Bundessozialgericht, Urteil vom 04.09.2018, Az. B 12 KR 16/17 R

12. Senat | REWIS RS 2018, 4165

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Krankenversicherung - Zuständigkeit der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See nach § 177 Abs 2 SGB 5 aF - Wegfall der Leistungen nach dem SGB 2 wegen Rentenbezug - fehlerhafte Meldung der Agentur für Arbeit - Begründungspflicht einer Entscheidung)


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.]vom 1. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die klagende [X.]oder die beklagte [X.](DRV) Knappschaft-Bahn-See die für den zu 2. beigeladenen Versicherten zuständige Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist.

2

Der Beigeladene zu 2. war [X.]Mitglied der Klägerin. Er bezog vom 1.1. bis zum [X.]von dem zu 1. beigeladenen Jobcenter [X.](Alg II). Auf seinen Antrag gewährte ihm die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträgerin rückwirkend ab 1.4.2004 und laufend seit dem [X.]wegen voller Erwerbsminderung. Der Beigeladene zu 1. stellte daraufhin die Zahlung des [X.]ab März 2005 "vorläufig" ein. Die Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ging bei der Beklagten am [X.]ein. Vom Ende der Vorrangversicherung des Beigeladenen zu 2. wegen des [X.]bei der Klägerin zum [X.]erhielt sie am 7.3.2005 Kenntnis. Mit Schreiben vom [X.]begrüßte die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse den Beigeladenen zu 2. "als neues Mitglied" ab 1.3.2005.

3

Die Klägerin führte die [X.]des Beigeladenen zu 2., seiner Ehefrau und des gemeinsamen [X.]gleichwohl über den [X.]hinaus weiter durch und stornierte im Juni 2005 ihre Meldung zur KVdR. Für die [X.]vom 6.6. bis zum 31.10.2005 wurden dem Beigeladenen zu 2. erneut Leistungen nach dem [X.]bewilligt.

4

Im Mai 2010 bemerkte die Klägerin (AOK) die weitere Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. sowie seiner Angehörigen und forderte die Beklagte erfolglos auf, ihr die zwischenzeitlichen Aufwendungen zu erstatten. Ab [X.]seien für die familienversicherte Ehefrau des Beigeladenen zu 2. 155,75 Euro und für den familienversicherten [X.]128 122,02 Euro angefallen. Wegen dessen Erkrankung seien ihr jährliche Kosten von rund 250 000 Euro entstanden.

5

Das [X.]hat das Klageverfahren hinsichtlich des [X.]der Klägerin zum Ruhen gebracht und durch Teil-Urteil vom [X.]festgestellt, dass die Beklagte seit [X.]zuständige Krankenkasse für den Beigeladenen zu 2. ist. Das L[X.]hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 1.10.2015). Nicht die Klägerin, sondern die Beklagte sei aufgrund des Bezugs der Rente unter gleichzeitigem Entfall der Leistungen des Beigeladenen zu 1. gemäß § 177 Abs 2 SGB V in seiner bis zum [X.]geltenden Fassung ab [X.]für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. zuständig geworden.

6

Die Beklagte rügt die Verletzung von § 5 Abs 1 Nr 2a, Abs 8 SGB V iVm § 190 Abs 12 SGB V, von § 40 Abs 1 S 1 und [X.]und 3 [X.]aF iVm § 39 Abs 2 und 3 [X.]§ 330 Abs 1, 2 und 3 S 1 "und 4" [X.]und iVm § 331 Abs 2 SGB III, von § 44a SGB II aF sowie von § 203a SGB V und § 175 SGB V iVm §§ 133, 157 BGB. Das L[X.]habe verkannt, dass der Beigeladene zu 2. auch über den [X.]hinaus Anspruch auf Leistungen nach dem [X.]gehabt habe. Auch habe es nicht berücksichtigt, dass er ausweislich des [X.]einer ihrer Mitarbeiterinnen eine Wahlerklärung zugunsten der Klägerin abgegeben habe. Zu Unrecht seien auch die weiteren Umstände, vor allem die fehlerhafte(n) Meldung(en) der beteiligten Träger, die Weiternutzung der Versichertenkarte der Klägerin durch den Beigeladenen zu 2. bei Rückgabe der Versichertenkarte der Beklagten und die weitere, jahrelange Durchführung der Krankenversicherung durch die Klägerin unbeachtet geblieben. Darüber hinaus rügt die Beklagte Verfahrensfehler.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]vom 1. Oktober 2015 und das Teil-Urteil des [X.]vom 6. Juni 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten [X.]Knappschaft-Bahn-See ist unbegründet. Das [X.]hat ihre Berufung gegen das Teil-Urteil (§ 202 SGG iVm § 301 ZPO; vgl BSG Urteil vom 21.9.1967 - 2 RU 65/66 - BSGE 27, 142 = [X.]zu § 301 ZPO) des [X.]zu Recht zurückgewiesen. Das [X.]hat zutreffend festgestellt, dass der zu 2. beigeladene Versicherte ab [X.]versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten [X.]Knappschaft-Bahn-See und nicht der klagenden [X.]war.

1. Die beklagte [X.]Knappschaft-Bahn-See war ab [X.]in ihrer funktionellen Eigenschaft als Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. zuständig. Der Beigeladene zu 2. war ab [X.]ihr versicherungspflichtiges Mitglied, weil er zu diesem Zeitpunkt anstelle des zuvor bezogenen [X.]eine Rente erhielt (dazu a), eine Vorrangversicherung wegen des fehlenden Bezugs von Leistungen nach dem [X.]nicht bestand (dazu b) und eine wirksame Erklärung des Beigeladenen zu 2. über die Wahl der Klägerin als Krankenkasse nicht vorliegt (dazu c). An der [X.]Gesetzes eingetretenen versicherungsrechtlichen Situation ändern die weiteren tatsächlichen Umstände, insbesondere im Zusammenhang mit den Meldungen der Beigeladenen zu 1. und der Nutzung der Versichertenkarte, nichts (dazu d).

a) Der Beigeladene zu 2. war während des Bezugs von Leistungen nach dem [X.]nach § 5 [X.]1 [X.]2a SGB V in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung ([X.]am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, [X.]2954) bis [X.]versicherungspflichtig. Mit der Einstellung dieser Leistungen und der Gewährung von Rente durch die beklagte [X.]Knappschaft-Bahn-See in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Rentenversicherung ab dem [X.]trat eine Änderung des [X.]ein. Ab diesem Zeitpunkt war der Beigeladene zu 2. als Rentenbezieher nach § 5 [X.]1 [X.]SGB V in der ab 1997 gültigen Fassung (Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das [X.]- [X.]vom 7.8.1996, [X.]1254) versicherungspflichtig.

b) Ein Ausschluss des [X.]als Rentner gemäß § 5 [X.]8 S 1 [X.]in der seit Inkrafttreten des [X.]insoweit unveränderten Fassung ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist gemäß [X.]1 [X.]bis 12 nicht versicherungspflichtig, wer nach [X.]1 [X.]bis 7 oder 8 versicherungspflichtig ist. Allerdings war der Beigeladene zu 2. wegen des [X.]von Leistungen nach dem [X.]ab dem [X.]nicht mehr nach § 5 [X.]1 [X.]2a SGB V versicherungspflichtig. Entscheidend ist insoweit lediglich der fehlende Leistungsbezug und nicht die Frage, inwieweit auf Leistungen nach dem [X.]möglicherweise (weiterhin) ein Anspruch bestanden hätte. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift. Danach ist die Versicherungspflicht für Personen in der [X.]angeordnet, für die sie [X.]nach dem [X.]"beziehen", soweit sie nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 [X.]3 S 1 des [X.]bezogen werden ([X.]1); dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist ([X.]2). Die Versicherungspflicht nach § 5 [X.]1 [X.]2a SGB V knüpft damit in grundlegender Hinsicht an den Bezug von [X.]an. Wird [X.]- nicht nur darlehensweise - bezogen, kommt es nach [X.]2 der Vorschrift nicht darauf an, ob die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Konsequenterweise endet die Mitgliedschaft der Bezieher von [X.]nach dem [X.]gemäß § 190 [X.]12 SGB V mit Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung bezogen wird.

Der Senat hat bereits zu § 5 [X.]1 [X.]2 SGB V entschieden, dass unter dem "Bezug" von Leistungen im Sinne der genannten Bestimmungen der tatsächliche - auch rechtswidrige - Bezug von [X.]zu verstehen ist. Beginn und Ende des Versicherungsverhältnisses werden nicht durch den Zahlungszeitpunkt, sondern durch die von der Arbeitsverwaltung getroffene Bestimmung über den Bewilligungszeitraum ("für") bestimmt. Eigenständig und alternativ gleichwertig liegt ein Krankenversicherungsschutz begründender "Bezug" von [X.]in dem Zeitraum vor, für den es durch besonderen Verwaltungsakt zuerkannt worden ist (B[X.]Urteil vom 22.5.2003 - [X.]KR 20/02 R - Juris Rd[X.]21).

Die Beklagte wendet hiergegen ein, nach Ergehen eines [X.][X.]bestehe nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut in § 5 [X.]1 [X.]2a [X.]2 [X.]eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Arbeitslosen selbst dann, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt habe, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden sei. Mit diesem Vorbringen kann die Beklagte nicht durchdringen, weil nach den Feststellungen des [X.]das zu 1. beigeladene Jobcenter sowohl den Leistungszeitraum durch Bescheid vom [X.]begrenzt als auch die Leistung von [X.]zum [X.]tatsächlich eingestellt hatte. Für die Frage des Endes der Versicherungspflicht nach § 5 [X.]1 [X.]2a SGB V ist es deshalb auch irrelevant, ob - wie die Beklagte meint - die Einstellung der Leistungen nach dem [X.]unter Verstoß gegen § 40 [X.]1 S 1 und S 2 [X.]und 3 [X.]aF iVm § 39 [X.]2 SGB X, § 330 und § 331 SGB III sowie unter Verstoß gegen § 44a SGB II in der vom 1.1.2005 bis 31.7.2006 gültigen Fassung erfolgt ist. Entscheidend ist allein, dass der Beigeladene zu 2. ab dem [X.]keine Leistungen nach dem [X.]mehr bezogen hat und damit seine Versicherungspflicht nach § 5 [X.]1 [X.]2a SGB V gemäß § 190 [X.]12 SGB V mit Ablauf des [X.]endete.

Für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. als Rentenbezieher ab [X.]war gemäß § 177 [X.]2 SGB V in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung des [X.]in der gesetzlichen Rentenversicherung - [X.]- vom 9.12.2004 (aF, [X.]3242; § 177 SGB V aufgehoben durch das [X.]vom 26.3.2007, [X.]378, zum 1.4.2007) die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse zuständig. § 177 [X.]2 [X.]1 [X.]dieser Fassung bestimmte: "Die in § 5 Abs. 1 Nr. 11 und 12 genannten Versicherungspflichtigen und die in § 189 genannten Rentenantragsteller gehören der [X.]an, wenn sie zuletzt bei der [X.]versichert waren oder die [X.]als Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung für die Feststellung der Rente zuständig ist". Ein solcher Fall liegt hier vor.

c) Eine Änderung der gesetzlich angeordneten Zuständigkeit der Beklagten durch eine wirksame Wahlerklärung des Beigeladenen zu 2. zugunsten der Klägerin trat nicht ein.

Nach § 177 [X.]2 [X.]2 [X.]aF gelten § 173 [X.]2 S 1 [X.]6 [X.]und § 174 [X.]1 SGB V. Gemäß § 173 [X.]2 S 1 [X.]6 [X.](in der Fassung des [X.]der gesetzlichen Krankenversicherung - [X.]- G[X.]- vom 21.12.1992, [X.]2266) können Versicherungspflichtige und [X.]die Krankenkasse wählen, bei der der Ehegatte versichert ist. Nach § 174 [X.]1 SGB V in der bis 30.9.2005 gültigen Fassung des G[X.]gilt § 173 SGB V für versicherte Rentner, bei denen die [X.]für die Feststellung der Rente zuständig ist, nur, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor Rentenantragstellung zu keinem Zeitpunkt Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung gewesen sind; § 5 [X.]2 SGB V gilt nicht. Nach § 175 [X.]1 S 1 [X.]in der Fassung des G[X.]ist die Ausübung des Wahlrechts gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären. Für die Wirksamkeit der Erklärung ist der Zugang bei derjenigen Krankenkasse erforderlich, die gewählt werden soll (vgl [X.]in [X.]Komm, Stand Dezember 2014, § 175 SGB V Rd[X.]7). Die Wahlrechtserklärung ist eine einseitige, empfangsbedürftige und rechtsgestaltende Willenserklärung, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (vgl B[X.]Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 26/15 R - [X.]4-2500 § 264 [X.]7). Eine besondere Form für die Wahlrechtserklärung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen, wobei aus Gründen der Rechtssicherheit der Schriftform der Vorzug zu geben ist (vgl [X.]in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 03/18, [X.]§ 175 Rd[X.]13). Ob eine Wahlrechtserklärung abgegeben wurde, ist ggf durch Auslegung der Willenserklärung zu ermitteln. Das Wahlrecht kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden (vgl Kokemoor, [X.]2003, 433, 434). Nicht ausreichend ist aber eine reine "Wissenserklärung", wenn etwa ein Leistungsempfänger in seinem Antrag auf [X.]II-Leistungen keine Wahl erklärt, sondern lediglich eine Krankenkasse unter Angabe seiner Versicherungsnummer als die Krankenkasse angibt, von der er zuletzt Leistungen bezogen hat (vgl B[X.]Urteil vom 21.12.2011 - [X.]KR 21/10 R - [X.]4-2500 § 175 [X.]3 Rd[X.]23).

Der Beigeladene zu 2. hat gegenüber der Klägerin als der Krankenkasse, bei der seine Ehefrau bis [X.]familienversichert war und der gegenüber eine Wahl der Krankenkasse möglich gewesen wäre, weil § 173 [X.]2 S 1 [X.]6 [X.]nur von Versicherung und nicht von Mitgliedschaft des Ehegatten spricht, keine Erklärung abgegeben. Das [X.]hat hierzu ausdrücklich ausgeführt, dass sich die tatsächliche Abgabe einer Wahlerklärung nicht feststellen lässt. Hieran ist der Senat gebunden (§ 163 SGG). Daher ist insoweit auch der Inhalt eines Telefonats des Beigeladenen zu 2. mit einer "Kundenberaterin" der Beklagten am 21.1.2005 irrelevant. Ebenso wenig ist die Rückgabe der Versichertenkarte der Beklagten bei gleichzeitiger Weiternutzung der Versichertenkarte der Klägerin eine konkludente Wahlerklärung. Denn eine wirksame Wahlerklärung setzt voraus, dass darin der Wille zum Ausdruck kommt, eine andere Krankenkasse zu wählen (vgl BSG, aaO). Aus der reinen Nutzung einer Versichertenkarte der einen oder anderen Krankenkasse kann in diesem Zusammenhang ein solcher Wille nicht abgeleitet werden. Anderenfalls würde ein [X.]davon abhängen, wann der Versicherte in einem bestimmten Quartal seine Versichertenkarte benutzt. Mit der aus § 175 [X.]3 S 2 [X.]abzuleitenden Frist für die Abgabe einer Wahlerklärung (vgl hierzu ausführlich BSG, aaO Rd[X.]26) wäre dies nicht zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass die Versichertenkarte dem jeweiligen Leistungserbringer vorgelegt wird. Die von § 175 [X.]1 S 1 [X.]geforderte Erklärung gegenüber der gewählten Krankenkasse wäre daher selbst dann nicht abgegeben, wenn auf die Rückgabe/Rücksendung der Versichertenkarte an die nicht gewählte Krankenkasse - im vorliegenden Fall die Beklagte - abgestellt würde.

d) Die von der Beklagten geltend gemachten weiteren tatsächlichen Umstände führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Wegen des im Sozialrecht geltenden Vorbehalts des Gesetzes in § 31 SGB I vermag die von den Beteiligten gelebte Praxis - Meldungslage (Meldung, Stornierung der Meldung), tatsächliche Abwicklung ([X.]der Beklagten, Aushändigung einer Versichertenkarte der Beklagten) und tatsächliche Durchführung der Krankenversicherung (Rückgabe der Versichertenkarte der Beklagten, Weiternutzung der Versichertenkarte der Klägerin durch den Beigeladenen zu 2., Weiterbetreuung durch die Klägerin) - nichts an der versicherungsrechtlichen Situation zu ändern.

Die Versicherungspflicht des Beigeladene zu 2. in der [X.]für die [X.]ab [X.]und die Zuständigkeit der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Krankenversicherungsträgerin ergibt sich allein aus den Regelungen in § 5 [X.]1 [X.]2a und [X.]11, [X.]8 SGB V sowie § 177 [X.]2 SGB V aF. Diese Bestimmungen knüpfen nicht daran an, wem, wann oder was nach § 201 SGB V oder § 203a SGB V gemeldet wurde, welche Versichertenkarte benutzt wurde oder wie die Beteiligten (Klägerin, Beklagte und Beigeladener zu 2.) die Krankenversicherung tatsächlich praktiziert haben. Nach § 201 [X.]1 S 2 [X.]hat der Rentenversicherungsträger die Meldung unverzüglich an die zuständige Krankenkasse weiterzugeben. Wählen versicherungspflichtige Rentner oder Hinterbliebene eine andere Krankenkasse, hat die gewählte Krankenkasse dies der bisherigen Krankenkasse und dem zuständigen Rentenversicherungsträger gemäß § 201 [X.]2 SGB V unverzüglich mitzuteilen. § 203a SGB V regelt nur, dass die Agenturen für Arbeit oder in den Fällen des § 6a SGB II die zugelassenen kommunalen Träger die Meldungen hinsichtlich der nach § 5 [X.]1 [X.]2 und [X.]2a SGB V Versicherten entsprechend §§ 28a bis 28c SGB IV erstatten. Nach der Regelungssystematik sind die Meldungen deskriptiv. Sie begründen nicht konstitutiv die Erfüllung eines entsprechenden Versicherungspflichttatbestands. Die Meldepflichten haben die Aufgabe, die Durchführung der Krankenversicherung zu sichern, indem sie den Krankenkassen eine Beurteilung der Versicherungspflicht ermöglichen. Die materiell-rechtliche Stellung des Versicherten wird nicht davon beeinflusst, ob überhaupt und wann eine Meldung, zB nach § 201 SGB V, erfolgt (vgl [X.]in [X.]Komm, Stand Dezember 2014, § 201 SGB V Rd[X.]10).

Die tatsächlichen Umstände (Meldelage, Aushändigung/Rückgabe der Versichertenkarte etc) könnten allenfalls eine Rolle im Zusammenhang mit der Rückabwicklung der fehlerhaft durchgeführten Krankenversicherung spielen (in diesem Sinn auch [X.]in [X.]Komm, Stand Dezember 2014, § 201 SGB V Rd[X.]10). Die Frage des Umfangs der Erstattung ist aber nicht Gegenstand des angefochtenen Teil-Urteils des SG.

2. Das angefochtene Urteil leidet auch nicht an den von der Beklagten gerügten Verfahrensfehlern.

a) Die Vorschriften über die Begründung eines Urteils sind nicht verletzt. Nach § 136 [X.]1 [X.]6 SGG enthält das Urteil die Entscheidungsgründe. Gemäß § 128 [X.]1 S 2 SGG sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das bedeutet, aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Dafür muss das Gericht aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (vgl [X.]<Dreier-Ausschuss> Beschluss vom 1.8.1984 - 1 BvR 1387/83 - [X.]1500 § 62 [X.]16; [X.]<Kammer> Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - Juris Rd[X.]11). Auch braucht es nicht zu Fragen Stellung nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt. Eine Entscheidung ist nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat. Die Begründungspflicht wäre selbst dann nicht verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sein sollten (B[X.]Beschluss vom [X.]- B 13 R 144/07 B - Juris Rd[X.]7 mwN).

Diesen Begründungsanforderungen hat das [X.]genügt. Es hat die Zurückweisung der Berufung gegen das Teil-Urteil des [X.]damit begründet, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 177 [X.]2 SGB V in seiner am [X.]gültigen Fassung erfüllt seien. Nur darauf kommt es an, auch wenn dem Beigeladenen zu 2. vom 6.6 bis 31.10.2005 nochmals [X.]bewilligt wurde. Denn nach § 177 [X.]3 SGB V in der Fassung vom 2[X.]gehörten [X.]die in § 5 [X.]1 [X.]2, 2a [X.]genannten Versicherungspflichtigen der beklagten [X.]Knappschaft-Bahn-See an, wenn sie zuletzt bei der [X.]Knappschaft-Bahn-See versichert waren. Eine Wahlerklärung des Beigeladenen zu 2. zugunsten der Klägerin als Krankenkasse hat das [X.]ausdrücklich ausgeschlossen.

Die von der Beklagten behauptete "Weiterzahlung" von [X.]bis [X.]hat das [X.]nicht festgestellt. Vielmehr hat der Beigeladene zu 2. lediglich in der [X.]ab 6.6.2005 (erneut) [X.]bezogen. [X.]ist vorliegend aber allein der fehlende Bezug von [X.]am 1.3.2005. Schließlich kommt es - wie bereits dargelegt - auf die konkrete Abwicklung des Wechsels vom [X.]- zum Rentenbezug (Meldung, Stornierung der Meldung, Begrüßungsschreiben, Nutzung der Versichertenkarte, Rücksendung der Versichertenkarte) für die hier zu entscheidende Frage der Erfüllung des [X.]nach § 5 [X.]1 [X.]11, [X.]8 SGB V, § 177 [X.]2 SGB V aF nicht an.

b) Auch der von der Beklagten - sinngemäß - gerügte Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 62 SGG iVm Art 103 [X.]1 GG ist nicht gegeben.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, er verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" ([X.]<Kammer> Beschluss vom [X.]- 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 Rd[X.]13 mwN). Insoweit hat die Beklagte nicht beachtet, dass mit dem angefochtenen Teil-Urteil nur die Zuständigkeit der Beklagten für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. ab [X.]festgestellt worden ist. Hinsichtlich des [X.]ist das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]am [X.]zum Ruhen gebracht worden. Die von der Beklagten angesprochenen Fragen nach der Würdigung des langjährigen Verhaltens der Klägerin verbunden mit der ausdrücklichen Stornierung einer Meldung als widersprüchliches Verhalten mit der unter Umständen denkbaren Folge einer (teilweisen) Verwirkung eines Erstattungsanspruchs sind daher vorliegend irrelevant.

3. [X.]bleibt dem Schlussurteil des [X.]vorbehalten.

Meta

B 12 KR 16/17 R

04.09.2018

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Düsseldorf, 6. Juni 2013, Az: S 8 KR 1058/10, Urteil

§ 177 Abs 2 SGB 5 vom 09.12.2004, § 175 Abs 1 S 1 SGB 5 vom 21.12.1992, § 174 Abs 1 SGB 5 vom 21.12.1992, § 173 Abs 2 S 1 Nr 6 SGB 5 vom 21.12.1992, § 5 Abs 1 Nr 2a SGB 5 vom 24.12.2003, § 5 Abs 8 S 1 SGB 5, § 5 Abs 1 Nr 11 SGB 5, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 04.09.2018, Az. B 12 KR 16/17 R (REWIS RS 2018, 4165)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4165

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 12 KR 21/10 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Wirksamkeit der Krankenkassenwahl durch Versicherungspflichtigen - zuständige Krankenkasse bei nicht wirksamer Ausübung des …


L 1 KR 63/20 (Landessozialgericht Hamburg)

Bindung des Versicherten an die bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gewählte Krankenkasse


B 12 R 6/14 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung der Rentner - Beitragsnachforderung - Befugnis des Rentenversicherungsträgers zur isolierten Entscheidung über den Beitragstatbestand …


B 1 KR 10/18 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Ende der Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen nach Ablauf der Mindestbindungsfrist - unmittelbarer Anschluss eines …


B 12 R 8/15 R (Bundessozialgericht)

Isolierte Zuordnung von Beschäftigungszeiten zur allgemeinen oder knappschaftlichen Rentenversicherung durch Bescheid


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 2446/09

1 BvR 2933/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.

Öffnen: STRG + Shift | Schließen: ESC