OLG Dresden, Urteil vom 30.11.2021, Az. 4 U 1158/21

4. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 752

DATENSCHUTZ SCHADENSERSATZ DSGVO

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Gegenstand

Wird ein Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO geltend gemacht, erfordert dies ein Überschreiten der erforderlichen Bagatellgrenze.


Leitsatz

  1. Der Geschäftsführer einer GmbH ist neben der Gesellschaft "Verantwortlicher" im Sinne der DSVGO.
  2. Die Erhebung von Daten bei Dritten ist auch unter Geltung der DSGVO subsidiär zu einer Erhebung beim Betroffenen, sofern dies für den Verantwortlichen nicht ausnahmsweise unzumutbar ist.
  3. Die Datenerhebung von Vorstrafen des Betroffenen ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 10 DSGVO zulässig.
  4. Der immaterielle Schadensersatz nach den DSGVO hat keinen Strafcharakter.

Tenor

  1. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 26.05.2021 - 8 O 1286/19 zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen der Kläger 76 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 24 %. Von den Kosten der Streithilfe trägt der Kläger ebenfalls 76 %; im Übrigen trägt der Streithelfer seine Kosten selbst.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 09.11.2021 auf 21.000,00 €
festgesetzt; ab dem 10.11.2021 auf 16.000,00 €.

Entscheidungsgründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2 i.V.m. 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

I.

1

Der Kläger verlangt gesamtschuldnerisch von den [X.]n die Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung seiner Rechte aus der DS-GVO. Der Streithelfer hatte im Auftrag des [X.]n zu 2), dieser wiederum handelnd namens des [X.]n zu 1) eine Recherche durchgeführt und hierbei u. a. Erkenntnisse über den [X.]n im Zusammenhang mit strafrechtlich relevanten Sachverhalten gewonnen. Der [X.] zu 1) nahm dies zum Anlass, die vom Kläger beantragte Mitgliedschaft beim [X.]n zu 1) abzulehnen, nachdem dessen Vorstandsmitglieder durch den [X.]n zu 2) über das Ergebnis der Recherche unterrichtet worden waren.

2

Das [X.] hat einen Schadensersatz in Höhe von 5.000,00 € wegen des Verstoßes gegen die DS-GVO durch die [X.]n für angemessen erachtet. Während der Kläger mit seiner Berufung weiterhin die Zahlung des ursprünglich verlangten Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 21.000,00 € weiterverfolgt, haben die [X.]n und der Streithelfer jeweils für sich selbstständige Berufungen mit dem Ziel der Klageabweisung eingelegt. Sie haben aus unterschiedlichen Gründen bereits einen Haftungsgrund für nicht gegeben angesehen. Nach Hinweisen des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2021 haben die [X.]n und der Streithelfer ihre Berufungen zurückgenommen.

3

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 9.11.2021 verwiesen.

II.

4

Die zulässige Berufung des [X.] bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1.

5

Nach Rücknahme der Berufungen durch die [X.]n und deren Streithelfer steht ein jeweils selbstständiger Verstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO durch die [X.]n rechtskräftig fest. Sowohl der [X.] zu 1) als auch der [X.] zu 2) sind verantwortlich im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO, denn Anknüpfungspunkt für einen Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist zunächst die „Verantwortlichkeit“, die immer dann zu bejahen ist, wenn eine natürliche oder juristische Person alleine oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden kann und entscheidet ([X.], Bearb. [X.], [X.], 2. Aufl. 2018, Art. 4 Rz. 48; [X.] 2020, [X.] - nach [X.]). Damit entfällt zwar in aller Regel die Verantwortlichkeit weisungsgebundener Angestellter oder sonstiger Beschäftigter, für den Geschäftsführer, wie es der [X.] zu 2) zum Zeitpunkt der Beauftragung des Streithelfers war, gilt dies allerdings nicht.

6

Die [X.]n haben auch personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Ziff. 1 DS-GVO verarbeitet. Denn nach Art. 4 Ziff. 2 DS-GVO fällt hierunter das Erheben und Erfassen von Daten ebenso wie die Offenlegung durch Übermittlung oder das Abfragen sowie die Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung.

7

Die in dieser Weise durch die [X.]n als Verantwortliche durchgeführte Datenverarbeitung war unrechtmäßig. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger seine Einwilligung nur im Hinblick auf die Weitergabe seiner Daten zu werblichen Zwecken ausdrücklich untersagt hat. Nach der Regelungsstruktur der DS-GVO ist jede Verarbeitung personenbezogener Daten ohne aktiv erteilte Einwilligung rechtswidrig, es sei denn, es greift einer der in Art. 6 DS-GVO genannten Rechtfertigungsgründe. Allerdings ist auch dies vorliegend nicht der Fall, wie das [X.] zutreffend erkannt hat. Eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1f DS-GVO kommt vorliegend nicht in Betracht. Dabei bedarf es noch nicht einmal der bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 f DS-GVO erforderlichen Interessenabwägung, denn die im Ausspähen des [X.] liegende und dem [X.]n zuzurechnende Datenverarbeitung war bereits nicht erforderlich. Der [X.] ist ein Ausfluss des [X.] im Sinne von Art. 5 Abs. 1 b DS-GVO, der der Ausfüllung und Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Er darf zwar nicht im Sinne einer zwingenden Notwendigkeit überinterpretiert werden, verlangt werden muss indessen, dass die Datenverarbeitung zur Erreichung des Zweckes nicht nur objektiv tauglich ist, sondern dass eine für die betroffene Person weniger invasive Alternative entweder nicht vorliegt oder für den Verantwortlichen nicht zumutbar ist ([X.]-Schulz, a.a.O., Art. 6 Rz. 20 m.w.[X.]). Dies war hier nicht der Fall. Dabei kann offenbleiben, ob nach § 2 Abs. 2 der Satzung des [X.]n zu 1) grundsätzlich nicht auch ehemaligen Straftätern oder nicht einwandfrei beleumundeten Personen die Möglichkeit einer Vereinsmitgliedschaft - in Abhängigkeit von der Art der zuvor begangenen Verfehlungen - zu gewähren wäre. Auch wenn es danach gerechtfertigt wäre, extremistische politische Gesinnungen aus dem Verein fernzuhalten oder Personen allein wegen eines gegen diese geführten Ermittlungsverfahrens von vornherein auszuschließen, so hätte es vorliegend genügt, den Kläger zunächst zur ergänzenden Selbstauskunft, gegebenenfalls Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses aufzufordern, nachdem dieser auch nach Behauptung des [X.]n zu 1) von sich aus ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren angesprochen haben soll. Die durch den Streithelfer abzuklärenden etwaigen Vorstrafen des [X.] verstoßen darüber hinaus auch gegen Art. 10 DS-GVO, der die Verarbeitung personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln grundsätzlich nur unter behördlicher Aufsicht gestattet.

2.

8

Die unzulässige Datenverarbeitung durch die [X.]n zu 1) und 2) rechtfertigt einen immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 [X.] allerdings lediglich in der vom [X.] ausgeurteilten Höhe. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des [X.] in der Berufungsbegründung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat greifen nicht durch.

9

Im Einzelnen:

a)

10

Entgegen der Auffassung der [X.]n überschritt die Ausspähung des [X.] eindeutig die [X.]. Die Datenweitergabe mit den daraus resultierenden Folgen ging über die reine Privatsphäre oder das [X.] zwischen dem Kläger und dem [X.]n zu 2) weit hinaus, denn nachdem dieser die Weitergabe der erhobenen Daten angeordnet hatte, wurden die hieraus gewonnenen Ergebnisse den übrigen Vorstandsmitgliedern des [X.]n zu 1) bekannt gegeben. Des Weiteren wurde dem Kläger die Mitgliedschaft im Verein versagt, was zwar nicht unmittelbar zu wirtschaftlichen Einbußen geführt, aber sein Interesse beeinträchtigt hat, als Autohändler auch durch die Mitorganisation der Oldtimer-Ausfahrten auf sich aufmerksam zu machen. Des Weiteren musste der Kläger subjektiv damit rechnen, dass die über ihn eingeholten Daten nicht lediglich an zwei Vorstandsmitglieder gelangt sind und damit Details aus seiner Vergangenheit möglicherweise in einem größeren Umfeld bekannt geworden sind.

11

Damit ist unabhängig von der Frage, wie glaubwürdig die Einlassungen des [X.] zu seinen negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit [X.] sind, die Schwelle zur [X.] überschritten und handelt es sich nicht um eine völlig unerhebliche Beeinträchtigung.

12

Im Rahmen der nach § 287 ZPO vorzunehm enden Schadensschätzung sind auch i.R.d. Art. 82 DS-VGO allgemein die Art, Schwere, Dauer des Verstoßes, Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens, frühere einschlägige Verstöße sowie die Kategorien der betroffenen personenbezogenen Daten in die Erwägung mit einzubeziehen (vgl. [X.], [X.]. v. 05.03.2020 - 9 Ca 6557/18, juris, Rz. 104; [X.], [X.]eilsanmerkung in juris PR-ITR 19/20 vom 18.09.2020; [X.], [X.] „auch immaterieller Schadensersatz bei Datenschutzverstößen - Bestandsaufnahme und Einordnung der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 82 DS-GVO, [X.]). Nach Erwägungsgrund Nr. 146 der DS-GVO soll der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des [X.] weit und auf eine Art und Weise ausgelegt werden, „die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht“. Nach dem Effektivitätsprinzip (effet utile) ist insoweit - entgegen der Auffassung der [X.]n - auch eine abschreckende Sanktion nicht ausgeschlossen ([X.], a.a.O., Art. 82 Rz. 3 m.w.[X.]). Dies bedeutet aber nicht, dass die Geldentschädigung zwingend „Strafcharakter“ haben muss, sondern die Höhe des Anspruchs muss auf der Basis des Effektivitätsprinzips eine abschreckende Wirkung haben (vgl. [X.], [X.]eil vom 17.12.2015 - [X.] Rz. 44). Vorliegend handelte es sich aber lediglich um einen einmaligen Verstoß, dass bei der [X.]n regelhaft Daten über alle Antragsteller durch Einschaltung eines Detektivbüros erhoben werden, hat der Kläger zu beweisen, die [X.]nseite hat insoweit unwidersprochen vorgetragen, dass frühere „[X.]“ nur im Rahmen von Arbeitsverhältnissen und zur Überprüfung konkreter Verdachtsmomente im Hinblick auf Straftaten erfolgt sind. Ebenso wenig ist der Senat von den Darlegungen des [X.] im Hinblick auf seine persönliche besondere Betroffenheit wegen vorheriger traumatischer Erfahrungen seiner Familie im Rahmen des [X.] überzeugt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach den insoweit ebenfalls unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des [X.]n zu 2) in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2021 der [X.] zu 1) insoweit Konsequenzen gezogen hat, als er den [X.]n zu 2) von sämtlichen leitenden Funktionen bei der [X.]n zu 1) u. a. wegen des streitgegenständlichen Vorfalls ausgeschlossen hat. Umgekehrt ist allerdings zu Lasten der [X.]n zu berücksichtigen, dass es sich bei den erhobenen Daten mit Strafrechtsbezug um besonders sensible Daten handelte, so dass insofern der Verstoß, auch wenn die über den Kläger erhobenen Daten nicht weitergegeben worden sein sollten, hinreichend schwer wiegt. In der Gesamtabwägung hält der Senat das bereits vom [X.] ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € für angemessen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt er auf die umfassende Abwägung in der angefochtenen Entscheidung Bezug.

III.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1; 100; 101; 269 ZPO. Die Kostenquote berücksichtigt, dass die [X.]n nach [X.] die Kosten ihrer selbständigen Berufungen zu tragen haben (Beschluss vom 09.11.2021). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10; 711; 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat ist insbesondere bei der Bemessung des Schadensersatzes weder von nationalen höchstrichterlichen, noch von europarechtlichen Vorgaben abgewichen.

14

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO und folgt den gestellten Anträgen.

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Meta

4 U 1158/21

30.11.2021

OLG Dresden 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Art. 82 DSGVO

Zitier­vorschlag: OLG Dresden, Urteil vom 30.11.2021, Az. 4 U 1158/21 (REWIS RS 2021, 752)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 752


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 8 O 1286/19

LG Dresden, 8 O 1286/19, 26.05.2021.


Az. 4 U 1158/21

OLG Dresden, 4 U 1158/21, 30.11.2021.


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Schadensersatz i.H.v. 5000,- Euro aus Art. 82 DSGVO wegen Negativeintragung


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Wird zitiert von

13 K 278/21

1 O 272/21

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