Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Unterlassene Verlesung des Anklagesatzes Revisionsgrund
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das [X.] hat den Angeklagten unter Einbeziehung mehrerer [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt, nachdem die in dieser Sache am 18. Januar 2016 ergangene erste Entscheidung des [X.]s durch Beschluss des [X.] vom 22. September 2016 auf eine Verfahrensrüge des Angeklagten teilweise aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen wurde. Gegen das neu ergangene Urteil wendet sich der Angeklagte wiederum mit einer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Die Revision rügt mit der Verfahrensrüge, dass in der vom 3. bis zum 30. Mai 2017 andauernden, neu durchgeführten Hauptverhandlung der die vorliegende Tat betreffende [X.] aus der Anklageschrift vom 20. August 2015 nicht verlesen wurde.
II.
Auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge war die Entscheidung des [X.]s Kempten aufzuheben, sodass es auf die weitere Verfahrensrüge sowie auf die Sachrüge nicht ankommt.
1. Gemäß § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] ist nach der Vernehmung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen der [X.] zu verlesen. Dies erfüllt unter anderem den Zweck, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Schöffen, aber auch die Öffentlichkeit über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten ([X.], Urteil vom 28. April 2006 - 2 [X.], [X.], 649, 650) und ihnen zu ermöglichen, ihr Augenmerk auf die Umstände zu richten, auf die es in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ankommt ([X.] in [X.]/[X.], [X.]., § 243 [X.] Rn. 17). Auf die Verlesung kann daher auch nicht verzichtet werden (LR-Becker, [X.], 26. Aufl., § 243 Rn. 39). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch nach Zurückverweisung der Sache durch ein Rechtsmittelgericht, wobei nur insoweit Einschränkungen durch eine eingetretene Teilrechtskraft oder vorgenommene Beschränkungen oder Erweiterungen des [X.] nach § 154a Abs. 2 und 3 [X.] zu berücksichtigen sind (LR-Becker, [X.], 26. Aufl., § 243 Rn. 51; [X.] in [X.]/[X.], [X.]., § 243 [X.] Rn. 25). Nur bei Zurückverweisung der Sache allein im Strafausspruch sind statt des [X.]es insoweit das Ausgangsurteil und die zurückverweisende Revisionsentscheidung zu verlesen.
Vorliegend betraf die Aufhebung der Entscheidung vom 18. Januar 2016 auch den Schuldspruch, weshalb der entsprechende Teil des [X.]es zu verlesen war. Die Verlesung des [X.]es gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1 [X.], deren Einhaltung gemäß § 274 [X.] nur durch das Protokoll bewiesen werden kann ([X.], Urteil vom 13. Dezember 1994 - 1 [X.], [X.], 200, 201). Nachdem das Sitzungsprotokoll hierzu schweigt, muss der [X.] davon ausgehen, dass der [X.] in der neuen Hauptverhandlung nicht verlesen wurde.
2. Die Verlesung des [X.]es ist ein so wesentliches Verfahrenserfordernis, dass die Unterlassung im Allgemeinen die Revision begründet ([X.], Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 1 [X.], [X.], 214). Allenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen der Zweck der Verlesung des [X.]es durch die Unterlassung nicht beeinträchtigt worden ist, kann ein Beruhen des Urteils auf der Nichtverlesung des [X.]es unter Umständen ausgeschlossen werden ([X.], Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 1 [X.], aaO). Wie der [X.] in seiner Antragsschrift vom 9. Oktober 2017 ausführlich dargelegt hat, liegt der vorliegenden Strafsache schon angesichts des Umfangs der Tatschilderung in der angefochtenen Entscheidung kein einfach gelagerter Sachverhalt zu Grunde, was auch durch die umfangreiche Beweiswürdigung bestätigt wird. Auch wenn Teile des [X.] und des angefochtenen Urteils in der Hauptverhandlung zur Verlesung kamen, reichte dies zur Information der Prozessbeteiligten, welche den Akteninhalt nicht kannten, erst recht nicht zur Information der Öffentlichkeit aus. Der [X.] vermag daher nicht auszuschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf dem [X.] beruht.
Raum |
|
Graf |
|
Jäger |
|
Bellay |
|
[X.] |
|
Meta
24.04.2018
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Urteil
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Kempten, 30. Mai 2017, Az: 2 KLs 311 Js 11639/14 (2)
§ 243 Abs 3 S 1 StPO, § 273 Abs 1 StPO, § 274 StPO
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.04.2018, Az. 1 StR 481/17 (REWIS RS 2018, 10308)
Papierfundstellen: REWIS RS 2018, 10308
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 StR 481/17 (Bundesgerichtshof)
5 StR 401/23 (Bundesgerichtshof)
4 StR 424/18 (Bundesgerichtshof)
Erörterung einer überlangen Verfahrensdauer in Urteilsgründen notwendig
5 StR 90/19 (Bundesgerichtshof)
Revisionsgrund im Strafverfahren: Nichtverlesung des Anklagesatzes in neuer Hauptverhandlung nach Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung …