Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.11.2019, Az. XI R 56/17

11. Senat | REWIS RS 2019, 1142

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Gegenstand

Haftungsbescheid: Zur Ermessensergänzung und Teilrücknahme im finanzgerichtlichen Verfahren


Leitsatz

NV: Das FG hat über den ursprünglichen Haftungsbescheid zu entscheiden, wenn die im Termin zur mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene Erklärung des FA weder als zulässige Ermessensergänzung i.S. des § 102 Satz 2 FGO noch als wirksame Teilrücknahme i.S. des § 130 Abs. 1 AO zu werten ist .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 12.12.2016 - 6 K 4464/12 H(K) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem Finanzgericht übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH i.L., die durch Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der [X.] ist, für Steuerschulden des Jahres 1999 der [X.], jene als Gesamtrechtsnachfolgerin der [X.], über deren Vermögen am ... das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, zu Recht nach § 73 der Abgabenordnung ([X.]) in Anspruch genommen wurde.

2

An der Y-GmbH, die ab ... unter der Firma [X.] auftrat, war die Z-GmbH zu 100 % beteiligt. Am ... wurde zwischen der Y-GmbH und der Z-GmbH ein "Ergebnisausschließungsvertrag" mit dem Gegenstand einer Übertragung der Geschäftsergebnisse der Y-GmbH an die Z-GmbH geschlossen. Die Gesellschafterversammlung der [X.] hat dem Vertrag durch Beschluss vom ... zugestimmt.

3

Die Z-GmbH wurde am ... durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes rückwirkend zum 01.01.1999 auf die [X.] verschmolzen. Aufgrund dieser Verschmelzung bestand im [X.] --was zwischen den Beteiligten nunmehr u.a. im Streit steht-- eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der [X.] als Organträgerin und der [X.] als Organgesellschaft. Durch Körperschaftsteuerbescheid für 1999 vom 31.01.2001 wurde die Körperschaftsteuer der [X.] auf 0 DM festgesetzt. Der an die [X.] abzuführende Jahresüberschuss betrug ... DM.

4

Nach einer die Ermittlung der steuerrechtlichen Verhältnisse der [X.] betreffenden und u.a. das [X.] umfassenden Außenprüfung wurden (unter Auswertung des [X.] vom 30.09.2009) die entsprechenden Steuerforderungen bei ihrer Gesamtrechtsnachfolgerin (A-AG i.L.) zur Insolvenztabelle angemeldet.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erließ unter dem [X.] einen auf § 73 [X.] gestützten Haftungsbescheid gegen die Klägerin (als Gesamtrechtsnachfolgerin der [X.]) über Körperschaftsteuer (... €) und [X.] (... €) für das [X.] in Höhe von insgesamt ... €. Das [X.] nahm für die Ermittlung dieser Beträge Bezug auf die von der Konzernsteuerabteilung der A-AG i.L. am 11.05.2010 übersandte Aufstellung über die endgültige Verteilung der Körperschaftsteuerzahllasten innerhalb des körperschaftsteuerrechtlichen [X.] mit Stand vom [X.] ergibt sich, dass das zu versteuernde Einkommen der [X.] für das [X.] in Höhe von ... € (entsprechend ... DM) einem Anteil am zu versteuernden Einkommen des [X.] von X % zuzüglich übernommener Verluste von Organgesellschaften entspricht. Unter Berücksichtigung eines Verlustanteils in Höhe von ... € ermittelte das [X.] für die anteilige Körperschaftsteuer (nebst [X.]) der [X.] eine Bemessungsgrundlage in Höhe von ... €.

6

Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 wies das [X.] den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück und führte dort (unter 7. der Gründe) zu seinen Ermessenserwägungen weiter aus.

7

Im anschließenden Klageverfahren hat das [X.] in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2016 zu Protokoll erklärt: "Der Haftungsbescheid vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 wird dahingehend geändert, dass die Ermessenserwägungen zum Haftungsumfang wie folgt ergänzt werden:

1. Im Rahmen des Ermessens wurde die Haftungssumme unter Berücksichtigung der im Haftungsbescheid und der Einspruchsentscheidung dargestellten Methodik auf die Körperschaftsteuer beschränkt, die sich bei [X.] den der Körperschaftsteuerberechnung vom [X.] für die [[X.]] ausgewiesenen 'festgesetzten' Körperschaftsteuer [X.] von ... € ergibt.

2. Zudem wird die Haftungssumme im Rahmen des Ermessens maximal auf den Betrag beschränkt, der sich bei einer fiktiven Körperschaftsteuerveranlagung 1999 der [[X.]] auf Basis eines Jahresüberschusses für 1999 in Höhe von ... DM ergeben würde."

8

Das Finanzgericht ([X.]) [X.] entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 687 veröffentlichten Urteil vom 12.12.2016 - 6 K 4464/12 H(K) unter Ablehnung eines [X.] des [X.], dass der Haftungsbescheid vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 mit der vom [X.] in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll diktierten Ergänzung aufzuheben sei. Die zu Protokoll gegebene Erklärung des [X.] sei keine nach § 102 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen. Durch diese Erklärung sei auch kein wirksamer Haftungsbescheid i.S. des § 68 [X.]O an die Stelle des ursprünglichen [X.] vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 getreten. Mangels Bestimmtheit i.S. von § 119 Abs. 1 [X.] sei ein möglicher Änderungsbescheid unwirksam, soweit man die Protokollerklärung als solchen werte.

9

Mit seiner Revision rügt das [X.] die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das [X.] habe völlig überraschend in der mündlichen Verhandlung offenbart, dass aus seiner Sicht die Haftungsinanspruchnahme nach § 73 [X.] für [X.] nicht nur --wie im richterlichen Hinweisschreiben vom 08.08.2016 bereits angedeutet-- rechtswidrig sei, sondern auch einen schwerwiegenden Ermessensfehler bei der Ermittlung der Haftungssumme darstelle, der eine Aufhebung des gesamten [X.] erforderlich mache. Es habe den Antrag auf Vertagung unter Verletzung des Gebots zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu Unrecht abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung habe das [X.] mit der zweiten Unterbrechung jedenfalls keine Möglichkeit dazu gegeben, einen geänderten Haftungsbescheid ausarbeiten zu können. In dem vom [X.] zugestandenen Zeitrahmen von fünf Minuten sei es ausgeschlossen gewesen, die Formulierungen im Detail so zu wählen, dass sie alle in Betracht kommenden rechtlichen und tatsächlichen Aspekte des sehr komplexen Streitfalls abgedeckt hätten. Das angefochtene Urteil sei außerdem nicht mit Gründen versehen. Ihm seien keine Ausführungen zum Haftungsumfang nach § 73 [X.] zu entnehmen, obgleich das [X.] diese Rechtsfrage im Streitfall für grundsätzlich bedeutsam erachtet und deswegen die Revision zugelassen habe.

Der durch die in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene Erklärung ergangene Änderungsbescheid, der nach § 68 [X.]O Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, sei inhaltlich hinreichend bestimmt und daher wirksam. Das [X.] hätte ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, dass der Änderungsbescheid vom 12.12.2016 unwirksam sei, jedenfalls den Haftungsbescheid vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 unter Beachtung der geänderten Ermessenserwägungen würdigen müssen, was nicht geschehen sei.

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise den angefochtenen Haftungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Haftungssumme wegen rückständiger Körperschaftsteuer für 1999 auf ... € und wegen des rückständigen [X.]s für 1999 auf ... € herabgesetzt wird, äußerst hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie meint, die Verfahrensrüge der Versagung rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 [X.]O sei unzulässig, jedenfalls sei sie unbegründet. Gleiches gelte für die Verfahrensrüge des Fehlens von Entscheidungsgründen gemäß § 119 Nr. 6 [X.]O. Für den Fall, dass --entgegen ihrer Ansicht-- der ursprüngliche Haftungsbescheid wieder aufleben sollte und rechtlich zu würdigen sei, macht die Klägerin geltend, dass die Voraussetzungen für das Bestehen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nicht festgestellt worden seien, kein Einwendungsausschluss nach § 166 [X.] vorliege bzw. sich das [X.] nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben nicht hierauf berufen könne, die materielle Rechtmäßigkeit der Körperschaftsteuer nicht nachgewiesen sei und eine Haftung für die Rückforderung nicht gerechtfertigter Steuererstattungen nach § 73 [X.] jedenfalls nicht in Betracht komme.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O).

Zu Recht hat das [X.] erkannt, dass die zu Protokoll gegebene Erklärung des [X.] nicht als i.S. des § 102 Satz 2 [X.]O zulässige Ergänzung der den angefochtenen Haftungsbescheid betreffenden Ermessenserwägungen gewertet werden kann. Da mangels Bestimmtheit des Bescheids ebenso wenig eine wirksame [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] vorliegt, wäre --was das [X.] jedoch nicht in Erwägung gezogen [X.] der ursprüngliche Haftungsbescheid, der weder ersetzt noch aufgehoben wurde, rechtlich zu würdigen gewesen. Die Vorentscheidung kann daher keinen Bestand haben. [X.] ist indessen nicht spruchreif.

1. Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet ([X.]), kann u.a. nach § 191 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach § 73 Satz 1 [X.] haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des [X.], für welche die Organschaft von Bedeutung ist. Den Steuern stehen nach § 73 Satz 2 [X.] die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich.

Das [X.] hat die Klägerin als [X.]in mit Haftungsbescheid vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 als vormalige Organgesellschaft für Steuerschulden der B-AG als vormalige Organträgerin nach § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 73 Satz 1 [X.] in Anspruch genommen (Haftungssumme: ... €). Dieser Haftungsbescheid war Gegenstand des Klageverfahrens.

2. Mit seiner zu Protokoll gegebenen Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2016 hat das [X.] seine im angefochtenen Haftungsbescheid getroffenen Ermessenserwägungen nicht i.S. des § 102 Satz 2 [X.]O ergänzt.

a) Einer wirksamen Ergänzung der Ermessenserwägungen gemäß § 102 Satz 2 [X.]O steht allerdings --wie das [X.] zutreffend erkannt [X.] wegen der schriftformersetzenden Wirkung des richterlichen Protokolls ein Formmangel nicht entgegen (vgl. allgemein Urteile des [X.] --[X.]-- vom 24.05.1991 - III R 105/89, [X.], 345, BStBl II 1992, 123, unter 2.c; vom 25.11.1997 - VIII R 4/94, [X.], 255, BStBl II 1998, 461, unter II.3.; [X.] vom 09.12.2014 - I B 48/14, [X.], 472, Rz 3; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 94 Rz 4; jeweils m.w.[X.] insbesondere zum Schriftformerfordernis nach § 157 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

b) Das [X.] hat zu Recht dahin erkannt, dass die zu Protokoll gegebene Erklärung des [X.] nach ihrem Inhalt nicht als nach § 102 Satz 2 [X.]O zulässige Ergänzung der bisherigen Ermessenserwägungen des angefochtenen Haftungsbescheids gewertet werden kann.

aa) Die Finanzbehörde kann zwar nach § 102 Satz 2 [X.]O ihre Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens, mithin noch im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem [X.], ergänzen. Damit ist es der Finanzbehörde aber nur gestattet, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Nicht dagegen ist die Behörde befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die [X.] auszuwechseln oder vollständig nachzuholen. Eine Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem [X.] oder Auswahlermessen, Über- oder Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen Mängeln in der Sachverhaltsermittlung ist im Wege einer Ergänzung nach § 102 Satz 2 [X.]O nicht möglich (vgl. dazu [X.]-Urteile vom 11.03.2004 - VII R 52/02, [X.], 14, BStBl II 2004, 579, unter [X.]; vom 24.04.2014 - IV R 25/11, [X.], 499, BStBl II 2014, 819, Rz 49; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 102 [X.]O Rz 12; Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 102 Rz 25; jeweils m.w.[X.]). Ebenso können auf Grundlage des § 102 Satz 2 [X.]O keine Änderungen der Rechtsfolgen, wie z.B. die Herabsetzung der Haftungssumme, vorgenommen werden (vgl. [X.], [X.], 4. Aufl., Rz 10.17; Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 102 [X.]O Rz 68; [X.] in Gosch, [X.]O § 102 Rz 77; jeweils m.w.[X.]). Eine Änderung des [X.] ist danach keine zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen.

bb) Die Voraussetzungen des § 102 Satz 2 [X.]O sind hier nicht erfüllt. Zwar hat das [X.] zu Protokoll erklärt, "dass die Ermessenserwägungen zum Haftungsumfang … ergänzt werden". In der Sache hat es jedoch, wie sich aus dem Wortlaut seiner Protokollerklärung zu Nr. 1 und Nr. 2 ergibt, die Haftungssumme "im Rahmen des Ermessens" beschränkt, ohne allerdings die aus jedenfalls einer Variante der Erklärung folgende Herabsetzung der Haftungssumme genau zu beziffern. Insoweit hatte das [X.] offenkundig beabsichtigt, den angefochtenen Haftungsbescheid im Rechtsfolgenausspruch zu ändern.

3. Bei der zu Protokoll gegebenen Erklärung des [X.] handelt es sich um eine unwirksame [X.] des § 130 Abs. 1 [X.].

a) In der Reduzierung der Haftungssumme liegt eine [X.] des § 130 Abs. 1 [X.], wenn durch Bescheid der Haftungsbescheid nicht aufgehoben oder ersetzt wird, sondern die Haftungssumme allein deshalb herabgesetzt wird, weil im ursprünglichen Haftungsbescheid zu hoch angeforderte Beträge ermäßigt oder nicht mehr berücksichtigt werden und der nunmehrige Haftungsausspruch zum [X.] sowie zur Ermessensausübung im Wesentlichen die gleiche Begründung wie der Erstbescheid enthält (vgl. [X.] vom 04.11.2003 - VII B 34/03, [X.], 460, unter II.2.; vom 08.02.2008 - VII B 156/07, [X.], 967, unter [X.]; jeweils m.w.[X.]). Eine Teilrücknahme nach § 130 Abs. 1 [X.] berührt die Wirksamkeit des nicht betroffenen [X.] des ursprünglichen Verwaltungsaktes nicht (vgl. [X.] in [X.], 460, unter II.2.; in [X.], 967, unter [X.]; [X.], a.a.[X.], Rz 10.3; jeweils m.w.[X.]). Die Frage, ob bei einer i.S. des § 102 Satz 2 [X.]O unzulässigen Ermessensergänzung der Erlass eines geänderten Verwaltungsaktes angenommen werden kann, der den bisherigen aufhebt oder ersetzt (zu dem mit § 102 Satz 2 [X.]O inhaltlich übereinstimmenden § 114 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vgl. Riese in [X.]/ [X.]/Bier, VwGO § 114 Rz 272), stellt sich im Fall eines durch [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] korrigierten Haftungsbescheids somit nicht.

b) Die danach als [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] zu wertende Erklärung des [X.] ist jedoch unwirksam; die Reduzierung der Haftungssumme war nicht hinreichend bestimmt.

aa) Ein Verwaltungsakt muss nach § 119 Abs. 1 [X.] inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Er muss mithin bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde zum Ausdruck bringen. Dieses Erfordernis dient vor allem der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit sowie der Abgrenzung der Entscheidungswirkungen einschließlich der Bestandskraft der Verwaltungsakte und des einer Vollstreckung oder Vollziehung zugrunde zu legenden [X.]. Wo die Grenze des "Hinreichenden" im Einzelfall zu ziehen ist, legt § 119 Abs. 1 [X.] indes nicht fest. In Anlehnung an die für schriftliche Steuerbescheide getroffene Regelung (§ 157 Abs. 1 Satz 2 [X.]) muss auch für [X.] verlangt werden, dass sie die festgesetzte Steuer (Haftungsschuld) nach Art und Betrag bezeichnen und die Person des [X.]s benennen (vgl. dazu [X.] vom 17.07.1984 - VII S 9/84, [X.] 1986, 583, unter 2.a; [X.], a.a.[X.], Rz 9.17; jeweils m.w.[X.]). Ein Haftungsbescheid --für dessen [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] kann nichts anderes gelten-- ist danach nur dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn für den Betroffenen erkennbar ist, was von ihm verlangt wird (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 16.07.1992 - VII R 59/91, [X.] 1993, 146, unter [X.]; vom 17.12.2014 - II R 18/12, [X.], 92, BStBl II 2015, 619, Rz 20; [X.] vom [X.] - V B 75/08, [X.] 2009, 1964, unter [X.] aa; jeweils m.w.[X.]). Ob dazu die Höhe der Haftungsschuld genau beziffert sein muss (vgl. dazu [X.], a.a.[X.], Rz 9.17; [X.] in Tipke/[X.], § 191 [X.] Rz 88; jeweils m.w.[X.]), d.h. die bloße Bestimmbarkeit nicht ausreicht, oder es genügt, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über das Verlangte gewonnen werden kann (vgl. [X.]-Urteile vom 24.04.1990 - VII R 114/88, [X.] 1991, 137, unter [X.]; in [X.] 1993, 146, unter [X.]; in [X.], 92, BStBl II 2015, 619, Rz 20; [X.] in [X.] 2009, 1964, unter [X.] aa; vom [X.] - V B 76/08, [X.] 2010, 8, unter [X.] aa), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Es ist jedenfalls nicht eindeutig erkennbar, in welchem Umfang die Klägerin nach der [X.] des § 130 Abs. 1 [X.], die das [X.] zu Protokoll erklärt hat, haften soll.

bb) Das [X.] hatte zunächst im Haftungsbescheid vom [X.] die Haftungssumme als Anteil der Klägerin in Bezug auf den [X.] der [X.] i.L. ermittelt und die Haftung für rückständige Körperschaftsteuer auf ... € festgesetzt. Nach Nr. 1 der zu Protokoll gegebenen Ergänzung soll sich die Haftungssumme auf die Körperschaftsteuer beschränken, die sich bei einem "Zugrundelegen" der in der Körperschaftsteuerberechnung vom [X.] für die [X.] i.L. ausgewiesenen "festgesetzten" Körperschaftsteuer in Höhe von ... € ergibt, was --wie das [X.] festgestellt [X.] rechnerisch zu einer Haftungssumme in Höhe von ... € führen würde. Diese Haftungssumme für rückständige Körperschaftsteuer entspricht im Übrigen der, auf die das [X.] mit seinem Revisionsantrag nunmehr abstellt. Daneben steht die Protokollerklärung Nr. 2 des [X.], wonach "die Haftungssumme im Rahmen des Ermessens maximal auf den Betrag beschränkt [wird], der sich bei der fiktiven Körperschaftsteuerveranlagung 1999 der [X-GmbH] auf Basis eines Jahresüberschusses für 1999 i. H. von ... DM ergeben würde". Diese als Deckelung der nach Maßgabe der Erklärung zu Nr. 1 ermittelten Haftungssumme zu verstehende Erklärung zu Nr. 2 führt jedoch zu einer Haftungssumme für rückständige Körperschaftsteuer, die bei einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von ... € (entsprechend ... DM) unter Berücksichtigung des [X.] maßgeblichen [X.] von 40 % zu einer Haftungssumme von ... € führt, die den rechnerisch ermittelten Betrag nach Nr. 1 der Erklärung mithin übersteigt. In welcher Höhe die Klägerin danach in Haftung genommen wird, bleibt unklar und ergibt sich --wie das [X.] ferner unwidersprochen festgestellt [X.] auch nicht aus vom [X.] in Bezug genommenen Unterlagen. Danach ist die Höhe der Haftungsschuld nach der zu Protokoll gegebenen [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] weder genau beziffert noch kann aus dem gesamten Inhalt des Haftungsbescheids hinreichende Klarheit über das Verlangte gewonnen werden.

c) Ist die [X.] des § 130 Abs. 1 [X.] --wie hier-- mangels Klarheit hinsichtlich der verbleibenden Haftungssumme nach § 119 Abs. 1 [X.] unbestimmt und entfaltet sie keine Wirkung, hat der ursprüngliche Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung weiter Bestand. Denn ein Verwaltungsakt bleibt gemäß § 124 Abs. 2 [X.] wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Dies ist hier der Fall.

4. Danach konnte die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Das [X.] hat mit dem angefochtenen Urteil den ursprünglichen Haftungsbescheid vom [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2012 mit der vom [X.] zu Protokoll gegebenen Erklärung aufgehoben. Diese vollumfängliche Aufhebung kommt indes nur dann in Betracht, wenn der ursprüngliche Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung seinerseits rechtswidrig ist. Dazu hat das [X.] jedoch nicht entschieden, obgleich dieser Haftungsbescheid weiterhin Gegenstand des Verfahrens blieb. Eine tatsächliche und rechtliche Würdigung des ursprünglichen Haftungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist der Vorentscheidung jedenfalls nicht zu entnehmen. Das [X.] hat das [X.] mithin nicht abgearbeitet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben.

5. Da schon die Rüge der Verletzung materiellen Rechts revisionsrechtlich Erfolg hat, kommt es auf die vom [X.] ebenfalls erhobenen Verfahrensrügen nicht an.

6. [X.] ist nicht spruchreif. Das [X.] hat ausgehend von seiner bisherigen Rechtsauffassung weder Feststellungen zu den zwischen den Beteiligten nach wie vor im Streit stehenden Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme nach § 73 Satz 1 [X.], auf deren Grundlage der Haftungsbescheid gegen die Klägerin ergangen ist, noch zu den Erwägungen des [X.] hinsichtlich seines [X.] und Auswahlermessens sowie seines Ermessens in Bezug auf die Frage nach der Haftungsbeschränkung getroffen. Diese Feststellungen wird das [X.] im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Der Rechtsstreit ist mithin an das [X.] zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] auch über die im Schrifttum streitige Frage zu entscheiden haben, ob nach § 73 Satz 1 [X.] auch für Ansprüche auf Erstattung von zu Unrecht gewährten Steuererstattungen gehaftet wird (zum Streitstand vgl. z.B. [X.], a.a.[X.], Rz 5.15, m.w.[X.]), soweit es [X.] als noch im ersten Rechtsgang-- darauf ankommen sollte.

7. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 56/17

27.11.2019

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 12. Dezember 2016, Az: 6 K 4464/12 H(K), Urteil

§ 94 FGO, § 102 S 2 FGO, § 73 AO, § 118 S 1 AO, § 119 Abs 1 AO, § 124 Abs 2 AO, § 130 Abs 1 AO, § 157 Abs 1 S 2 AO, § 191 Abs 1 S 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.11.2019, Az. XI R 56/17 (REWIS RS 2019, 1142)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1142

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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