Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 10 AZR 559/09

10. Senat | REWIS RS 2010, 6711

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Gegenstand

Geltungsbereich des VTV-Bau - Auslegung der Allgemeinverbindlicherklärung vom 24.02.2006 - Betrieb des Abbruchgewerbes


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 30. Juni 2009 - 11 [X.] verbunden mit 12 [X.]/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 17. Januar 2008 - 70 [X.] 73387/06 - zurückgewiesen hat und soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 17. Januar 2008 - 70 [X.] 62800/06 - iHv. 10.713,45 Euro zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch darüber, ob die Beklagte für die Monate Februar bis Dezember 2005 Beiträge nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe([X.]) an die Klägerin zu zahlen hat.

2

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung für die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Die Beklagte ist seit dem 1. Dezember 2006 Mitglied im Fachverband Betonbohren und -sägen [X.] e. V.

3

Die Klägerin hat unter Beweisantritt behauptet, die im Betrieb der [X.] beschäftigten Arbeitnehmer hätten [X.] zu mehr als 50 % der jeweiligen persönlichen Gesamtarbeitszeit, die auch mehr als 50 % der gesamten betrieblichen Arbeitszeit ausgemacht habe, Durchbrucharbeiten in Bauwerken, dh. Betonbohr- und -sägearbeiten zum Zwecke der Schaffung von Öffnungen für Türen und Fenster sowie von Wegen für Versorgungsleitungen, verrichtet.

4

Hilfsweise hat sich die Klägerin die Behauptung der [X.] zu eigen gemacht, sie habe überwiegend Abbrucharbeiten durchgeführt. Auch dann bestehe der Anspruch, weil die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 24. Februar 2006 auch Betriebe des [X.] erfasst habe. Davon seien im Jahr 2005 nur unmittelbare oder mittelbare Mitglieder im [X.] e.V. ausgenommen gewesen.

5

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.069,68 Euro zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, Betriebe des [X.] seien im Jahr 2005 insgesamt von der Allgemeinverbindlichkeit des [X.] ausgenommen worden.

7

Das [X.] hat die Klage ohne Beweisaufnahme mit der Begründung abgewiesen, die Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006 habe Betriebe des [X.] wie den der [X.] im Jahr 2005 nicht erfasst. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Mit der Begründung des [X.] kann die Klage nicht abgewiesen werden. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich. Der Rechtsstreit ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

9

I. Ein Anspruch der Klägerin nach § 18 Abs. 1 des [X.] vom 20. Dezember 1999 idF des [X.] vom 14. Dezember 2004 auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge für das [X.] besteht, wie das [X.] allerdings zutreffend erkannt hat, nicht auf der Grundlage des von der Klägerin sich hilfsweise zu eigen gemachten Vortrags der [X.]n, sie habe im [X.] arbeitszeitlich überwiegend Abbrucharbeiten verrichtet. Abbrucharbeiten fallen nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 [X.] zwar unter den betrieblichen Geltungsbereich des [X.]. Die [X.] war - die überwiegende Erbringung von Abbrucharbeiten unterstellt - im [X.] jedoch [X.]§ 3, 4 [X.] noch kraft Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 [X.] an den [X.] gebunden.

1. Der [X.] in der Fassung des [X.] vom 14. Dezember 2004 ist durch die Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006 mit Wirkung zum 1. Januar 2005 für allgemeinverbindlich erklärt worden, so dass nach § 5 Abs. 4 [X.] seine Rechtsnormen bisher nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfassten.

2. Nach Abschn. III der Einschränkungen erstreckte sich die Allgemeinverbindlichkeit im [X.] jedoch insgesamt nicht auf Betriebe des [X.]. Dies ergibt die Auslegung der Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006.

a) Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist wie ein Gesetz auszulegen. Zwar handelt es sich weder um ein förmliches Gesetz noch um eine Rechtsverordnung. Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet([X.] 24. Mai 1977 - 2 [X.] - [X.]E 44, 322; [X.] 19. März 1975 - 4 [X.] - [X.]E 27, 78). Sie dehnt die Verbindlichkeit von Tarifverträgen auf Betriebe und Personen aus, die sonst nicht von den Normen eines Tarifvertrags erfasst würden. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist deshalb Normsetzung ([X.] 24. Mai 1977 - 2 [X.] - aaO) und aus diesem Grund wie ein Gesetz auszulegen.

b) Nach dem Wortlaut von Abschn. III Nr. 2 des [X.] vom 24. Februar 2006 erstreckt sich diese nicht auf Betriebe und selbständige [X.] mit Sitz im Inland, die ganz oder teilweise Bauwerke, Bauwerksteile oder einzelne Elemente aus Mauerwerk, Beton, Stahlbeton, Eisen, Stahl oder sonstigen Baustoffen, technische Anlagen abbrechen, demontieren, sprengen, Beton schneiden, sägen, bohren, pressen, soweit sie unmittelbar oder mittelbar Mitglied im [X.] e.V. sind. Danach wäre die [X.] als Betrieb des [X.] von der Allgemeinverbindlicherklärung im [X.] erfasst worden, weil sie erst mit Wirkung zum 1. Dezember 2006 eine Verbandsmitgliedschaft begründet hat.

c) Dem Wortlaut nach differenziert die Einschränkung nicht zwischen dem nach Buchstabe e) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 für allgemeinverbindlich erklärten [X.] in der Fassung vom 14. Dezember 2004 und dem nach Buchstabe f) mit Wirkung zum 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich erklärten [X.] in der Fassung vom 15. Dezember 2005.

d) Daraus folgt jedoch nicht, dass der [X.] in der Fassung vom 14. Dezember 2004 mit diesen Einschränkungen für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Insoweit liegt ein redaktionelles Versehen des [X.] vor. Wie der Gesamtzusammenhang der Regelung zeigt, sollten beide Tarifverträge mit den jeweils beantragten Einschränkungen für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies verdeutlicht die Überschrift des [X.] vom 24. Februar 2006, indem es dort heißt: „Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung auf Antrag“.

aa) Beantragt war mit Datum vom 21. Dezember 2004(BAnz Nr. 247 S. 24681) die Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des [X.] vom 14. Dezember 2004 mit Wirkung vom 1. Januar 2005. Beantragt war weiter, die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrags gemäß dem ersten Teil der Maßgaben in der Bekanntmachung über die [X.] für das Baugewerbe vom 17. Januar 2000 (BAnz Nr. 20 S. 1385) einzuschränken. Nach der Einschränkung in Abschn. III 5 dieser Allgemeinverbindlicherklärung waren Spreng-, Abbruch und Enttrümmerungsarbeiten ausführende Betriebe und selbständige [X.] von der Allgemeinverbindlicherklärung ausgenommen, soweit ihre Leistungen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in Betrieben oder in selbständigen [X.] in erheblichem Umfang anfallenden baulichen Leistungen stehen. Nach dem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] in der Fassung vom 14. Dezember 2004 sollten Abbruchbetriebe somit insgesamt von der Allgemeinverbindlichkeit ausgenommen werden, ohne dass es auf die unmittelbare oder mittelbare Mitgliedschaft im Verband des Deutschen [X.] e.V. im Jahre 2005 ankam.

bb) Erst der Antrag vom 21. Dezember 2005auf Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] in der Fassung des [X.] vom 15. Dezember 2005 mit Wirkung zum 1. Januar 2006 (BAnz Nr. 248 S. 17325) enthält in seinem Abschn. III 2 die Einschränkung, die Allgemeinverbindlichkeit nicht auf Betriebe des [X.] zu erstrecken, wenn sie unmittelbar oder mittelbar Mitglied im [X.] e.V. sind.

cc) Dass der Normgeber bezogen auf Betriebe des [X.] die Allgemeinverbindlichkeit über den gestellten Antrag hinaus für das [X.] auf solche Betriebe erweitern wollte, die nicht Verbandsmitglied sind, ist nicht anzunehmen. Dagegen spricht, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung, die über einen gestellten Antrag hinausgeht, wegen der antragsabhängigen Ausgestaltung des Verfahrens(BVerwG 3. November 1988 - 7 [X.] - zu II 4 a der Gründe, AP [X.] § 5 Nr. 23) regelmäßig als teilnichtig angesehen wird ([X.]/Rieble [X.] 2. Aufl. § 5 Rn. 123 ff.; [X.]/Lakies [X.] 2. Aufl. § 5 Rn. 157 ff.). Die Überschrift des [X.] 2006 verdeutlicht, dass der Normgeber sich im Rahmen der gestellten Anträge bewegen und die Allgemeinverbindlichkeit des [X.] in der Fassung vom 14. Dezember 2004 wie beantragt einschränken wollte. Hat die [X.] im [X.] arbeitszeitlich überwiegend Abbrucharbeiten verrichtet, wurde sie somit von der Allgemeinverbindlichkeit des [X.] in diesem Jahr nicht erfasst.

II. Die Klage könnte aber auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin begründet sein, dass die [X.] im [X.] arbeitszeitlich überwiegend Durchbrucharbeiten verrichtet hat.

1. Durchbrucharbeiten fallen nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5(Beton- und Stahlbetonarbeiten) und Nr. 6 (Bohrarbeiten) bzw. nach den allgemeinen Merkmalen des § 1 Abs. 2 Abschn. I - III [X.] unter den betrieblichen Geltungsbereich des [X.] ([X.] 4. Oktober 1989 - 4 [X.] - AP [X.] § 1 Tarifverträge Bau: Nr. 120; 2. Februar 1994 - 10 [X.] -; 7. Juni 2000 - 10 [X.] -). Werden Öffnungen in Decken und Wände für Versorgungsleitungen, Türen oder Fenster gebohrt oder gesägt, bleiben die Decken und Wände in ihrer Substanz und Funktion erhalten. Es liegen dann keine Abbruch-, sondern Durchbrucharbeiten vor.

2. Betriebe, in denen arbeitszeitlich überwiegend Durchbrucharbeiten verrichtet werden, wurden im [X.] von den Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006 nicht erfasst. Nach dem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des [X.] vom 14. Dezember 2004 mit Wirkung vom 1. Januar 2005 sollten gemäß dem ersten Teil der Maßgaben in der Bekanntmachung über die [X.] für das Baugewerbe vom 17. Januar 2000 nur Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten ausführende Betriebe und selbständige [X.] von der Allgemeinverbindlicherklärung und somit keine Betriebe, die Durchbrucharbeiten verrichten, ausgenommen werden. Nach den vorstehenden Erwägungen ist der [X.] idF vom 14. Dezember 2004 mit diesen Einschränkungen zum 1. Januar 2005 für allgemeinverbindlich erklärt worden.

3. Die Klägerin hat die arbeitszeitlich überwiegende Erbringung von Durchbrucharbeiten im [X.] schlüssig dargelegt und unter Beweis gestellt. Das [X.] hat diesbezüglich keinen Beweis erhoben. Dies wird nachzuholen sein.

        

    Mikosch    

        

    W. Mestwerdt    

        

    Reinfelder    

        

        

        

    [X.]    

        

    [X.]    

                 

Meta

10 AZR 559/09

12.05.2010

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 17. Januar 2008, Az: 70 Ca 62800/06, Urteil

§ 18 Abs 1 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 29 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 5 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 6 VTV-Bau, § 5 Abs 4 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 10 AZR 559/09 (REWIS RS 2010, 6711)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6711

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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