Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.06.2014, Az. 1 BvR 1837/12

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 4481

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Rüge einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 S 1 GG) nicht hinreichend substantiiert - erhebliche Zweifel an "flächendeckender Aushebelung" des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen gem § 81a Abs 2 StPO


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer wurde im Januar 2011 zur Nachtzeit als Führer eines Kraftfahrzeugs einer Verkehrskontrolle unterzogen. Da seine Pupillen auf Lichteinfall nur verzögert reagierten, wurde ein Drogenschnelltest durchgeführt, der positiv auf Amphetamin und Methamphetamin reagierte. Daraufhin ordnete die Polizei ohne Einschaltung eines [X.]s eine Blutentnahme an. Nach dem toxikologischen Gutachten enthielt die so entnommene Blutprobe eine [X.] von 55,8 ng/ml.

3

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2011 entzog das Landratsamt [X.] dem Beschwerdeführer unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (nach alter Einteilung). Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage des Beschwerdeführers zum Bayerischen Verwaltungsgericht [X.] wurde mit Urteil vom 27. April 2012 als unbegründet abgewiesen.

4

3. Der [X.] lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Beschwerdeführer ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend machte, mit dem allein angegriffenen Beschluss vom 24. Juli 2012 (- 11 [X.] 12.1362 -, juris) ab.

5

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bleibe die unterlassene Einholung einer richterlichen Entscheidung über die Blutentnahme auch bei fehlender Gefahr im Verzug dann für die Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutentnahme ohne Einfluss, wenn auf der Hand liege, dass der [X.] einem solchen Eingriff die Genehmigung nicht hätte versagen können. So verhalte es sich hier. Nachdem der beim Beschwerdeführer von der Polizei am 6. Januar 2011 durchgeführte [X.] positiv auf Amphetamin und Methamphetamin reagiert habe, habe der dringende Verdacht bestanden, dass er zumindest eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG begangen haben könnte. Die Gewinnung einer Blutprobe sei zur beweiskräftigen Sicherung des "ob" einer Verkehrsteilnahme unter Amphetamineinfluss sowie zur Feststellung der Höhe der [X.] erforderlich gewesen.

II.

6

Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

7

Der Beschwerdeführer macht die fehlende richterliche Anordnung der Blutentnahme im Rahmen der von ihm der Sache nach gerügten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geltend. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden, sei deshalb unrichtig, weil er durch die von dem Polizeibeamten angeordnete Blutentnahme ohne Rechtsgrund in seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt worden sei. Die Verwertung des Ergebnisses der Blutanalyse sei nicht zulässig.

8

Nach der Rechtsprechung des [X.] stehe die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe grundsätzlich dem [X.] zu. Lediglich bei Gefahr im Verzug könne auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen bestehen. Im Streitfall sei aber keine Gefahr im Verzug anzunehmen gewesen.

III.

9

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] ergebenden Begründungsanforderungen genügt.

Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem [X.] eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. [X.] 15, 288 <292>). Hierfür müssen innerhalb der Beschwerdefrist das angeblich verletzte Recht bezeichnet und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert dargelegt werden (vgl. [X.] 81, 208 <214>; 99, 84 <87>; stRspr). Soweit es zur Beurteilung der behaupteten Grundrechtsverletzung erforderlich ist, ist auch eine eingehende Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung geboten (vgl. [X.] 101, 331 <345>). Hat das [X.] für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme Grundrechte verletzt werden (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 102, 147 <164>).

Die geltend gemachten Verletzungen von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, insbesondere von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, werden nicht in hinreichend substantiierter Weise gerügt.

Der Beschwerdeführer setzt sich nicht ausreichend mit der angegriffenen Entscheidung des [X.] auseinander. Er rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde, dass bei seiner Blutentnahme entgegen § 81a Abs. 2 StPO keine Gefahr im Verzug vorgelegen habe. Diesen Umstand stellt der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung indessen nicht in Abrede. Er nimmt vielmehr an, dass das Ergebnis der Blutentnahme trotz unterlassener Einholung einer richterlichen Entscheidung auch bei fehlender Gefahr im Verzug verwertbar sei, weil auf der Hand liege, dass der [X.] einem solchen Eingriff die Genehmigung nicht hätte versagen können. Mit diesem Standpunkt des [X.] setzt sich der Beschwerdeführer jedoch nicht näher auseinander; insbesondere legt er nichts dafür dar, dass der [X.] damit - wie es eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes verlangt - die Rechtsmittelvorschriften in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise und damit objektiv willkürlich angewandt habe (zu dieser Voraussetzung vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, S. 3506 <3508> m.w.N.).

Mangels zulässiger Rüge besteht daher kein Anlass, der Frage nachzugehen, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, dass nicht nur im Einzelfall sondern nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2010 - 11 CS 09.1443 -, juris, Rn. 27; Beschluss vom 21. November 2011 - 11 CS 11.2247 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 9. Mai 2012 - 11 [X.] 12.614 -, juris, Rn. 4) wie auch anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. Verwaltungsgerichtshof [X.], Beschluss vom 21. Juni 2010 - 10 S 4/10 -, juris, Rn. 11; [X.], Beschluss vom 3. November 2009 - [X.] -, juris, Rn. 3; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vor-pommern, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 M 12/08 -, juris, Rn. 7; [X.], Beschluss vom 14. August 2008 - 12 [X.]/08 -, juris, Rn. 6; Oberverwaltungsgericht für das [X.], Beschluss vom 3. September 2010 - 16 B 382/10 -, juris, Rn. 2; [X.], Beschluss vom 29. Januar 2010 - 10 [X.]/09 -, juris, Rn. 8; Oberverwaltungsgericht des [X.], Beschluss vom 1. November 2012 - 3 [X.]/12 -, juris, Rn. 7; [X.], Beschluss vom 1. Februar 2010 - 3 [X.]/08 -, juris, Rn. 7; Oberverwaltungsgericht für das [X.], Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 4 MB 121/09 -, juris, Rn. 3 f.) bei der Entziehung von Führerscheinen offenbar generell die Verwertung von Erkenntnissen akzeptiert wird, die auf Blutentnahmen beruhen, welche unter Verstoß gegen den einfachgesetzlichen [X.]vorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden. Auch wenn der in § 81a Abs. 2 StPO gesetzlich angeordnete [X.]vorbehalt nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe beruhen mag (vgl. [X.]K 14, 107 <113>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 - 2 BvR 1596/10 -, [X.], [X.]>), bestehen doch aus rechtsstaatlicher (Art. 20 Abs. 3 GG) wie auch grundrechtlicher (Art. 2 Abs. 2 GG) Sicht erhebliche Bedenken gegen eine Praxis, die den gesetzlichen [X.]vorbehalt für den Bereich verwaltungsbehördlicher Eingriffsmaßnahmen durch eine großzügige Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel (vgl. zu Beweisverwertungsverboten [X.] 65, 1 <43 ff.>; 106, 28 <48 ff.>; 113, 29 <61>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02 -, NJW 2006, [X.]>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09 -, NJW 2011, S. 2417 <2419>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 - 2 BvR 1596/10 und 2 BvR 2346/10 -, juris, Rn. 18) flächendeckend aushebelt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1837/12

28.06.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 24. Juli 2012, Az: 11 ZB 12.1362, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 81a Abs 2 StPO, § 24a Abs 2 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.06.2014, Az. 1 BvR 1837/12 (REWIS RS 2014, 4481)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4481

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten durch Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr - …


2 BvR 1046/08 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgarantie durch unzureichende gerichtliche Überprüfung der polizeilichen Eilkompetenz zur Anordnung …


4 B 2195/16 SN (Verwaltungsgericht Schwerin)


2 BvR 2630/18 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren (§ 170 …


11 ZB 17.2069 (VGH München)

Entziehung der Fahrerlaubnis - Einnahme von Amphetaminen


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.