Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2021, Az. 6 StR 48/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8075

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Gegenstand

Revision in Strafsachen: Notwendigkeit neuer Feststellungen zur Person nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und Zurückverweisung; Verbot der reformatio in peius in Bezug auf Einzelstrafen; Einziehung beschlagnahmten Bankguthabens bei Verzichtserklärung des Angeklagten


Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. November 2020 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hatte die Angeklagte wegen Begünstigung in Tateinheit mit leichtfertiger Geldwäsche in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hatte es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit Beschluss vom 7. April 2020 hat der Senat das Urteil im Schuldspruch geändert und den Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2

Nunmehr hat das [X.] die Angeklagte auf Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs wegen vierfacher leichtfertiger Geldwäsche zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung des Wertes von Tatobjekten angeordnet.

3

Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

4

1. Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

a) Der [X.] hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:

„Das [X.] hat bei der Bemessung der Einzelstrafen, die es für die Taten 9 und 16 verhängt hat (sieben beziehungsweise neun Monate Freiheitsstrafe) gegen das in § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO normierte Verbot der Schlechterstellung verstoßen. Obschon das frühere Urteil des [X.]s Lüneburg vom 4. September 2019 nur von der Angeklagten angefochten worden war, sind für die genannten Taten höhere Einzelstrafen als zuvor (jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe) verhängt worden. Das Verbot, auf die Revision der Angeklagten das Urteil zu ihrem Nachteil zu verändern, schließt nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe aus, sondern steht zudem einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen (vgl. [X.], Urteil vom 3. März 1959 - 5 StR 4/59, [X.]St 13, 41, 42; Beschlüsse vom 4. Februar 1999 - 4 StR 13/99, juris Rn. 3 und vom 23. August 2000 - 2 StR 171/00, [X.]R StPO § 357 Erstreckung 7). Das gilt selbst dann, wenn - wie hier - die nunmehr ausgeurteilte Gesamtstrafe niedriger ausgefallen ist (vgl. Schäfer/[X.]/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1551a); denn bei der Verhängung von Einzelstrafen handelt es sich um selbständige, der Rechtskraft fähige tatrichterliche Entscheidungen (vgl. [X.], Urteil vom 21. Mai 1951 - 3 [X.], [X.]St 1, 252, 254).“

6

Dem folgt der Senat. Er kann nicht ausschließen, dass auch die in den Fällen 1 und 11 verhängten Einzelstrafen von der rechtsfehlerhaften Erhöhung beeinflusst sind.

7

b) Zudem hat das [X.] dem neuen Urteil gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufgehobene Feststellungen zu Grunde gelegt, indem es zum Werdegang und zur Person der Angeklagten die in dem aufgehobenen Urteil getroffenen Feststellungen als „bindend“ ([X.]) übernommen und lediglich ergänzende Feststellungen getroffen hat. Die Feststellungen zur Person gehören zur Straffrage, über die das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht auf der Grundlage neuer, von ihm selbst getroffener Feststellungen umfassend neu befinden muss (vgl. [X.], Beschluss vom 20. November 2016 − 4 StR 542/16, [X.], 108).

8

2. Keinen Bestand hat ferner die Einziehungsentscheidung, weil das [X.] nicht geprüft hat, ob der Einziehung der Forderung der auf dem Konto sichergestellten Forderung der in der Hauptverhandlung erklärte Verzicht entgegenstand.

9

a) Die Angeklagte ist nach § 111b Abs. 1 Satz 1, § 111c Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO i.V.m. § 829 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO nach wie vor Inhaberin des gegen die kontoführende Bank gerichteten Auszahlungsanspruchs (§ 675 Abs. 1, § 667 BGB) und wäre nach § 111d Abs. 1 Satz 1 StPO, § 136 i.V.m. § 135 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht gehindert, die gepfändete Forderung an die Staatskasse als Pfändungsgläubigerin zu übertragen (vgl. [X.], 8. Aufl., § 136 Rn. 5).

b) Bei dem Verzicht im Sinne einer „außergerichtlichen Einziehung“ handelt es sich um eine rechtsgeschäftliche, an den [X.] gerichtete Willenserklärung, die auf Übertragung des Eigentums an einem sichergestellten Gegenstand gerichtet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 5 [X.], [X.]St 63, 305 Rn. 15 ff.). Mit der Annahme des Angebots durch den Staat geht das Eigentum auf diesen über (§ 929 Satz 2 BGB). Bei einer Forderung stellt der „Verzicht“ bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) eine auf Abschluss eines Abtretungsvertrags im Sinne von § 398 BGB gerichtete Willenserklärung (§ 145 BGB) dar, die nach Maßgabe von § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB der Annahme durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft bedurft hätte. Es wäre allerdings denkbar, dass der Verzichtserklärung der Angeklagten kein rechtsgeschäftlicher Wert zukam und es sich um eine reine prozessuale Erklärung handelte, mit der die Angeklagte etwa unwiderruflich auf die Erhebung von Rechtsmitteln oder auf Einwendungen gegen eine etwaige Sicherstellungsmaßnahme verzichtete. Feststellungen zum Erklärungsinhalt der in den Urteilsgründen als „Verzicht auf Rückgabe“ bezeichneten Erklärung der Angeklagten und zu einer rechtsgeschäftlich relevanten Reaktion des Vertreters der Staatsanwaltschaft fehlen indessen und müssen nachgeholt werden. Denn im Falle einer wirksamen Abtretung wäre der staatliche Einziehungsanspruch erfüllt und die Einziehung insoweit ausgeschlossen (vgl. [X.], aaO Rn. 33).

3. Für den Fall, dass die Einziehung der Forderung nicht ausgeschlossen sein sollte, weist der Senat ergänzend auf das Folgende hin:

a) Bei der im Wege der Pfändung sichergestellten Forderung handelt es sich um das Tatobjekt der Geldwäsche im Sinne von § 74 Abs. 2 StGB. Mangels anderweitiger Feststellungen zu einer etwaigen Vermischung mit anderen Kontokorrentpositionen ist dieses noch in der ursprünglichen Form vorhanden, so dass für § 74c Abs. 1 StGB kein Raum bliebe.

b) Im Tenor wäre zum Ausdruck zu bringen, dass die Einziehung auf die bereits nach § 111c Abs. 2 StPO sichergestellte Forderung gegenständlich beschränkt ist, um zu verhindern, dass wegen des [X.] in das weitere Vermögen der Angeklagten vollstreckt wird.

[X.]     

        

Schneider     

        

Feilcke

        

Tiemann     

        

Fritsche     

   

Meta

6 StR 48/21

09.03.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 12. November 2020, Az: 22 KLs 12/20

§ 111b Abs 1 S 1 StPO, § 111c Abs 2 S 1 StPO, § 111c Abs 2 S 2 StPO, § 353 Abs 1 StPO, § 353 Abs 2 StPO, § 358 Abs 1 S 1 StPO, § 133 BGB, § 147 Abs 1 S 1 BGB, § 157 BGB, § 398 BGB, § 74 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2021, Az. 6 StR 48/21 (REWIS RS 2021, 8075)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8075

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