Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2013, Az. 4 StR 170/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5634

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/13

vom
22. Mai
2013
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 22.
Mai
2013
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts

Schwurgericht

Bielefeld vom 18.
Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (Mord-merkmal Heimtücke) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§
224 Abs.
1 Nr.
2, 3 und 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision be-anstandet der Angeklagte unter anderem die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.
1
-
3
-
I.
1.
Nach den Feststellungen wohnte der Angeklagte zusammen mit sei-nem zwei Jahre jüngeren Bruder

[X.]

dem späteren
Tatopfer

und den gemeinsamen Eltern in einem Haus. Der Angeklagte bedrohte seinen Bruder wiederholt mit dem Tod und wurde häufig gewalttätig.

[X.]

wehrte sich hiergegen zunächst nicht. Erst ab seinem 18.
Lebensjahr, das er im Jahr 2008 erreicht hatte, war er nicht länger bereit, die Beleidigungen, Drohun-gen und physischen Angriffe des Angeklagten hinzunehmen. Er trieb vermehrt Sport, unter anderem Kampfsport, um dem Angeklagten körperlich nicht mehr unterlegen zu sein,
und wehrte sich in der Folgezeit bei Übergriffen. Außerdem besorgte er sich eine Stange, die er neben sein Bett legte, um sich im Notfall gegen den Angeklagten verteidigen zu können. Auch schlief er in der Regel erst ein, wenn er hörte, dass der Angeklagte sich zur Ruhe begeben hatte. In den Monaten vor der Tat spitzte sich die familiäre Situation durch das Verhalten des Angeklagten derart zu, dass sich

[X.]

an den Sozialpsychiatrischen
Dienst der Stadt H.

mit der Bitte um Unterstützung wandte.
In der Nacht vom 15. auf den 16.
Mai 2012 ging

[X.]

gegen
2:00
Uhr in [X.] im ersten Obergeschoss zu Bett. Als der Angeklag-te ihn gegen 3:00
Uhr aufforderte, mit ihm Computer zu spielen, lehnte er dies ab und schlief kurz darauf ein. Der Angeklagte war über diese Zurückweisung verärgert. Er weckte die zur Familie gehörenden Hunde auf, um seinen Bruder in den unteren Flur zu locken. Dort wollte er ihm auflauern und ihn körperlich angreifen. Tatsächlich wurde

[X.]

durch das laute Bellen der Hunde
aufgeweckt. Er stand auf und ging

bekleidet mit Boxershorts und T-Shirt

ins Erdgeschoss. Da er annahm, dass die Hunde Auslauf haben wollten, ließ er sie auf die Terrasse. Nachdem er sich im Esszimmer noch eine Zigarette gestopft 2
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-
4
-
hatte, schaltete
er das Licht aus und ging in den unbeleuchteten Flur, in den nur aus [X.] und durch ein kleines Fenster etwas Licht fiel.
Als er vor der zu [X.] im Obergeschoss führenden Treppe stand, hörte er ein mehrmaliges Klopfen gegen eine Tür. Er ging daraufhin in Richtung der [X.], weil er dachte, dass ein Bekannter gekommen sei und sich nun durch das Klopfen bemerkbar machen wollte. Der Angeklagte, der

[X.]

be-
wusst in den dunklen Bereich des Flures gelockt hatte, um ihm die Verteidigung gegen den geplanten Angriff zu erschweren, trat nun wortlos von rechts
auf sei-nen Bruder zu. Ob er dabei etwas in der Hand hatte, war für

[X.]

der darauf auch nicht achtete

in diesem Moment nicht erkennbar. Als der Angeklagte unmittelbar vor seinem Bruder stand, drückte er ihn gegen die Wand. Spätestens jetzt nahm er ein Anglermesser mit einer etwa 13,5
cm lan-gen,
nach vorn spitz zulaufenden Klinge aus einem am Gürtel getragenen Hols-ter und stach mit großer Wucht mindestens einmal auf den Oberkörper von

[X.]

ein. Dabei nahm er tödliche Verletzungen zumindest billigend in
Kauf. Der Stich traf

[X.]

, der seine Arme schützend vor Oberkörper
und Gesicht gehoben hatte, zunächst am linken Unterarm und drang dann in den Brustkorb ein. Ihm gelang es, den Angeklagten zurückzustoßen. Sodann kam es zu einer Rangelei, bei der

[X.]

bemüht war, Abstand zwi-
schen sich und den Angeklagten zu bekommen. Als ihm dies gelungen war, trat er zurück in den helleren Bereich des Flures. Dort sah er durch das einfallende Licht, dass er eine
mehrere Zentimeter große klaffende Wunde an seinem lin-ken Arm hatte, von der die bis auf den Knochen geöffnete Haut wie ein Lappen herunterhing. Auch bemerkte er, dass der Angeklagte das Messer in der rech-ten Hand hielt.

[X.]

verließ den Flur und lief durch das Esszimmer in
Richtung der Terrasse. Seiner Mutter rief er im Vorbeilaufen zu, dass sie Hilfe holen möge. Sodann öffnete er die Tür zur Terrasse und schloss diese wieder, nachdem er das Haus verlassen hatte. Von dort aus lief er in den
Garten. Der -
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-
Angeklagte, der seinem Bruder ins Esszimmer gefolgt war, verweilte dort kurz. Als er bemerkte, dass seine Mutter telefonisch einen Notruf absetzen wollte, riss er ihr das Telefon aus der Hand und warf es gegen die Wand, sodass es beschädigt auf den Boden fiel.

[X.]

lief währenddessen im Garten
durch den Hühnerstall

wo er zwei Türen entriegeln und wieder verschließen musste

zu einem etwa 300
Meter entfernt liegenden Gartenhaus und weckte seinen dort schlafenden Vater. Dieser ließ seinen [X.] herein und setzte einen Notruf ab. Anschließend begann er dessen Verletzung zu verbinden. In dieser Situation erschien der Angeklagte ohne Messer im Gartenhaus. Dabei sagte er

r-ließ er das Gartenhaus wieder.

[X.]

erlitt eine Schnittwunde im rechten oberen Thorax, die
sich nur zwei bis drei Zentimeter entfernt von einem größeren Blutgefäß sowie in unmittelbarer Nähe von [X.] und Lunge befand. Des Weiteren hatte er eine tiefe Schnittwunde am linken Unterarm mit Durchtrennung einer Sehne und Spaltung der Elle.
2.
Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte mit beding-tem
Tötungsvorsatz auf seinen Bruder eingestochen und dabei heimtückisch im Sinne des §
211 Abs.
2 StGB gehandelt hat. Einen strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung verneint, dass ein beendeter
Versuch im Sinne des §
24 Abs.
1 Satz
1 Alt.
2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine [X.] entfaltet habe. Ein beendeter Versuch sei hier anzunehmen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sich der Angeklagte über die Folgen seiner Tat überhaupt irgendwelche Vorstellungen gemacht hat. Ein realer Ge-sichtspunkt, an den die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe ge-4
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-
6
-
glaubt, der mit Tötungsvorsatz geführte Stich sei nicht tödlich, bestehe nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte noch weglaufen konnte, sei ohne Bedeu-tung, weil der tödliche Erfolg nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusam-menhang mit der verursachenden Handlung stehen müsse und auch erst einige [X.] später durch Verbluten eintreten könne. Auch die Einlassung des Ange-klagten habe in Bezug auf sein Vorstellungsbild nichts erbracht. Wenn sich aber Erwägungen des Angeklagten, dass die zugefügten Verletzungen nicht tödlich sein würden, nicht feststellen lassen, könne allenfalls festgestellt werden, dass sich der Angeklagte überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht. In diesem Fall sei ein beendeter Versuch anzunehmen. Der Zweifelsgrundsatz, der auch auf das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen Anwendung finde, erlaube es nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu
unterstellen, für die es

wie hier

keine konkre-ten Anhaltspunkte gäbe (UA
28).
II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Erwägungen, mit
denen das [X.] zur Annahme eines beendeten Versuches gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, an einem Erörterungsmangel leiden (§
261 StPO) und deshalb revisionsrechtlicher Über-prüfung nicht standhalten.
1.
Im Ansatzpunkt zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Vorausset-zungen des §
24 Abs.
1 Satz
1 Alt.
2, Satz
2 StGB zurückgetreten werden kann, auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bis-6
7
-
7
-
herigen
Verhaltens macht ([X.], Urteil vom 3.
Juni 2008

1
StR
59/08,
NStZ 2009, 264 Rn.
9; Beschluss vom 3.
Februar 1999

2
StR
540/98, [X.], 299; Urteil vom 10.
Februar 1999

3
StR
618/98, [X.], 300, 301; Be-schluss vom 12.
April 1995

2
StR
105/95, [X.] 1995, 878, 879 bei [X.];
Urteil vom 2.
November 1994

2
StR
449/94, [X.]St 40, 304, 306; [X.], StGB,
60.
Aufl.,
§
24 Rn.
15; [X.]/[X.]/Schuhr,
§
24 Rn.
37). Diese gedankliche Indifferenz des [X.] gegenüber den von ihm bis
dahin angestreb-ten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die positiv festgestellt werden muss. Hierzu bedarf es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstän-de. Können keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden, ist der [X.] anzuwenden ([X.],
Urteil vom 3.
Juni 2008

1
StR
59/08,
NStZ 2009, 264 Rn.
14; Urteil vom 13.
März 2008

4
StR
610/07, Rn.
13
mwN).
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Soweit das [X.] dem von dem Angeklagten wahrgenom-menen r-kung für ein Ausbleiben tödlicher Folgen abgesprochen hat, erschöpft sich die Begründung in dem allgemeinen Hinweis, dass bei Messerstichen ein Tod durch Verbluten auch noch mit zeitlicher Verzögerung eintreten könne. Dies ist zwar zutreffend, doch hätte sich das [X.] an dieser Stelle näher mit den von ihm festgestellten weiteren Umständen des Geschehens bei und unmittel-bar nach der Tat auseinandersetzen und diese zusammenfassend würdigen müssen. Der Messerstich wurde im Dunkeln geführt. Erst nachdem sich der Geschädigte von dem Angeklagten gelöst hatte und ins Licht gelangt war, sah er die klaffende Wunde an seinem
linken Arm. Bei dieser Sachlage wäre zu erörtern gewesen, ob für den unter gleichen Sichtverhältnissen agierenden [X.] nur diese nicht naheliegend als lebensgefährlich anzusehende [X.]
-
8
-
letzung als Auswirkung des [X.] erkennbar war und deshalb aus sei-ner Sicht

auch mit Blick auf das nachfolgende Verhalten seines Bruders (Zu-rückstoßen des Angeklagten, erfolgreich bestandene Rangelei, Verlassen des Hauses durch die anschließend wieder verschlossene Terrassentür, Weg durch den
Garten usw.)

Grund für die Annahme bestand, der mit bedingtem
Tötungsvorsatz geführte Stich werde tatsächlich keine lebensbedrohlichen Fol-gen haben.
Auch ist es rechtlich bedenklich, dass das [X.] aus der Tatsache, dass es keine Feststellungen
zu den Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den [X.] treffen konnte, auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen geschlossen hat ([X.]/[X.]/Schuhr,
§
24 Rn.
37). Zwar trifft es zu, dass der [X.] nicht dazu nötigt, (innere) Tatsachen zugunsten des [X.] zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt ([X.], Urteil vom 3.
Juni 2008

1
StR
59/08,
NStZ 2009, 264 Rn.
14; Urteil vom 13.
März 2008

4
StR
610/07, Rn.
13 mwN), doch rechtfertigt dies
für sich genommen
noch nicht den vom [X.] gezogenen Schluss. Allerdings kann in Fällen, in denen sich aus den objektiven Umständen kein Hinweis auf das konkrete [X.] des [X.] im [X.]punkt des Abbruchs der Tathandlung ergibt, die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei ihm die der Tatbegehung zugrunde lie-gende [X.] fortbestanden hat; maßgeblich ist indes auch dann auch [X.], Beschluss vom 1.
Dezember 2011

3
StR
337/11).
2.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter

sofern er wieder entsprechende Feststellungen zu treffen vermag

auch zu erwägen haben, ob der Äußerung des Angeklagten beim Anblick seines verletzten Bruders im G9
10
-
9
-
ein Hinweis auf ein indifferentes Vorstellungsbild oder eine Gleichgültigkeit ge-genüber einem möglichen Todeseintritt entnommen werden kann.
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke

Quentin
Reiter

Meta

4 StR 170/13

22.05.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2013, Az. 4 StR 170/13 (REWIS RS 2013, 5634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5634

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 170/13

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