Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2017, Az. 4 StR 607/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9782

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:080617B4STR607.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 607/16

vom
8. Juni
2017
in der Strafsache
gegen

wegen erpresserischen [X.] u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 8.
Juni 2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 22.
Juli 2016 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefähr-licher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des [X.] befand sich der Angeklagte oder einer der beiden gesondert Verfolgten
E.

Ö.

und
S.

Ö.

(vgl.
[X.]sbeschluss vom heutigen Tag

4
StR
19/17) Anfang Juli 2013 im Besitz von zwölf Kilogramm Marihuana, das noch im Eigentum unbekannt gebliebener Betäubungsmittelhändler stand. Dieses Marihuana kam um den 11.
Juli 2013 1
2
-
3
-
auf nicht genau feststellbare Weise abhanden.
Entweder wurde es durch den Angeklagten oder einen der beiden gesondert Verfolgten
unterschlagen, wobei die Verantwortung für den Verlust des Rauschgifts auf den Nebenkläger [X.] und von ihm eine entsprechende Ersatzmenge erpresst werden sollte (im Urteil wird diese Sachverhaltsvariante als net), oder das Marihuana wurde den Personen um den Angeklagten gestohlen, ohne dass der Nebenkläger hiermit etwas zu tun hatte.
Das [X.] ist zugunsten

des Angeklagten und der gesondert Ver-folgten E.

Ö.

und S.

Ö.

davon ausgegangen, dass das Mari-
huana gestohlen wurde und sie irrtümlich davon ausgingen, der Nebenkläger habe es entwendet
(im Folgenden: [X.]).
Der Angeklagte und die beiden gesondert Verfolgten
kamen überein, den Nebenkläger zu nötigen, die zwölf Kilogramm Marihuana zurückzugeben. [X.] gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger hierzu nicht freiwillig bereit sein würde. Sie fassten daher den Entschluss, ihn durch Einsperren in einem Hinterzimmer der Teestube des S.

Ö.

und durch Bedrohung mit dem
Tod, erforderlichenfalls auch unter Gewaltanwendung, zur Rückgabe des Rauschgifts zu zwingen. Vor dessen Herausgabe sollte der Nebenkläger nicht freigelassen werden. Der Angeklagte handelte dabei, um sich selbst oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern.
Am 16.
Juli 2013 begab sich E.

Ö.

mit dem Nebenkläger in das
Hinterzimmer der Teestube, wo sich [X.] auch der Angeklagte und S.

Ö.

befanden. Hier warf E.

Ö.

dem Nebenkläger vor, dieser
sei am 13.
Juli 2013 bei ihm eingebrochen und habe zwölf Kilogramm Marihua-na gestohlen; außer dem Nebenkläger habe niemand von dem Versteck ge-3
4
5
-
4
-
wusst. E.

Ö.

bedeutete dem
Nebenkläger, er solle dies zugeben, vorher

Die Forderung wurde von den Anwesenden wiederholt,
und es wurde mehrfach damit gedroht, zurufentig

Der [X.] äußerte die Vermutung, dass E.

Ö.

möglicherweise selbst für
das Verschwinden des [X.] verantwortlich sei. Darauf schlug dieser ihm mit der flachen Hand auf
den Mund, wodurch der Nebenkläger eine Platzwunde an der [X.] erlitt.
Danach schlugen der Angeklagte und die beiden gesondert Verfolgten mit den Händen wiederholt auf den Nebenkläger ein.
Schließlich gelang dem Nebenkläger, der zwischenzeitlich von weiteren Personen bedroht, geschlagen und getreten worden war, in einem unbeobach-teten Moment die Flucht.
II.
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen erpresserischen [X.] gemäß §
239a Abs.
1 StGB und wegen versuchter räuberischer Erpres-sung gemäß §§
253, 255, 22, 23 Abs.
1 StGB begegnet durchgreifenden recht-lichen Bedenken.
Soweit das [X.] bezüglich der Tathintergründe keine sicheren Feststellungen getroffen, sondern insofern zwei
unterschiedliche Geschehens-abläufe

zum einen die [X.], zum anderen die Sündenbockvariante

für möglich erachtet, indes seinem Urteil unter Heranziehung des Zweifels-6
7
8
9
10
-
5
-
grundsatzes allein die [X.] zugrunde gelegt hat (UA
7), weist die Beweiswürdigung durchgreifende Lücken auf. Der [X.] kann deshalb nicht überprüfen, ob bei Zugrundelegung der vom [X.] als gleichermaßen möglich erachteten Sündenbockvariante als Tathintergrund eine für den Ange-klagten günstigere Rechtsfolge eingetreten wäre.
1.
a)
Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen [X.] gemäß §
239a Abs.
1 StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis

wie hier

in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des [X.] bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des [X.] die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszu-nutzen. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des [X.] die [X.] in gewissem Umfang stabilisieren und neben den [X.] des §
253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. [X.], Urteil vom 31.
August 2006

3
StR
246/06, [X.], 32
f.; Beschlüsse
vom 4.
Dezember 2007

3
StR
459/07, NStZ-RR
2009, 16
f.; vom 22.
November 1994

GSSt
1/94,
[X.]St 40,
350, 359). Darüber hinaus muss aus der Sicht des [X.] zwischen der Entführungs-
oder [X.] und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangslage abgenötigt werden soll; der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
September 2007

4
StR
334/07, [X.], 109
f.; vom 14.
März 2007

2
StR
576/06, [X.], 354; vom 14.
Mai 1996

4
StR
174/96, [X.], 302
f.).
11
-
6
-
b)
Die
subjektiven Voraussetzungen eines erpresserischen Menschen-raubes, namentlich zum
funktionalen
und zeitlichen
Zusammenhang zwischen der [X.] und der beabsichtigten Erpressung, sind im angefoch-tenen Urteil bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante
nicht beweiswürdi-gend belegt.
Zwar ist das [X.] davon ausgegangen, dass der Angeklagte

nach beiden Sachverhaltsvarianten

die

Marihuana durch den Nebenkläger erstrebte und die Erpressung noch während der [X.] vollendet werden sollte (UA
38
ff.).
Auf welcher [X.] sich das [X.] diese Überzeugung auch bei Zugrunde-legung der Sündenbockvariante verschafft hat, erschließt sich indes aus dem Urteil nicht.
In Anbetracht der Feststellung des [X.], dass der Nebenkläger selbst
nicht mit Drogen
handelte (UA
6),
und des Umstands, dass dem Ange-klagten bewusst war, dass der Nebenkläger

e-sen sein

das Marihuana tatsächlich gar nicht an sich gebracht hatte, versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte die Vorstellung hatte, der [X.] könne noch innerhalb der [X.] die ganz erhebliche Men-ge von zwölf Kilogramm Marihuana bereitstellen. Nach den bisherigen [X.] ist zudem
nichts dafür ersichtlich, dass
der Angeklagte von einer Tätig-keit des [X.] als Drogenhändler oder
anderen Bezugsmöglichkeiten des [X.] in dieser Größenordnung ausging.
Angesichts der vorgenannten Umstände, die eine zeitnahe Bereitstellung des [X.] durch den Nebenkläger als eher fernliegend erscheinen las-sen, hätte es einer tragfähigen Beweiswürdigung bedurft, warum der Angeklag-12
13
14
15
-
7
-
te ausgehend von der Sündenbockvariante
gleichwohl die Herausgabe des [X.] noch während der [X.] erstrebte. Hieran fehlt es.
2.
Die subjektiven Voraussetzungen einer
versuchten
räuberischen
Er-pressung gemäß §§
253, 255, 22, 23 Abs.
1 StGB sind bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante
ebenfalls nicht hinreichend
mit Tatsachen belegt.
a)
Eine räuberische Erpressung nach
§§
253, 255 StGB setzt in [X.] Hinsicht unter anderem einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nö-tigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigen-den Handlung voraus (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Februar 2012

3
StR
385/11, [X.], 173, 175; Beschlüsse
vom 25.
Februar 2014

4
StR
544/13, [X.], 269; vom 21.
März 2006

3
StR
3/06, [X.], 508).
Dement-sprechend muss im Falle des Versuchs der Tatentschluss des [X.] darauf gerichtet sein, einen

ernsthaft und nicht nur zum Schein erstrebten (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Mai 1988

1
StR
148/88, [X.]R StGB §
253 Abs.
1 Bereiche-rungsabsicht
3; Beschluss vom 27.
Juli 2004

3
StR
71/04, [X.], 155
f.; MüKoStGB/[X.], 2.
Aufl., §
253 Rn.
30
f.)

Vorteil durch den Einsatz des [X.] zu erlangen.
b)
Mit den Voraussetzungen eines Tatentschlusses des Angeklagten zur Begehung einer räuberischen Erpressung hat sich die Strafkammer
nicht [X.] gesetzt. Es erschließt sich aus den Urteilsgründen
nicht, was sich der Angeklagte zum finalen Zusammenhang zwischen den eingesetzten [X.] und der erstrebten Vermögensverfügung vorstellte, sofern der Ne-.
So setzt sich das Urteil nicht hinreichend mit der

bei diesem Tathinter-grund

naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass der Angeklagte vom Ne-16
17
18
19
-
8
-

sondern ihm allein daran gelegen war, den Hintermännern einen Schuldigen für das Abhandenkommen der Betäubungsmittel zu präsentieren. Zwar ist das [X.]

wie bereits ausgeführt

davon ausgegangen, dass der Ange-klago-gramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebte (UA
38
ff.); näher begrün-det und beweiswürdigend belegt wird dies jedoch nicht.
Überdies bleibt unklar, ob die Vorstellung des Angeklagten dahin ging, der Nebenkläger werde die ihm abverlangte Handlung noch unter dem Einfluss der
eingesetzten [X.]

und nicht
etwa geraume Zeit später (vgl. [X.], Beschluss vom 25.
April 2017

4
StR 244/16, NJW
2017, 1891, 1893)

vornehmen. Vor dem Hintergrund, dass dem Angeklagten nach der Sünden-bockvariante bekannt war, dass der Nebenkläger gar nicht über das Marihuana verfügte, hätte das [X.] auch diese Annahme nachvollziehbar begrün-den und belegen müssen. Dies ist nicht erfolgt.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Quentin
Feilcke
20
21

Meta

4 StR 607/16

08.06.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2017, Az. 4 StR 607/16 (REWIS RS 2017, 9782)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9782

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Erpresserischer Menschenraub: Erlangen eigenständiger Gewalt über das bereits in der Gewalt von Dritten befindliche Opfer


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