Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.08.2021, Az. B 11 SF 9/21 S

11. Senat | REWIS RS 2021, 3459

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - negativer Kompetenzkonflikt - örtliche Zuständigkeit in einem Statusfeststellungsverfahren - willkürliche Auslegung des § 57 Abs 7 SGG - Begriff des Auftraggebers)


Tenor

Das [X.] wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

1

I. Die im Bezirk des [X.] wohnende Klägerin streitet mit der Beklagten über eine Statusfeststellung hinsichtlich ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Sitz im Bezirk des [X.].

2

Die Beklagte ging davon aus, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Franchisenehmerin im Lieferdienst für die Beigeladene zu 1) um eine selbstständige Tätigkeit handele und die von der Klägerin begehrte Sozialversicherungspflicht in den unterschiedlichen Zweigen der Sozialversicherung aufgrund einer abhängigen Beschäftigung nicht bestehe (Bescheid vom 25.10.2016; Widerspruchsbescheid vom 16.5.2017; Klage zum [X.] am 9.6.2017).

3

Nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben des [X.] vom 16.3.2021) hat sich das [X.] für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Statusfeststellung und bei Klageerhebung ihren Wohnsitz in [X.] gehabt habe; mit "Auftraggeber" iS des § 57 Abs 7 [X.]G sei nicht die Beigeladene zu 1) gemeint, sondern die Klägerin als "Auftraggeberin" für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status (Beschluss vom 3.5.2021). Das [X.] hat sich anschließend für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem B[X.] zur Feststellung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Beschluss vom 26.5.2021).

4

II. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 [X.] [X.]G ("negativer Kompetenzkonflikt") durch das B[X.] liegen vor. Zwar sind nach § 98 [X.]G iVm § 17a Abs 2 Satz 3 GVG rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts hat aber zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten. Dies ist vorliegend der Fall. Das [X.] konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das B[X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl B[X.] vom 27.5.2004 - B 7 SF 6/04 S - [X.] 4-1500 § 57a [X.] RdNr 8).

5

Zuständig ist das [X.]. Die Verweisung an das [X.] ist für dieses nicht bindend, weil der Verweisungsbeschluss willkürlich ist. Das Gesetz schreibt in § 98 [X.]G iVm § 17a Abs 2 Satz 3 GVG vor, dass eine Verweisung wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend ist. Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Betracht, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichen Erwägungen beruht (B[X.] vom 5.1.2017 - B 4 SF 40/16 S - juris Rd[X.] mwN; B[X.] vom [X.] - [X.] SF 10/19 S - juris RdNr 5). Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird und die vertretene Auffassung jeden sachlichen Grundes entbehrt, sodass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt (stRspr; vgl nur B[X.] vom [X.] SF 7/11 S - juris RdNr 9; B[X.] vom 13.12.2016 - B 4 SF 4/16 R - RdNr 7; B[X.] vom 23.4.2018 - [X.] SF 4/18 S - juris RdNr 6; B[X.] vom [X.] - [X.] SF 10/19 S - juris RdNr 5). Ist eine Entscheidung derart unverständlich, dass sie sachlich schlechthin unhaltbar ist, ist sie objektiv willkürlich ([X.] vom 7.4.1981 - 2 BvR 911/80 - [X.]E 57, 39 [42]; [X.] [K] vom 9.3.2020 - 2 BvR 103/20 - juris RdNr 64). Maßgeblich ist, ob die Entscheidung im Ergebnis objektiv vertretbar ist (vgl [X.] [K] vom 3.3.2015 - 1 BvR 3271/14 - juris RdNr 13 f). Auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an ([X.] vom 7.4.1981 - 2 BvR 911/80 - [X.]E 57, 39 [42]; [X.] [K] vom 9.3.2020 - 2 BvR 103/20 - juris RdNr 64 mwN).

6

Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des [X.] willkürlich. Die vom [X.] vertretene Auffassung zur Auslegung des § 57 Abs 7 [X.]G lässt den Wortlaut, den Willen des Gesetzgebers und den von diesem intendierten Sinn und Zweck der Regelung vollständig außer [X.]. Das [X.] beschränkt sich auf die Behauptung, dass mit dem Begriff des "Auftraggebers" in dieser Regelung zur örtlichen Zuständigkeit nicht die Beigeladene zu 1) gemeint sei, mit der die Klägerin in einer geschäftlichen Beziehung gestanden habe. Gemeint sei vielmehr der Auftraggeber für die Feststellung des versicherungsrechtlichen Status.

7

Aus der Zusammenschau mit § 57 Abs 7 Satz 2 [X.]G ergibt sich, dass die Klägerin nicht Auftraggeberin iS des § 57 Abs 7 Satz 1 [X.]G sein kann. § 7a [X.]B IV, der von § 57 Abs 7 [X.]G in Bezug genommen wird, enthält die Aussage, dass ein Antrag, nicht jedoch ein "Auftrag" auf Statusfeststellung durch die [X.] erfolgen muss, die hierüber entscheidet (§ 7a Abs 1 Satz 3 [X.]B IV). Wenn es sich bei dem Auftraggeber um den Beschäftigten handeln könnte, müsste es sich bei dem Auftragnehmer iS des § 57 Abs 7 Satz 2 [X.]G um die [X.] handeln, die aber gerade keinen "Wohnsitz" oder in Ermangelung dessen einen "Aufenthaltsort" haben kann. Zudem ist der Wille des Gesetzgebers eindeutig: Der Gesetzgeber wollte durch die Einfügung des § 57 Abs 7 [X.]G erreichen, dass sich die örtliche Zuständigkeit in Statusfeststellungsverfahren nach § 7a [X.]B IV nach dem Sitz des Auftraggebers bzw Arbeitgebers richtet; maßgebend für die örtliche Zuständigkeit soll der Sitz des Beteiligten sein, auf dessen Veranlassung die hinsichtlich des Status zu beurteilende Tätigkeit ausgeübt wird (Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks 18/3699, [X.]). In den Fällen der gemeinschaftlichen Klageerhebung durch Auftraggeber und Auftragnehmer sollte die sonst erforderliche Anrufung des nächsthöheren Gerichts nach § 58 Abs 1 [X.] und Nr 5 [X.]G vermieden werden (Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks 18/3699, [X.]; vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], BeckOGK [X.]G, 2. Aufl 2021, § 57 Rd[X.]8, Stand 1.5.2021). In der Begründung des Gesetzentwurfes wird auch ausdrücklich ausgeführt, dass für Statusfeststellungsverfahren eines Auftraggebers bzw Arbeitgebers künftig unabhängig von dem Wohnsitz des Auftragnehmers bzw des Beschäftigten immer dasselbe [X.] örtlich zuständig sein werde (BT-Drucks 18/3699, [X.]). Auftraggeber iS des § 57 Abs 7 [X.]G kann daher nur derjenige sein, auf dessen Veranlassung die hinsichtlich des Status zu beurteilende Tätigkeit ausgeübt wird (vgl auch [X.] in [X.][X.], jurisPK-[X.]G, 2017, § 57 RdNr 86; [X.], [X.]G, § 57 Rd[X.]2, Stand Mai 2020; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], BeckOGK [X.]G, 2. Aufl 2021, § 57 Rd[X.]8, Stand 1.5.2021). [X.], die die vom [X.] vertretene Auffassung stützen könnten, existieren nicht. Dessen Auffassung ist daher nicht vertretbar und damit im oben beschriebenen Sinne willkürlich.

Meta

B 11 SF 9/21 S

06.08.2021

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Heilbronn, 26. Mai 2021, Az: S 8 BA 1283/21, Beschluss

§ 57 Abs 7 S 1 SGG, § 57 Abs 7 S 2 SGG, § 58 Abs 1 Nr 3 SGG, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 58 Abs 1 Nr 5 SGG, § 98 SGG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 7a SGB 4

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.08.2021, Az. B 11 SF 9/21 S (REWIS RS 2021, 3459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3459

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2 BvR 103/20

1 BvR 3271/14

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