Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.06.2010, Az. 6 W (pat) 327/06

6. Senat | REWIS RS 2010, 5333

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Gegenstand

Patenteinspruchsverfahren – "Kosten der Rechtsbeschwerde" – Zurückverweisung an BPatG – Entscheidung über Auferlegung der außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgründen – Prüfung der Nichterhebung der Gerichtskosten - unrichtige Sachbehandlung


Leitsatz

Kosten der Rechtsbeschwerde

1. Verweist der Bundesgerichtshof die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Bundespatentgericht zurück, hat das Bundespatentgericht neben der Frage einer Auferlegung der außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgründen gem. § 109 Abs. 1 Satz 1 PatG gegebenenfalls auch zu prüfen, ob eine Nichterhebung der Gerichtskosten gem. GKG § 21 Abs. 1 in Betracht kommt.

2. Liegt eine unrichtige Sachbehandlung i. S. v. GKG § 21 Abs. 1 vor, die für die Rechtsbeschwerde ursächlich war, ist aufgrund dieser zwingenden Vorschrift eine ausdrückliche Entscheidung von Amts wegen erforderlich, dass (Gerichts-)Kosten nicht erhoben werden.

Tenor

In der Einspruchssache

betreffend das Patent 199 14 504

hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.]. [X.] sowie [X.], [X.] und Dipl.-Ing. Hildebrandt

beschlossen:

1. Das Patent 199 14 504 wird beschränkt aufrechterhalten mit folgenden Unterlagen:

Patentanspruch 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

Patentansprüche 2 bis 4 sowie

übrige Unterlagen, wie erteilt.

2. Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die Verfahrensbeteiligten tragen ihre durch die Rechtsbeschwerde veranlassten Kosten selbst.

Gründe

I.

1

Gegen das am 22. Dezember 2005 veröffentlichte Patent 199 14 504 mit der Bezeichnung "Hydraulischer Schwingungsdämpfer mit einstellbarer [X.]" ist am 21. März 2006 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sowie des erteilten nebengeordneten Anspruchs 5 sei nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2

In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:

3

[X.]: EP 0 490 262 [X.]

4

[X.]: [X.] 24 920 [X.]

5

[X.]: [X.] 08 886 [X.].

6

Die Einsprechende beantragt,

7

das angegriffene Patent zu widerrufen.

8

[X.] legt in der mündlichen Verhandlung einen neuen Anspruch 1 vor und beantragt,

9

das angegriffene Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

neuer Patentanspruch 1 vom 29. Juni 2010, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

Patentansprüche 2 bis 4 sowie

übrige Unterlagen wie erteilt.

Weiterhin beantragt die Patentinhaberin,

anzuordnen, dass Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben werden.

Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sowohl neu als auch erfinderisch sei.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Hydraulischer Schwingungsdämpfer mit einstellbarer [X.], der einen Zylinder (2) aufweist, in welchen ein öliges Fluid eingefüllt ist, einen gleitbeweglich in dem Zylinder (2) angeordneten Kolben (5), eine [X.]tange (6), deren eines Ende mit dem Kolben (5) verbunden ist, und deren anderes Ende nach außerhalb des Zylinders [X.], einen [X.] (16, 17, 18) und einen [X.] (34a, 35a, 37a, 40), die beide mit dem Zylinder (2) verbunden sind, und in denen ein öliges Fluid infolge der Gleitbewegung des [X.] fließt, ein [X.] (34) des Vorsteuertyps, welches in dem [X.] angeordnet ist, eine [X.] (40), wobei ein Innendruck der [X.] (40) als ein [X.] für das [X.] (34) des Vorsteuertyps derart wirkt, dass der [X.] auf das [X.] (34) in der Schließstellung des [X.]s (34) wirkt, eine feste Öffnung (34a), die in dem [X.] angeordnet ist, und ein [X.] (A), wobei der Druck zwischen der festen Öffnung (34a) des [X.]s und dem [X.] (A) als Vorsteuerdruck für das [X.] (34) des Vorsteuertyps dient,

wobei das [X.] (A) ein Magnetsteuerventil (26) mit einem Plungerkolben (46) aufweist, der gemäß einem Schub der Magnetspule (55) bewegbar ist, und direkt den Druck zum Öffnen eines Plattenventils (48) in Übereinstimmung mit dem an die Magnetspule (55) angelegten Strom steuert, wobei das Plattenventil (48) in einem [X.] (34a, 35a, 37a, 40) vorgesehen ist und derart gebogen wird, dass es geöffnet wird, wenn sich der Innendruck der [X.] (40) erhöht."

Wegen der [X.] 2 bis 4 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Im Prüfungsverfahren vor dem [X.] wurden noch folgende Druckschriften berücksichtigt:

[X.] 197 34 522 [X.]

[X.] 197 11 293 [X.]

[X.] 196 54 300 [X.]

[X.] 196 52 819 [X.]

[X.] 41 14 305 [X.]

[X.] 41 04 110 [X.]

WO 85/04 698 [X.].

Der Senat hat das Patent mit Beschluss vom 29. Juli 2008 im schriftlichen Verfahren widerrufen. Diesen Beschluss hat der [X.] auf die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin mit Beschluss vom 22. September 2009 wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Patentgericht zurückverwiesen.

II.

1. Das [X.] ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 [X.] in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in [X.] getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 [X.] gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu [X.] 2007, 859, 861 f. - Informationsübermittlungsverfahren I; [X.] 2007, 862 f. - [X.]; [X.] 2009, 184 f. - Ventilsteuerung).

Nach der Zurückverweisung der Sache hat der Senat über diese erneut zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.

Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.

3. Der geltende Anspruch 1 ist zulässig.

Er ergibt sich aus dem erteilten Anspruch 1 sowie aus Abs. [0048], letzter Satz der Streitpatentschrift bzw. den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 3 sowie [X.], Abs. 1, letzter Satz der Anmeldungsunterlagen.

Die Zulässigkeit des geltenden Anspruchs 1 ist im Übrigen seitens der [X.] nicht mehr bestritten worden.

4. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 [X.] dar.

a. Der Schwingungsdämpfer nach Anspruch 1 ist neu, da keine der genannten Druckschriften sämtliche nunmehr im Anspruch 1 enthaltenen Merkmale zeigt.

Als Ergebnis der mündlichen Verhandlung konnte festgestellt werden, dass ein wesentlicher Aspekt der vorliegenden Erfindung darin zu sehen ist, dass die [X.] des Schwingungsdämpfers kontinuierlich steuerbar ist. Dies ergibt sich insbesondere aus den Merkmalen des geltenden Anspruchs 1, wonach

das [X.] (A) ein Magnetsteuerventil (26) mit einem Plungerkolben (46) aufweist, der gemäß eines Schubes einer Magnetspule (55) bewegbar ist und direkt den Druck zum Öffnen eines Plattenventils (48) in Übereinstimmung mit dem an die Magnetspule (55) angelegten Strom steuert.

Eine kontinuierliche Steuerbarkeit der [X.] ist im nachgewiesenen Stand der Technik aber nicht beschrieben.

Die ([X.]) EP 0 490 262 [X.] offenbart einen Schwingungsdämpfer, bei dem das [X.] 38 entweder geöffnet oder geschlossen ist (vgl. Figur 2 i. V. m. S. 11, [X.] 8 bis 35). D. h., es gibt zwei unterschiedliche Dämpfungseinstellungen, aber keine Zwischenstellungen. Somit ist dort die [X.] nicht kontinuierlich steuerbar. Folglich können auch dort die Merkmale, wonach

das [X.] (A) ein Magnetsteuerventil (26) mit einem Plungerkolben (46) aufweist, der gemäß eines Schubes einer Magnetspule (55) bewegbar ist und direkt den Druck zum Öffnen eines Plattenventils (48) in Übereinstimmung mit dem an die Magnetspule (55) angelegten Strom steuert,

nicht verwirklicht sein.

Die ([X.]) [X.] 24 920 [X.] und die ([X.]) 42 08 886 [X.] gehen beide in ihrem [X.] nicht über das hinaus, was bereits aus der ([X.]) EP 0 490 262 [X.] bekannt ist.

Der übrige im Prüfungsverfahren angezogene, im Einspruchsverfahren nicht mehr aufgegriffene Stand der Technik offenbart ebenfalls keinen Schwingungsdämpfer, bei dem eine kontinuierliche Steuerbarkeit der [X.] möglich ist.

Der Gegenstand des geltenden Anspruch 1 ist somit neu.

b. Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Schwingungsdämpfer gemäß dem geltenden Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wie bereits beim [X.] ausgeführt, unterscheidet sich die erfindungsgemäße Ausgestaltung zumindest dadurch vom nachgewiesenen Stand der Technik, dass die [X.] kontinuierlich steuerbar ist.

Eine solche Ausgestaltung ist weder dem seitens der [X.] genannten, noch dem im Prüfungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik zu entnehmen. Somit kann auch von keiner dieser Druckschriften eine Anregung in diese Richtung ausgehen.

Folglich kann vom nachgewiesenen Stand der Technik weder einzeln noch in einer Zusammenschau eine Anregung zu der erfindungsgemäßen Ausgestaltung ausgehen.

Der geltende Anspruch 1 ist somit gewährbar.

c. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die rückbezogenen [X.] gewährbar, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des [X.] betreffen.

5. Durch den Zurückverweisungsbeschluss des [X.]es vom 22. September 2009 ist dem Senat auch die Verhandlung und Entscheidung über die Kosten des [X.] übertragen worden.

a. Für die Entscheidung über die Kosten des [X.] gilt § 109 [X.]. § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] geht - wie § 80 Abs. 1 Satz 1 [X.] und § 62 Abs. 1 Satz 1 [X.] für sämtliche Kosten - davon aus, dass im Regelfall jeder Beteiligte die bei ihm durch das Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. etwa [X.], Patentgesetz, 8. Aufl., § 109 Rn. 16; B[X.] 8 W (pat) 46/99 Beschluss v. 3.2.2004, veröffentlicht in juris Das Rechtsportal). Da besondere Umstände - etwa grob sorgfaltswidrige Vorgehensweise eines Verfahrensbeteiligten -, die unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit eine abweichende Kostenverteilung gebieten würden, weder dargetan noch sonst ersichtlich sind, bleibt es hier hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten beim allgemeinen Grundsatz (so auch B[X.] 8 W (pat) 46/99 Beschluss v. 3. Februar 2004, veröffentlicht in juris Das Rechtsportal).

b. Allerdings trifft § 109 [X.] seinem Wortlaut nach lediglich eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten. Anders als etwa § 80 Abs. 1 Satz 1 [X.] und § 62 Abs. 1 Satz 1 [X.] werden in § 109 Abs. 1 [X.] die Gerichtskosten nicht erwähnt. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass auch über die durch die Rechtsbeschwerde entstandenen Gerichtskosten eine Entscheidung getroffen werden kann. [X.], Patentgesetz, 8. Auflage, § 109 Rn. 14, 15 will diese Lücke durch analoge Anwendung des § 90 [X.] ausfüllen. Busse, Patentgesetz, 6. Auflage, § 109 Rn. 9 will § 80 [X.] analog anwenden (so auch [X.], Patentgesetz, 10. Aufl., § 109 Rn. 2, 4). Beide Vorschriften enthalten die Möglichkeit einer Entscheidung nach [X.] über außergerichtliche Kosten und über die Gerichtskosten.

c. Vorliegend braucht jedoch die Frage nicht entschieden werden, ob und welche dieser Vorschriften des Patentgesetzes analog anzuwenden ist, denn die Entscheidung über die Gerichtskosten richtet sich hier jedenfalls nach § 21 Abs. 1 GKG, der die hinsichtlich der Gerichtskosten bestehende Lücke des § 109 [X.] ausfüllt.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 GKG bestimmt nämlich zwingend, dass Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären und dass das Gericht diese Entscheidung trifft. Wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 GKG vorliegen, ist eine ausdrückliche Kostenentscheidung von Amts wegen zwingend erforderlich ([X.], a. a. O, § 109 Rn. 11). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Zwar rechtfertigt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Instanzgericht eine Nichterhebung der Gerichtskosten. Es muss sich vielmehr um ein erkennbares Versehen oder einen offensichtlichen Verstoß gegen eindeutige Rechtsvorschriften handeln, der offen zutage tritt (vgl. etwa [X.], [X.], 40. Auflage, § 21 GKG Rn. 8 ff.; [X.]/09 Beschluss v. 19.10.2009, veröffentlicht in juris Das Rechtsportal). Hierunter fallen etwa auch Verstöße gegen die Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (vgl. [X.], a. a. [X.], Rn. 16, 30, 31).

Der [X.] hat vorliegend die Sache wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund einer Verletzung der Aufklärungs- und Hinweispflicht durch den Senat aufgehoben und zurückverwiesen. Er hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass sich dem Senat Zweifel an der Formulierung von neu eingereichten Patentansprüchen hätten aufdrängen müssen, so dass er vor seiner Entscheidung bei der Patentinhaberin nochmals konkret nachfragen hätte müssen, ob diese Formulierung tatsächlich gewollt sei. Nach dieser rechtlichen Beurteilung, an die der Senat gebunden ist (§ 108 Abs. 2 [X.]), liegt somit eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 21 Abs. 1 GKG vor, die für die Rechtsbeschwerde und die damit verbundenen Gerichtskosten kausal geworden ist. Die Anordnung der Nichterhebung der Gerichtskosten für die Rechtsbeschwerde ist daher nach dieser Vorschrift zwingend geboten.

Meta

6 W (pat) 327/06

29.06.2010

Bundespatentgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.06.2010, Az. 6 W (pat) 327/06 (REWIS RS 2010, 5333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5333

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