Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2015, Az. XII ZB 106/15

12. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 2148

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Gegenstand

Betreuerbestellung: Persönliche Verhinderung eines Rechtsanwalts durch ein standesrechtliches Tätigkeitsverbot


Leitsatz

Ein Rechtsanwalt, der mit der Übernahme des Betreueramtes gegen ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 BRAO verstoßen würde, kann nicht zum Betreuer bestellt werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013, XII ZB 460/13, FamRZ 2014, 466).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerden der weiteren Beteiligten zu 2 und 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 2. Februar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

[X.]: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die 83jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz vom Typ Alzheimer, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Sie hatte folgende [X.]en erteilt:

2

- Notarielle General- und Vorsorgevollmacht vom 8. September 2003 an ihre sechs Kinder (Beteiligte zu 2 bis 7) in der Weise, dass jeweils zwei Kinder miteinander gemeinschaftlich vertretungsberechtigt sind,

3

- privatschriftliche [X.] vom 22. Mai 2008 an den Beteiligten zu 2 für die Wahrnehmung aller im Zusammenhang mit der Betreuung ihres Grundbesitzes erforderlichen Aufgaben,

4

- notarielle Generalvollmacht vom 6. Juni 2008 an den Beteiligten zu 8, einen Rechtsanwalt, für alle vermögensrechtlichen Angelegenheiten, und

5

- notarielle [X.] vom 16. Juni 2008 an die Beteiligte zu 4, beschränkt auf die persönlichen Angelegenheiten der Betroffenen.

6

In Ausübung seiner [X.] hatte der Beteiligte zu 2 ein Mietverhältnis gegenüber dem Mieter einer Wohnung der Betroffenen zunächst im [X.] wegen behaupteter Vertragsverletzungen und dann im Jahr 2012 wegen Zahlungsverzugs gekündigt. Die Beteiligte zu 1, eine Rechtsanwältin, bestellte sich jeweils für den Mieter und wies die Kündigungen erfolgreich zurück.

7

Die Beteiligten zu 2 und 3 haben durch Anwaltsschreiben vom 19. März 2013 die an den Beteiligten zu 8 erteilte [X.] für die Betroffene widerrufen lassen. In dem nachfolgenden Rechtsstreit um die Herausgabe der [X.]urkunde, Auskunftserteilung und Rechnungslegung erklärten sämtliche Beteiligten zu 2 bis 8 vor dem Berufungsgericht zu Protokoll, dass sie beim zuständigen Notariat die Bestellung einer [X.] anregen werden, und zwar vor dem Hintergrund der aus dem Rechtsstreit ersichtlich entstandenen Streitigkeiten zwischen den bevollmächtigten Kindern einerseits und dem Beteiligten zu 8 andererseits. Gegebenenfalls möge der [X.] darüber entscheiden, die den Kindern und dem Beteiligten zu 8 erteilten [X.]en zu widerrufen.

8

Das Notariat hat eine [X.] mit dem Aufgabenkreis der Geltendmachung von Rechten der Betroffenen gegenüber ihren Bevollmächtigten sowie erforderlichenfalls Widerruf von allen oder einzelnen [X.]en eingerichtet und die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin bestimmt. Das [X.] hat die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 zurückgewiesen; hiergegen richten sich deren Rechtsbeschwerden.

II.

9

Die zulässigen Rechtsbeschwerden sind begründet.

1. Die Rechtsbeschwerden sind zulassungsfrei statthaft, auch wenn sich die Beteiligten zu 2 und 3 nicht gegen die Anordnung der Betreuung als solche, sondern nur gegen die Auswahl des Betreuers im Rahmen der Einheitsentscheidung über die Anordnung der Betreuung wenden (vgl. [X.]sbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 10 mwN). Die Befugnis zur Einlegung der Rechtsbeschwerde im Interesse der Betroffenen steht den Beteiligten zu 2 und 3 zu, weil sie als deren Abkömmlinge im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden sind (§ 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung einer [X.] gemäß § 1896 Abs. 3 BGB werde von keinem Beteiligten in Abrede gestellt. Die ausgewählte Betreuerin sei auch geeignet. Deren Vorschlag, die Kompetenzen der Bevollmächtigten klar zu regeln und dazu nur die drei im [X.] erteilten [X.]en bestehen zu lassen, die im Jahr 2003 erteilte [X.] hingegen widerrufen zu wollen, begründe selbst dann keine Zweifel an ihrer Eignung, wenn dies einer - unterstellten - Absprache aller Bevollmächtigten, es sollten entweder sämtliche [X.]en oder keine [X.] widerrufen werden, inhaltlich nicht entspreche. Weder der Widerruf noch das [X.] sämtlicher [X.]en entspräche nämlich dem Wohl der Betroffenen.

Der Eignung der Beteiligten zu 1 als Betreuerin stehe auch nicht entgegen, dass diese in den Jahren 2008 und 2012 den Mieter einer Wohnung der Betroffenen gegen diese vertreten habe. Die Übernahme der [X.] stelle keinen Verstoß gegen § 43 a Abs. 4 [X.] dar. Zur Wahrnehmung widerstreitender Interessen komme es nicht, weil sie als [X.]in nur die Rechte der Betroffenen gegen deren Bevollmächtigte und nicht gegen deren Mieter vertrete. Da eine Vertretung des Mieters und der Betroffenen in demselben Rechtsstreit ausgeschlossen sei, könne auch kein Interessenkonflikt im Sinne des § 1897 Abs. 5 BGB entstehen.

3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Auswahl der Beteiligten zu 1 zur Betreuerin rechtsfehlerhaft ist.

a) Gemäß § 1897 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person zum Betreuer, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Schlägt der Volljährige niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf persönliche Bindungen des Volljährigen sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB).

Allerdings muss das Betreuungsgericht bereits bei seiner Auswahlentscheidung nach § 1897 Abs. 1, 5 BGB berücksichtigen, ob ein als Betreuer vorgeschlagener Rechtsanwalt mit der Übernahme des [X.] gegen ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 [X.] verstoßen würde; einen solchen Verstoß gegen anwaltliche Berufspflichten muss das Betreuungsgericht von vornherein unterbinden und von der Bestellung des vorbefassten Rechtsanwalts absehen (vgl. [X.]sbeschluss vom 18. Dezember 2013 - [X.] 460/13 - FamRZ 2014, 466 Rn. 9 mwN).

Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist dem Rechtsanwalt eine Tätigkeit als Betreuer in solchen Angelegenheiten untersagt, mit denen er bereits gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens als Rechtsanwalt befasst war. Diese Vorschrift bezweckt zum einen die vorbeugende Vermeidung von Interessenkollisionen, die das Vertrauen in die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden könnten, und soll zum anderen verhindern, dass der Rechtsanwalt die Interessenwahrnehmung für denselben Mandanten außerhalb berufsrechtlicher Pflichten in einer für die anwaltliche Rechtspflegefunktion abträglichen Weise fortsetzt ([X.]sbeschluss vom 18. Dezember 2013 - [X.] 460/13 - FamRZ 2014, 466 Rn. 10 mwN). Die Tätigkeitsverbote des § 45 [X.] knüpfen somit abstrakt an die Vorbefassung an und gelten ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall ein konkreter Interessenkonflikt besteht (vgl. [X.]/Kilian [X.] 4. Aufl. § 45 Rn. 42).

b) Deshalb kommt eine Bestellung der Beteiligten zu 1 zur Betreuerin nicht in Betracht, nachdem sie als anwaltliche Vertreterin des Mieters einer Wohnung der Betroffenen zuvor bereits gegen die Betroffene als Trägerin des verwalteten Vermögens befasst war.

Das anwaltliche Tätigkeitsverbot und die daraus resultierende fehlende Eignung der Beteiligten zu 1 bestehen auch für die Wahrnehmung einer [X.] gemäß § 1896 Abs. 3 BGB. Unabhängig davon, dass es auf konkrete Interessenskonflikte nicht ankommt, liegen solche hier vor. Denn die Interessen der zuvor vertretenen [X.] können ohne weiteres davon beeinflusst werden, welche Vorsorgevollmachten die Beteiligte zu 1 als [X.]in bestehen lässt und welche sie widerruft und wie sie ihr Weisungsrecht (vgl. § 665 BGB) gegenüber den Bevollmächtigten in Bezug auf das noch laufende Mietverhältnis ausübt.

4. Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehen bleiben. Da der [X.] nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

Dose                              Weber-Monecke                              Günter

            Nedden-Boeger                                       Botur

Meta

XII ZB 106/15

18.11.2015

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Ulm, 2. Februar 2015, Az: 3 T 120/14

§ 1896 Abs 3 BGB, § 1897 Abs 1 BGB, § 1897 Abs 5 BGB, § 45 Abs 2 Nr 1 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2015, Az. XII ZB 106/15 (REWIS RS 2015, 2148)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1235 WM 2016, 183 REWIS RS 2015, 2148

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 106/15

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XII ZB 460/13

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