Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2017, Az. 3 StR 498/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11581

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Gegenstand

Strafverfahren: Aufklärungspflicht des Tatgerichts hinsichtlich der Tatsachen für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Telekommunikationsüberwachung; Beschaffung der Unterlagen zu G-10-Beschränkungsmaßnahmen


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juni 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte die Unverwertbarkeit nach dem [X.] gewonnener Erkenntnisse geltend macht.

3

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Das [X.] führte [X.] nach dem [X.] in Form der Telekommunikationsüberwachung gegen den Angeklagten sowie die Mitangeklagten [X.]und [X.]durch; es stützte sie auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. [X.] i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB. Die erhobenen Telekommunikationsüberwachungsdaten übermittelte es den Strafverfolgungsbehörden, worauf diese das gegenständliche Strafverfahren einleiteten.

5

In der Hauptverhandlung vor dem [X.] hat die Verteidigerin des Angeklagten der Verwertung nach dem [X.] gewonnener Erkenntnisse im [X.] an einige (nicht alle) diesbezügliche Beweiserhebungen widersprochen. Sie hat dies damit begründet, dass die verschriftlichten [X.] zu den G-10-[X.] (Antrag des [X.], Anordnung des [X.], Billigung der [X.]) nicht Akteninhalt geworden seien. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende das [X.] zweimal um die Vorlage der entsprechenden Dokumente gebeten, was dieses [X.]eils abgelehnt hat. Hiergegen hat die Vorsitzende auf Antrag der Verteidigerin Gegenvorstellung bei dem [X.] erhoben, die ebenso erfolglos geblieben ist.

6

2. Der Beschwerdeführer erachtet die Verwertung der nach dem [X.] gewonnenen Erkenntnisse deshalb für rechtsfehlerhaft, weil die Verfahrensbeteiligten ohne die beim [X.] angeforderten Dokumente nicht hätten überprüfen können, inwieweit die Anordnungen nach der damaligen Verdachtslage vertretbar gewesen seien. Soweit bei einzelnen Beweiserhebungen ein Widerspruch unterblieben sei, schade dies nicht; denn das Tatgericht habe die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären.

7

3. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.

8

a) Der Beschwerdeführer macht die Unverwertbarkeit der nach dem [X.] gewonnenen Erkenntnisse ohne Erfolg geltend.

9

aa) Ein generelles Verbot der Verwertung dieser Erkenntnisse besteht nicht. Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10. § 161 Abs. 2 Satz 1 [X.] gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren. Die Verwertung setzt dabei im Grundsatz die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Datenerhebung voraus (vgl. - zu [X.] gewonnenen Erkenntnissen - [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], [X.]St 54, 69, 83 Rn. 37 [bezüglich § 100d Abs. 5 Nr. 3 [X.]]; Beschluss vom 26. Januar 2017 - StB 26 u. 28/14, juris, Rn. 52; KK-Griesbaum, [X.], 7. Aufl., § 161 Rn. 40). Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation durch das [X.] regeln § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 2 G 10.

bb) Nach diesem gesetzlichen Maßstab ist die Rechtswidrigkeit der G-10-[X.] nicht erwiesen.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Anordnungen nicht durch die vom [X.] angeführten Vorschriften der § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. [X.] i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren, dass mithin zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden, der Angeklagte sowie die Mitangeklagten [X.]und [X.] unterstützten eine ausländische terroristische Vereinigung. Dies wird von der Revision schon nicht bestimmt behauptet. Zwar weist sie im Ansatz zutreffend darauf hin, dass dem Beschwerdeführer insoweit ein den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] genügender Tatsachenvortrag unmöglich sei, weil ihm die entsprechenden [X.] nicht bekannt seien. Die Unvollständigkeit der Akten zieht jedoch grundsätzlich kein Verwertungsverbot nach sich; denn es fehlt eine tatsächliche Grundlage für eine revisionsrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen im Freibeweis (vgl. [X.], Beschluss vom 1. August 2002 - 3 [X.], [X.]St 47, 362, 367; ferner [X.], Urteil vom 13. Januar 2011 - 3 StR 337/10, [X.], 471, 472; zum [X.] s. auch KK-Gericke, [X.], 7. Aufl., § 344 Rn. 41 mwN).

b) Eine Rüge, das [X.] habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die von den G-10-[X.] vorausgesetzte Verdachtslage zum [X.] zu rekonstruieren, ist hingegen nicht erhoben.

Das Tatgericht hat die Verfahrenstatsachen, die für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung maßgebend sind, aufzuklären und zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das gilt auch dann, wenn die Erkenntnisse in einem fremden Verfahren angefallen sind. In einem solchen Fall sind regelmäßig Akten oder [X.] dieses anderen Verfahrens in dem für die Beurteilung der Verwertbarkeit erforderlichen Umfang auszuwerten. Unterlässt das Tatgericht eine mögliche und zur Aufklärung gebotene Maßnahme, begründet dies einen eigenständigen Rechtsfehler (vgl. [X.], Beschluss vom 1. August 2002 - 3 [X.], aaO, S. 367 f.).

Freilich hat das [X.] den aufgezeigten Prüfungsmaßstab nicht missachtet; es hat seine Pflicht, sich die Unterlagen zu den G-10-[X.] zu verschaffen, zutreffend erkannt. Um dies zu erreichen, hat es aber nicht alle ihm offen stehenden, nicht von vornherein aussichtslosen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das [X.] wäre - neben den oder anstelle der diversen an das [X.] gerichteten Ersuchen - zur Herbeiführung einer Entscheidung des [X.] verpflichtet gewesen. Dieses allein wäre nach § 96 [X.] als oberste Dienstbehörde des [X.] zu einer strafprozessual beachtlichen Sperrerklärung befugt gewesen. Zugleich war das [X.] auch die Stelle, welche die G-10-[X.] angeordnet hatte. Gegebenenfalls wäre dort eine Gegenvorstellung zu erheben gewesen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, [X.], 445, 448 Rn. 15; MüKo[X.]/[X.], § 96 Rn. 18; [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 96 Rn. 9, [X.]. mwN).

Mit der Stoßrichtung, das [X.] habe nicht die ihm möglichen, nicht von vorneherein aussichtslosen Schritte zur Aufklärung der G-10-[X.] unternommen, ist die Verfahrensrüge indes nicht erhoben (zur Maßgeblichkeit der Angriffsrichtung s. [X.], Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, [X.], 94 mwN). Ein derartiges rechtsfehlerhaftes Unterlassen wird nicht geltend gemacht und ist daher nicht Gegenstand der Rüge. Schon gar nicht legt die Revision dar, zu welchen Schritten Anlass bestanden hätte. Soweit sie ausführt, dass das Tatgericht die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären habe, steht dies im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bezüglich einzelner Beweiserhebungen nicht erklärten - Verwertungswiderspruchs.

Ein entsprechendes Rügevorbringen war hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Mit dem dem Senatsbeschluss vom 1. August 2002 (3 [X.], [X.]St 47, 362) zugrundeliegenden Sachverhalt ist der gegenständliche Fall schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier das [X.] den Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Verwertbarkeit gerade nicht grundlegend verkannt hat (vgl. hingegen dort S. 368).

c) Inwieweit ein Beweisverwertungsverbot ausnahmsweise für den Fall in Betracht kommen könnte, dass sämtliche zur Rekonstruktion der Verdachtslage gebotenen tatrichterlichen Maßnahmen erfolglos geblieben sind, braucht der Senat nach alledem nicht zu entscheiden. Insbesondere kann dahinstehen, inwieweit ein Angeklagter gehalten ist, einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu stellen, um eine Sperrerklärung vor den Verwaltungsgerichten anzufechten; nur ihm, nicht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft dürfte der Verwaltungsrechtsweg offen stehen (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 [X.], NJW 2007, 3010, 3012 Rn. 28; ferner [X.]/[X.], aaO, § 96 Rn. 14 mwN).

[X.]   

        

Spaniol   

        

   Tiemann

                          

Ri[X.] Hoch befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

        
        

Berg   

        

[X.]

        

Meta

3 StR 498/16

03.05.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend OLG Düsseldorf, 20. Juni 2016, Az: 2 StE 10/15 - 3

§ 96 StPO, § 1 Abs 1 Nr 1 G10, § 3 Abs 1 S 1 Nr 6 Buchst a G10, § 129b StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2017, Az. 3 StR 498/16 (REWIS RS 2017, 11581)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11581

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 498/16

3 StR 54/21

Zitiert

3 StR 337/10

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