Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.07.2015, Az. XII ZB 44/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 7482

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
[X.] 44/15
vom
28. Juli 2015
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §§ 1906 Abs. 4
a)
Auch im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 BGB bedarf es der gesonderten betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach §
1906 Abs.
4 BGB, wenn dem Betroffenen durch mechanische Vor-richtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (im [X.] an [X.]sbeschluss
vom 12.
September
2012

XII
ZB
543/11

FamRZ 2012, 1866).
b)
Ohne ausdrücklichen Antrag des Betreuers kann eine unterbringungsähn-liche Maßnahme nur genehmigt werden, wenn sich aus dem Verhalten des Betreuers ergibt, dass er die Genehmigung wünscht.
[X.], Beschluss vom 28. Juli 2015 -
[X.] 44/15 -
LG [X.]

[X.]
-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 28.
Juli
2015 durch den
Vorsitzenden Richter
Dose, die Richterin Weber-Monecke
und [X.] Günter
und
Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des
weiteren Beteiligten zu 2
wird der
Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 16.
Januar

2015
aufgehoben.
Auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird Ziffer 2 des Beschlusses
des Amtsgerichts
Freiberg vom 21.
Oktober
2014 aufgehoben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 2 wendet sich als Verfahrenspfleger gegen die betreu-ungsgerichtliche Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme für den Betroffenen.

Für diesen
besteht seit November 2000 eine rechtliche Betreuung
u. a. mit den
Aufgabenkreisen
Aufenthaltsbestimmung und Sorge für die Gesundheit.
Im März 2013 hat der Betreuer beantragt, die Unterbringung des Betroffenen, der zu diesem Zeitpunkt in einer offenen Pflegeinrichtung gelebt hat, betreuungsgericht-1
2
-
3
-
lich zu genehmigen. Nach Einholung
eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht die Unterbringung des [X.] in der geschlossenen
Abteilung
eines fachpsychiatrischen Krankenhauses oder einer geschlossen geführten
Pflegeeinrichtung für die Dauer von zwei Jah-ren genehmigt
(Ziffer 1). Ferner heißt es in
Ziffer 2 des Tenors der Entscheidung:
"Die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des [X.] durch

Verschließen der Zimmertür
wird bis zum 21.10.2016 durch die Unterbringungsanordnung mit-umfasst und bedarf keiner weiteren gesonderten gerichtlichen [X.]. Der Betreuer und der anordnende Arzt haben sich [X.] vor und während der Maßnahme jeweils von deren Unbe-denklichkeit und davon zu überzeugen, dass sich die [X.] Freiheit
des Betroffenen nur auf ein unbedingt erforderli-ches
Maß erstreckt, eine schriftliche Aufzeichnung über Art und Dauer erstellt wird und das Pflegepersonal
für den Betroffenen
stets erreichbar
sein muss."
Zugleich hat das Amtsgericht
den
Beteiligten zu 2 zum
Verfahrenspfleger bestellt. Dessen Beschwerde hat es
abgeholfen, soweit sich das Rechtsmittel gegen die Bezeichnung der Art der [X.] in
Ziffer
1 des [X.] gerichtet hat. Die weitergehende Beschwerde, mit der sich der Beteiligte zu 2 gegen die Anordnungen in Ziffer 2 des Tenors wendet,
hat das [X.] zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der
Beteiligte zu 2
weiterhin
die Auf-hebung der in Ziffer 2 des angefochtenen
amtsgerichtlichen Beschlusses ge-3
4
-
4
-
troffenen
Anordnungen, die sich auf die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsent-ziehung des Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür beziehen.

II.
Die zulässige
Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die in Rechtsprechung und Literatur diskutierte
Rechtsfrage, ob der [X.]svorbehalt nach § 1906 Abs. 4 BGB auch dann gelte, wenn die unter-bringungsähnliche Maßnahme eine bereits untergebrachte Person betreffe, sei durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt. Der [X.] habe es als zulässig erachtet, dass die regelmäßige Freiheitsentziehung des untergebrachten Betroffenen durch mechanische Vorrichtungen in entsprechen-der Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB genehmigt werden könne.
Diese Frage stelle sich im vorliegenden Fall jedoch nicht als Problem dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers habe der [X.] in Ziffer 2 des Tenors den Umfang der von ihm getroffenen [X.] genau beschrieben. Er habe die freiheitsentziehende Maßnahme, deren
Dauer, die Pflichten von Betreuer, Arzt und Pflegepersonal zur Begrenzung der Maßnahme und die Pflicht zur Dokumentation sowie zur ständigen Erreichbarkeit genau bezeichnet. Der [X.] habe damit für die handelnden [X.] präzise die Befugnisse im Rahmen der Unterbringung benannt. Er habe damit
eine unterbringungsähnliche Maßnahme gemäß § 1906 Abs. 4 BGB einer richterlichen Kontrolle unterworfen und für
zulässig erachtet. Der entgegen-stehende Inhalt der Beschlussbegründung könne daran nichts ändern, weil nur die Beschlussformel
maßgeblich sei. Danach handele es sich um eine Genehmi-gung nach § 1906 Abs. 4 BGB.
5
6
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8
-
5
-
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des nach §
1906 Abs.
1 BGB untergebrachten Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür als frei-heitsbeschränkende Maßnahme (vgl. hierzu [X.]sbeschluss vom 7.
Januar
2015

[X.] 395/14

FamRZ 2015, 567 Rn. 22; BT-Drucks. 11/4528 S. 149) gemäß §
1906 Abs. 4 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf.
Der [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass es auch im Rahmen [X.] genehmigten Unterbringung nach §
1906
Abs.
1 BGB der gesonderten be-treuungsgerichtlichen Genehmigung nach §
1906 Abs.
4 BGB bedarf, wenn dem Betroffenen durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen wer-den soll ([X.]sbeschlüsse
vom 15.
September
2010

[X.] 383/10

FamRZ 2010, 1726 Rn. 27; vom 12. September 2012

[X.] 543/11

FamRZ 2012, 1866 Rn. 14 und [X.]Z 166, 141, 153 = [X.], 615, 618). Zwar sieht der Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB eine Genehmigungspflicht für unterbringungs-ähnliche Maßnahmen nur für Betreute vor, die sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer
sonstigen Einrichtung aufhalten, ohne untergebracht zu sein.
Da die Unterbringung den Betroffenen im Einzelfall jedoch regelmäßig weniger beein-trächtigt als eine zusätzliche freiheitsentziehende Maßnahme iSv § 1906 Abs. 4 BGB, ist letztere stets auch dann gesondert gerichtlich zu genehmigen, wenn der Betroffene nach § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB untergebracht ist ([X.]sbeschluss vom 12.
September
2012

[X.] 543/11

FamRZ 2012, 1866 Rn. 14
mwN). Diese Sichtweise
entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und dem Schrifttum ([X.], 673; [X.] 9
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6
-
München FamRZ 2005, 1196;
[X.] [X.] FamRZ 1995, 118; BayObLG FamRZ 1994, 721, 722; [X.]/[X.] BGB [2013] §
1906 Rn.
94; [X.]/[X.] BGB 74. Aufl. § 1906 Rn. 34; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 5.
Aufl. § 1906 BGB Rn. 39; [X.][X.] [Stand: November 2014]
§
1906 Rn. 21; [X.]/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 5.
Aufl. §
1906 BGB Rn. 80; a. A. LG
Baden-Baden FamRZ 2010, 1471; [X.], 1764; [X.] FamRZ 2010, 1846).
b)
Die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch Verschließen der Zimmertür durfte jedoch deshalb nicht betreuungsrecht-lich genehmigt werden, weil weder den Feststellungen der Instanzgerichte zu entnehmen noch sonst ersichtlich
ist, dass der
Betreuer das Verschließen der Zimmertür
des Betroffenen begehrt, geschweige denn die Genehmigung hierzu beantragt hat.
Dies ist aber notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung nach §
1906 Abs.
4 BGB ([X.]sbeschluss vom 15.
September
2010

XII
ZB
383/10

FamRZ 2010, 1726 Rn. 27).
Dabei kann dahinstehen, ob das Genehmigungsverfahren nach §
1906 BGB einen förmlichen Antrag des Betreuers voraussetzt (ablehnend [X.]/
[X.] BGB [2013] § 1906 Rn. 131; [X.]/[X.] 6. Aufl. §
1906 Rn.
57; [X.]/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 5.
Aufl. §
1906 BGB Rn.
180; bejahend [X.]/[X.] 2. Aufl. § 1906 Rn. 34, 64; vgl. auch [X.] FamRZ 2009, 945 Rn. 17 zur Notwendigkeit eines Antrags des [X.] nach §§ 1906 Abs. 5 Satz 2, Abs. 4 BGB). Da das Gericht nach § 1906 BGB nur die Genehmigung zu einer vom Betreuer beabsichtigten Maßnahme erteilt, dieser für den Vollzug der Maßnahme indes allein verantwort-lich bleibt (vgl. [X.]/[X.] Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906 BGB Rn. 27; [X.][X.] [Stand: November 2014] § 1906 Rn.
18), muss zumindest aus dem Verhalten des Betreuers ersichtlich sein, dass er die Ge-12
13
-
7
-
nehmigung der Unterbringung oder unterbringungsähnlichen Maßnahme wünscht ([X.], 566, 567; [X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1906 Rn. 57).
Dies lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen nicht entnehmen. Der Betreuer hat mit Schreiben vom 28.
März 2013 und 21.
Mai
2014 nur [X.], den Betroffenen in einer geschlossenen Wohnstätte unterzubringen. In bei-den Schreiben finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betreuer auch beabsichtigte, gegenüber der [X.] sein Einverständnis zu einem

regelmäßigen oder über einen längeren Zeitraum andauernden
-
zusätz-lichen Verschließen der Zimmertür des Betroffenen zu erteilen. Das Amtsgericht hat diese freiheitsentziehende Maßnahme nur deshalb für erforderlich erachtet, weil
der zur Vorbereitung der Entscheidung beauftragte Sachverständige einen Einschluss des Betroffenen bei starken Erregungs-
oder Unruhezuständen für eine geeignete und notwendige Interventionsmaßnahme gehalten hat. Dass sich der Betreuer diese Einschätzung zu Eigen
gemacht hat und über die bloße Un-terbringung des Betroffenen hinaus auch eine Genehmigung für einen [X.] Einschluss des Betroffenen in [X.] wünschte, ist nicht fest-gestellt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Betreuer in der Vergangenheit wiederholt die Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnah-men in Form des zeitweisen Einschließens des Betroffenen in [X.] beantragt hat. In dieser Zeit hielt sich der Betroffene in einer offenen Pflege-
und Behinderteneinrichtung auf. Im vorliegenden Fall hat der Betreuer jedoch [X.] die
Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung beantragt, weil der Betroffene in dem
bisherigen Pflegeheim
für das Personal nicht mehr führbar war. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betreuer mit der erstmali-gen Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung die Er-14
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-
wartung verbunden hat, auf ein regelmäßiges oder über einen längeren Zeitraum andauerndes zusätzliches Verschließen des Zimmers könne nunmehr verzichtet
werden, durfte das Beschwerdegericht nicht davon ausgehen, dass der Betreuer auch die Genehmigung dieser zusätzlichen freiheitsbeschränkenden Maßnahme wünscht.
3. Danach kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache selbst befinden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

Dose
Weber-Monecke
Schilling

Günter

Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.10.2014 -
2 XVII 394/07 -

LG [X.], Entscheidung vom 16.01.2015 -
3 [X.] -

16

Meta

XII ZB 44/15

28.07.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.07.2015, Az. XII ZB 44/15 (REWIS RS 2015, 7482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7482

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