Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2012, Az. 3 BGs 82/12

Ermittlungsrichter | REWIS RS 2012, 9333

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Gegenstand

Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für Anordnung von Beschränkungen der Untersuchungshaft aufgrund eines von ihm erlassenen Haftbefehls


Leitsatz

1. Sitzt der Beschuldigte aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs in Untersuchungshaft, ist für die Anordnung von Beschränkungen, die dem Beschuldigten aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft aufzuerlegen sind, gemäß § 126 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs bis zur Anklageerhebung auch dann zuständig, wenn die Untersuchungshaft in Niedersachsen vollzogen wird. § 134a Abs. 1 Satz 2 NJVollzG ändert hieran nichts.

2. Die aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlichen Beschränkungen bestimmen sich (auch) in diesem Fall nach § 119 StPO und nicht nach §§ 133 ff. NJVollzG (entgegen Oberlandesgericht Celle, 9. Februar 2010, 1 Ws 37/10, StV 2010, 194; Anschluss an OLG Oldenburg (Oldenburg), 12. Februar 2008, 1 Ws 87/08, StV 2008, 195; vgl. auch OLG Frankfurt, 11. Februar 2010, 3 ws 127/10, NStZ-RR 2010, 294; OLG Rostock, 25. Januar 2010, I Ws 385/09, NStZ 2010, 350; OLG Hamm, 9. Februar 2010, 3 Ws 45/10, NStZ-RR 2010, 221 [3. Strafsenat] und OLG Hamm, 25. Februar 2010, III-2 Ws 18/10, NStZ-RR 2010, 292 [2. Strafsenat]; KG, 29. März 2010, 4 Ws 14/10, StV 2010, 370 und OLG Köln, 12. August 2010, 2 Ws 498/10, NStZ 2011, 55).

Tenor

Auf Antrag des [X.] wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 14. November 2011 - 3 [X.] 12/11 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Vollzug der Untersuchungshaft wird gemäß § 119 Abs. 1 StPO wie folgt geregelt:

1. […]

2. […]

3. […]

4. […]

5. […]

6. […]

7. […]

8. […]

9. […]

10. […]

11. […]

12. […]

13. Im Übrigen gelten für den Beschuldigten die im [X.] Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) allgemein getroffenen Regelungen, sofern sie diesem Beschluss nicht entgegenstehen.

14. […]

Gründe

I.

1

Durch Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 14. November 2011 - 3 [X.] 12/11 – sind dem Beschuldigten gemäß § 119 Abs. 1 [X.] Beschränkungen in der Untersuchungshaft auferlegt worden, die allesamt der Sicherung des Verfahrens dienen und damit den Zweck der Untersuchungshaft betreffen. Der [X.] hat wegen der Fortentwicklung des [X.] eine Anpassung dieser Beschränkungen beantragt. Diesem Antrag entsprechend werden hiermit die dem Beschuldigten auferlegten Beschränkungen wie aus dem Tenor ersichtlich geändert und neu gefasst. Dieser Beschluss tritt an die Stelle des vorgenannten Beschlusses vom 14. November 2011.

II.

2

Für verfahrenssichernde Anordnungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Untersuchungshaft des Beschuldigten [X.] in der [X.] ([X.]) ist ausschließlich der Ermittlungsrichter des [X.] zuständig (§ 169 Abs. 1 Satz 2, § 126 Abs. 1 [X.], § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142a GVG, § 129a StGB). Die dem Beschuldigten in der Untersuchungshaft aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft aufzuerlegenden Beschränkungen bestimmen sich nach § 119 [X.] und nicht nach den Vorschriften des [X.] Justizvollzugsgesetzes ([X.]), insbesondere den §§ 133 ff. NJVollz[X.]

3

1. Allerdings ist gemäß § 134a Abs. 1 [X.] Gericht im Sinne des den Vollzug der Untersuchungshaft betreffenden Teils dieses Gesetzes das für die Haftprüfung (§ 117 [X.]) zuständige Gericht; handelt es sich hierbei nicht um ein Gericht des Landes [X.], so ist nach § 134 Abs. 1 Satz 2 [X.] das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Gefangene in Untersuchungshaft befindet.

4

Neben dieser die gerichtliche Zuständigkeit betreffenden Regelung enthält das [X.] Vorschriften, die unmittelbar den Zweck der Untersuchungshaft betreffen. So können dem Gefangenen etwa gemäß § 135 Abs. 2 [X.] Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.

5

2. Die vorstehend genannten Bestimmungen vermögen weder in formeller Hinsicht etwas an der ausschließlichen Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des [X.] zu ändern, noch führen sie sachlich dazu, dass sich die zur Sicherung des Verfahrens dienenden Beschränkungen in der Untersuchungshaft hier nicht nach § 119 [X.], sondern nach den Vorschriften des [X.] zu richten hätten.

6

a) Zwar vertritt das [X.] ([X.], 194) - als für das [X.], in dessen Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt befindet, in der der Beschuldigte derzeit einsitzt, zuständiges Obergericht - die Auffassung, dass sich Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft in [X.] alleine nach den §§ 135 ff [X.] richten und § 119 [X.] nF in [X.] keine Anwendung finde. Diese Auffassung vermag indes nicht zu überzeugen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dem [X.] Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zur Schaffung von Regelungen, die den Zweck der Untersuchungshaft unmittelbar betreffen, ebenso fehlt wie die Gesetzgebungskompetenz für eine Änderung der haftrichterlichen Zuständigkeit, namentlich der hier maßgeblichen Zuständigkeit in Ermittlungsverfahren, die in die Zuständigkeit des [X.]s beim [X.] und damit hinsichtlich der vor Anklageerhebung zu treffenden gerichtlichen Maßnahmen in die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des [X.] fallen.

7

b) Seit dem 1. September 2006 ist nach der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 ([X.] I S. 2034) das Recht des Untersuchungshaftvollzugs – nicht hingegen das die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft sowie die Auferlegung von der [X.] dienenden Beschränkungen betreffende gerichtliche Verfahrensrecht - ausschließlich Sache der Länder. Der [X.]gesetzgeber kann im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung - nach wie vor - solche Maßnahmen regeln, die den Zweck der Untersuchungshaft (Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und [X.]) betreffen ([X.], [X.], 54. Aufl., § 119 Rn. 2; BeckOK-[X.]/[X.], Stand: 15. Oktober 2011, § 119 Rn. 1 f.; [X.], NStZ 2010, 185 f.; [X.], [X.], 46; Kazele, [X.], 258; [X.], [X.], 195, 196). Von dieser Gesetzgebungsbefugnis hat der [X.]gesetzgeber bereits durch § 119 Abs. 3 Alt. 1 [X.] aF vor der oben genannten Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und anschließend durch die seit dem 1. Januar 2010 geltende Neufassung des § 119 [X.] Gebrauch gemacht, so dass sich Beschränkungen, die wegen des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich sind, nach § 119 [X.] nF richten (siehe nur [X.], [X.], 55; [X.], NStZ-RR 2010, 294; [X.], aaO [X.]96 f.; [X.], aaO; BeckOK-[X.]/[X.], aaO Rn. 1a und 2; [X.], aaO; [X.], aaO; Kazele, aaO).

8

c) Hiervon ist ersichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen. So lassen sich der Entstehungsgeschichte der oben genannten Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (vgl. nur [X.]. 16/813, [X.] und 12) keine Hinweise darauf entnehmen, dass hierdurch dem Haftrichter Kompetenzen entzogen werden sollten (ebenso Kazele, aaO S. 260; [X.], aaO.). Aus den Materialien des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (vgl. insbesondere [X.]. 16/11644, [X.], 12, 23 ff.) ergibt sich vielmehr eindeutig, dass der Gesetzgeber davon ausging, in die Gesetzgebungskompetenz des [X.] falle auch nach der Föderalismusreform noch die zuvor in § 119 Abs. 3 Alt. 1 [X.] aF geregelte Anordnung solcher Beschränkungen, die zur Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich sind. Der Gesetzgeber wollte mithin die insoweit bestehenden Kompetenzen des [X.] im Zuge der Föderalismusreform ersichtlich nicht einschränken.

9

Soweit die Landesgesetze – wie hier das [X.] - bezüglich der Regelung von Maßnahmen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert, von der Strafprozessordnung, namentlich von § 119 [X.], abweichende Regelungen enthalten, ist entsprechendes Landesrecht im Hinblick auf die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG unwirksam ([X.], aaO Rn. 1a mwN; vgl. hierzu auch die zum [X.] bereits erfolgten Vorlagen gemäß Art. 100a Abs. 1 GG an das [X.]verfassungsgericht, die mangels Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage indes für unzulässig erklärt worden sind [[X.] 121, 233; [X.], Beschluss vom 20. November 2008 – 2 [X.], juris]).

III.

Die im Tenor genannten Beschränkungen sind aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft notwendig und auch verhältnismäßig.

[…]

Dr. Bünger

Richter am [X.]gerichthof

Meta

3 BGs 82/12

09.02.2012

Bundesgerichtshof Ermittlungsrichter

Beschluss

Sachgebiet: BGs

§ 119 StPO, § 169 Abs 1 S 2 StPO, § 113 JVollzG ND, §§ 113ff JVollzG ND, § 134a Abs 1 S 2 JVollzG ND, Art 72 GG, Art 74 Abs 1 S 1 Nr 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2012, Az. 3 BGs 82/12 (REWIS RS 2012, 9333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9333

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