Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2018, Az. XII ZB 629/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 12369

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:140318BXII[X.]629.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 629/17
vom
14.
März
2018
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
a)
Der Gefährdungsbegriff des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB bleibt auch bei einer bereits länger andauernden Unterbringung unverändert, so dass die (weitere) zivilrechtliche Unterbringung eine -
nach wie vor bestehende -
ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen voraussetzt.
b)
Besonderheiten können sich bei einer bereits mehrere Jahre währenden Un-terbringung allerdings mit Blick auf die Feststellung der von §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib oder Leben des Betroffe-nen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entschei-dung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung er-geben.

[X.], Beschluss vom 14. März 2018 -
XII [X.] 629/17 -
LG [X.]

[X.]

0.

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
14.
März
2018
durch den Vorsitzenden [X.] Dose
und
die [X.] Prof. Dr. [X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen
wird der Beschluss der 1.
Zivilkammer des [X.] [X.]
vom 16.
November 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Für den im Jahre 1965
geborenen
Betroffenen
besteht seit vielen Jahren eine Betreuung, deren Aufgabenkreis unter anderem die Bereiche [X.], Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen umfasst. Nach der über die Jahre hinweg immer wieder von Sachverständigen bestätigten Diagnose leidet der Betroffene an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei Zustand nach einem durch einen Verkehrsunfall bedingten Schädel-Hirn-Trauma sowie einem Abhängigkeitssyn-drom vom Alkoholtyp und einer -
derzeit erscheinungsfreien -
Epilepsie.
Beginnend mit dem [X.] befand sich der Betroffene bis März 2008 [X.] in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im März 2008 wurde die Un-1
2
-
3
-
terbringung des Betroffenen bis zum 1.
April 2009 betreuungsgerichtlich ge-nehmigt. Nachdem er nach Ablauf dieser Genehmigung
kurze [X.] nicht unter-gebracht war, folgte Mitte Juni 2009 die erneute Unterbringungsgenehmigung, diesmal für zwei Jahre. Seitdem ist der Betroffene durchgehend mit Genehmi-gung des Betreuungsgerichts in geschlossenen Einrichtungen untergebracht.
Mit Beschluss vom 14.
März 2017 hat das Amtsgericht die (weitere) Un-terbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatri-schen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrich-tung bis längstens 22.
Februar 2019 genehmigt. Die hiergegen gerichtete Be-schwerde des Betroffenen hat das [X.] zurückgewiesen, wogegen sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde wendet.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat
Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung der angefoch-tenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Dieses hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die
Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB lägen vor. Die Unterbringung sei zum Wohl des Betroffenen erforderlich, weil aufgrund einer psychischen Krankheit des Betroffenen die Ge-fahr bestehe, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Das beim Betroffenen vorliegende hirnorganische Psychosyndrom schränke seine Fähigkeit zur Impulskontrolle ebenso ein wie seine Einsichtsfähigkeit und seine Urteils-
und Kritikfähigkeit. Daher wäre für den Fall, dass der Betroffene in offe-nem Rahmen versorgt werde, eine gravierende gesundheitliche Schädigung durch erneuten Alkoholkonsum zu erwarten. Die bei ihm bestehende Epilepsie 3
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5
-
4
-
sei zwar derzeit erscheinungsfrei. Dennoch trage seine depressive Disposition zu einer ganz besonderen gesundheitlichen Selbstgefährdung bei neuerlichem Alkoholkonsum bei, der zudem das Risiko, einen Krampfanfall zu erleiden, [X.] erhöhe. Wegen der Vorschädigung des Gehirns wäre eine weitere Gehirnschädigung nicht nur durch die toxische Wirkung des [X.] anzunehmen, sondern auch durch die unmittelbaren Folgen
eines Krampf-anfalls wie einerseits Verletzungen, etwa Schädelprellungen, und andererseits die verminderte Sauerstoffversorgung des Gehirns während eines Anfalls. Schließlich sei ohne freiheitsentziehende Unterbringung mit einer akuten Selbstschädigung des Betroffenen im Straßenverkehr zu rechnen sowie seine Verwahrlosung zu befürchten.
Der Umstand, dass der Betroffene in der Unterbringung -
solange er nicht aus ihr entweiche -
keinen Alkohol zu sich nehmen könne, spreche nicht gegen ein Abhängigkeitssyndrom. Nach den Ausführungen des [X.] sei die Unterbringung auf unabsehbare [X.] notwendig, so dass die vom Amtsgericht ausgesprochene [X.] nicht zu beanstanden sei. Der Betroffene könne seinen Willen auch nicht frei bestimmen, was sich sowohl aus den gutachterlichen Ausführungen als auch aus dem in der Anhörung ge-wonnenen Eindruck des Gerichts ergebe.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings dagegen, dass das [X.] das Vorliegen
der medizinischen Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Unterbringung im Sinne des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB bejaht hat.
aa) Gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB ist eine Unterbringung des [X.] durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
aufgrund einer psy-6
7
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-
5
-
chischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geis-tige oder seelische Behinderung in diesem Sinn, so dass allein darauf die [X.] der Unterbringung nicht gestützt werden kann. Ebenso wenig [X.] die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbrin-gung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht, insbeson-dere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zu-rückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen [X.] erreicht hat (Senatsbeschlüsse vom 25.
März 2015 -
XII
ZA
12/15 -
FamRZ 2015, 1017 Rn.
7
[X.] und vom 3.
Februar 2016 -
XII
[X.]
317/15 -

[X.], 807 Rn.
3).
bb) Diesen rechtlichen Vorgaben entsprechend hat das [X.] die psychische Krankheit des Betroffenen nicht (allein) aus der vom [X.] gestellten Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms vom Alkoholtyp abgelei-tet, sondern insoweit vor allem auf das daneben bestehende hirnorganische Psychosyndrom abgestellt. Es hat sich dabei auf das eingeholte Sachverstän-digengutachten gestützt, das -
anders als die Rechtsbeschwerde meint
-
den Anforderungen des §
321 FamFG (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14.
August 2013 -
XII
[X.]
614/11 -
FamRZ 2013, 1726 Rn.
15 [X.]) genügt und die tatrich-terlichen Feststellungen zum Vorliegen einer psychischen Krankheit im Sinne des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB trägt.
b) Keinen rechtlichen Bestand hat auf der Grundlage der bislang ge-troffenen Feststellungen hingegen die Annahme des [X.], bei dem
Be-10
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12
-
6
-
troffenen liege eine die zivilrechtliche Unterbringung rechtfertigende Selbstge-fährdung im Sinne des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB vor.
aa) Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatli-chen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck
verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer [X.] Anstalt unterzubringen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist -
wie das Betreuungsrecht insgesamt -
ein Institut des Erwachsenenschutzes als Aus-druck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffent-liche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. [X.] kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen erheblich bedrohenden Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht und der Betroffene seinen Willen nicht frei bestimmen kann ([X.] vom 25.
März 2015 -
XII
ZA
12/15 -
FamRZ 2015, 1017 Rn.
8
f. [X.] und vom 3.
Februar 2016 -
XII
[X.]
317/15 -
[X.], 807 Rn.
3).
Die mithin nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB mögliche zivilrechtliche Unter-bringung durch einen Betreuer wegen Selbstgefährdung des Betroffenen [X.] keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr. Notwendig, aber auch ausreichend
ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten. Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben erfordert
kein zielgerichtetes Verhalten des Betroffenen, so dass etwa auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung [X.] ist. Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus. Die Prognose [X.] nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher ge-13
14
-
7
-
sundheitlicher Schäden ist im Wesentlichen Sache des Tatrichters
(vgl. [X.] vom 31.
Mai 2017 -
XII
[X.]
342/16 -
FamRZ 2017, 1422 Rn.
12
f. [X.] und vom 5.
Dezember 2012 -
XII
[X.]
665/11 -
FamRZ 2013, 289 Rn.
15
[X.]).
bb) Für die zivilrechtliche Unterbringungsgenehmigung zur Verhinderung der Selbstgefährdung eines bereits untergebrachten Betroffenen gelten insoweit bei einer (wie im vorliegenden Fall) schon
mehrere Jahre andauernden
Frei-heitsentziehung keine anderen materiell-rechtlichen Anforderungen. Der [X.] des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB bleibt unverändert, so dass die (weitere) Unterbringung eine -
ohne die Freiheitsentziehung nach wie vor [X.] -
ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen voraussetzt.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sieht §
329 Abs.
2 Satz
1
FamFG für die Verlängerung der Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaß-nahme vor, dass die Vorschriften für die erstmalige Anordnung oder Genehmi-gung entsprechend gelten. Nach §
329 Abs.
2 Satz
2 FamFG soll das Gericht allerdings bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behan-delt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Damit soll vermieden werden, dass eine Unterbringung über einen [X.]raum von vier Jahren hinaus aufrechterhalten wird, ohne dass ihr das Gutachten eines außenstehenden Sachverständigen zugrunde liegt (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 23.
November 2016 -
XII
[X.]
458/16 -
FamRZ
2017, 227
Rn.
13
ff.).
cc) Darüber hinausgehende Besonderheiten können sich bei einer be-reits mehrere Jahre währenden Unterbringung allerdings
mit Blick auf die Fest-15
16
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-
8
-
stellung der von §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib oder Leben des Betroffenen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entscheidung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung ergeben.
(1) In die gemäß Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG
unverletzliche Freiheit der Per-son darf nach Art.
2 Abs.
2 Satz
3 und Art.
104 Abs.
1 Satz
1 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes eingegriffen werden. Inhalt und Reichweite eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten. Die freiheitssichernde Funktion des Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG setzt dabei zum einen Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare
Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende [X.] haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht
([X.] FamRZ 2015, 1367 Rn.
16
f. [X.] und [X.], 895, 896).
Zum anderen ist die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf. Die Ein-schränkung dieser Freiheit ist daher stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen. Sie ist in der Regel nur zulässig, wenn sie der Schutz der Allgemeinheit oder der Rechtsgüter anderer verlangt. Indes kann sie sich auch durch den Schutz des Betroffenen rechtfertigen. Die Fürsor-ge der staatlichen Gemeinschaft schließt auch die Befugnis ein, den psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustands und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere seiner Erkrankung und die sich [X.] für ihn ergebenden
Gefährdungssituationen
nicht zu beurteilen vermag
18
19
-
9
-
oder sich trotz einer solchen Erkenntnis infolge der Krankheit der Gefährdung nicht entziehen kann, zwangsweise in einer geschlossenen Einrichtung unter-zubringen, wenn sich dies als unumgänglich erweist, um eine drohende gewich-tige gesundheitliche Schädigung von ihm
abzuwenden. Dabei drängt sich auf, dass dies nicht ausnahmslos gilt, weil schon im Hinblick auf den [X.] bei weniger gewichtigen Fällen eine derart einschneidende Maßnahme unterbleiben und somit auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit"
belassen werden muss (vgl. [X.]

FamRZ 2015, 1367 Rn.
18
[X.] und [X.], 895, 896).
Die sich aus Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG ergebende
verfassungsrechtliche Pflicht, unter eng begrenzten Voraussetzungen Schutzmaßnahmen für [X.] unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, folgt aus deren spe-zifischer Hilfsbedürftigkeit. Wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, Gefährdungen zu erkennen oder nach einer solchen Erkenntnis zu handeln, sind sie insofern schutzlos und hilfsbedürftig, als sie Gefährdungen von Leib und Leben ausgeliefert sind, ohne selbst für ihren Schutz sorgen zu können. Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen jedoch nicht einfach sich selbst überlassen (vgl. [X.]E 142, 313 = [X.], 1738 Rn.
73).
(2) Für die Unterbringung im strafrechtlichen Maßregelvollzug hat das [X.] wiederholt entschieden, dass die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des [X.] umso strenger sind, je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert. Danach wirkt sich im Falle von
langdauernden Unterbringungen das zunehmende Ge-wicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf die an die Begründung einer Entscheidung zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des [X.]s ein und das Bun-desverfassungsgericht
prüft mit wachsender Intensität des Freiheitseingriffs 20
21
-
10
-
auch mit einer zunehmenden Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der [X.] seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch ist es möglich, im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheits-anspruch gleichsam aufzuwiegen vermag (vgl. etwa [X.]
R&P 2017, 32,
34 [X.] und [X.], 242,
244
[X.]).
Bei der zivilrechtlichen Unterbringung als Maßnahme des [X.] geht es demgegenüber zwar nicht um die Abwägung zwischen ver-fassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen des Untergebrachten und dem [X.] der Allgemeinheit, sondern um die Frage, ob der (weitere) Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen durch den von
Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG verfassungsrechtlich geforderten
Schutz seines
Lebens und seiner körperlichen Unversehrtheit geboten ist. Auch in diesem Zusammenhang ge-winnt jedoch der Anspruch auf persönliche Freiheit mit Fortdauer der Unterbrin-gung an Gewicht, weil die Intensität des Grundrechtseingriffs zunimmt. Die Dauer der zivilrechtlichen Unterbringung
beeinflusst
mithin ebenfalls die [X.] an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung (vgl. [X.], 68).
(3) Für die im Rahmen des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB zu
treffende [X.], welcher Gefährdung von Leib oder Leben der Betroffene ohne eine [X.] Unterbringung ausgesetzt wäre, muss die bereits verstrichene Unterbringungszeit berücksichtigt und geprüft werden, ob angesichts des [X.]-ablaufs
die Selbstgefährdung in der für eine Unterbringung
erforderlichen Inten-sität fortbesteht. Denn die die Gefährdungsprognose ursprünglich tragenden tatsächlichen Umstände werden mit wachsendem
zeitlichen Abstand nicht sel-22
23
-
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-
ten
an Gewicht verlieren, während die Entwicklung des Betroffenen in der Un-terbringung Anhaltspunkte für eine geringere Wahrscheinlichkeit des Eintritts erheblicher Gesundheitsschäden oder gar einer Lebensgefahr außerhalb der Unterbringung liefern kann.
Dies kann letztlich dazu führen, dass allein wegen des [X.]raums, in dem
der Betroffene untergebracht war, eine hinreichend si-chere Gefährdungsprognose nicht mehr möglich und daher die Beendigung der Unterbringung geboten ist.
Zugleich wird sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bei der Prüfung des Vorliegens milderer Mittel in Fällen einer
lang andauernden Unterbringung die Frage aufdrängen, inwieweit es inzwischen vertretbar und praktisch durch-führbar ist, dass der Betroffene -
etwa in einer betreuten, aber offenen [X.] mit entsprechend
engmaschiger Begleitung -
wieder ein Leben außerhalb der Unterbringung führt
(vgl. [X.], 68; [X.]/[X.] Betreu-ungsrecht 4.
Aufl. S.
543
f.). Dabei ist zu bedenken, dass die dauerhafte Unter-bringung eines psychisch Kranken -
wie des Betroffenen des hiesigen Verfah-rens -
ohne die Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit auch unter dem Blickwinkel des Erwachsenenschutzes jedenfalls bei Krankheitsbildern wie dem des Betroffenen nur im Ausnahmefall
gerechtfertigt sein wird
(vgl. jurisPK-BGB/[X.] [Stand: 22.
November 2017] §
1906 Rn.
83
ff.).
Die tatrichterliche Entscheidung muss im Einzelnen offenlegen, dass der erkennende [X.] diese
Einflussmöglichkeiten
der bereits verstrichenen Un-terbringungsdauer auf die Frage des [X.] der Unterbringungsvoraus-setzungen erkannt und wie er sie in deren Prüfung hat einfließen lassen.
dd) Diesen rechtlichen Anforderungen
wird die angefochtene Entschei-dung nicht gerecht.

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25
26
-
12
-
(1) Zu der Frage, inwiefern die zum [X.]punkt der landgerichtlichen [X.] fast achteinhalb Jahre währende Unterbringung
die für den im Jahre 1965 geborenen Betroffenen zu treffende Gefährdungsprognose und die Verhältnismäßigkeit seiner weiteren Unterbringung beeinflusst, finden sich in dem angegriffenen Beschluss keine Ausführungen. Im Gegenteil zieht das
[X.] zur Begründung der aus einem neuerlichen Alkoholkonsum folgen-den Gefahren
ohne weiteres
das zu zahlreichen kurzfristigen Unterbringungen in den Jahren 1993 bis 2008 führende -
im Übrigen nicht näher beschriebene -
und damit lange [X.] zurückliegende Verhalten des Betroffenen heran. Die Ge-fahr einer Verwahrlosung wird mit einem Aktenvermerk aus dem März 2004 begründet.
Erwägungen
dazu, wie sich die lange andauernde Unterbringung auf die von dem
inzwischen auch deutlich lebensälteren Betroffenen zu erwar-tenden Verhaltensweisen auswirkt, hat das [X.] nicht angestellt.
(2) Davon unabhängig sind die vom [X.] angeführten Umstände jedenfalls auf der Grundlage der hierzu getroffenen Feststellungen nicht geeig-net, die weitere Unterbringung des Betroffenen nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB zu rechtfertigen.
Zu den vom [X.] erörterten möglichen Alkoholrückfällen fehlt es neben einer konkreten Darlegung, wie wahrscheinlich diese sind, auch an [X.] zu der zu befürchtenden Intensität und zu den konkret zu erwarten-den, damit verbundenen gesundheitlichen Folgen für den Betroffenen. Inwiefern eine "weitere Gehirnschädigung"
zu befürchten sein soll, ist nicht erläutert. So-weit das [X.] auf die -
derzeit erscheinungsfreie -
Epilepsie und die [X.] einhergehende Gefahr von Krampfanfällen verweist, bleibt unklar, wie hoch das hierfür bestehende Risiko nach der inzwischen verstrichenen [X.] einzu-schätzen ist.
Für die in den Gründen der Beschwerdeentscheidung insoweit 27
28
29
-
13
-
ebenfalls angesprochene depressive Disposition des Betroffenen fehlt es an jeglichen Ausführungen zu damit einhergehenden Gefährdungen.
Die weiter angeführte Gefahr einer Verwahrlosung
ist als solche nicht geeignet, eine Selbstgefährdung im Sinne des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB zu be-gründen, weil schon nicht aufgezeigt
ist, inwieweit mit ihr die konkrete Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens verbunden
sein soll. Dies ergibt sich auch nicht aus den vom [X.] in Bezug genommenen Aktenbestand-teilen.
Soweit das [X.] schließlich auf Gefahren durch den "Straßenver-kehr"
abstellt, bleibt unklar, inwiefern solche krankheitsbedingt spezifisch dem Betroffenen drohen sollen. Zur Begründung wird einzig ein Vorfall aus dem Juni 2016 angeführt, als der Betroffene aus der geschlossenen Einrichtung entwi-chen war und in der Gleisanlage eines Bahnhofs "offensichtlich hilflos angetrof-fen wurde". Wie sich diese Hilflosigkeit geäußert hat, ist ebenso wenig darge-legt oder aus den in Bezug genommenen Aktenbestandteilen erkennbar wie es konkrete Umstände dieses Vorfalls sind, etwa der Grad einer eventuellen Alko-holisierung oder auch die Beschreibung einer konkreten Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen.
(3) Es ist zudem nicht ersichtlich, dass das [X.] geprüft hat,
ob den für den
Betroffenen bestehenden Gefährdungen
nicht jedenfalls inzwischen etwa in einer offenen Wohnform bei ggf. engmaschiger Betreuung und Überwa-chung in vertretbarer Weise begegnet werden kann.
c) Im Übrigen enthält der angefochtene Beschluss keine tragfähige Be-gründung für das Abweichen von der gemäß §
329 Abs.
1 Satz
1 FamFG re-gelmäßig ein Jahr betragenden Höchstfrist.
30
31
32
33
-
14
-
Nach dieser Vorschrift endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf ei-nes Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Begrenzung
für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschrit-ten werden darf. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Un-terbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu [X.]. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs-
und Besse-rungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der "Offensichtlichkeit", dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das [X.] beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten
([X.] vom 22.
März 2017 -
XII
[X.]
358/16 -
FamRZ 2017, 996 Rn.
24 und vom 6.
April 2016 -
XII
[X.]
575/15 -
[X.], 1063 Rn.
14 [X.]).
Das [X.] hat insoweit lediglich darauf verwiesen, die Unterbrin-gung des Betroffenen sei nach den Ausführungen des Sachverständigen "auf unabsehbare [X.] notwendig". Inwieweit dies eine Offensichtlichkeit im vorge-nannten Sinne begründen soll, erschließt sich nicht.
34
35
-
15
-
3. Die angegriffene Entscheidung ist daher nach
§
74 Abs.
5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist gemäß §
74 Abs.
6 Satz
2 FamFG an das [X.] zurückzuverweisen, das nun die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.
Dose
[X.]
Günter

Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 14.03.2017 -
06 [X.] 182/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 16.11.2017 -
11 [X.]/17 -

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Meta

XII ZB 629/17

14.03.2018

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2018, Az. XII ZB 629/17 (REWIS RS 2018, 12369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12369

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XII ZB 629/17

06 XVII 182/14

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