Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.12.2014, Az. IX ZB 65/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 110

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ABLEHNUNG WEGEN BEFANGENHEIT GESCHÄFTSVERTEILUNG

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Gegenstand

Richterablehnung im Anwaltshaftungsprozess wegen Mitwirkung des Richters im Vorprozess


Leitsatz

Die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltshaftungsprozess stellt weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit dar.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 32. Zivilsenats des [X.] vom 21. August 2013 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 80.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten. Die beklagten [X.]echtsanwälte vertraten den Kläger vor dem [X.] in einem [X.] (nachfolgend: Vorprozess). Nach Abweisung der Klage legten sie auftragsgemäß Berufung ein, die sie nicht rechtzeitig begründeten. Der Kläger ist der Auffassung, sein [X.]echtsmittel wäre begründet gewesen. Er nimmt die Beklagten deshalb auf Schadensersatz in Höhe des im Vorprozess verlangten Schmerzensgeldes von 50.000 € sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch, die er durch die im Vorprozess streitgegenständliche ärztliche Fehlbehandlung erlitten habe und künftig noch erleiden werde. Nach der Geschäftsverteilung des [X.] ist für die Entscheidung des [X.]echtsstreits die Kammer zuständig, die bereits mit dem Vorprozess befasst war. Mit Schriftsatz vom 11. März 2013 hat der Kläger, soweit noch von Interesse, den [X.] und ein weiteres Mitglied der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, dass der Fall demjenigen des gesetzlichen Ausschlusses des mit der Sache vorbefassten [X.]s nach § 41 Nr. 6 ZPO entspreche. In ihren dienstlichen Äußerungen haben die [X.] erklärt, über die Klage unvoreingenommen urteilen zu können.

2

Das Ablehnungsgesuch ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des [X.] zurückgewiesen und die [X.]echtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Ablehnungsbegehren weiter.

II.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige [X.]echtsbeschwerde ist unbegründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die abgelehnten [X.] seien weder kraft Gesetzes noch wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung ihres [X.]amtes ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 41 Nr. 6 ZPO seien nicht erfüllt, die Vorschrift führe nur dann zum gesetzlichen Ausschluss vom [X.]amt, wenn ein [X.] in einem früheren [X.]echtszug des gleichen Verfahrens an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der [X.] bezwecke nicht die Überprüfung der im Ausgangsverfahren ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung, deren [X.]ichtigkeit nur inzidenter im [X.]ahmen des geltend gemachten Schadens zu beurteilen sei. Einer ausdehnenden Auslegung sei die Vorschrift nicht zugänglich. Dem stehe das verfassungsrechtlich garantierte [X.]echt der Beteiligten auf den gesetzlichen [X.] entgegen.

5

Die Tätigkeit der abgelehnten [X.] im Ausgangsverfahren rechtfertige auch nicht die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO. Allein die Mitwirkung der [X.] an dem klageabweisenden Urteil des [X.] begründe diese Besorgnis nicht. Die Zivilprozessordnung lasse verschiedene Konstellationen - etwa die Entscheidung über den Einspruch nach Erlass eines Versäumnisurteils oder über den Widerspruch gegen eine im Beschlussverfahren ergangene einstweilige Verfügung - zu, in denen ein [X.] im weiteren Verlauf des Verfahrens eigene Entscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern habe, ohne dass er deshalb aus der Sicht einer verständigen Partei als befangen anzusehen sei. Dies gelte auch für atypische Konstellationen prozessrechtlicher [X.], in denen beispielsweise der [X.] an das [X.] wechsele, bei dem er ein unter seiner Mitwirkung im [X.]echtsmittelverfahren aufgehobenes und zurückverwiesenes [X.]echtsmittelverfahren fortzuführen habe, oder die Befassung als Zivilrichter mit einer Sache, die er zuvor bereits als Strafrichter zu beurteilen gehabt habe.

6

2. Die [X.]echtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die abgelehnten [X.] sind wegen ihrer Mitwirkung im vorausgegangenen [X.] weder ausgeschlossen (§ 41 Nr. 6 ZPO) noch befangen (§ 42 Abs. 2 ZPO).

7

a) Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein [X.] von der Ausübung des [X.]amtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren [X.]echtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus ([X.], Urteil vom 5. Juli 1960 - [X.], NJW 1960, 1762 f; vom 5. Dezember 1980 - [X.], NJW 1981, 1273 f; Beschluss vom 24. Juli 2012 - [X.], NJW-[X.][X.] 2012, 1341 [X.]n. 2; [X.], NJW 1975, 1241; NJW 1980, 2722; [X.], 271 [X.]n. 23). Im Streitfall haben die abgelehnten [X.], die im [X.] in erster Instanz tätig werden sollen, nur in einem Vorprozess mitgewirkt, dessen für den Kläger negativer Ausgang den Anlass für die streitgegenständliche Haftungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst.

8

Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der [X.] scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung der [X.]echtsbeschwerde fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es geht im [X.] nicht um eine auch nur mittelbare Überprüfung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung. Die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des [X.]echtsanwalts ein Schaden entstanden ist, der vom Ausgang eines anderen [X.]echtsstreits abhängt, ist danach zu beurteilen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre ([X.], Urteil vom 13. Juni 1996 - [X.], [X.]Z 133, 110, 111; vom 17. September 2009 - [X.], [X.], 2138 [X.]n. 20). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte, ist hingegen ohne Belang ([X.], Urteil vom 15. November 2007 - [X.], [X.]Z 174, 205, 209 [X.]n. 9). Die Stellung des Gerichts im [X.] entspricht daher eher der eines Instanzgerichts, das nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das [X.]echtsmittelgericht erneut über die Sache zu befinden hat. Wie sich aus § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergibt, entscheidet nach Zurückverweisung der Sache ein anderer Spruchkörper nur, wenn das [X.]echtsmittelgericht eine diesbezügliche besondere Anordnung trifft. Fehlt eine solche, ist bei den Mitgliedern des vorbefassten Spruchkörpers, die an dem aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben, kein Fall der unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO gegeben (vgl. [X.], NJW 1975, 1241 mwN; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 41 [X.]n. 24 f; Musielak/[X.], ZPO, 11. Aufl., § 41 [X.]n. 13; [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 41 [X.]n. 24). Dieses Beispiel zeigt, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Unvoreingenommenheit des [X.]s grundsätzlich nicht schon dadurch gefährdet ist, dass er sich schon früher zu demselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat. In den [X.]egelungen zum Nachverfahren nach einer Entscheidung im [X.] (vgl. Hk-ZPO/[X.], 5. Aufl., § 41 [X.]n. 17 f; [X.]/[X.], aaO; Musielak/[X.], aaO; [X.]/Vollkommer, aaO; jeweils mwN) kommt dies ebenfalls zum Ausdruck.

9

Im Übrigen führt § 41 ZPO die [X.] abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen [X.] im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung im Sinne der [X.]echtsbeschwerde nicht zugänglich (vgl. [X.], Urteil vom 5. Dezember 1980, aaO; vom 4. Dezember 1989 - [X.]([X.]) 5/89, NJW 1991, 425; Beschluss vom 20. Oktober 2003 - II Z[X.] 31/02, [X.], 163; vom 24. Juli 2012, aaO [X.]n. 3; [X.] 30, 149, 155; [X.] 30, 165, 168 f; [X.], NJW 2001, 3533).

b) Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden [X.] auch keinen Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Besorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über § 42 ZPO im Endergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die - wie ausgeführt - aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist.

aa) Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Unerheblich ist, ob der [X.] sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung berufene [X.] stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Januar 1986 - X Z[X.] 70/84, NJW-[X.][X.] 1986, 738; vom 14. März 2003 - [X.], [X.], 946; st. [X.]spr.; s. ferner [X.] NJW 1993, 2230 mwN; Prütting/[X.]/[X.], ZPO, 6. Aufl., § 42 [X.]n. 5; [X.]/[X.], aaO § 42 [X.]n. 4; [X.]/Vollkommer, aaO § 42 [X.]n. 9). Der nach § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft zu machende Ablehnungsgrund kann, wenn wie hier keiner der Ausschlusstatbestände des § 41 ZPO vorliegt, nur in konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen.

bb) Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem [X.] bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus (a.[X.], NJW-[X.][X.] 1999, 289, 290; [X.] in Festschrift [X.], 1973, S. 1063, 1073 f). Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten [X.] grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. [X.]/[X.], aaO § 42 [X.]n. 15 f). Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnten [X.] aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den sich aus dem von ihnen seiner Zeit entschiedenen [X.] ergebenden Anwaltshaftungsfall objektiv und angemessen zu beurteilen, hat der Kläger nicht dargetan und nicht glaubhaft gemacht.

Kayser                        Vill                       Lohmann

                Fischer                     Pape

Meta

IX ZB 65/13

18.12.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 21. August 2013, Az: I-32 W 11/13, Beschluss

§ 41 Nr 6 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.12.2014, Az. IX ZB 65/13 (REWIS RS 2014, 110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 110

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