Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.12.2020, Az. 4 StR 526/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1249

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ORDNUNGSWIDRIGKEIT STRASSENVERKEHR BUNDESGERICHTSHOF (BGH) VERKEHRSRECHT

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Gegenstand

Verkehrsordnungswidrigkeit: Bußgeldbewehrung der Nutzung eines elektronischen Taschenrechners durch einen Fahrzeugführer


Leitsatz

Ein elektronischer Taschenrechner unterfällt als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO.

Tenor

Ein elektronischer Taschenrechner unterfällt als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.].

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Betroffenen mit Urteil vom 11. Februar 2019 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit „verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer“ zu einer Geldbuße von 147,50 € verurteilt.

2

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen überschritt der Betroffene, ein Immobilienmakler, am 22. Mai 2018 bei einer Fahrt mit seinem Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Während der Fahrt hielt er einen elektronischen Taschenrechner in der Hand, mit dem er die Provision eines bevorstehenden Kundentermins berechnete.

3

Der Betroffene hat form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und diesen begründet. Er wendet sich mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen die tateinheitliche Verurteilung wegen verbotswidriger Benutzung eines elektronischen Geräts.

4

Das [X.], das die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen, sieht sich daran aber durch die Entscheidung des [X.] vom 25. Juni 2018 ‒ 2 [X.] ‒ gehindert. Da das [X.] auf Anfrage erklärt hat, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten, hat das [X.] mit Beschluss vom 15. August 2019 die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 [X.]G i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem [X.] zur Beantwortung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Fällt ein reiner (elektronischer) Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, unter § 23 Abs. 1a [X.]?

5

Der [X.] ist der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts beigetreten und beantragt, entsprechend zu beschließen.

II.

6

Die Vorlage ist gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 [X.]G i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG zulässig.

7

1. Die Vorlagefrage betrifft die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.], mithin eine Rechtsfrage.

8

2. Die Rechtsfrage ist auch entscheidungserheblich.

9

a) § 23 Abs. 1a [X.] ist wirksam und daher vom vorlegenden Gericht bei seiner Entscheidung anzuwenden. Die Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 ([X.] I, [X.]) neu gefasst worden. Diese Neufassung erfüllt die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG an die Wirksamkeit von Rechtsverordnungen stellt (vgl. [X.] 101, 1; 136, 69; 151, 173), indem sie sich auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die im Vorspruch zur Änderungsverordnung ordnungsgemäß angegeben ist. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass der Verordnungsgeber die Regelung der Benutzung elektronischer Geräte durch Kraftfahrzeugführer auf die allgemeine Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 3 erster Halbsatz StVG gestützt hat.

b) Das [X.] kann die Rechtsbeschwerde nicht wie beabsichtigt als unbegründet verwerfen, ohne von tragenden Gründen der Entscheidung des [X.] zur Auslegung des § 23 Abs. 1a [X.] abzuweichen.

3. Die [X.] ist allerdings zu weit gefasst. Sie schließt mehrere tatbestandliche Varianten der elektronischen Geräte im Sinne des § 23 Abs. 1a [X.] ein, während die Divergenz ‒ wie sich aus dem Vorlagebeschluss und der Entscheidung des [X.] ergibt ‒ allein die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des elektronischen Geräts, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, betrifft.

Der Senat fasst die [X.] daher wie folgt:

[X.] ein elektronischer Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.]?

III.

Der Senat entscheidet die Vorlagefrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

Durch die 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 ([X.] I, [X.]) ist die Vorschrift des § 23 Abs. 1a [X.] grundlegend umgestaltet worden. An die Stelle der früheren, vom Verordnungsgeber nicht mehr als zeitgemäß erachteten Verbotsnorm des § 23 Abs. 1a [X.] aF, die lediglich für Mobil- oder [X.] galt, ist eine als Gebotsvorschrift ausgestaltete Bestimmung getreten, welche die Voraussetzungen regelt, unter denen die in der Vorschrift genannten elektronischen Geräte beim Führen eines Fahrzeugs benutzt werden dürfen. Mit der Neuregelung verfolgte der Verordnungsgeber den Zweck, im Interesse einer Verbesserung der Verkehrssicherheit die Reichweite der Regelung über den bisherigen Bereich der Mobil- und [X.] hinaus auszudehnen und eine Benutzung der in der Vorschrift näher bezeichneten elektronischen Geräte davon abhängig zu machen, dass die Hände des Fahrzeugführers während der Fahrt grundsätzlich zur Bewältigung der [X.] zur Verfügung stehen und der Blick des Fahrzeugführers im Wesentlichen ‒ von kurzen Blickabwendungen abgesehen ‒ auf das Verkehrsgeschehen konzentriert bleibt (vgl. Entwurfsbegründung [X.]. 556/17, [X.], 25 f.). § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.] schreibt unter anderem vor, dass derjenige, der ein Fahrzeug führt, ein elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen darf, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und die weiteren in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 [X.] normierten Anforderungen an die mit der Benutzung verbundenen Tätigkeiten erfüllt sind.

Zu den elektronischen Geräten, die der Information dienen oder zu dienen bestimmt sind, gehört auch ein elektronischer Taschenrechner. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 1a [X.].

1. Nach der Wortbedeutung des Begriffs der Information handelt es sich bei elektronischen Geräten zur Information um Geräte, die der Unterrichtung über jegliche einer Mitteilung zugängliche Umstände dienen (vgl. [X.], [X.], 194, 198; [X.], Beschluss vom 3. Juli 2019 ‒ 1 Ss ([X.]) 87/19; [X.], NJW 2019, 1633, 1636). Für die Informationsfunktion des Geräts ist es ausgehend vom Wortsinn weder von Bedeutung, ob der Gegenstand der Unterrichtung bereits in dem Gerät gespeichert vorhanden ist oder erst im Wege der Datenübertragung auf das Gerät übermittelt wird, noch hängt sie davon ab, dass der Gegenstand der Unterrichtung im Zuge der Gerätenutzung auf dem Gerät gespeichert wird. Danach ist auch die Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners zur Ermittlung eines auf dem Gerät ablesbaren Ergebnisses als [X.] anzusehen, so dass der Taschenrechner nach dem Wortlaut der Norm als Gerät zur Information der Regelung des § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.] unterfällt.

2. Mit der Neufassung des § 23 Abs. 1a [X.] wollte der Verordnungsgeber das Benutzen elektronischer Geräte während des Führens eines Fahrzeugs nicht ausnahmslos untersagen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollte aber die Nutzung von Geräten aus den in der Vorschrift im einzelnen aufgeführten Gerätekategorien im Interesse der Verkehrssicherheit an die Erfüllung der strengen Anforderungen geknüpft werden, die in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 und 2 [X.] normiert sind. Den Materialien zu der Änderungsverordnung ist weiterhin zu entnehmen, dass die in der Bestimmung genannten Gerätekategorien umfassend der Nutzungsregelung des § 23 Abs. 1a [X.] unterstellt werden sollten (vgl. [X.]. 556/17, [X.], 16). Der ausdrücklich verlautbarte [X.]e des Verordnungsgebers, sämtliche Geräte aus den aufgeführten Gerätekategorien zu erfassen, spricht für eine weite, die Wortbedeutung ausschöpfende Auslegung des Tatbestandsmerkmals des der Information dienenden Gerätes. Die in der Verordnungsbegründung beispielhaft genannten Geräte (vgl. [X.]. 556/17, [X.]) zeigen zudem ebenso wie die Geräte, die Gegenstand der in § 23 Abs. 1a Satz 2 [X.] aufgenommenen klarstellenden Einbeziehungsregelung sind, dass es für die Subsumtion unter die Gerätekategorien des § 23 Abs. 1a Satz 1 [X.] ‒ von den Geräten der elektronischen Kommunikation abgesehen ‒ weder auf eine Datenübertragung auf das Gerät noch eine Speicherfunktion des Geräts ankommen sollte.

3. Schließlich streitet auch der Zweck der Vorschrift für dieses Auslegungsergebnis. Die Bestimmung des § 23 Abs. 1a [X.] dient dem Ziel, durch eine Regelung der Anforderungen, die bei der Nutzung der tatbestandlich erfassten elektronischen Geräte während des Führens eines Fahrzeugs einzuhalten sind, Gefahren für die Verkehrssicherheit zu verhindern, die aus einem Aufnehmen und Halten des Geräts oder einer mit der Gerätenutzung verbundenen nicht nur unwesentlichen Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung des [X.] resultieren können. Eine solche Gefahrenlage ist auch bei der Benutzung eines elektronischen Taschenrechners beim Führen eines Fahrzeugs gegeben.

4. Auf die vom [X.] in den Vordergrund gerückte Frage, ob ein elektronischer Taschenrechner als tragbarer Flachrechner im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 2 [X.] anzusehen ist, kommt es nach alledem nicht mehr an.

Sost-Scheible     

      

Bender     

      

Sturm 

      

[X.]     

      

Maatsch     

      

Meta

4 StR 526/19

16.12.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend OLG Hamm, 15. August 2019, Az: III-4 RBs 191/19, Vorlagebeschluss

§ 23 Abs 1a S 1 StVO, § 79 Abs 3 S 1 OWiG, § 121 Abs 2 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.12.2020, Az. 4 StR 526/19 (REWIS RS 2020, 1249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1249

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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201 ObOWi 1507/21

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