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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen der Höhe des Vorhabens
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines positiven Vorbescheids für die Aufstockung eines bestehenden Rückgebäudes auf ihrem Grundstück ...straße 13, Fl.Nr. ..., Gemarkung ... ....
Das Grundstück der Klägerin ist mit einem fünfgeschossigen grenzständigen Vordergebäude und einem ein- bzw. zweigeschossigen ebenfalls grenzständigen Rückgebäude bebaut. Der zweigeschossige Teil des Rückgebäudes erreicht im Bestand eine Wandhöhe von ca. 8,9 m. An diese zweigeschossige rückwärtige Bebauung schließt sich im Westen ein gleich hohes dreigeschossiges Nachbargebäude ...straße 15a auf der Fl.Nr. ... an. Auf diesem Gebäude befindet sich eine Dachterrasse, die bis zur Grundstücksgrenze mit dem klägerischen Grundstück reicht. Das Nachbargrundstück ...straße 15 ist im rückwärtigen Bereich mit einem weiteren dreigeschossigen Gebäude an der westlichen Grundstücksgrenze bebaut. Im vorderen Bereich ist ein fünfgeschossiges Gebäude situiert, das sich im Osten profilgleich an das klägerische Vordergebäude anschließt.
Sowohl die Süd- als auch die Nordseite der ...straße ist straßenseitig mit einer durchgehenden Gebäudefront bebaut, die eine Höhenentwicklung von bis zu sechs Geschossen aufweist. Im Inneren des Straßengevierts ...straße, ...straße, ...straße und ...straße findet sich eine Bebauung mit bis zu fünf Geschossen in rückwärtigen Grundstücksbereichen. Das östlich benachbarte Grundstück ...straße 9, Fl.Nr. ..., ist im rückwärtigen Bereich mit einem fünfgeschossigen, grenzständigen Gebäude bebaut. Auch auf dem südöstlich liegenden Nachbargrundstück ...straße 30, Fl.Nr. ..., findet sich im rückwärtigen Bereich ein fünfgeschossiges, an beide Grundstücksgrenzen angebautes Gebäude.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht)
Mit dem Vorbescheidsantrag vom 6. Juni 2012 nach Plan-Nr. ... beantragte die Klägerin die Erteilung eines positiven Vorbescheids für die Aufstockung des zweigeschossigen Teils ihres Rückgebäudes um drei Geschosse zur Wohnnutzung. Gegenstand des Vorbescheids ist das Vorhaben in zwei Varianten (Variante A und B).
In der Variante A der Bauvoranfrage ist eine Aufstockung des westlichen zweigeschossigen Gebäudeteils um drei Geschosse abgefragt, wobei das 3. und 4. Obergeschoss als Terrassengeschosse ausgebildet werden sollen. Das 3. Obergeschoss soll um 1,2 m nach Westen zurückspringen und das 4. Obergeschoss ist als ein auf zwei Seiten um 2,1 m bzw. 3 m zurückgesetztes Terrassengeschoss geplant.
In der Variante B soll das entsprechend der Variante A aufgestockte Rückgebäude mit einem 15,93 m hohen, grenzständigen Verbindungsbau mit dem Vordergebäude verbunden werden.
Das aufgestockte Rückgebäude soll in beiden abgefragten Varianten eine Höhe von 16,46 m erreichen.
Mit Bescheid vom 4. März 2013, der den Bevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 6. März 2013 zugestellt wurde, lehnte die Beklagte die positive Beantwortung der Vorbescheidsfragen ab. Unter Darstellung der baurechtlichen Grundlagen, der baulichen Situation auf dem Vorhabengrundstück und den benachbarten Grundstücken, sowie der abgefragten Vorhabenvarianten beantwortete die Beklagte die Vorbescheidsfragen im Wesentlichen wie folgt:
„Frage 1
Ist das Bauvorhaben auf dem Grundstück ...straße 13, Fl.Nr. ... gemäß der beigefügten Pläne für die Variante A und B planungsrechtlich zulässig?
Antwort:
Nein, siehe planungsrechtliche Beurteilung.“
Im Rahmen der planungsrechtlichen Beurteilung des Vorhabens führte die Beklagte aus, dass das Vorhaben in beiden Varianten planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht zulässig sei. Die dargestellte Höhenentwicklung sei zwar bei bestehenden Rückgebäuden innerhalb des Quartiers vorhanden, löse aber auf der Seite des westlichen Nachbargrundstücks (...straße 15) eine einmauernde Wirkung aus, die mit einer Höhe von 7,56 m über die bestehende Kommunbebauung hinausrage und das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber dem Nachbarn verletze. Die Variante B sei hinsichtlich der Aufstockung des Gebäudes mit der Variante A identisch, werde aber um einen Verbindungsbau zwischen dem Vordergebäude und dem Rückgebäude erweitert, der die Lücke zwischen beiden Gebäuden vom ersten bis zum vierten Obergeschoss schließen solle. Dies bedeute eine zusätzliche Grenzbebauung (zur Grenzbebauung der Variante A) mit einer Länge von 7,95 m und einer Höhe von 15,93 m, die die einmauernde Wirkung auf dem westlichen Nachbargrundstück (...straße 15) noch weiter verschärfen würde.
„Frage 2
Kann eine Abweichung wegen der Nichteinhaltung der vollen Abstandsflächen vor der östlichen Gebäudeaußenwand für die Variante A und B in Aussicht gestellt werden?
Antwort:
Da das Bauvorhaben bereits planungsrechtlich nicht zulässig ist, erübrigt sich die Beantwortung der Frage nach bauordnungsrechtlichen Abweichungen und muss daher ebenfalls verneint werden.
Frage 3
Kann für den Fall der Fehlerhaftigkeit der rechtlichen Beurteilung der Abstandsflächen nach Süden durch das VG München eine Abweichung von den Abstandsflächen vor der südlichen Gebäudeaußenwand in Aussicht gestellt werden?
Antwort:
Da das Bauvorhaben bereits planungsrechtlich nicht zulässig ist, erübrigt sich die Beantwortung der Frage nach bauordnungsrechtlichen Abweichungen und muss daher ebenfalls verneint werden.
Frage 4
Kann planrechtlich (Anmerkung des Verfassers: richtig ist wohl „planungsrechtlich“) an die westliche Grundstücksgrenze gebaut werden? Falls nein, kann eine Abweichung von den Abstandsflächen vor der westlichen Gebäudeaußenwand für die Variante A und B in Aussicht gestellt werden?
Antwort:
Variante A und B, nein. Eine Abweichung für die Varianten A und B kann nicht in Aussicht gestellt werden.
Frage 5
Kann eine Abweichung wegen der Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen zwischen Vordergebäude und Rückgebäude für die Variante A in Aussicht gestellt werden?
Antwort:
Da das Bauvorhaben bereits planungsrechtlich nicht zulässig ist, erübrigt sich die Beantwortung der Frage nach bauordnungsrechtlichen Abweichungen und muss daher ebenfalls verneint werden.“
Mit Schriftsatz vom 8. April 2013, beim Gericht am selben Tag eingegangen, erhoben die Bevollmächtigten der Klägerin Klage gegen den negativen Vorbescheid der Beklagten vom 4. März 2013 und beantragten,
I.
Der Vorbescheid der Beklagten vom 4. März 2013 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin einen positiven Vorbescheid für die Aufstockung des Rückgebäudes um 3 Geschosse (Wohnnutzung) auf dem Grundstück ...straße 13, Fl.Nr. ..., Gemarkung ... ..., in der Variante B, hilfsweise in der Variante A mit der Maßgabe zu erteilen, dass das Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist.
Mit Schreiben vom 25. November 2013 stellte die Beklagte den Antrag:
Die Klage wird abgewiesen.
Zur Begründung verwies sie zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Vorbescheids.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2013 begründeten die Bevollmächtigten der Klägerin die Klage im Wesentlichen wie folgt:
Die vorhandenen Gebäude und Anbauten an die Vordergebäude hätten eine Höhenentwicklung bis zu fünf Vollgeschosse, die überwiegende Anzahl sei an zwei seitliche Nachbargrenzen, in einigen Fällen sogar an drei Nachbargrenzen angebaut. Die vollen Abstandsflächen der Rückgebäude würden zu den Nachbargrundstücken nicht eingehalten. Halben Abstandsflächen käme eine prägende Wirkung innerhalb des Quartiers zu. Diese Kombination grundlegender Charakteristika lasse sich bereits seit der Entstehungszeit des Quartiers erkennen und habe sich im Laufe der Zeit weiter herausgebildet und gefestigt. Eine bis zu sechsgeschossige Grenzbebauung im Bereich der Höfe sei im streitgegenständlichen Quartier möglich. Es müsse auch eine Verschlechterung der Sonneneinwirkung hingenommen werden. Die Sonneneinwirkung sei auf dem Vorhabengrundstück zwar bis ca. 11:00 Uhr leicht erhöht, danach trete aber für ca. 2 Stunden eine intensive Verschattung der Innenhoffassade des klägerischen Rückgebäudes ein. Das streitgegenständliche Bauvorhaben sei ebenso zulässig, wie das Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück ...straße 11, für das die Beklagte einen positiven Bauvorbescheid und eine entsprechende Baugenehmigung erteilt habe. Entsprechend dem Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück werde eine halbe Abstandsfläche nach Osten hin auf dem Baugrundstück nachgewiesen. Eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsfläche vor der südlichen Außenwand sei schon nicht erforderlich, da hier eine Grenzbebauung zulässig sei. Auch hinsichtlich der Situierung des streitgegenständlichen Vorhabens, sowie hinsichtlich der Art und des geplanten Maßes der baulichen Nutzung entspreche es dem Nachbarbauvorhaben ...straße 11 und sei entsprechend diesem zu beurteilen. Das Nachbarbauvorhaben füge sich nach den Ausführungen der Beklagten in der Baugenehmigung vom 21. Juni 2006 nach Art und Maß der Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein und sei nach § 34 BauGB zulässig.
Durch den Anbau an die westliche Grundstücksgrenze entstehe keine wesentliche Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation auf dem Nachbargrundstück ...straße 15-15 b. Mit der Baugenehmigung und dem Bauvorbescheid für das Bauvorhaben ...straße 11 müsse auch die Klägerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks eine Verschlechterung der Ist-Situation um einige Sonnenstunden hinnehmen. Die Belichtung und Belüftung des Gebäudes ...straße 15 b erfolge ausschließlich von Süden und Norden. An der Ostseite des Gebäudes 15 b befänden sich keinerlei Fenster oder Öffnungen zur Belichtung oder Belüftung, die durch den Neubau beeinträchtigt werden könnten.
Die Belichtung und Belüftung des Gebäudes ...straße 15 a könne ausreichend von Norden und Süden sichergestellt werden. Die Fenster der Westseite des Gebäudes 15 a würden durch den Baukörper bereits selbst verschattet. Die Dachterrassen stellten im baurechtlichen Sinne keine Aufenthaltsräume dar. An der westlichen Grundstücksgrenze des Vordergebäudes der ...straße 15 sei eine Hofdurchfahrt mit ca. 3,5 m Breite und ca. 3,3 m Höhe positioniert. Dieser Bereich sei von einer Verschattung durch den Neubau am stärksten betroffen. Hierdurch minimiere sich eine mögliche Beeinträchtigung von Aufenthaltsräumen erheblich. Für die Beurteilung des streitgegenständlichen Vorhabens hinsichtlich des Nachbargrundstücks ...straße 15 müsse derselbe Maßstab herangezogen werden, welcher der Beurteilung des Vorhabens auf dem Grundstück ...straße 11 zugrunde gelegen sei. Auch das Ermessen müsse in gleicher Weise ausgeübt werden.
Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2014 erwiderte die Beklagte und führte aus, dass das streitgegenständliche Vorhaben in beiden Varianten planungsrechtlich unzulässig sei. Es liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor. Anders als beim geplanten Vorhaben auf dem Anwesen ...straße 11 befinde sich auf dem Anwesen ...straße 13 keine fünfgeschossige Grenzbebauung an der seitlichen Grundstücksgrenze. Die Situation zum westlichen Nachbar (...straße 15) sei daher nicht vergleichbar. Insofern könne sich eine andere Beurteilung ergeben. Das Vorhaben stelle sich als rücksichtslos dar, da ihm im Hinblick auf die Höhenentwicklung gegenüber dem benachbarten Anwesen ...straße 15 erdrückende bzw. einmauernde Wirkung zukomme. Das geplante Vorhaben sei deutlich höher als die rückwärtige Bebauung auf dem benachbarten Anwesen ...straße 15. So solle unmittelbar an der Grundstücksgrenze ein Vorhaben verwirklicht werden, das 7,56 m höher sei und die bisherige Bebauung um zwei bzw. drei Geschosse überrage. Dies gelte für beide Varianten. Weiterhin solle dies entlang der gesamten Grundstücksgrenze (Variante B) bzw. entlang des bereits bebauten Teils der Grundstücksgrenze (Variante A) geschehen. Dadurch entstehe im Übrigen auch eine einmauernde Wirkung. Hinzuweisen sei diesbezüglich auch auf eine aktuelle Entscheidung der erkennenden Kammer, die bereits bei einem Höhenunterschied von 6,35 m eine erdrückende Wirkung als gegeben angesehen habe (Beschluss vom 10.12.2013, Az.: M 8 SN 13.5483).
Die vorgetragenen Argumente zur Belichtung und Verschattung seien nicht relevant, da dies einen anderen als den streitgegenständlichen Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme betreffe.
Das Gericht hat am 20. Januar 2014 Beweis durch Einnahme eines Augenscheines auf dem streitgegenständlichen Grundstück und in dessen Umgebung erhoben. Anschließend wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt. In der mündlichen Verhandlung verzichteten die Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung und erklärten sich mit dem Übergang in das schriftliche Verfahren einverstanden. Daraufhin wurde der Rechtsstreit durch Beschluss in das schriftliche Verfahren übergeleitet.
Mit Schreiben vom 3. September 2015 teilten die Bevollmächtigten der Klägerin dem Gericht mit, dass eine einvernehmliche Lösung nicht zustande gekommen sei, weshalb um eine Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren gebeten werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts-, die vorgelegten Behördenakten sowie das ausführliche schriftliche Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.
I.
Das Gericht konnte über die Klage ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2014 zum Übergang in das schriftliche Verfahren ihr Einverständnis erteilt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
II.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Klägerin kein Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids für die Aufstockung des Rückgebäudes zusteht, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Das beantragte Bauvorhaben ist in beiden abgefragten Varianten planungsrechtlich unzulässig, da es gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich im Hinblick auf das übergeleitete Bauliniengefüge entlang der ...straße nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Im Begriff des „Sicheinfügens“ eines Vorhabens in die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist auch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal enthalten (BVerwG, U.v. 11.1.1999 - 4 B 128/98, NVwZ 1999, 879 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2326 - juris Rn. 10 m. w. N.).
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründen, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung auch dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U. v. 13.3.1981 - 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 - juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 - 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 - juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B. v. 10.12.2008 - 1 CS 08.2770, BayVBl. 2009, 751 - juris Rn. 23; B. v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u. a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Eine „erdrückende Wirkung kommt dann in Betracht, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d. h. dort ein gefühltes „Eingemauertsein“ oder eine „Gefängnishofsituation“ hervorruft (vgl. BayVGH, U.v. 11.04.2011 - 9 N 10.1373 - juris Rn. 56).
2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist zu der Beantwortung der Einzelfragen im Bescheid von 4. März 2013 Folgendes festzustellen:
2.1 Frage 1
Das geplante Vorhaben ist in beiden abgefragten Varianten planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB unzulässig, da es gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Von dem Vorhaben geht gegenüber dem Nachbaranwesen ...straße 15-15 b eine „einmauernde“ bzw. „abriegelnde“ Wirkung aus. Mit der Verwirklichung der geplanten Aufstockung erreicht das klägerische Rückgebäude eine Höhe von insgesamt 16,46 m an der westlichen Grundstücksgrenze. Damit würde das Rückgebäude der Klägerin das Nachbargebäude ...straße 15 a um ca. 7,56 m überragen, was eine Höhendifferenz von nahezu 3 Geschossen bedeutet.
Bei Verwirklichung des Vorhabens in der Variante B wird an der Grenze zu dem Nachbargrundstück ...straße 15 zusätzlich ein 15,93 m hoher Verbindungsbau errichtet, so dass auf einer Länge von ca. 8 m entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine zusätzliche, 15,93 m hohe Mauer entstehen würde.
Mit der Höhenentwicklung von 16,46 m wirkt das Rückgebäude der Klägerin fast doppelt so hoch, wie das Nachbargebäude ...straße 15 a. Im Hinblick auf die ohnehin schon sehr beengten baulichen Verhältnisse im Quartierinneren wird die bestehende Situation auf dem westlich angrenzenden Nachbargrundstück noch deutlich verschlechtert, da der westliche Nachbar sich einer 7,56 m hohen und ca. 17 m breiten Wand unmittelbar an der östlichen Grundstücksgrenze gegenüber sehen würde. Das im Vergleich zu dem Nachbargebäude ...straße 15 a fast doppelt so hohe Vorhabengebäude würde das Anwesen ...straße 15-15 b derart „abriegeln“ und „einmauern“, dass dort der Eindruck einer „Gefängnishofsituation“ entstehen würde.
Durch die Verwirklichung des Vorhabens in der Variante B wird diese bereits durch die Variante A ausgelöste „einmauernde“ und „abriegelnde“ Wirkung des Vorhabens auf das westliche Nachbargrundstück noch erheblich verschärft, da bei dieser Vorhabenvariante zusätzlich eine fünfgeschossig wirkende Mauer an der östlichen Grundstücksgrenze entstehen würde. Das nur knapp 15 m breite Nachbargrundstück Fl.Nr. ... wird an seiner Ostseite mit über 15 m hohen Mauern auf der gesamten Länge der östlichen Grundstücksgrenze vollständig abgeriegelt.
Diese nachteiligen Einwirkungen des streitgegenständlichen Vorhabens auf das Nachbaranwesen ...straße 15, können dem Eigentümer des Nachbargrundstücks nicht mehr zugemutet werden, weshalb das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
Im Hinblick darauf kann vorliegend offen bleiben, ob das geplante Vorhaben sich nach den übrigen Kriterien des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, da die geplante Höhenentwicklung im Inneren des Quartiers ...straße, ...straße, ...straße und ...straße durchaus vorzufinden ist.
Im Übrigen ist anzumerken, dass sich die hier gegebene bauliche Situation von der Situation auf dem östlichen Nachbargrundstück ...straße 11 wesentlich unterscheidet, weshalb das streitgegenständliche Vorhaben einer anderen rechtlichen Beurteilung unterliegt. Während das auf dem östlichen Nachbargrundstück genehmigte Gebäude sich an die fünfgeschossige rückwärtige Bebauung des Nachbargrundstücks ...straße 9 anschließt, so dass zwischen diesen Gebäuden keine wesentliche Höhendifferenz bestehet, überragt das streitgegenständliche Vorhabengebäude das westliche Nachbargebäude um nahezu 3 Geschosse und wirkt deshalb doppelt so hoch. Damit entsteht auf dem westlichen Nachbargrundstück ...straße 15 eine erstmalige Belastung, die in dem klägerseits geschilderten Vergleichsfall nicht gegeben war.
Auch die Einwirkung des östlichen Nachbargebäudes (...straße 11) auf das klägerische Grundstück ist mit der des Vorhabengebäudes auf das westliche Nachbargrundstück (...straße 15) nicht vergleichbar. Das genehmigte Nachbargebäude ...straße 11 ist an der westlichen Grundstücksgrenze in einem Abstand von ca. 7 m zu der klägerischen Grundstücksgrenze situiert. Dagegen soll das streitgegenständliche Vorhabengebäude unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit der Fl.Nr. ... errichtet werden.
2.2 Frage 2
Da das Bauvorhaben in beiden abgefragten Varianten gegen das Bauplanungsrecht verstößt (vgl. Frage 1 unter 2.1), kommt eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen vor der östlichen Außenwand nach Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht in Betracht.
2.3 Frage 3
Grundsätzlich wäre nach der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 11.11.2015 - 2 CS 15.1251 - juris) für das von der südlichen Grundstücksgrenze zurückversetzte Terrassengeschoss - auch im Falle einer planungsrechtlich zulässigen Grenzbebauung - eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsfläche erforderlich, die mangels einer nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erforderlichen atypischen grundstücksbezogenen Situation vorliegend wohl ohnehin nicht in Betracht käme (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2015 - 2 CS 15.1251 - juris Rn. 9).
Darauf kommt es jedoch vorliegend nicht entscheidend an, da eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsfläche vor der südlichen Außenwand schon wegen fehlender planungsrechtlicher Zulässigkeit des Bauvorhabens zu verneinen ist (vgl. Ziffer 2.1).
2.4 Frage 4
Es ist bereits fraglich, ob die Frage 4 den erforderlichen Vorhabenbezug aufweist (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 14.2.2008 - 15 B 06.3463 - juris).
Mit dieser Frage wird planungsrechtliche Zulässigkeit eines westlichen Grenzanbaus abgefragt. Damit ist die Frage 4 - jedenfalls in ihrem ersten Satz - ausschließlich auf die Ausforschung der geltenden Rechtslage ohne Bezug zu einem konkreten Bauvorhaben gerichtet.
Bezogen auf das im Vorbescheidsverfahren abgefragte Vorhaben ist ein Grenzanbau planungsrechtlich unzulässig, da ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vorliegt.
Aus demselben Grund kann auch keine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO in Aussicht gestellt werden.
2.5. Frage 5
Für ein planungsrechtlich unzulässiges Bauvorhaben kommt keine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO in Betracht (vgl. Ziffer 2.1).
3. Die Klage war mit Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht
Meta
29.02.2016
Urteil
Sachgebiet: K
Zitiervorschlag: VG München, Urteil vom 29.02.2016, Az. M 8 K 13.1449 (REWIS RS 2016, 15373)
Papierfundstellen: REWIS RS 2016, 15373
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung wegen Abweichung von erforderlichen Abstandsflächen
Zum Prüfumfang im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren
Weitgehend unbegründeter Antrag auf Eilrechtsschutz
Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch erdrückende Wirkung
Klage gegen Vorbescheid zur Aufstockung eines Rück- und Seitengebäudes für Büronutzung
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