Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2016, Az. EnVR 15/15

Kartellsenat | REWIS RS 2016, 8378

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Gegenstand

Energiewirtschaftsrechtliches Verwaltungsverfahren: Ermächtigung der Regulierungsbehörde zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung über die Genehmigung von Stromnetzentgelten bei unverändert gebliebenen einschlägigen Rechtsvorschriften - Unbefristete Genehmigung


Leitsatz

Unbefristete Genehmigung

1. § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ermächtigt nicht nur zu einer "substitutiven" Änderung, sondern auch zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung.

2. Eine Änderung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG setzt nicht voraus, dass zugleich der Tatbestand von § 48 oder § 49 VwVfG erfüllt ist.

3. Eine Änderung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist auch dann zulässig, wenn die einschlägigen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind, sich nach dem Erlass der betroffenen Regelung aber neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu der Beurteilung führen, dass die bisherige Regelung den Anforderungen dieser Rechtsvorschriften nicht genügt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des [X.] vom 4. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Betroffene trägt die Kosten des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur. Die weitere Beteiligte trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 10.306,06 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Der Betroffene betreibt Einrichtungen zur Wasserversorgung, die über das von der Beteiligten betriebene Netz mit Elektrizität versorgt werden.

2

Im Oktober und November 2012 erteilte die [X.] auf Antrag des Betroffenen drei Genehmigungen zur Vereinbarung reduzierter Netzentgelte für ein Wasserwerk, ein Haupt- und ein Zwischenpumpwerk. Die Prüfung der Vereinbarungen erfolgte auf der Grundlage des von der [X.] herausgegebenen Leitfadens zur Genehmigung von individuellen Netzentgelten mit Stand von September 2011 (nachfolgend: Leitfaden 2011).

3

[X.] hob die [X.] im Hinblick auf die am 5. Dezember 2012 getroffene Festlegung zur sachgerechten Ermittlung individueller Entgelte nach § 19 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.]-12-1656) alle auf der Grundlage des Leitfadens 2011 erteilten Genehmigungen für die [X.] ab 1. Januar 2015 auf. Die Beschwerde des Betroffenen gegen die mit drei Bescheiden vom 13. September 2013 verfügte Aufhebung der ihm erteilten Genehmigungen ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die [X.] entgegentritt.

4

B. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

5

I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung ([X.], [X.], 200) im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die [X.] sei nach § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] zur Aufhebung der Genehmigungen befugt gewesen.

7

Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] sei die Änderung einer Genehmigung auch dann zulässig, wenn sich die Einschätzung der Regulierungsbehörde geändert habe, etwa weil neue Erkenntnisse über die Möglichkeiten eines effizienten Netzbetriebs vorlägen. Dies ergebe sich auch aus dem Zweck der Norm. Diese solle der Regulierungsbehörde in Umsetzung der Vorgaben aus Art. 23 Abs. 4 der [X.] und 2003/55/[X.] ausreichende Flexibilität einräumen, um die Effektivität der Regulierung zu sichern. Die [X.] ermögliche nicht nur eine substitutive Änderung, sondern auch eine Aufhebung. Sie erfasse bestandskräftige Entscheidungen, und zwar unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG vorlägen.

8

Den angegriffenen Bescheiden liege eine Änderung der Einschätzung zugrunde. Durch die Aufhebung werde die Möglichkeit geschaffen, die den Genehmigungen zugrunde liegende Methodik an die in der Festlegung vom 5. Dezember 2012 erfolgte Neubestimmung anzupassen. Dass diese Festlegung nur [X.] für Vereinbarungen mit einer Laufzeit ab 1. Januar 2013 betreffe, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

9

Die [X.] habe das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie sei nicht gehalten gewesen, erteilte Genehmigungen nur in Fällen aufzuheben, in denen eine erneute Genehmigung auf der Grundlage der neuen Festlegung nicht in Betracht komme. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung hänge auch nicht davon ab, ob diese Festlegung rechtmäßig sei.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

1. Das Beschwerdegericht hat § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] zutreffend ausgelegt.

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] vorgesehene Befugnis der Regulierungsbehörde nicht auf die Änderung von "nachrangigen" Bedingungen oder Methoden innerhalb des durch eine Festlegung oder Genehmigung vorgegebenen Rahmens beschränkt. Soweit die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, ist die Regulierungsbehörde vielmehr befugt, getroffene Festlegungen und erteilte Genehmigungen zu ändern (im Ergebnis ebenso [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 18; Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 33; für substitutive Änderungen auch [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 69 f.).

aa) Schon aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von § 29 Abs. 1 und 2 [X.] ergibt sich, dass eine Änderung in der Form der Festlegung oder Genehmigung zu erfolgen hat und dass hierbei bereits erfolgte Festlegungen oder erteilte Genehmigungen geändert werden dürfen.

Gemäß § 29 Abs. 1 [X.] trifft die Regulierungsbehörde unter anderem Entscheidungen über die Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang nach bestimmten Rechtsverordnungen durch Festlegung oder durch Genehmigung. § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] sieht insoweit nichts Abweichendes vor. Hieraus ist zu folgern, dass auch eine Änderungsentscheidung in der in § 29 Abs. 1 [X.] vorgesehenen Form zu treffen ist, also durch Festlegung oder Genehmigung.

Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] darf die Regulierungsbehörde festgelegte oder genehmigte Bedingungen oder Methoden ändern, also solche, die bereits Gegenstand einer vorangegangenen Entscheidung waren. Daraus ergibt sich, dass die Änderungsentscheidung nicht nur "nachrangige" Fragen regeln darf, sondern auch - und gerade - solche Fragen, die bereits in der vorangegangenen Entscheidung eine Regelung gefunden haben.

bb) Dies steht mit dem Zweck der Vorschrift in Einklang.

§ 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] soll sicherstellen, dass die festgelegten oder genehmigten Bedingungen angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden (BT-Drucks. 15/3917 [X.]). Um diesen Zweck zu erreichen, kann es erforderlich sein, bereits getroffene Regelungen zu ändern.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ermächtigt § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht nur zu einer "substitutiven" Änderung, d.h. zum vollständigen oder teilweisen Ersatz einer ergangenen Regelung durch eine neue Regelung, sondern auch zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung (im Ergebnis ebenso Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 32 und wohl auch [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 18 und 24; abweichend [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 65).

aa) Aus dem Wortlaut der Vorschrift lassen sich insoweit keine zwingenden Schlussfolgerungen ziehen.

Im allgemeinen Verwaltungsrecht wird allerdings verschiedentlich zwischen der Aufhebung und der Änderung von Verwaltungsakten unterschieden. So stellt § 51 Abs. 1 VwVfG die beiden Begriffe als mögliche Ziele eines Antrags auf Wiederaufgreifen eines Verfahrens nebeneinander. Im Verwaltungsprozessrecht ist die Unterscheidung von Bedeutung, weil ein Gericht einen Verwaltungsakt auf eine Anfechtungsklage oder -beschwerde hin grundsätzlich nur aufheben, nicht aber durch eine eigene Verfügung ersetzen darf. Selbst die teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts ist unzulässig, wenn die angefochtene Verfügung dadurch in ihrem Wesen verändert würde (vgl. nur [X.], Beschluss vom 14. Juli 2015 - [X.] 77/13, WuW/[X.] 4871 Rn. 11 - Wasserpreise [X.] II).

Hieraus ergeben sich im vorliegenden Zusammenhang indes keine zwingenden Schlussfolgerungen. Aus der aufgezeigten Unterscheidung ist lediglich zu entnehmen, dass eine Befugnis zur Aufhebung einer Entscheidung weniger weit reicht als eine Befugnis zu deren inhaltlicher Änderung. § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] sieht zugunsten der Regulierungsbehörde insoweit aber die weiter reichende Befugnis vor.

bb) Dem bereits oben aufgezeigten Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] die Befugnis zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung umfasst.

Um zu gewährleisten, dass Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang weiterhin angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden, mag es zwar häufig geboten sein, eine getroffene Regelung ganz oder teilweise durch eine neue Regelung zu ersetzen. Je nach Konstellation kann es aber ausreichen, eine getroffene Regelung aufzuheben, etwa deswegen, weil die einschlägigen Gesetze und Verordnungen sowie eventuell bereits erlassene andere Festlegungen hinreichende Vorgaben für das zu regelnde Sachgebiet enthalten. Angesichts dessen erscheint es im vorliegenden Zusammenhang folgerichtig, nicht zwischen den beiden Konstellationen zu unterscheiden, sondern beide unter den seinem Wortlaut nach offenen Begriff der Änderung zu subsumieren.

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus der Regelung in § 29 Abs. 2 Satz 2 [X.], wonach die allgemeinen Vorschriften in §§ 48 und 49 VwVfG unberührt bleiben, nicht die Schlussfolgerung, dass eine Änderung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] nur dann zulässig ist, wenn zugleich der Tatbestand von § 48 oder § 49 VwVfG erfüllt ist. § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] normiert vielmehr einen eigenständigen Tatbestand (im Ergebnis ebenso [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 18; [X.] N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 38; für substitutive Änderungen auch [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 70).

aa) Der Wortlaut des § 29 Abs. 2 Satz 2 [X.], wonach die §§ 48 und 49 VwVfG unberührt bleiben, lässt allerdings offen, ob die Voraussetzungen einer dieser Vorschriften zusätzlich zu denjenigen der Sondervorschrift erfüllt sein müssen.

bb) Eine Kumulation der Tatbestandsvoraussetzungen stünde indes in Widerspruch zum Sinn und Zweck der Regelung.

Die Beurteilung der Frage, ob Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden, kann von zahlreichen Faktoren abhängen, die aufgrund der komplexen Strukturen des Netzbetriebs häufig schwer zu beurteilen sind und raschem zeitlichem Wandel unterliegen können. Angesichts dessen ist, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ein möglichst flexibles Instrumentarium erforderlich, das es der Regulierungsbehörde ermöglicht, auch in Situationen angemessen zu reagieren, die mit den in §§ 48 und 49 VwVfG vorgesehenen Mitteln nur schwer zu bewältigen wären. Dieses Instrumentarium hat der Gesetzgeber mit § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] zur Verfügung gestellt.

Dieser Zielsetzung würde es widersprechen, wenn die Voraussetzungen für die Änderung einer getroffenen Festlegung oder einer erteilten Genehmigung im Vergleich zu den allgemeinen Vorschriften durch zusätzliche Tatbestandsmerkmale sogar noch verschärft würden. Aus dem Umstand, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] eigenständige Tatbestandsmerkmale enthält, ist angesichts dessen zu folgern, dass eine Änderung schon dann zulässig ist, wenn diese Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Daneben bleiben eine Aufhebung nach § 48 VwVfG und ein Widerruf nach § 49 VwVfG zulässig, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschriften vorliegen.

cc) Der Umstand, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] - anders als § 48 Abs. 2 und 3 sowie § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG - keine ausdrücklichen Regelungen zum Vertrauensschutz enthält, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

(1) Aus dem Anwendungsbereich und dem Zweck von § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] ergibt sich, dass Änderungen nach dieser Vorschrift in der Regel nur mit Wirkung für die Zukunft angeordnet werden. Solche Anpassungen sind unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich als weniger kritisch anzusehen.

Zwar kann auch von einer mit Wirkung für die Zukunft angeordneten Änderung eine "unechte" Rückwirkung ausgehen, die selbst bei Gesetzen und Verordnungen unter bestimmten Voraussetzungen mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist (vgl. dazu [X.] 127, 1, 16 ff.; [X.], Beschluss vom 30. April 2013 - [X.] 22/12, [X.], 321 Rn. 56 - [X.] GmbH & Co. KG). Um solche Belastungen zu vermeiden, bedarf es im Zusammenhang mit § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] jedoch keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Die Voraussetzungen, unter denen eine "unechte" Rückwirkung unzulässig ist, sind verfassungsrechtlich hinreichend geklärt.

Diese Grundsätze sind bei [X.] der Regulierungsbehörde in der Regel entsprechend heranzuziehen. Solche Entscheidungen beruhen - auch wenn es um die Änderung von Genehmigungen gegenüber einzelnen Antragstellern geht - schon wegen des damit verfolgten Zwecks, Diskriminierungen zu vermeiden, regelmäßig auf einem allgemeineren Regelungskonzept. Ihre Wirkungen kommen deshalb in ihrer Gesamtheit denjenigen einer Rechtsnorm häufig nahe. Angesichts dessen muss den Erfordernissen des Vertrauensschutzes bei der Ausübung des der Regulierungsbehörde in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] eingeräumten Ermessens sorgfältig Rechnung getragen werden (im Ergebnis ebenso [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 23; [X.] N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 39). Für einen ergänzenden Rückgriff auf einzelne Regelungen aus § 48 oder § 49 VwVfG besteht vor diesem Hintergrund weder eine ausreichende Grundlage noch ein Bedürfnis (im Ergebnis ebenso [X.][X.], aaO, § 29 [X.] Rn. 22; [X.] N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser, aaO, § 29 [X.] Rn. 38).

(2) Ob § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] darüber hinaus Änderungen mit Wirkung für die Vergangenheit ermöglicht (verneinend [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 24; Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 40 und wohl auch [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 71 ff.), bedarf im Streitfall ebenfalls keiner Entscheidung. Die angefochtenen Verfügungen ordnen eine Änderung nur für [X.]räume nach deren Erlass an.

(3) Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob es in Ausnahmefällen einer entsprechenden Anwendung der Entschädigungsregel in § 49 Abs. 6 VwVfG bedarf (dafür [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 76). Die angefochtenen Verfügungen begegnen, wie noch näher darzulegen sein wird, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen Bedenken.

d) Eine Änderung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist auch dann zulässig, wenn die einschlägigen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind, sich nach dem Erlass der betroffenen Regelung aber neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu der Beurteilung führen, dass die bisherige Regelung den Anforderungen dieser Rechtsvorschriften nicht genügt (im Ergebnis ebenso [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 20; abweichend [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 64 und wohl auch Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 33).

aa) Der Umstand, dass die Regulierungsbehörde in der Regel mit einem komplexen Sachverhalt konfrontiert ist und ihre Entscheidungen häufig auf [X.] stützen muss, kann es mit sich bringen, dass sich eine Einschätzung, auf deren Grundlage eine Festlegung oder Genehmigung ergangen ist, aufgrund späterer Entwicklungen oder aufgrund später gewonnener Erkenntnisse über technische, wirtschaftliche oder sonstige relevante Verhältnisse des Netzbetriebs nachträglich als unzutreffend erweist. Bei dieser Ausgangslage muss es angesichts der Zielsetzung von § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] möglich sein, zumindest für die Zukunft auch dann einen mit dem Gesetz in Einklang stehenden Zustand herbeizuführen, wenn die maßgeblichen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind.

Entgegen der vom Beschwerdegericht (im [X.] an [X.][X.], aaO, § 29 [X.] Rn. 20) verwendeten Formulierung dürfte eine [X.] allerdings nicht schon dann bestehen, wenn die Regulierungsbehörde auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse nachträglich zu einer anderen Einschätzung oder Bewertung gelangt. Sie besteht aber jedenfalls dann, wenn die neue Einschätzung auf technischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gegebenheiten des Netzbetriebs beruht, die erst nachträglich zutage getreten sind und deshalb bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind.

bb) Wenn diese Voraussetzung vorliegt, besteht die [X.] unabhängig davon, ob sich im Lichte der neuen Erkenntnisse bereits die ursprüngliche Entscheidung nachträglich als rechtswidrig erweist (im Ergebnis ebenso [X.][X.] in [X.][X.][X.], 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 21; Wahlhäuser in Kment, § 29 [X.] Rn. 35; abweichend auch insoweit [X.] in [X.] Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 [X.] Rn. 72).

Das in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] normierte Erfordernis, wonach die Änderung erforderlich sein muss, damit die festgelegten oder genehmigten Bedingungen und Methoden "weiterhin" den einschlägigen Voraussetzungen entsprechen, könnte bei isolierter Betrachtung zwar dafür sprechen, dass nur anfänglich rechtmäßige Entscheidungen geändert werden dürfen. Die damit verbundene Privilegierung anfänglich rechtswidriger Entscheidungen wäre vor dem aufgezeigten Hintergrund aber mit dem Zweck von § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht vereinbar.

§ 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] dient auch der Korrektur von früheren Einschätzungen, die sich im Lichte neuer Erkenntnisse als unzutreffend erwiesen haben. Angesichts dessen muss es ausreichen, wenn die Regulierungsbehörde beim Erlass der ursprünglichen Entscheidung von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen ist und die Änderung dem Ziel dient, auch im Lichte der neu gewonnenen Erkenntnisse weiterhin rechtmäßige Verhältnisse zu gewährleisten.

2. Rechtsfehlerfrei ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen von § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] im Streitfall erfüllt sind.

a) Die auf Antrag des [X.] erteilten Genehmigungen sind Entscheidungen im Sinne von § 29 Abs. 1 [X.].

Die Genehmigungen sind auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 Satz 1 [X.] ergangen. Die Stromnetzentgeltverordnung beruht auf § 24 [X.] und gehört damit zu den in § 29 Abs. 1 [X.] aufgeführten Verordnungen.

b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Aufhebung der Genehmigungen als erforderlich angesehen, um sicherzustellen, dass die Bedingungen und Methoden zur Berechnung des vom Betroffenen zu zahlenden [X.] weiterhin den einschlägigen rechtlichen Anforderungen genügen.

aa) Zu den Voraussetzungen für eine zulässige Vereinbarung individueller Netzentgelte gehörten seit dem Inkrafttreten der Festlegung vom 5. Dezember 2012 ([X.]-12-1656) die darin normierten Anforderungen, die durch die Festlegung vom 11. Dezember 2013 ([X.]-739) mit Wirkung vom 1. Januar 2014 nochmals geändert worden sind.

Beide Regelungen sehen vor, dass ein individuelles Netzentgelt nur dann vereinbart werden darf, wenn die Differenz zwischen der vom Letztverbraucher in Anspruch genommenen Höchstlast und der höchsten Last innerhalb des relevanten Hochlastzeitfensters mindestens 100 Kilowatt beträgt. Der zuvor herangezogene Leitfaden 2011 sah demgegenüber nur vor, dass die genannte Differenz mindestens einen bestimmten Prozentwert der [X.] erreicht, der (insoweit unverändert) für die Umspannebene von Mittel- auf Niederspannung und für die Netzebene der Niederspannung jeweils 30 % beträgt.

Bei den drei Abnahmestellen des Betroffenen ist ausweislich der Genehmigungsbescheide lediglich die prozentuale [X.] überschritten, nicht aber der Mindestwert von 100 Kilowatt. Damit liegen auf der Grundlage der damals getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines individuellen [X.] nicht mehr vor.

bb) Der Umstand, dass die Festlegung vom 5. Dezember 2012 nur für [X.] gilt, die Netzentgeltvereinbarungen mit einer Laufzeit ab dem 1. Januar 2013 oder später zum Gegenstand haben, führt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Die vom [X.] gestellten Anträge fallen damit zwar nicht in den Anwendungsbereich der Festlegung, denn nach deren Begründung (S. 10 unter 4) ist hierfür der Beginn der Vertragslaufzeit maßgeblich. Dies steht einer Aufhebung der auf Grundlage des früher herangezogenen Leitfadens erteilten Genehmigungen jedoch nicht entgegen. Mit der Aufhebung wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die mit dem Betroffenen geschlossenen Entgeltvereinbarungen ab 1. Januar 2015 den neuen Kriterien unterfallen. Dies ermöglicht eine einheitliche Anwendung der neuen Kriterien für alle Netzbetreiber und Letztverbraucher und steht deshalb in Einklang mit dem Zweck des § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.].

cc) Zu Recht hat das Beschwerdegericht entschieden, dass die [X.] nicht gehalten war, vor einer Aufhebung der erteilten Genehmigungen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung auf der Grundlage der Festlegung vom 5. Dezember 2012 weiterhin gegeben sind.

Wie bereits oben dargelegt wurde, umfasst die in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] normierte [X.] die ersatzlose Aufhebung einer früher getroffenen Regelung, sofern eine solche Entscheidung geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die zur Prüfung stehenden Bedingungen oder Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang weiterhin den einschlägigen rechtlichen Anforderungen genügen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

(1) Die Aufhebung der erteilten Genehmigungen ist geeignet, die Konformität der mit dem Betroffenen geschlossenen Entgeltvereinbarungen auch für die Zukunft zu gewährleisten.

Sie eröffnet die Möglichkeit, die Vereinbarung einer erneuten inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen, hierbei die neuen Anforderungen aus der Festlegung vom 5. Dezember 2012 - nunmehr einschließlich der Änderungen aus der nachfolgenden Festlegung vom 11. Dezember 2013 ([X.]-13-739) - zugrunde zu legen, und damit zu gewährleisten, dass auch in Zukunft alle Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden.

(2) Ob dieses Ziel in gleicher Weise auch dadurch zu erreichen gewesen wäre, dass die Entscheidung über die Aufhebung der erteilten Genehmigungen und die Entscheidung über eine Genehmigung für die Folgezeit zusammengefasst werden, hat das Beschwerdegericht zu Recht offen gelassen. Eine solche Vorgehensweise wäre im Vergleich zu separaten Entscheidungen über die beiden [X.] jedenfalls nicht als milderes Mittel anzusehen.

Dabei kann offen bleiben, ob diese Beurteilung auf den Umstand gestützt werden kann, dass die abweichende Vorgehensweise zu höherem Aufwand für die [X.] geführt hätte. Dem höheren Aufwand auf [X.] hätte jedenfalls kein erkennbarer Vorteil für den Betroffenen gegenübergestanden. Hierbei ist unerheblich, ob bei Erlass der [X.] noch eine Genehmigung erforderlich war oder ob bereits damals die in der seit 22. August 2013 geltenden Fassung von § 19 Abs. 2 [X.] (seit 1. Januar 2014: § 19 Abs. 2 Satz 7 [X.]) normierten Voraussetzungen erfüllt waren, unter denen eine schriftliche Anzeige der getroffenen Vereinbarung genügt. Im einen wie im anderen Fall war die [X.] gehalten, die Rechtmäßigkeit der getroffenen Vereinbarung zu überprüfen. Hierzu durfte sie sich nicht damit begnügen, die im Jahr 2012 festgestellten [X.] zugrunde zu legen. Vielmehr musste sie die im [X.]punkt der erneuten Prüfung relevanten Daten ermitteln. Die damit verbundenen Belastungen für den Betroffenen wären im Falle einer kombinierten Entscheidung nicht geringer gewesen als bei der von der [X.] gewählten Vorgehensweise.

dd) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht nicht geprüft, ob die in der Festlegung vom 5. Dezember 2012 erstmals vorgenommene Normierung eines absoluten Schwellenwerts von 100 Kilowatt rechtmäßig ist.

Der Betroffene hat weder diese Festlegung noch die inhaltsgleiche Regelung in der Festlegung vom 11. Dezember 2013 mit Rechtsmitteln angegriffen. Die darin getroffene Entscheidung ist deshalb für ihn bindend, weil die Bestandskraft von [X.] grundsätzlich für jeden Betroffenen gesondert zu beurteilen ist. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die getroffenen Regelungen und Regelungsbestandteile einen untrennbaren Zusammenhang bildeten, so dass nicht einzelne Elemente von ihnen isoliert angefochten werden könnten (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2014 - [X.] 54/13, [X.], 183 Rn. 20 ff. - Festlegung [X.]). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

3. Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die [X.] das ihr in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

a) Die [X.] hat ihre Entscheidung maßgeblich auf die Erwägung gestützt, die Aufhebung der erteilten Genehmigungen eröffne die Möglichkeit, die Vereinbarkeit der nach der bisherigen Ermittlungsmethode genehmigten Altfälle mit der zwischenzeitlich festgelegten neuen Ermittlungsmethode zu überprüfen.

Diese Erwägung steht in Einklang mit dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage und lässt auch im Übrigen keinen Ermessensfehler erkennen.

b) Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die [X.] nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes gehalten war, von der Aufhebung der Genehmigungen zum 31. Dezember 2014 abzusehen.

Wie bereits oben dargelegt wurde, kann dem Aspekt des Vertrauensschutzes bei der Ausübung des in § 29 Abs. 2 Satz 1 [X.] eröffneten Ermessens je nach Konstellation allerdings ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Im Streitfall hat die [X.] dem Betroffenen jedoch eine Übergangsfrist von mehr als einem Jahr eingeräumt. Dieser [X.]raum gab dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit, sich auf die geänderte Situation einzustellen und gegebenenfalls auf die Genehmigung oder Anzeige einer Entgeltvereinbarung für die [X.] ab 1. Januar 2015 hinzuwirken. Die ursprüngliche Genehmigung war zwar nicht befristet. Hieraus konnte der Betroffene aber nicht die berechtigte Erwartung ableiten, dass sie auf unabsehbare [X.] Bestand haben könnte. Gerade weil es an einer Befristung fehlte, musste er vielmehr damit rechnen, dass sie bei Änderung von maßgeblichen Umständen mit Wirkung für die Zukunft geändert wird.

III. [X.] beruht auf § 90 Satz 2 [X.], die Festsetzung des [X.] auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

Limperg                          Raum                          [X.]

                 [X.]

Meta

EnVR 15/15

12.07.2016

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 4. Februar 2015, Az: VI-3 Kart 96/13 (V), Beschluss

§ 29 Abs 2 EnWG, § 19 Abs 2 S 1 StromNEV, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2016, Az. EnVR 15/15 (REWIS RS 2016, 8378)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8378

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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