Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2014, Az. 4 StR 562/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 7156

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Gegenstand

Schwerer sexueller Kindesmissbrauch: "Eigenhändiger" Körperkontakt zum Kind


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Februar 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im Fall der Urteilsgründe;

b) in den Fällen I[X.]2 zu 1 und I[X.]2 zu 2 der Urteilsgründe; insofern bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch aufrechterhalten;

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;

d) im Ausspruch über die Einziehung - auch soweit es die Mitangeklagte [X.]    betrifft - der bei den Angeklagten sichergestellten Laptops mit Ladekabeln, der bei den Angeklagten sichergestellten Kameras und der bei dem Angeklagten sichergestellten Mappe mit [X.] und DVDs.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache

a) im Fall I[X.]1 der Urteilsgründe an das Amtsgericht - Strafrichter - [X.] zurückgegeben,

b) in den Fällen I[X.]2 zu 1 und I[X.]2 zu 2 der Urteilsgründe sowie hinsichtlich der Gesamtstrafe und der Einziehung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittel - an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten und die nicht revidierende Mitangeklagte [X.]wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es unter anderem die Einziehung der „bei den Angeklagten sichergestellten Laptops mit zugehörigen Ladekabeln, der bei den Angeklagten sichergestellten Kameras" und der bei dem Angeklagten S.    sichergestellten Mappe mit [X.] und DVDs angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] für die Entscheidung sachlich nicht zuständig war.

3

Das [X.] hat mit Beschluss vom 29. August 2012 das beim Amtsgericht - Strafrichter - [X.] rechtshängige Verfahren gegen den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften übernommen und zu dem bei ihm bereits rechtshängigen Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und anderem hinzuverbunden. Dieser Beschluss ist unwirksam, weil die Verbindung neben der örtlichen auch die sachliche Zuständigkeit betraf und deshalb nur durch das [X.] als dem gemeinschaftlichen oberen Gericht (§ 4 Abs. 2 StPO) angeordnet werden konnte (vgl. [X.], Beschluss vom 25. April 2013 - 2 [X.], [X.], 321; Urteil vom 23. März 2006 - 3 [X.], Rn. 2; Urteil vom 30. August 1968 - 4 StR 335/68, [X.]St 22, 232, 234 f.). Da die Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit vom Revisionsgericht nach § 6 StPO von Amts wegen zu beachten ist und eine Nachholung der Verbindungsentscheidung durch den Senat nicht erfolgen konnte (vgl. [X.], Beschluss vom 8. August 2001 - 2 StR 285/01, [X.], 257, bei [X.]), war das Verfahren wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften in entsprechender Anwendung des § 355 StPO an das Amtsgericht [X.] zurückzugeben (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Mai 2000 - 4 StR 105/00, Rn. 6).

4

2. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in den Fällen II.2 zu 1 und II.2 zu 2 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

a) Nach den Feststellungen führte die Mitangeklagte [X.]am 9. Dezember 2011 gegen 10.00 Uhr in einem Zeitraum von 20 Minuten „gemäß einem gemeinsamen Tatplan auf Initiative des Angeklagten" zwei verschieden große Vibratoren abwechselnd mehrfach über teils kürzere, teils längere Zeiträume in den [X.] und die Vagina ihrer zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alten Tochter         ein. Das Geschehen wurde von dem Angeklagten zur eigenen sexuellen Befriedigung mit seiner Digitalkamera gefilmt. Zwischenzeitlich forderte er die Mitangeklagte [X.]auf, das Gleitgel zu erneuern. Kurz bevor der Angeklagte die Videoaufzeichnung abbrach, äußerte er gegenüber der Mitangeklagten [X.], „es sei ja auch am Abend noch Zeit" (Fall II.2 zu 1 der Urteilsgründe). Gegen Abend desselben Tages wiederholte sich dieses Geschehen in einem in etwa entsprechenden Zeitraum, wobei der Angeklagte hiervon nunmehr Fotos fertigte (Fall II.2 zu 2 der Urteilsgründe).

6

b) Diese Feststellungen belegen nicht, dass sich der Angeklagte jeweils eines schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat.

7

Der Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist hinsichtlich der Beschreibung der sexuellen Handlung § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.) und stellt eine Qualifikation gegenüber § 176 Abs. 1 und 2 StGB dar. Als Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB kann daher nur bestraft werden, wer entweder selbst („eigenhändig") entsprechend § 176 Abs. 1 StGB Körperkontakt zu dem Kind aufnimmt ([X.], Beschluss vom 26. August 1998 - 2 [X.], [X.], 321, 322, bei [X.]; Urteil vom 7. September 1995 - 1 [X.], [X.]St 41, 242, 243) und dabei mit ihm den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind ([X.] in: [X.], 12. Aufl., § 176a Rn. 45; vgl. [X.], Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 468/11, [X.], 45; Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR 3/99, [X.]R StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Mittäter 1, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) oder wer entsprechend § 176 Abs. 2 StGB das Kind dazu bestimmt, eine der genannten Handlungen an einem [X.] vorzunehmen oder von diesem an sich vornehmen zu lassen (vgl. [X.], Urteil vom 30. September 2004 - 4 [X.], [X.], 152, 153; [X.] in: [X.], 12. Aufl., § 176a Rn. 46). Nach den Feststellungen hat nur die Mitangeklagte [X.]an dem Tatopfer eine mit dem Eindringen in dessen Körper verbundene sexuelle Handlung (Einführen der Vibratoren) vorgenommen. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingewirkt hat, damit sie die Missbrauchshandlungen der Mitangeklagten [X.]an sich vornehmen lässt, kann den Feststellungen ebenfalls nicht entnommen werden.

8

c) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich. Dabei wird der neue Tatrichter auch zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte einer Anstiftung oder einer Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1, §§ 26, 27 StGB schuldig gemacht hat.

9

3. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.1 und II.2 zu 1 und 2 zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

4. Die ohne jede nähere Erläuterung aus § 74 StGB hergeleitete Entscheidung über die Einziehung der bei „den Angeklagten sichergestellten Laptops mit Ladekabeln und der „bei den Angeklagten sichergestellten Kameras" hat schon deshalb keinen Bestand, weil weder die Urteilsformel noch die Urteilsgründe eine hinreichende Bezeichnung der betroffenen Gegenstände enthalten und deshalb weder für die Vollstreckungsbehörde, noch für die Beteiligten Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 20. Juni 2007 - 1 StR 251/07, [X.], 427 f.; Urteil vom 15. März 1994 - 1 [X.], Rn. 40, insoweit in [X.]St 40, 97 und [X.], 390 nicht abgedruckt). Da dieser Rechtsfehler auch die Mitangeklagte [X.]betrifft, war die Aufhebung insoweit auf sie zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO).

Sofern sich die Einziehung auch auf den bei dem Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe sichergestellten Laptop und die im Fall II.2 zu 1 verwendete Digitalkamera bezieht, wird ihr auch durch die insoweit erfolgte Aufhebung des Schuldspruchs die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für die im Fall II.1 sichergestellten 18 [X.]/DVDs.

Im Fall einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB wird zu beachten sein, dass nur die verwendeten Speichermedien als Beziehungsgegenstände nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB zwingend einzuziehen sind, während der für Lade- und Speichervorgang verwendete Computer nebst Zubehör als Tatwerkzeug lediglich der fakultativen Einziehung nach § 74 Abs. 1 2. Alt. i.V.m. § 184b Abs. 6 Satz 3 StGB unterliegt. In beiden Fällen ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob gemäß § 74b Abs. 2 StGB die Einziehung zunächst vorbehalten bleibt und weniger einschneidende Maßnahmen zu treffen sind, wenn auch auf diese Weise der [X.] erreicht werden kann ([X.], Urteil vom 16. Januar 2014 - 4 [X.], Rn. 21; Beschluss vom 8. Februar 2012 - 4 StR 657/11, [X.], 319; Beschluss vom 11. Januar 2012 - 4 [X.], Rn. 5; Beschluss vom 28. November 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 69 Rn. 3). Dies könnte hier durch eine endgültige Löschung der inkriminierten Bilddateien geschehen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2012 - 4 [X.], Rn. 3).

Mutzbauer                        [X.]Franke

                     Bender                           [X.]

Meta

4 StR 562/13

12.03.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 22. Februar 2013, Az: 31 KLs 65/12

§ 176 Abs 1 StGB, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB, § 177 Abs 2 S 2 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2014, Az. 4 StR 562/13 (REWIS RS 2014, 7156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7156

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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