Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2011, Az. 3 B 57/11

3. Senat | REWIS RS 2011, 635

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Gegenstand

Berufliche Rehabilitierung; Ausschlussgrund der Spitzeltätigkeit


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 16. März 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger begehrt seine Rehabilitierung wegen beruflicher Nachteile, die er in der [X.] infolge einer unrechtmäßigen Inhaftierung erlitten habe. Er war 1978 dort zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und ist deswegen im Jahre 2007 strafrechtlich rehabilitiert worden. Der Beklagte erkannte den Kläger mit Bescheid vom 10. August 2009 als Verfolgten im Sinne des § 1 Abs. 1 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes ([X.]) an, lehnte jedoch Leistungen nach diesem Gesetz gemäß dessen § 4 ab. Der Kläger habe als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des [X.] ([X.]) Berichte über Dritte geliefert, die geeignet gewesen seien, diese in strafrechtlicher oder beruflicher Hinsicht zu schädigen. Das Verwaltungsgericht hat den Leistungsausschluss in dem angefochtenen Urteil bestätigt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger am 28. März 1977 eine Verpflichtungserklärung zur Mitarbeit als IM eigenhändig unterschrieben habe; jedenfalls habe er ausweislich der Aktenauszüge des [X.] [X.] der ehemaligen [X.] in zahlreichen Fällen an kriminalpolizeiliche Mitarbeiter der [X.] ([X.]) [X.] Informationen über namentlich genannte Personen weitergegeben, die geeignet gewesen seien, diese zu gefährden. Dies sei in Gesprächsprotokollen und [X.] festgehalten, an deren Echtheit keine Zweifel bestünden.

2

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.

3

Der Kläger macht als Verfahrensmangel geltend, das Verwaltungsgericht habe seine Überzeugung auf einer nach den Grundsätzen der Logik und sonstigen [X.] unzureichenden Tatsachengrundlage gewonnen. Das Gericht habe es unterlassen, die Echtheit der Unterschrift auf der Verpflichtungserklärung durch ein graphologisches Gutachten klären zu lassen. Das aber habe sich aufgedrängt, weil es Einzelfälle von fiktiven IM und Fälschungen gegeben habe. Auf die Mitteilung des [X.], Anhaltspunkte für Fälschungen lägen in seinem Falle nicht vor, habe es sich nicht verlassen dürfen. Sei aber schon die Verpflichtungserklärung gefälscht, so müsse nach allgemeinen Denkgesetzen davon ausgegangen werden, dass auch die vom Verwaltungsgericht verwerteten Treffberichte gefälscht seien. Von deren Echtheit habe es auch nicht deshalb ausgehen dürfen, weil die Berichte von zwei Mitarbeitern der [X.] unterschrieben worden seien. Außerdem sei unschlüssig, dass er den ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereich tatsächlich zur Beobachtung von Personen außerhalb von [X.] habe verlassen dürfen und trotz des ihm auferlegten Gaststättenverbots Personen in Gaststätten habe treffen können. Das Gericht habe sich nicht mit einem Auszug des beim [X.] vorhandenen [X.] begnügen dürfen, denn es sei nicht auszuschließen, dass sich in den nicht vorgelegten Unterlagen entlastendes Material befinde.

4

Mit diesem Vortrag sind weder Lücken in der Aufklärung (1.) noch Fehler in der Überzeugungsbildung (2.) dargetan.

5

1. Soweit der Kläger eine abschließende Beurteilung der Echtheit seines [X.] unter der Verpflichtungserklärung vermisst, zeigt das Beschwerdevorbringen die Entscheidungserheblichkeit dieses Umstands und seiner Klärung nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage letztlich deshalb unbeantwortet gelassen, weil die Abgabe einer Verpflichtungserklärung nicht erforderlich sei, um den [X.] des § 4 [X.] zu erfüllen. Das stimmt mit den rechtlichen Vorgaben überein, die das Gericht der Rechtsprechung des [X.] entnommen hat (vgl. nur Beschluss vom 16. Mai 2006 - BVerwG 3 PKH 15.05 - juris und Urteil vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 [X.] 11.05 - [X.] 428.7 § 16 [X.] Nr. 2 = [X.] 2006, 178). Danach genügt eine Verpflichtung zur Spitzeltätigkeit als solche nicht für einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit im Sinne des [X.]es; erforderlich ist vielmehr eine freiwillige tatsächliche Spitzeltätigkeit, bei der [X.] in Kauf genommen werden. Für eine solche Tätigkeit könnte eine Verpflichtungserklärung allenfalls ein Indiz darstellen, das im Fall des [X.] allerdings keine weitergehende Bedeutung haben könnte; denn das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung von der umfangreichen Spitzeltätigkeit des [X.] auf anderweitige Umstände gestützt, insbesondere auf konkrete Unterlagen des [X.], wonach der Kläger in zahlreichen Treffen mit Mitarbeitern des [X.] Beobachtungen über namentlich bezeichnete Personen verlautbart hat, die in Protokollen und [X.] festgehalten wurden.

6

Die Echtheit der Verpflichtungserklärung war auch nicht deshalb aufzuklären, weil ihre Fälschung Rückschlüsse auf die Unrichtigkeit der vom Verwaltungsgericht ausgewerteten Protokolle und Treffberichte zulassen würde und dadurch die Bewertung des [X.] infrage stellen könnte. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der dahingehenden Behauptung des [X.] befasst ([X.] und ist zur Einschätzung gelangt, die Gesprächsprotokolle und Treffberichte seien auch bei Berücksichtigung der Einwände des [X.] als echt anzusehen. Da der anwaltlich vertretene Kläger keinen Beweisantrag gestellt hat, wäre das Unterlassen weiterer Aufklärung der Echtheit der Unterschrift, etwa durch Einholung des vom Kläger geforderten graphologischen Gutachtens, nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sich dem Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit dieses Umstands hätte aufdrängen müssen. Das lässt sich nicht feststellen. Es besteht kein - vom Kläger wohl angenommener - Erfahrungssatz, nach dem von der [X.] der Verpflichtungserklärung zwingend auf die [X.] aller weiteren Unterlagen zu schließen ist. So ist im vorliegenden Zusammenhang auch etwa denkbar, dass eine Verpflichtungserklärung nachträglich hergestellt worden sein könnte, um die tatsächliche Spitzeltätigkeit des [X.] als auf einer formell korrekten Grundlage darzustellen. Fehlt es aber an einem Erfahrungssatz, so ist die Echtheit der Protokolle und Berichte unabhängig von der Verpflichtungserklärung zu überprüfen. So ist das Verwaltungsgericht vorgegangen, auch in Auseinandersetzung mit den vom Kläger vorgebrachten Einwänden. Der Kläger legt nicht dar, dass der Verpflichtungserklärung eine alle anderen Anhaltspunkte aufwiegende Bedeutung zukommt.

7

2. Auch die Überzeugungsbildung leidet nicht an einem durchgreifenden Fehler. Das Verwaltungsgericht verletzt das Gebot aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde zu legen, wenn es von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen; denn dann fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Überzeugungsbildung und zugleich für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung (vgl. Urteile vom 28. April 1983 - BVerwG 2 [X.] 89.81 - [X.] 237.6 § 39 [X.] Nr. 1, vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 [X.] 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> = [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36, vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 [X.] 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209> = [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 27 und vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 [X.] 19.06 - [X.] 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 28). Ein solcher Mangel ist hier jedoch nicht feststellbar. Für die Frage der Echtheit der Verpflichtungserklärung ist dazu oben das Nötige ausgeführt worden. Ebenso hat sich das Verwaltungsgericht mit den in der Beschwerde angesprochenen weiteren Fragen auf einer Grundlage befasst, die ersichtlich weder unvollständig noch unrichtig ist. Es ist insbesondere nicht zu rügen, dass sich das Verwaltungsgericht damit begnügt hat, nur die vom [X.] übermittelten Auszüge der bei ihm über den Kläger vorhandenen Unterlagen auszuwerten. Die Beschwerde zeigt nichts dafür auf, dass das Verwaltungsgericht die ausdrückliche Erklärung des [X.] verfahrensfehlerhaft gebilligt hat, die restlichen Berichte wiesen in dieselbe Richtung wie die dem Gericht vorgelegten. Die Vermutung des [X.], es sei nicht auszuschließen, dass die restlichen Unterlagen entlastendes Material enthielten, ist nicht konkretisiert worden und bietet keinen Anhaltspunkt für eine abweichende Einschätzung.

8

Hat das Verwaltungsgericht seine Bewertung aus einem nicht zu beanstandenden Verfahrensergebnis gewonnen, so ist ihm nicht verwehrt, andere Schlüsse zu ziehen als die Beteiligten, sofern es nicht die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie die allgemeinen Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschreitet (vgl. Beschluss vom 19. August 2009 - BVerwG 7 [X.] - juris Rn. 5 und Beschluss vom 4. Oktober 2005 - BVerwG 6 [X.] - juris Rn. 23). Dafür bietet die Beschwerde nichts.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

3 B 57/11

08.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Meiningen, 16. März 2011, Az: 8 K 205/10, Urteil

§ 4 BerRehaG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2011, Az. 3 B 57/11 (REWIS RS 2011, 635)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 635

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