Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.12.2012, Az. IV B 93/12

4. Senat | REWIS RS 2012, 110

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Gegenstand

(Keine Vorabentscheidung über Zuständigkeit eines einzelnen FG-Senats nach § 155 FGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG bzw. § 17 Abs. 4 Satz 5 GVG analog -  Anfechtbarkeit eines ohne Rechtsgrundlage ergangenen Beschlusses des FG)


Leitsatz

1. NV: Ein Fall des § 17a Abs. 3 Sätze 1 und 2 GVG liegt nicht vor, wenn es nicht um die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges, sondern um die Frage geht, welcher Senat des für die Entscheidung zuständigen FG nach dessen Geschäftsverteilungsplan als gesetzlicher Richter zur Entscheidung berufen ist.

2. NV: Die Möglichkeit, vorab am Beschlusswege über die Zuständigkeit nach dem gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplan zu entscheiden, ergibt sich auch nicht in entsprechender Anwendung des § 155 FGO i.V. mit § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG, weil eine Regelungslücke fehlt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob gegen das Urteil des Finanzgerichts ([X.]) vom 11. März 2010 Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision beim [X.] ([X.]), welche unter dem [X.]. IV B 30/10 geführt wurde.

2

Mit Beschluss vom 23. November 2011 IV B 30/10 ([X.]/NV 2012, 431) hob der erkennende Senat die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O lägen vor, weil das Urteil des [X.] auf einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 1 [X.]O beruhe. Das [X.] sei bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Das Präsidium des [X.] habe unter Verletzung des Abstraktionsprinzips die Entscheidungszuständigkeit für einzelne ausgesuchte Sachen auf den 1. Senat des [X.] übertragen.

3

Mit Beschluss vom 2. Juli 2012  1 K 110/11 (5) hat das [X.] entschieden, für den Rechtsstreit sei nach dem seit dem 1. April 2011 geltenden Geschäftsverteilungsplan der 1. Senat des [X.] zuständig. Dessen Zuständigkeit ergebe sich aber auch aus der Bestimmung des [X.], wonach ein durch den [X.] zurückverwiesenes Verfahren in die Zuständigkeit des Senats falle, der die aufgehobene Entscheidung getroffen habe.

4

Dagegen richtet sich die vom [X.] in entsprechender Anwendung des § 155 [X.]O i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) zugelassene Beschwerde der Klägerin. Diese macht im Wesentlichen geltend, durch den nunmehr angefochtenen Beschluss des [X.] werde ihr Recht auf [X.] erneut beeinträchtigt. Zuständig sei der Senat des [X.], bei dem die Sache --ohne die durch das Präsidium des [X.] unzulässig beschlossene Übertragung einzelner [X.] ursprünglich anhängig geworden sei. Weder handele es sich bei dem zurückverwiesenen Verfahren um eine "neu eingehende" Rechtssache noch sei diese als "neu eingegangen" zu behandeln. Soweit im Geschäftsverteilungsplan des [X.] geregelt sei, ein durch den [X.] zurückverwiesenes Verfahren falle in die Zuständigkeit des Senats, der die aufgehobene Entscheidung getroffen habe, betreffe dies nur den "Normalfall" der Zurückverweisung, nicht aber den Fall der Zurückverweisung wegen des Verstoßes gegen [X.].

5

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des [X.] vom 2. Juli 2012  1 K 110/11 (5) festzustellen, dass die Zuständigkeit für die Streitsache beim 4. Senat des [X.] verblieben ist.

6

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. [X.] ist zulässig und begründet.

8

1. Die Zulässigkeit der Beschwerde der Klägerin ergibt sich, weil es für den angefochtenen Beschluss des [X.] keine Rechtsgrundlage gibt (dazu 2.), unabhängig von der Zulassung durch das [X.] bereits daraus, dass der von einem unzulässigen Beschluss ausgehende Rechtsschein beseitigt werden muss. Damit der unzutreffende Schein einer gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden kann, ist gegen einen ohne Rechtsgrundlage ergangenen Beschluss die Beschwerde als das im Falle einer wirksamen Entscheidung statthafte Rechtsmittel zulässig (vgl. [X.] vom 10. November 2010 III B 191/09, [X.], 440).

9

2. Anders als der [X.]-Senat meint, konnte er nicht nach § 155 [X.]O i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 [X.] vorab durch Beschluss über seine Zuständigkeit entscheiden.

a) Nach § 17a Abs. 3 Satz 1 [X.] kann das Gericht vorab aussprechen, dass der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Es hat nach § 17a Abs. 3 Satz 2 [X.] sogar vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt. So liegt indessen der Rechtsstreit gerade nicht, denn es geht nicht um die Zulässigkeit des [X.], sondern um die Frage, welcher Senat des für die Entscheidung zuständigen [X.] nach dessen Geschäftsverteilungsplan als gesetzlicher [X.] zur Entscheidung berufen ist. Nichts anderes ergibt sich aus dem insoweit vom [X.] zitierten [X.] vom 22. Oktober 2008 VI B 100/08 (juris). Dort wird explizit ausgeführt, das [X.] habe gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 [X.] "vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs" entschieden.

b) Die Möglichkeit, vorab im [X.] über die Zuständigkeit nach dem gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplan zu entscheiden, ergibt sich auch nicht in entsprechender Anwendung des § 155 [X.]O i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 5 [X.], weil eine Regelungslücke fehlt. Während § 17a [X.] hinsichtlich der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs eine eigenständige, für alle Gerichtszweige (und für die Finanzgerichtsbarkeit über § 155 [X.]O) verbindliche Regelung trifft, die einen Zuständigkeitsstreit von Gerichten verschiedener Rechtswege ausschließen soll (vgl. [X.] vom 26. Februar 2004 VII B 341/03, [X.], 413, [X.], 458), ist in dem Fall, dass der [X.] gegeben und das [X.] örtlich zuständig ist, keine vergleichbare Problematik gegeben. Die sachliche Zuständigkeit innerhalb des [X.] richtet sich alleine nach dem jeweils geltenden Geschäftsverteilungsplan (§ 4 [X.]O i.V.m. § 21e Abs. 1 Satz 1 [X.]). Es ist Aufgabe desjenigen [X.]-Senats, dem die Streitsache unter Anwendung der Regelungen des [X.] zugeschrieben worden ist, im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage auch der Frage seiner eigenen Zuständigkeit nachzugehen. Bei gerichtsinternen Zweifeln über die Auslegung des [X.] entscheidet das Präsidium (vgl. Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 4 Rz 26). Einen Bedarf für eine "Vorabüberprüfung" durch den [X.] gibt es danach nicht.

c) Die Richtigkeit der vorgenannten Ausführungen folgt auch aus § 70 Satz 1 [X.]O, wonach die §§ 17 bis 17b [X.] nur für die "sachliche und örtliche Zuständigkeit" entsprechend gelten. § 70 [X.]O --und damit § 17a [X.] in entsprechender Anwendung-- ist danach im Verhältnis der durch den Geschäftsverteilungsplan gebundenen Spruchkörper eines Gerichts nicht anwendbar (vgl. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 70 [X.]O Rz 3). Zwar hat der [X.] in seinem Beschluss vom 4. September 2002 XI R 64/99 ([X.]/NV 2003, 183) ausgeführt, bei der Abgabe eines Verfahrens durch einen [X.]-Senat an einen anderen [X.]-Senat könne Letzterer in entsprechender Anwendung von § 17a Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 155 [X.]O seine eigene Unzuständigkeit feststellen und die Streitsache an den abgebenden Senat zurückgeben. Dies entspricht aber nur der Handhabung von gerichtsinternen [X.], bei denen mit Blick auf die formlose Abgabe eines Verfahrens gerade keine Bindungs- und Beschwerdemöglichkeit besteht (vgl. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 70 [X.]O Rz 3).

d) Da der Beschluss des [X.] ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, war er aufzuheben. Zur Beschleunigung des weiteren Verfahrens und ohne Bindungswirkung für das [X.] weist der Senat aber auf Folgendes hin:

aa) Hinsichtlich der Frage, nach welchem Geschäftsverteilungsplan sich die Verteilung des Streitfalls nach Zurückverweisung an das [X.] zu richten hat, teilt der Senat die vom [X.] in seinem Urteil vom 12. November 2010 V ZR 181/09 ([X.], 43, unter [X.]) geäußerte Rechtsauffassung, dass trotz der Einheitlichkeit des Verfahrens ein beim Revisionsgericht durchgeführtes Verfahren eine Zäsur bildet, vor deren Hintergrund Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) --bei ursprünglich geschäftsverteilungsplanmäßiger Befassung mit der [X.] weder eine personelle Identität der erkennenden [X.] noch eine solche des Spruchkörpers verlangt. Deshalb bestehen keine Bedenken, in dem Fall, dass ein Urteil eines Instanzgerichts wegen Verstoßes gegen den gesetzlichen [X.] aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wird, die Zuständigkeit beim Instanzgericht nach dem Geschäftsverteilungsplan zu prüfen, der im Zeitpunkt der Zurückverweisungsentscheidung gilt (vgl. auch Beschluss des [X.] vom 30. Juni 2009 B 2 U 1/09 B, [X.] Aktuell 2009, 1236). Die Richtigkeit dieser Überlegung folgt daraus, dass ansonsten ggf. --etwa bei der zwischenzeitlichen Umverteilung einer Spezialmaterie im Rahmen einer Änderung des [X.]-- nach der Zurückverweisung einer eine solche Materie betreffenden Streitsache ein Senat zuständig würde, der nach dem im Zeitpunkt der Zurückverweisung geltenden Geschäftsverteilungsplan nicht mehr mit der Spezialmaterie befasst ist.

bb) Von diesen Grundsätzen ist zwar auch im Streitfall auszugehen, allerdings enthielt der im Zeitpunkt der Zurückverweisungsentscheidung maßgebliche Geschäftsverteilungsplan eine explizite Regelung, wonach ein durch den [X.] zurückverwiesenes Verfahren in die Zuständigkeit des Senats fällt, der die aufgehobene Entscheidung getroffen hat. Diese Regelung ist auslegungsbedürftig, denn sie betrifft ihrem Wortlaut nach alle Fälle der Zurückverweisung durch den [X.]. Unter Beachtung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird die Regelung dahin zu verstehen sein, dass der nach dem Geschäftsverteilungsplan ursprünglich zuständige Senat im Fall der Zurückverweisung mit der Streitsache weiter befasst werden soll. Offenkundig nicht von ihr erfasst werden hingegen Fälle der Zurückverweisung wegen Verstoßes gegen den gesetzlichen [X.]; im Gegenteil liegt der Formulierung im Geschäftsverteilungsplan die Vorstellung zugrunde, dass die zur erneuten Befassung nach Zurückverweisung führende Vorbefassung ihrerseits auf wirksamen Geschäftsverteilungsregelungen beruht. Es liegt danach nahe, die angesprochene Regelung im Geschäftsverteilungsplan --entgegen ihrem zu weiten Wortlaut-- in dem Sinne auszulegen, dass im Fall der Zurückverweisung wegen Verstoßes gegen den gesetzlichen [X.] derjenige Senat zuständig werden soll, der ohne die unter Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip vorgenommene Übertragung der Streitsache zuständig geworden wäre.

cc) Würde der Streitfall --etwa im Rahmen eines [X.] erneut durch den [X.] überprüft, so würde eine spätere (inzidente) Kontrolle der Auslegung des [X.] durch das [X.] nur unter dem Aspekt der Willkür stattfinden (vgl. z.B. [X.] vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, [X.]E 190, 47, [X.], 88). Eine vertretbare, wenn auch vom [X.] im Ergebnis nicht geteilte Auslegung des [X.] würde nicht dazu führen, dass ein Verstoß gegen den gesetzlichen [X.] anzunehmen wäre.

3. Kosten waren gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes nicht zu erheben.

Meta

IV B 93/12

20.12.2012

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend FG Bremen, 2. Juli 2012, Az: 1 K 110/11 (5), Beschluss

§ 70 S 1 FGO, § 155 FGO, § 17a Abs 2 S 1 GVG, § 17a Abs 3 S 1 GVG, § 17a Abs 3 S 2 GVG, § 17a Abs 4 S 5 GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 4 FGO, § 128 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.12.2012, Az. IV B 93/12 (REWIS RS 2012, 110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 110

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