Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2021, Az. III ZR 79/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 8617

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Gegenstand

Zulassung der Revision durch ein bayerisches Berufungsgericht:  Nachholung der versehentlich unterbliebenen Entscheidung über das zuständige Revisionsgericht; Bindungswirkung des Berichtigungsbeschlusses


Leitsatz

1. In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder des Bundesgerichtshofs für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden.

2. Die versehentlich unterbliebene Entscheidung über das zuständige Revisionsgericht kann das Berufungsgericht mit Bindungswirkung durch Berichtigungsbeschluss gemäß § 319 Abs. 1 ZPO nachholen. Bestimmt das Berufungsgericht nachträglich das Bayerische Oberste Landesgericht als Revisionsgericht, ist diese Entscheidung auch für den Bundesgerichtshof gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend. Dieser erklärt sich entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO für unzuständig und übersendet die Prozessakten dem Bayerischen Obersten Landesgericht.

Tenor

Der [X.] ist für die Entscheidung über die Revision der Klägerin unzuständig.

Der auf den 25. März 2021 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] Oberste Landesgericht zur Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin abgegeben.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, ein privater Krankenversicherer, begehrt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer Rückzahlung ärztlicher Honorare, die der Beklagte, ein in [X.] niedergelassener Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, für von ihm erbrachte [X.] abgerechnet hat. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe die Untersuchungen in unzulässiger Weise außerhalb seines Fachgebiets vorgenommen.

2

Das Landgericht [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das [X.] mit Urteil vom 9. März 2020 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach Art. 34 Abs. 1 des [X.] ([X.]) dürfe, wer eine [X.]sbezeichnung (im Sinn des Art. 27 [X.]) führe, grundsätzlich nur in dem betreffenden [X.] tätig sein. Inhalt und Umfang der [X.]e, auf die Art. 34 Abs. 1 [X.] Bezug nehme, würden nach Art. 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] in einer Weiterbildungsordnung ([X.]) geregelt, die von der [X.] mit Genehmigung des [X.] erlassen werde (Art. 35 Abs. 1 [X.]). § 2 Abs. 2 [X.] in der hier einschlägigen Fassung vom 24. April 2004 lege eindeutig fest, dass die Grenzen für die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit durch die [X.]sdefinition bestimmt werde und innerhalb des jeweiligen [X.]s nicht nur die Weiterbildungsinhalte für die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit maßgebend seien. Die Magnetresonanztomografie sei daher für den Orthopäden und den Chirurgen im Rahmen der Erkennung der in der [X.]sdefinition angeführten Erkrankungen gebietskonform. Die innerhalb eines [X.]s berufsrechtlich erlaubten Tätigkeiten gingen über die Summe der Weiterbildungsinhalte hinaus.

3

Das Berufungsgericht hat die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der "Auslegung des § 2 [X.] hinsichtlich der für die [X.]skonformität fachärztlicher Tätigkeit maßgebenden Kriterien" zugelassen, ohne zunächst zu bestimmen, ob der [X.] oder das [X.] Oberste Landesgericht für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision zuständig ist. Die Klägerin hat daraufhin die Revision bei beiden Gerichten form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2020 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] auf den 25. März 2021 bestimmt. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2020 hat das [X.] das Urteil vom 9. März 2020 gemäß § 319 ZPO im Tenor dahin berichtigt, dass die Revision zum [X.]n Obersten Landesgericht zugelassen wird.

II.

4

Der [X.] ist für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin unzuständig (§ 7 Abs. 1 EGZPO i.V.m § 8 Abs. 2 [X.] und Art. 11 Abs. 1 [X.]). Die Sache ist an das nunmehr zuständige [X.] Oberste Landesgericht abzugeben.

5

1. Gemäß Art. 11 Abs. 1 [X.] tritt das [X.] Oberste Landesgericht, das - nach seiner vorübergehenden Auflösung - mit Wirkung vom 15. September 2018 wieder errichtet worden ist, in dem durch § 8 Abs. 2 [X.] abgesteckten Rahmen als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht an die Stelle des [X.]s, wenn im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung kommen, die im Landesrecht [X.] enthalten sind. In Verfahren, in denen ein [X.] Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses daher nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des [X.]n Obersten Landesgerichts oder des [X.]s für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden. Die Entscheidung ist für das gesamte weitere Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend.

6

2. Solange eine solche Entscheidung, etwa versehentlich, von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden ist, kann die zugelassene Revision nach dem [X.] fristwahrend sowohl beim [X.] als auch beim [X.]n Obersten Landesgericht eingelegt (und begründet) werden (Senat, Beschluss vom 6. Juni 2019 - [X.]/18, NJW 2020, 691 Rn. 6; [X.], Urteile vom 8. Oktober 1980 - [X.], juris Rn. 8, insoweit in NJW 1981, 172 nicht abgedruckt; vom 20. Januar 1994 - [X.], NJW 1994, 1224 und vom 14. Januar 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 716, 717; Beschlüsse vom 26. November 1980 - [X.], NJW 1981, 576, 577; vom 19. August 1998 - [X.] 43/97, NJW 1998, 3571 und vom 4. Mai 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1230). Dementsprechend konnte die Klägerin im vorliegenden Fall infolge zunächst unterbliebener Bestimmung des zuständigen Revisionsgerichts durch das [X.] das Rechtsmittel innerhalb der Monatsfrist des § 548 ZPO bei beiden Revisionsgerichten einlegen. Die gegenüber einem der beiden Revisionsgerichte bis zur endgültigen Zuständigkeitsbestimmung vorgenommenen Prozesshandlungen behalten ihre Wirksamkeit auch dann, wenn nachträglich die Zuständigkeit des anderen Gerichts bestimmt wird ([X.], Urteil vom 8. Oktober 1980 aaO Rn. 9; [X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 7 EGZPO Rn. 4).

7

3. Die Entscheidung über das zuständige Revisionsgericht konnte das [X.] mit Bindungswirkung durch Berichtigungsbeschluss gemäß § 319 Abs. 1 ZPO nachholen. Bestimmt das Berufungsgericht - wie hier - nachträglich das [X.] Oberste Landesgericht als Revisionsgericht, ist diese Entscheidung auch für den [X.] gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend. Dieser erklärt sich entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO für unzuständig und übersendet die Prozessakten dem [X.]n Obersten Landesgericht (vgl. [X.]/[X.] aaO Rn. 4 für den Fall einer gänzlich unterbliebenen Zuständigkeitsentscheidung).

8

Entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt dem Berichtigungsbeschluss nicht ausnahmsweise die Bindungswirkung. Es trifft zwar zu, dass [X.], die erkennbar keine gesetzliche Grundlage haben, nicht bindend sind (vgl. [X.], Urteile vom 9. Dezember 1987 - [X.], NJW-RR 1988, 407, 408 und vom 25. Februar 2000 - [X.], NJW-RR 2001, 61). So liegt der Fall hier aber nicht. Aus den Gründen seines Urteils ergibt sich eindeutig, dass das Berufungsgericht die Entscheidung maßgeblich auf Bestimmungen des [X.] sowie auf die Auslegung der von der [X.]n [X.] nach Art. 35 Abs. 1 [X.] als Satzung erlassenen Weiterbildungsordnung gestützt hat. Der landesrechtliche Rechtsstoff bildet somit den Schwerpunkt des Rechtsstreits und überwiegt im Sinne des § 8 Abs. 2 [X.]. Zudem hat das Berufungsgericht im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung der Revision die Bedeutung der Auslegung des § 2 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte [X.] "hinsichtlich der für die [X.]skonformität fachärztlicher Tätigkeit maßgeblichen Kriterien" hervorgehoben. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war es zulässig, den [X.] hinsichtlich der versehentlich unterbliebenen Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 319 Abs. 1 ZPO mit Bindungswirkung für den [X.] und das [X.] Oberste Landesgericht zu berichtigen (vgl. [X.], Urteile vom 8. Oktober 1980 aaO Rn. 7, 9; vom 20. Januar 1994 aaO; vom 14. Januar 2005 aaO und vom 17. Dezember 2020 - I ZR 158/19, BeckRS 2020 39398 Rn. 7; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 41. Aufl., § 8 EGZPO Rn. 4; [X.]/[X.] aaO). Es kann deshalb dahinstehen, ob die Bestimmung des zuständigen Revisionsgerichts auch durch Urteilsergänzung nach § 321 ZPO nachgeholt werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. August 1998 aaO und 4. Mai 2005 aaO; BLHAG/[X.], ZPO, 79. Aufl., § 7 EGZPO Rn. 2; [X.]/[X.] aaO).

9

4. Indem die Klägerin die Revision sowohl beim [X.] als auch beim [X.]n Obersten Landesgericht eingelegt hat, hat sie zwar zwei Verfahren eingeleitet; es liegt jedoch nur ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das einheitlich zu entscheiden ist. Die zeitgleich anhängigen Rechtsmittelverfahren müssen durch die angerufenen Gerichte koordiniert werden ([X.], Beschluss vom 26. November 2020 - [X.] 151/19, BeckRS 2020, 36581 Rn. 10 f; siehe auch Urteil vom 15. Februar 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 780 und Beschluss vom 29. September 2011 - [X.] 157/11, NJW-RR 2012, 141 Rn. 5). Im Fall einer bindenden nachträglichen Zuständigkeitsbestimmung (§ 7 Abs. 1 EGZPO) sind die beiden Revisionsverfahren dadurch zusammenzuführen, dass das nunmehr unzuständige Revisionsgericht entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO verfährt, das heißt seine Unzuständigkeit erklärt und die Sache unter Übersendung der Prozessakten an das zuständige Revisionsgericht abgibt. Insoweit kommen entgegen der Ansicht des Beklagten weder die Erledigterklärung des Rechtsmittels noch dessen Verwerfung als unzulässig in Betracht.

[X.]     

      

[X.]     

      

Reiter

      

Kessen     

      

Herr     

      

Meta

III ZR 79/20

18.02.2021

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Nürnberg, 9. März 2020, Az: 5 U 634/18, Urteil

§ 319 Abs 1 ZPO, § 7 Abs 1 S 1 ZPOEG, § 7 Abs 1 S 2 ZPOEG, § 7 Abs 2 S 2 ZPOEG, § 8 Abs 2 GVGEG, Art 11 Abs 1 GVGAG BY

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2021, Az. III ZR 79/20 (REWIS RS 2021, 8617)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 961 REWIS RS 2021, 8617


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. III ZR 79/20

Bundesgerichtshof, III ZR 79/20, 18.02.2021.


Az. 5 U 634/18

OLG Nürnberg, 5 U 634/18, 09.03.2020.


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