Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.08.2012, Az. 1 StR 170/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3712

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 170/12

vom
22. August
2012
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 22. August
2012
beschlos-sen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
[X.]s Aschaffenburg vom 27. Oktober 2011 wird als unzulässig [X.].
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen [X.] zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten mit Urteil vom 27.
Oktober 2011 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Kör-perverletzung zu der Freiheitsstrafe von ze[X.] Jahren verurteilt.

Die dagegen gerichtete Revision ist unzulässig, da der Angeklagte wirk-sam auf Rechtsmittel verzichtet hat.

I.

1. Zum Verfahrensablauf:

Nach der Urteilsverkündung wurde der Angeklagte vom Vorsitzenden der [X.] gemäß § 35a Satz 1 StPO belehrt.
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r-teidiger, der [X.] namens und in Vollmacht des [X.]

Eine neue Verteidigerin legte innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO Revision ein. Sie trägt vor, der Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam. Denn dem Urteil sei eine Verständigung gemäß §
257c StPO vorausgegangen, weshalb auch gemäß § 35a Satz 3 StPO quali-fiziert hätte belehrt werden müssen.

Dieser Vortrag basiere auf den Angaben des Angeklagten sowie -
jeweils -
seiner Eltern, seiner Schwester, seines Schwagers und zweier Bekannter
der Familie. Danach habe der frühere Verteidiger erklärt, der Angeklagte müsse ein Geständnis im Sinne der Anklage abgeben. Ob das Geständnis stimme oder nicht, sei egal. Nach einem Gespräch der Verfahrensbeteiligten -
o[X.]e den Angeklagten -
am 19.
Oktober 2011 habe der Verteidiger dem Angeklagten erklärt, es habe ein [X.] Jahren getroffen werden können. Den Eltern und der Schwester habe der Verteidiger bei einem Gespräch in seinen Kanzleiräumen am 25. Oktober 2011 erklärt, es sei sehr schwierig gewesen,
bei zwei [X.] ze[X.] Jahre auszuhandeln, weil der Staatsanwalt zwölf bis dreize[X.] Jahre gewollt habe. Das Gespräch, das er am 19. Oktober 2011 mit dem Gericht und dem Staatsanwalt geführt habe, sei zwar nicht Druck, nicht eine noch höhere

abgelegt. Während der kurzen Unterbrechung nach der Urteilsverkündung und der Rechtsmittelbelehrung (am 27. Oktober 2011) habe der Verteidiger auf den en, das ist so ver-5
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einbart, und auf Rechtsmittel verzichten. Tust du das nicht, kriegst Du zwölf

Die Sitzungsniederschrift enthält entgegen § 273 Abs. 1a Satz 1 bzw. Satz 3 StPO weder einen
Vermerk über den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung (Satz 1) noch dazu, dass eine Ver-ständigung nicht stattgefunden hat (Satz 3).

2. Mit der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft auf die [X.] wurden dienstliche Stellungnahmen der drei Berufsrichter und des [X.] der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Danach fand am 19.
Oktober 2011 auf Bitte des damaligen Verteidigers ein [X.] -
an dem auch die Schöffen teilnahmen -
statt. Der Staatsanwalt habe geäußert, dass er an einen Antrag auf Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren denke. Die Kammer habe angedeutet, dass dies vielleicht etwas zu hoch gegriffen sei. Eine Verurteilung im zweistelligen Bereich sei nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung aber realistisch. Der Verteidiger habe eine Verurteilung im einstelligen Bereich angestrebt. Eine Freiheitsstrafe von neun Jahren elf Monaten könne er seinem Mandanten eventuell vermitteln. Eine derare-stimmte Strafe habe die [X.] abgele[X.]t. Sie habe noch darauf [X.], dass auch eine im Verlauf des Verfahrens abgegebene Erklärung, die als Geständnis und/oder Schuldeinsicht gewertet werden kann, eine strafmil-dernde Bedeutung hätte. Die Festlegung einer Strafuntergrenze oder einer Strafobergrenze sei nicht erfolgt. Das Urteil beruhe nicht auf einer Absprache, auch nicht auf einer informellen Absprache. [X.] sei
mit einer Freiheitsstrafe von zwölf
Jahren, etwa im Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverzicht,
gedroht worden. Der Angeklagte sei bei der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich darauf 8
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hingewiesen worden, dass er nun eine Woche Zeit habe, sich zu überlegen, ob er Rechtsmittel einlegen wolle. Der Verteidiger habe um Unterbrechung gebe-ten. Nach dieser sei der Rechtsmittelverzicht erklärt worden.

Der Senat holte noch eine Stellungnahme des Verteidigers, der
beim [X.] tätig war,
dazu ein, ob [X.]e stattgefunden haben, wie es ggf. dazu kam, wer beteiligt war sowie welchen Verlauf und welches [X.] diese Erörterungen hatten. Sie hat folgenden Wortlaut:

e-mäß § 257c StPO vorangegangen. Eine Verständigung gemäß § 273 Abs. 1a
Satz 3 StPO hat nicht stattgefunden; am vorletzten Verhand-lungstag, den 19.10.2011 wurde die Sitzung von 9.13 Uhr bis 10.05 Uhr unterbrochen, da dringender Beratungsbedarf bestand. Die durch den Unterzeic[X.]er abgegebene Erklärung beinhaltete ein pauschales Ge-ständnis; der Angeklagte machte sich diese Erklärung zu Eigen. Es wurde auf Initiative bzw. Anregung der Verteidigung ein Gespräch im Beratungszimmer geführt, jedoch nicht im Sinne einer verfahrensbeen-denden Absprache. Beteiligt an diesem Gespräch war die Kammer, Staatsanwaltschaft und die Verteidigung. Es wurden die jeweiligen
Rechtsauffassungen diskutiert, hinsichtlich eines zu findenden Straf-

In seinem Schlussantrag beantragte der Staatsanwalt eine Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von elf
Jahren, der Verteidi-ger eine Freiheitsstrafe von neun
Jahren.

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II.

Es ist damit erwiesen, dass die Verurteilung auf keiner Verständigung beruht. Ein Rechtsmittelverzicht ist
damit zulässig.

III.

Zur Wirksamkeit des in diesem Verfahren beim [X.] erklärten Verzichts auf Rechtsmittel hat der [X.] in seiner [X.] vom 30. März 2012 ausgeführt:

ach Rücksprache mit seinem ehemaligen Verteidiger erklärte [X.] (§
302 Abs. 1 StPO) ist auch nicht wegen der Art und [X.] seines Zustandekommens oder wegen schwerwiegender Willens-mängel, etwa weil der Angeklagte sich der Tragweite seiner Erklärung nicht bewusst war, unwirksam.

Grundsätzlich ist ein auf einem Irrtum beruhender oder durch [X.] oder Drohung herbeigeführter Rechtsmittelverzicht nicht an-fechtbar oder kann auch sonst nicht zurückgenommen oder widerru-fen werden (st. Rspr., vgl. nur Senat, [X.]. vom 25.
Oktober 2005
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1 [X.] m.w.N.; [X.]R StPO §
302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmit-telverzicht 1, 4, 8, 12). Daher ist die mit Schriftsatz vom 17.11.2011 ([X.], [X.]. 740 f.) erfolgte Anfechtung des Rechtsmittelverzichts unbehelflich. Nur in eng begrenztem Umfang erkennt die Rechtspre-chung Ausnahmen an (vgl. dazu [X.]St 45, 51, 53 m.w.N.). Ein sol-cher Ausnahmefall, in dem die Berücksichtigung von [X.] in Betracht kommt, ist hier nicht gegeben. Zwingende Gründe der Rechtssicherheit lassen die Berücksichtigung von [X.]
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zumal eines Irrtums im Beweggrund jedenfalls dann nicht zu, wenn sie nicht die Folge einer (durch das Gericht zu verantwortenden) [X.] oder einer unrichtigen richterlichen Auskunft sind ([X.]R Rechtsmittelverzicht 8). So liegt es nach dem [X.] auch hier. Der [X.] hat lediglich behauptet, dass sein früherer Verteidiger auf i[X.] eingeredet und unter Druck gesetzt habe ([X.], 12
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13). Auch in der behaupteten Empfehlung des früheren Verteidigers, das aus seiner Sicht milde Urteil anzunehmen, weil sonst (bei [X.] der Staatsanwaltschaft) mit einer höheren Strafe zu rec[X.]en sei, ist weder eine Drohung noch eine Täuschung zu sehen (vgl. [X.], [X.], 100) und stellt somit keine unzulässige Willensbeein-flussung dar. Ob eine Anfechtung des Rechtsmittelverzichts bei [X.] oder Irreführung durch den Verteidiger überhaupt möglich wäre, kann daher offenbleiben. Auch hat das Gericht die Erklärung nicht durch unlautere Mittel erlangt, etwa weil dem Angeklagten vom [X.] eine Rechtsmittelverzichtserklärung abverlangt wurde, o[X.]e dass ihm gleichzeitig angeboten worden wäre, sich zuvor eingehend mit dem Verteidiger zu beraten ([X.], [X.], 305). Im Übrigen ist der Beschwerdeführer auch insoweit den Beweis derartiger Einwir-kungen schuldig geblieben. Nichts hätte näher gelegen, als eine Er-klärung des früheren Verteidigers herbeizuschaffen.

Dass der Beschwerdeführer bei seiner daraufhin abgegebenen Ver-zichtserklärung der Tragweite seiner Erklärung nicht bewusst gewe-sen sein will, ist nicht glaubhaft. Es ist auf der Grundlage des Vorbrin-gens des Beschwerdeführers selbst des weiteren aber auch nichts [X.] zu ersehen, dass der Angeklagte nicht verhandlungsfähig war. Die Verhandlungsfähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperli-che oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die [X.] im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an ([X.]R StPO §
302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16). Allein das Be-stehen eines psychischen Drucks genügt nicht (vgl. auch Senat, NStZ-RR 2005, 261). Wenn aber weder das [X.] Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte noch solche von der Verteidigung geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätz-lich auch vom Revisionsgericht o[X.]e Bedenken bejaht werden (vgl. [X.]R StPO §
302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16).

Vielmehr ergibt sich aus dem [X.], dass dem Ange-klagten die Bedeutung des Rechtsmittelverzichts bekannt war, er
also jedenfalls das Wissen, das erforderlich ist, um eine eigenverantwortli-che Entscheidung zu treffen, bereits hatte. Dass er letztlich zum Zeit-punkt der Abgabe der Erklärung Angst vor einer noch höheren Strafe hatte und daher -
unter psychischen Druck stehend -
auf Rechtsmittel verzichtet hat, zeigt gerade, dass er sich der Bedeutung und Tragwei-te seiner Erklärung bewusst war. Dass der Angeklagte etwa ihre Ab-gabe nachträglich bereut hat, vermag an ihrer Wirksamkeit erst recht nichts zu ändern.
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Infolge des wirksamen Verzichts ist das Urteil des [X.]s Aschaffenburg vom 27.
Oktober 2011 in Rechtskraft erwachsen. Die dagegen eingelegte Revision ist somit nach §
349 Abs. 1 StPO als

Dem tritt der Senat bei.

[X.]

Wahl Hebenstreit

Sander Cirener
14

Meta

1 StR 170/12

22.08.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.08.2012, Az. 1 StR 170/12 (REWIS RS 2012, 3712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3712

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