Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.09.2013, Az. VII ZR 242/12

7. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3111

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Berufungsverfahren: Zulässigkeit der Ersetzung einer fehlerhaften Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln durch eine andere Begründung


Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Der Beschluss des 19. Zivilsenats des [X.] vom 7. August 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 32.544,12 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht werkvertragliche Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu 1, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und deren Gesellschafter, die [X.] zu 2 und 3, geltend.

2

Die Beklagte zu 1 beauftragte den Zedenten im Juni 2009 mit Dachdeckerarbeiten an dem Bauvorhaben [X.] Der Zedent führte seine Arbeiten aus und erstellte eine Schlussrechnung. Die Klägerin macht aus dieser Schlussrechnung einen Anspruch in Höhe von 32.544,12 € nebst Zinsen geltend. Die Klageforderung bezieht sich auf verschiedene von der [X.] zu 1 nicht akzeptierte Positionen der Schlussrechnung.

3

Das [X.] hat mit Verfügung vom 16. Mai 2011 das schriftliche Vorverfahren angeordnet und mit Verfügung vom 6. Juli 2011, der Klägerin zugestellt am 11. Juli 2011, Gütetermin und Verhandlungstermin auf 16. August 2011 bestimmt und der Klägerin eine Frist zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung von zwei Wochen gesetzt. Die Klägerin hat per Telefax am 11. August 2011 einen vom 10. August 2011 datierenden Schriftsatz ohne Anlagen an das [X.] übermittelt. In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 16. August 2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht und dem Prozessbevollmächtigten der [X.] den Schriftsatz vom 10. August 2011 im Original bzw. als Abschrift nebst Anlagen überreicht und erklärt, der Brief, der diesen Schriftsatz und die Anlagen enthalten habe, sei nicht ausreichend frankiert gewesen und deswegen zurückgekommen.

4

Das [X.] hat die Klage unter Anwendung der [X.] in § 296 ZPO abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin nach vorangegangenem Hinweisbeschluss durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt.

II.

5

1. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss im Wesentlichen ausgeführt, es habe nur die Tatsachen zugrunde zu legen, die vom [X.] festgestellt worden seien. Im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesene Angriffsmittel blieben ausgeschlossen. Das Urteil des [X.]s sei frei von [X.]. Es stelle keinen Verfahrensfehler dar, dass das [X.] die Klägerin mit ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 10. August 2011 ausgeschlossen und die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen habe. Das [X.] habe die Zurückweisung wegen Verspätung unter anderem auf § 296 Abs. 2 ZPO gestützt. Dessen Voraussetzungen lägen vor. Mit dem [X.] gehe das Berufungsgericht davon aus, dass die Klägerin gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO verstoßen habe. Das [X.] habe ohne Rechtsverstoß in Bezug auf jedes einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel den Vortrag zurückgewiesen, weil seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhe.

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

a) Bleiben Angriffsmittel einer [X.] deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der [X.] verletzt (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 2013 - [X.], [X.], 1146 Rn. 9 = NZBau 2013, 433 Rn. 9; Beschluss vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.], 3787 Rn. 9 jeweils m.w.N.).

8

b) So liegt der Fall hier. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 10. August 2011 nebst Anlagen gemäß § 531 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen bleibt.

9

aa) § 531 Abs. 1 ZPO erlaubt es nach seinem klaren Wortlaut dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz zu Recht vorgenommen worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 22. Februar 2006 - [X.], [X.]Z 166, 227 Rn. 16). Das im Rechtsmittelzug übergeordnete Gericht darf eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von [X.] nicht durch eine andere Begründung ersetzen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Mai 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1007, 1008) und insbesondere nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben (vgl. [X.], Urteil vom 9. März 1981 - [X.], NJW 1981, 2255).

bb) Die Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO durch das [X.] ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Nach § 296 Abs. 2 ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Fahrlässigkeit beruht.

(1) Zu Unrecht hat das [X.] die Zurückweisung auf § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 1 ZPO gestützt. § 282 Abs. 1 ZPO betrifft allein Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (vgl. [X.], Urteil vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.], 3787 Rn. 6; Urteil vom 4. Mai 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1007; [X.], 4. Aufl., § 282 Rn. 8; jeweils m.w.N). Bei dem Termin vom 16. August 2011 vor dem [X.] handelte es sich um den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz.

(2) Die vom [X.] gegebene Begründung trägt auch nicht die von ihm vorgenommene Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 2 ZPO.

(a) Das [X.] hat die für die Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO erforderliche grobe Nachlässigkeit der Klägerin nicht hinreichend begründet. [X.] im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO liegt dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder [X.] hätte als notwendig einleuchten müssen (vgl. [X.], Urteil vom 15. Oktober 2002 - [X.], [X.], 200, 202 m.w.N.). Dies muss das erstinstanzliche Gericht hinreichend begründen (vgl. [X.], Urteil vom 15. Oktober 2002 - [X.], aaO 202). Das hat das [X.] nicht getan. Die Ausführungen des [X.]s zur groben Nachlässigkeit der Klägerin beziehen sich, wie sich aus den Ausführungen auf Seite 9, 12, 13 und 14 des Urteils des [X.]s ergibt, lediglich auf die unzureichende Frankierung beim Versand des die Stellungnahme zur Klageerwiderung enthaltenden Schriftsatzes nebst Anlagen. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Darlegung, dass die unzureichende Frankierung der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Soweit das [X.] im Übrigen ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin darin gesehen hat, dass der die Stellungnahme zur Klageerwiderung enthaltende Schriftsatz nicht rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. August 2011 eingereicht worden sei, hat es dies nicht als grobe Nachlässigkeit eingestuft.

(b) Außerdem fehlt es an der Ausübung des dem [X.] bei der Entscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO zustehenden Ermessens (vgl. [X.], Urteil vom 21. September 1982 - [X.], [X.], 1281, 1282; [X.], NJW 1985, 1150, 1151; zu den Kriterien für die Ermessensausübung vgl. [X.] in: [X.], ZPO, 22. Aufl., § 296 Rn. 148 f.). Dem Urteil des [X.]s ist nicht zu entnehmen, dass es das ihm nach § 296 Abs. 2 ZPO zustehende Ermessen ausgeübt hat. Die Formulierung auf Seite 8 des Urteils des [X.]s "Das Gericht muss ohne Durchführung einer Beweisaufnahme von dem Vorbringen der [X.] ausgehen, weil die Vorlage der Unterlagen der Klägerin wegen Verspätung nach § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden" spricht vielmehr gegen eine Ermessensausübung seitens des [X.]s. Entsprechendes gilt für die Formulierung auf Seite 13 des Urteils des [X.]s, wonach das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 10. August 2011 "wegen Verspätung nach § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden" kann. Denn der eine gebundene Entscheidung vorsehende § 296 Abs. 1 ZPO und der eine Ermessensentscheidung vorsehende § 296 Abs. 2 ZPO werden jeweils in einem Zug angeführt.

c) Der angefochtene Beschluss beruht auf der Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Vortrag im Schriftsatz vom 10. August 2011 nebst Anlagen nicht nach § 531 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen hätte. Das gilt auch hinsichtlich des auf die Positionen 13.001 bis 13.018 bezogenen Zahlungsanspruchs wegen Materialkostenerhöhungen. Die Klausel in Nr. 21 der [X.], die [X.] zum Gegenstand hat und auf die sich das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss vom 4. Mai 2012, Seite 11 hilfsweise bezogen hat, betrifft weder einen Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB noch einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Nr. 6 Satz 1 VOB/B; auf diese beiden Anspruchsgrundlagen hat die Klägerin den genannten Zahlungsanspruch auch gestützt.

[X.]                         Safari Chabestari                            Kosziol

            [X.]                                       Jurgeleit

Meta

VII ZR 242/12

02.09.2013

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 7. August 2012, Az: 19 U 185/11

§ 282 ZPO, § 296 ZPO, § 531 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.09.2013, Az. VII ZR 242/12 (REWIS RS 2013, 3111)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3111

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII ZR 242/12 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 289/18 (Bundesgerichtshof)

Zurückweisung verspäteten Vorbringens: Vorliegen grober Nachlässigkeit; verspätete Einzahlung eines Auslagenvorschusses für den Sachverständigen


XII ZR 23/03 (Bundesgerichtshof)


2 AZR 400/19 (Bundesarbeitsgericht)

Zurückweisung von Vorbringen


VI ZR 120/11 (Bundesgerichtshof)

Arzthaftungsprozess: Verstoß gegen das verfassungsmäßige Verbot einer "Überbeschleunigung" bei Zurückweisung verspäteten Verteidigungsvorbringens nach Versäumung der …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.