VO über die [X.] zum/zur [X.]
und [X.]schon nicht i.S.d. § 15 UStG als Unternehmer tätig waren, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Recht zum Vorsteuerabzug auch mit der [X.]gründung zu verneinen sein könnte, dass unter den gegebenen Umständen (trotz möglicherweise durchgeführter Warenbewegung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) auch keine Lieferung im umsatzsteu-errechtlichen, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Sinne vorliegt (vgl. in [X.] Zusammenhang [X.], 94; [X.], 81; vgl. auch [X.] wistra 2009, 1, 5). 25 d) Soweit das [X.] in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen ist, dass gegen die der genannten [X.]gründung - Umsatzsteuerhin-terziehung auch deshalb, weil die Firmen [X.] und [X.]wegen bewusster [X.]teiligung an einem in eine [X.] einbezogenen Umsatz keine vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer sind - zu Grunde liegende Aus-26 - 13 - setzung des Gesetzes unter dem Blickwinkel des [X.]stimmtheitsgebotes (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) [X.]denken bestehen, teilt der [X.] diese Auf-fassung nicht. [X.]) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] und des [X.] bestehen an der hinreichenden [X.]stimmtheit von § 370 AO selbst keine Zweifel (vgl. nur [X.] 37, 201; [X.], Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 [X.], [X.]St 37, 266 ff.). Insoweit hat der [X.] selbst abstrakt-generell hinreichend bestimmt über die Strafbarkeit ent-schieden. Es gibt keinen Steueranspruch des St[X.]tes, der nach dem Willen des Gesetzes nicht gegen eine rechtswidrige und schuldhafte Verkürzung straf-rechtlich geschützt sein soll. Dies gilt umso mehr, als das materielle Steuerrecht selbst aufgrund seines Eingriffscharakters dem allgemeinen, aus dem Rechts-st[X.]tsprinzip folgenden [X.]stimmtheitsgebot unterliegt (Gesetzmäßigkeit der [X.]steuerung, vgl. Tipke/Lang Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rn. 150 ff.). 27 bb) Nach Auffassung des [X.]s bestehen auch hinsichtlich der Ausle-gung von § 15 UStG im vorgenannten Sinne mit Blick auf den [X.]stimmtheits-grundsatz keine [X.]denken. Sie ist nicht nur, wie dargelegt, ohne weiteres mit dem Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren, sondern sie entspricht auch dem Normzusammenhang und der Zwecksetzung des Umsatzsteuerrechts. Letztlich soll der Endverbraucher die Umsatzsteuer tragen, der Unternehmer soll [X.] vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Umsatzsteuer entlastet werden. Dies gewähr-leistet die Neutralität der umsatzsteuerlichen [X.]lastung aller ihrerseits der Um-satzsteuer unterliegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von den Zwecken und (oder) Ergebnissen dieser Tätigkeiten (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2006, [X.]/04, [X.], Rechtssache Kittel u.a. Rn. 48 [X.]). [X.] - 14 - falls für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes - ausschließlich Unterneh-mer, die auf Grund von Ausbildung und (oder) praktischer Erfahrung über das einschlägige Fachwissen verfügen - ist dieser Normzusammenhang, als zuver-lässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm, ohne weiteres erkennbar. Sie sind als regelmäßig dazu im Stande anzusehen, den Rege-lungsgehalt dieses Gesetzes zu verstehen und ihm konkrete Verhaltensanwei-sungen zu entnehmen (vgl. [X.] 48, 48, 56 f. [X.]; [X.] wistra 2010, 396, 404). Deswegen haben sie - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - auch insoweit die Möglichkeit, das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu er-kennen und die st[X.]tliche Reaktion vorauszusehen. Die geschilderte Generierung von —[X.] verstößt ge-gen das dargelegte Prinzip der Umsatzsteuerneutralität. Der St[X.]t erstattet Vorsteuer, die er zuvor nicht in Form der Umsatzsteuer erhalten hat. Die ande-ren Marktteilnehmer, die derartige illegale —[X.] nicht gene-rieren, haben dadurch Wettbewerbsnachteile. Die hiermit verbundene Verlet-zung der Gerechtigkeitsprinzipien des Umsatzsteuergesetzes und die daraus resultierenden strafrechtlichen Konsequenzen sind nach Auffassung des Se-nats für jedermann, jedenfalls aber für die Adressaten des Umsatzsteuergeset-zes, zu denen die Angeklagten zählen, erkennbar. 29 - 15 - 4. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revi-sionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erge-ben. 30 Nack Wahl Hebenstreit Ri[X.] Prof. Dr. Jäger ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift verhindert. [X.]
Meta
08.02.2011
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2011, Az. 1 StR 24/10 (REWIS RS 2011, 9679)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 9679
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 StR 24/10 (Bundesgerichtshof)
Steuerhinterziehung: Unberechtigter Vorsteuerabzug für Lieferungen im Rahmen eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuern angelegtem Systems
1 StR 422/13 (Bundesgerichtshof)
Umsatzsteuerhinterziehung: Versagung des Vorsteuerabzugs bei Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell; Eigenschaft als Leistender bei Strohmanngeschäften
1 StR 184/19 (Bundesgerichtshof)
Umsatzsteuerhinterziehung: Wegfall der Berechtigung zum Vorsteuerabzug
1 StR 422/13 (Bundesgerichtshof)