Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.06.2012, Az. V ZR 240/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5574

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Grundstückskauf in der ehemaligen DDR: Wiederaufleben des Übereignungsanspruchs des Käufers nach Wegfall des Versagungstatbestandes fehlender Genehmigungsfähigkeit im wiedervereinigten Deutschland


Leitsatz

Ist der Verkäufer eines in der DDR belegenen Grundstücks von seiner Eigentumsverschaffungspflicht frei geworden, weil die Auflassung nach der Grundstücksverkehrsordnung nicht genehmigungsfähig war, kann der Käufer die Übereignung des Grundstücks nach dem Wegfall des Versagungstatbestandes auch dann nicht verlangen, wenn dieses mangels bekannter Erben des Verkäufers gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG in den Entschädigungsfonds des Bundes abzuführen ist (Fortführung von Senat, Urteil vom 25. März 1994, V ZR 171/92, WM 1994, 1250 und Urteil vom 3. Juli 1998, V ZR 268/97, VIZ 1998, 581).

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 21. September 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin von [X.]          . Sie behauptet, dieser habe durch notariellen Vertrag vom 13. Juli 1940 für 22.000 [X.] in [X.] belegene Grundstücke von dem Eigentümer gekauft. Zu einer Umschreibung des Eigentums an den Grundstücken ist es nicht gekommen. Der Eigentümer ist 1945 gestorben; seine Erben sind unbekannt.

2

Bis Juli 1952 nutzte der im Westteil [X.] wohnende [X.]      die Grundstücke zu Erholungszwecken. Danach wurden sie durch den Rat der Gemeinde B.      verwaltet und die Mieteinnahmen auf ein für [X.] eingerichtetes Sperrkonto eingezahlt. 1982 gewährte das [X.] ihm wegen der „Wegnahme“ der Grundstücke eine Entschädigung nach dem [X.].

3

Der Beklagte ist nach § 11b [X.] zum gesetzlichen Vertreter des Eigentümers der Grundstücke bestellt worden. Die Klägerin verlangt von ihm, die Grundstücke an sie aufzulassen und ihre Eintragung in das Grundbuch zu bewilligen, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung des in [X.] umgerechneten Kaufpreises von 22.000 [X.].

4

Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgeri[X.]ht meint, au[X.]h wenn davon ausgegangen werde, dass die Grundstü[X.]ke 1940 an den Re[X.]htsvorgänger der Klägerin verkauft worden seien, könne die Klägerin die Übertragung des Eigentums ni[X.]ht verlangen. Die unbekannten Erben des Verkäufers seien von der Übereignungsverpfli[X.]htung gemäß § 275 BGB aF frei geworden, weil die Leistung mit dem Inkrafttreten der Grundstü[X.]ksverkehrsverordnung der [X.] im Jahr 1963 unmögli[X.]h geworden sei. Die dana[X.]h erforderli[X.]he Genehmigung der Auflassung wäre im Hinbli[X.]k auf den Wohnsitz von [X.]         im Westteil [X.] ni[X.]ht zu erlangen gewesen. Bei der [X.] von der Leistungspfli[X.]ht bleibe es au[X.]h na[X.]h dem Wegfall des [X.]. Dass die Erben des Verkäufers unbekannt seien und das Grundstü[X.]k na[X.]h erfolglosem Abs[X.]hluss des [X.]s na[X.]h dem Ents[X.]hädigungsgesetz an die [X.] falle, führe - au[X.]h unter dem Gesi[X.]htspunkt Wiedergutma[X.]hung von [X.] - zu keiner anderen Beurteilung.

II.

6

Diese Ausführungen halten revisionsre[X.]htli[X.]her Na[X.]hprüfung stand.

7

1. Das Berufungsgeri[X.]ht geht zutreffend von der Re[X.]htspre[X.]hung des Senats aus, na[X.]h der ein Veräußerer von seiner Eigentumsvers[X.]haffungspfli[X.]ht gemäß der damals in der [X.] no[X.]h geltenden Bestimmung des § 275 BGB aF freigeworden ist, wenn aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung über den Verkehr mit Grundstü[X.]ken vom 11. Januar 1963 (GBl [X.] II, [X.]; na[X.]hfolgend: [X.] aF) mit der Auflassung des verkauften Grundstü[X.]ks auf absehbare Zeit ni[X.]ht mehr zu re[X.]hnen war (Urteil vom 25. März 1994 - [X.], [X.], 1250; Urteil vom 3. Juli 1998 - [X.], [X.] 1998, 581, 582; ebenso [X.], Urteil vom 16. März 2005 - [X.], [X.], 1232, 1233).

8

So liegt es hier. Na[X.]h § 2 der Verordnung in der damals geltenden Fassung bedurfte die - no[X.]h ausstehende - Auflassung der Grundstü[X.]ke, die der Re[X.]htsvorgänger der Klägerin 1940 gekauft haben soll, einer behördli[X.]hen Genehmigung; denn diese Bestimmung fand au[X.]h auf Re[X.]htsvorgänge Anwendung, die bis zu dem Inkrafttreten der Verordnung no[X.]h ni[X.]ht ents[X.]hieden waren (§ 20 [X.] aF). Eine Genehmigung war jedo[X.]h wegen der zwingenden Versagungsgründe na[X.]h § 5 Abs. 2 Bu[X.]hst. [X.] und f [X.] aF ni[X.]ht zu erlangen, weil [X.]          als Einwohner West-[X.] „die ordnungsgemäße Verwaltung und volkswirts[X.]haftli[X.]h erforderli[X.]he Nutzung des Grundstü[X.]ks ni[X.]ht gewährleistet“ hätte und dur[X.]h den Erwerb daher „gesells[X.]haftli[X.]he Interessen“ verletzt worden wären. Damit war den Erben des 1945 verstorbenen Verkäufers die Erfüllung ihrer Pfli[X.]ht zur Eigentumsvers[X.]haffung aus einem Umstand, den keine Vertragspartei zu vertreten hatte, na[X.]hträgli[X.]h unmögli[X.]h geworden. Dass die Erben si[X.]h zuvor in Verzug befunden hätten und daher gemäß § 287 Satz 2 BGB au[X.]h für eine dur[X.]h Zufall eintretende Unmögli[X.]hkeit der Leistung verantwortli[X.]h gewesen wären, zeigt die Revision ni[X.]ht auf.

9

2. a) Die vertragli[X.]he Verpfli[X.]htung der Erben ist mit dem Wegfall des [X.] im Zuge der Wiedervereinigung Deuts[X.]hlands ni[X.]ht wieder aufgelebt. Ist der S[X.]huldner gemäß § 275 BGB aF von seiner Leistungspfli[X.]ht frei geworden, bleibt es hierbei au[X.]h dann, wenn die Leistung infolge einer unerwarteten Entwi[X.]klung wieder mögli[X.]h wird. Denn die Frage, ob ein Leistungshindernis zu einer dauernden Unmögli[X.]hkeit führt, ist na[X.]h dem Zeitpunkt des Eintritts des Hindernisses zu beurteilen ([X.], Urteil vom 11. März 1982 - [X.], [X.]Z 83, 197, 200; [X.], Urteil vom 16. März 2005 - [X.], [X.], 1232, 1233). Der Annahme, es liege ein der dauernden Unmögli[X.]hkeit glei[X.]hzustellendes Leistungshindernis vor, liegt die Wertung zugrunde, dass es den Vertragsparteien ni[X.]ht zumutbar ist, bis zu dem - ni[X.]ht absehbaren - Wegfall des Hindernisses an das Re[X.]htsges[X.]häft gebunden zu bleiben. Bei den daraus folgenden Konsequenzen - der [X.] von den Leistungspfli[X.]hten - muss es im Interesse der Dispositionsfreiheit der Beteiligten grundsätzli[X.]h au[X.]h dann bleiben, wenn das Leistungshindernis überras[X.]hend wegfällt (vgl. Mün[X.]hKomm-BGB/Emmeri[X.]h, 4. Aufl., Band 2, § 275 (aF) Rn. 41).

b) In Ausnahmefällen kann der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zwar die Verpfli[X.]htung der Vertragspartner zu einem Neuabs[X.]hluss des Re[X.]htsges[X.]häfts begründen (vgl. [X.], 321, 331 f.). Das Berufungsgeri[X.]ht nimmt aber ohne Re[X.]htsfehler an, dass der Klägerin ein sol[X.]her Anspru[X.]h ni[X.]ht zusteht. Ein Anspru[X.]h auf Neuabs[X.]hluss des Re[X.]htsges[X.]häfts kommt nur in Betra[X.]ht, wenn das Leistungshindernis zu einem Zeitpunkt entfallen ist, zu dem si[X.]h die wirts[X.]haftli[X.]hen Rahmenbedingungen ni[X.]ht maßgebli[X.]h verändert haben, und wenn es beiden Vertragspartnern au[X.]h im Übrigen zuzumuten ist, zu ihrer ursprüngli[X.]hen Disposition über den Kaufgegenstand zurü[X.]kzukehren. Diese Voraussetzungen sind hier s[X.]hon deshalb ni[X.]ht gegeben, weil si[X.]h die wirts[X.]haftli[X.]hen Verhältnisse und damit au[X.]h die Grundstü[X.]kspreise von dem Erlass der Grundstü[X.]ksverkehrsverordnung im Jahr 1963 bis zu der Aufhebung der hier maßgebli[X.]hen Versagungstatbestände dur[X.]h den [X.] grundlegend verändert haben.

3. Entgegen der Auffassung der Revision ist es dem Beklagten au[X.]h ni[X.]ht unter dem Gesi[X.]htspunkt der Wiedergutma[X.]hung von [X.] verwehrt, si[X.]h auf das Erlös[X.]hen der Leistungspfli[X.]ht des Verkäufers zu berufen. Dabei kann zugunsten der Revision unterstellt werden, dass die - entgegen der Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts - nur einjährige Aufgebotsfrist des § 15 Abs. 3 Satz 1 GBBerG (i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 Ents[X.]hG) bereits abgelaufen und das Grundstü[X.]k daher an den Ents[X.]hädigungsfonds (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Ents[X.]hG) abzuführen ist.

Na[X.]h der im [X.] enthaltenen Regelung des Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für die S[X.]huldverhältnisse, die vor dem 3. Oktober 1990 entstanden sind, das bisherige Re[X.]ht des [X.] maßgebend. Das gilt au[X.]h für Fragen der Genehmigungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Re[X.]htsges[X.]häften (Senat, Urteil vom 25. März 1994 - [X.], [X.], 1250, 1251). Verfassungsre[X.]htli[X.]h ist dies unbedenkli[X.]h. Der Bundesgesetzgeber war im Rahmen der S[X.]haffung der Voraussetzungen für den Beitritt na[X.]h Art. 23 Satz 2 GG befugt, an die in der [X.] bestehenden tatsä[X.]hli[X.]hen und re[X.]htli[X.]hen Verhältnissen anzuknüpfen (vgl. [X.], [X.] 1992, 382, 384; Senat, Urteil vom 4. März 1994 - [X.], [X.], 1263, 1264). Das gilt au[X.]h, soweit Re[X.]htvors[X.]hriften der [X.] zu einem Re[X.]htsverlust geführt haben, der unter der Geltung bundesdeuts[X.]hen Re[X.]hts ni[X.]ht eingetreten wäre. Ob und inwieweit hierfür eine Wiedergutma[X.]hung gewährt wird, bestimmt si[X.]h allein na[X.]h dem zur Bereinigung von [X.]-Unre[X.]ht ges[X.]haffenen Sonderre[X.]ht (vgl. Senat, Urteil vom 7. März 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1045 Rn. 8). Sieht dieses - wie für Re[X.]htsverluste aufgrund von § 5 Abs. 2 Bu[X.]hst. [X.] und f [X.] - keinen Ausglei[X.]h vor, sind die Geri[X.]hte ni[X.]ht berufen, einen sol[X.]hen dur[X.]h Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben oder im Rahmen der Ausfüllung anderer allgemeiner Re[X.]htsbegriffe zu s[X.]haffen.

Etwas anderes gilt hier ni[X.]ht deshalb, weil das Grundstü[X.]k, auf den si[X.]h der Übereignungsanspru[X.]h des Re[X.]htsvorgängers der Klägerin bezog, an den Ents[X.]hädigungsfonds abzuführen sein dürfte und deshalb ohne Na[X.]hteil für einen Dritten auf die Klägerin übertragen werden könnte. Andernfalls ergäbe si[X.]h nämli[X.]h eine zufällige und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende unglei[X.]he Behandlung im Übrigen glei[X.]hgelagerter Sa[X.]hverhalte. Während Käufer von Grundstü[X.]ken, deren Eigentümer im [X.] ni[X.]ht zu ermitteln sind, das Eigentum erwerben könnten, bliebe es für alle übrigen von den genannten [X.] der [X.] betroffenen Käufer bei dem Erlös[X.]hen ihres Übereignungsanspru[X.]hs. Zu einer sol[X.]hen, dem Gesetzgeber verbotenen Unglei[X.]hbehandlung (vgl. [X.]E 102, 254, 299) darf au[X.]h die Re[X.]htsanwendung dur[X.]h die Geri[X.]hte ni[X.]ht führen.

4. S[X.]hließli[X.]h kann die Klägerin ni[X.]hts daraus herleiten, dass das [X.] und offene Vermögensfragen sie über die Einleitung des [X.]s na[X.]h § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Ents[X.]hG i.V.m. § 15 GBBerG informiert und ihr Gelegenheit gegeben hat, etwaige erbre[X.]htli[X.]he Ansprü[X.]he anzumelden. Die Aufforderung erwe[X.]kt in keiner Weise den Ans[X.]hein, dass das Grundstü[X.]k na[X.]h Ablauf der Aufgebotsfrist an die Klägerin fallen wird, und bietet deshalb keinen Anknüpfungspunkt für den von der Revision erhobenen Vorwurf widersprü[X.]hli[X.]hen Verhaltens.

III.

Die Kostenents[X.]heidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                          Lemke                          S[X.]hmidt-Ränts[X.]h

               Brü[X.]kner                        Weinland

Meta

V ZR 240/11

15.06.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 21. September 2011, Az: 4 U 195/10

§ 275 aF BGB, § 2 GrdstVV vom 11.01.1963, § 5 Abs 2 GrdstVV vom 11.01.1963, § 10 Abs 1 Nr 7 EntschG, § 15 GBBerG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.06.2012, Az. V ZR 240/11 (REWIS RS 2012, 5574)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5574

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZR 240/11 (Bundesgerichtshof)


1 BvL 8/07 (Bundesverfassungsgericht)

Möglichkeit, nicht auffindbare Miterben ehemals staatlich verwalteter Vermögenswerte mit ihren Rechten gem § 10 Abs …


5 C 22/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Entschädigungsrecht; Ausschluss von Rechten nicht auffindbarer Miterben


9 B 31/20 (Bundesverwaltungsgericht)


V ZR 353/99 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

V ZR 240/11

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.