OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.12.2021, Az. 6 W 101/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 196

EINSTWEILIGER RECHTSSCHUTZ RECHTLICHES GEHÖR WAFFENGLEICHHEIT

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Gegenstand

Eilverfahren: Sofortiges Anerkenntnis mit der Kostenfolge des § 93 ZPO trotz Sequestrationsantrages


Leitsatz

1. Die vor Einreichung eines Eilantrages in der Regel erforderliche Abmahnung ist entbehrlich, wenn neben anderen Ansprüchen auch ein Sequestrationsantrag gestellt wird.

2. Wird in derartigen Fällen dem Eilantrag durch Beschlussverfügung ohne Anhörung entsprochen, ist dies zwangsläufig mit einer Kostenentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin verbunden. Wird gegen den Beschluss lediglich Kostenwiderspruch eingelegt, kann die sachliche Berechtigung des Sequestrationsanspruchs nicht mehr überprüft werden.

3. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch ncht vor, wenn das Landgericht aufgrund der Umstände des Einzelfalls das Sicherungsinteresse der Antragstellerin nicht für gegeben hält und daher den Schuldner vor Erlass der einstweiligen Verfügung anhört und dieser daraufhin die Eilanträge anerkennt. Dem so erklärten Anerkenntnis, das gleichzeitig mit dem Antrag verbunden wird, der Antragstellerin nach § 93 ZPO die Kosten aufzuerlegen, kann nicht die Erklärung beigemessen werden, es werde auch die Berechtigung der Sequestrationsanordnung anerkannt.

4. Im Beschwedeverfahren ist es dem Beschwerdegericht nicht verwehrt, die sachliche Berechtigung der Sequestrationsanordnung zu überprüfen. Um der Gefahr einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Sequestrationsanspruchs - insbesondere zur Umgehung der Anhörung des Gegners - zu begegnen, ist eine Prüfung notwendig, ob ein schützenswertes Sicherungsinteresse für die Sequestration tatsächlich bestand.

Tenor

Das Anerkenntnisurteil des [X.] vom 8.11.2021 wird im allein angegriffenen Kostenpunkt abgeändert. Die Antragstellerin hat die Kosten des Eilverfahrens einschließlich derjenigen des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der [X.] entspricht dem [X.] der Antragsgegnerin.

Gründe

[X.]

Die Parteien streiten über die Kosten eines einstweiligen Verfügungsverfahrens.

Die Antragstellerin beantragte gegen die Antragsgegnerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Markenverletzung, wobei sie Unterlassung ([X.]), Auskunft (I[X.]) und Herausgabe der betreffenden Gegenstände an einen Gerichtsvollzieher zum Zweck der Vernichtung (II[X.]) begehrte. Sie mahnte die Antragsgegnerin vor Einreichung der Antragsschrift nicht ab.

Das [X.] hat mit [X.]uss vom [X.] die schriftliche Anhörung der Antragsgegnerin angeordnet. Mit Schriftsatz vom 7.10.2021 hat die Antragsgegnerin die einstweilige Verfügung im Hinblick auf die Anträge zu [X.] - II[X.] anerkannt. Gleichzeitig hat sie beantragt, der Antragstellerin gemäß § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Daraufhin hat das [X.] die einstweilige Verfügung mit [X.] vom 8.11.2021 erlassen. Die Kosten des Verfahrens hat es der Antragsgegnerin auferlegt. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde.

I[X.]

Die nach § 99 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das [X.] hat zu Unrecht der Antragsgegnerin die Kosten des Eilverfahrens auferlegt. Es liegt ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO vor.

a) Nach § 93 ZPO fallen die Kosten einer Klage dem Kläger zur Last, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Nach diesem Rechtsgedanken, der auch auf das Eilverfahren anzuwenden ist ([X.]/[X.] ZPO, 33. Auflage, § 93 Rn 2), muss die Antragstellerin nach einem sofortigen Anerkenntnis die Kosten grundsätzlich dann tragen, wenn sie die Antragsgegnerin vor Beantragung der einstweiligen Verfügung wegen des beanstandeten Verhaltens nicht abgemahnt hat. Denn Veranlassung zu einem gerichtlichen Vorgehen gibt grundsätzlich nur derjenige, der dem Begehren außergerichtlich nicht nachkommt.

b) Anders kann die Lage zu beurteilen sein, wenn eine Abmahnung aufgrund des [X.] nicht zumutbar ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. [X.]uss vom 14.4.2020 - 6 W 31/20 = [X.], 914; vom 9.7.2015 - 6 W 59/15; vom 24.10.2005 - 6 W 149/05 = [X.], 264) ist die vor Einreichung eines Eilantrages im [X.] des Antragsgegners in der Regel erforderliche Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, wenn neben anderen Ansprüchen mit dem Eilantrag auch ein auf die Sicherung eines [X.] gerichteter [X.]santrag (Herausgabe von [X.] an den Gerichtsvollzieher) gestellt wird. Eine solche Abmahnung liefe dem Zweck der [X.] zuwider, da sie dem Antragsgegner Zeit und Gelegenheit gäbe, diejenigen Maßnahmen zur Beiseiteschaffung der [X.] zu ergreifen, die mit der einstweiligen Verfügung gerade unterbunden werden sollen.

aa) In solchen Fällen bleibt - trotz der neueren Rechtsprechung des [X.] zur prozessualen Waffengleichheit im Eilverfahren ([X.], [X.]uss vom 11.1.2021 - 1 BvR 2681/20; [X.], [X.]uss vom 22.12.2020 - 1 BvR 2740/20 = [X.], 518; [X.], [X.]uss vom 17.6.2020 - 1 BvR 1380/20 = [X.], 1177; [X.], [X.]uss vom 3.6.2020 - 1 BvR 1246/20 - Personalratswahl bei der [X.] = GRUR 2020, 773 = [X.], 847; [X.], [X.]uss vom 30.9.2018 - 1 BvR 1783/17 - Die F.-Tonbänder = [X.], 1288 = WRP 2018, 1448) - eine Entscheidung über den Eilantrag ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin möglich. Das [X.] selbst zeigt Konstellationen auf, in denen eine vorherige Anhörung ausnahmsweise entbehrlich ist, nämlich, wenn diese den Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereiteln würde ([X.], [X.]uss vom [X.] - 1 BvR 1783/17 - Die F.-Tonbänder, juris Rn 15 = [X.], 1288 = WRP 2018, 1448; [X.], [X.]uss vom 3.6.2020 - 1 BvR 1246/20 - Personalratswahl bei der [X.], juris Rn 16 = GRUR 2020, 773 = [X.], 847; Ringer/[X.] 2020, 359 unter Ziffer I[X.]; Löffel WRP 2019, 8, 9; [X.] GRUR 2020, 715, 223; jeweils mit weiteren Nachweisen). Hierzu können Fälle gehören, in denen - wie hier - mit der einstweiligen Verfügung gleichzeitig eine [X.] beantragt wird. Denn dabei kommt es häufig darauf an, dass der Antragsgegner durch die Abmahnung nicht gewarnt wird und Vorkehrungen treffen kann, die geeignet sind, die [X.] zu vereiteln.

bb) Wird in derartigen Fällen dem Eilantrag durch [X.]ussverfügung ohne Anhörung der Antragsgegnerin entsprochen, ist dies zwangsläufig mit einer Kostenentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin verbunden. Wird gegen den [X.]uss lediglich Kostenwiderspruch eingelegt, kann die sachliche Berechtigung der [X.] nicht mehr überprüft werden. Denn die [X.] ist durch den Kostenwiderspruch nach § 93 ZPO anerkannt worden (vgl. [X.], [X.]uss vom 14.4.2020 - 6 W 31/20 = [X.], 914; [X.], [X.]uss vom 9.7.2015 - 6 W 59/15, Rn 7; [X.], [X.]uss vom 24.10.2005 - 6 W 149/05 = [X.], 264 - Rn 2).

cc) Ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch nicht vor, wenn das [X.] aufgrund der Umstände des Einzelfalls das [X.] des Gläubigers nicht für gegeben hält und daher den Schuldner vor Erlass der einstweiligen Verfügung anhört und dieser daraufhin die Eilanträge anerkennt (vgl. [X.], [X.]uss vom 16.3.2021 - 6 W 102/19 = [X.], 803 = [X.], 404 = NJW-RR 2021, 1079). Der mit dem [X.]santrag verfolgte [X.] kann in diesem Fall nicht mehr eintreten. Dem vor Erlass der einstweiligen Verfügung erklärten Anerkenntnis, das gleichzeitig mit dem Antrag verbunden wird, der Antragstellerin nach § 93 ZPO die Kosten aufzuerlegen, kann daher nicht die Erklärung beigemessen werden, es werde auch die Berechtigung der [X.] anerkannt.

dd) Im Beschwerdeverfahren ist es dem Beschwerdegericht damit nicht verwehrt, die sachliche Berechtigung der [X.] zu überprüfen ([X.], [X.]uss vom 16.3.2021 - 6 W 102/19 = [X.], 803 = [X.], 404 = NJW-RR 2021, 1079). Um der Gefahr einer missbräuchlichen Geltendmachung des [X.]sanspruchs - insbesondere zur Umgehung der Anhörung des Gegners - zu begegnen, ist eine Prüfung notwendig, ob ein schützenswertes [X.] für die [X.] tatsächlich bestand (Festhaltung an: [X.], [X.]uss vom 14.4.2020 - 6 W 31/20 = [X.], 914).

(1) Die Anordnung der Herausgabe rechtsverletzender Gegenstände zur Verwahrung an den Gerichtsvollzieher im Eilverfahren ([X.]) setzt das Bestehen eines [X.] sowie ein hinreichendes Sicherungsbedürfnis des Verletzten voraus. Entscheidend ist, wie hoch nach den [X.] die Gefahr einzuschätzen ist, dass der Verletzer nach einem Hinweis auf die Entdeckung der Verletzungshandlung versuchen wird, die [X.] beiseite zu schaffen und sich dadurch dem [X.] zu entziehen ([X.], [X.]uss vom [X.], juris). Maßgeblich ist dabei, ob die Umstände des konkreten Einzelfalls geeignet sind, bei dem Berechtigen die ernste Besorgnis zu begründen, dass der [X.] sich bei einer vorherigen Abmahnung um schnelle Beseitigung eines etwa vorhandenen Warenbestandes bemühen werde. Diese Besorgnis ist grundsätzlich berechtigt, wenn es sich um einen Fall der Weiterverbreitung schutzrechtverletzender Ware handelt. In diesen Fällen darf der Unterlassungsgläubiger regelmäßig davon ausgehen, dass der Verletzer die Sequestrierung zu vereiteln versucht, um die sich aus einer [X.] ergebenden wirtschaftlichen Nachteile zu vermeiden ([X.], Urteil vom 19.3.2004, 308 [X.] = [X.], 191). Der Gläubiger muss daher normalerweise die Gefahr einer Vereitelung des Rechtsschutzes nicht durch besondere Verdachtsmomente belegen. Es besteht vielmehr von vornherein die ernste Besorgnis, der Schuldner werde versuchen, die fragliche Ware bei Seite zu schaffen. Nur wenn diese Gefahr ausnahmsweise ausgeschlossen erscheint, ist dem Gläubiger eine Abmahnung zuzumuten.

(2) Eine Ausnahme von dem vermuteten [X.] kann zum Beispiel gegeben sein, wenn eine [X.] später nicht vollzogen wird. In solchen Fällen ist zu verlangen, dass von [X.] schlüssig dargelegt wird, wieso trotz eines bestehenden objektiven [X.]s gerade im Einzelfall aufgrund welcher Erkenntnisse auf eine [X.] verzichtet wurde ([X.], [X.]uss vom [X.], Rn 11, 12, juris). Ein Ausnahmefall ist aber auch gegeben, wenn sich - auch aus der maßgeblichen Sicht der Antragstellerin - aus den äußeren Umständen Zweifel aufdrängen, dass die Gefahr einer Vereitelung des Herausgabeanspruchs besteht. Es gilt zu verhindern, dass ein [X.]sanspruch nur deshalb gestellt wird, um eine vorherigen Anhörung der Antragsgegnerin zu vermeiden ([X.], [X.]. v. 16.3.2021 - 6 W 102/19).

c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin im Streitfall keinen Anlass für die Einreichung des [X.] ohne vorherige Abmahnung gegeben. Das [X.] ging selbst nicht von dem für die [X.] erforderlichen [X.] aus (vgl. S. 4 des angefochtenen [X.]usses). Daher hat es die Antragsgegnerin vor Erlass der einstweiligen Verfügung angehört. Daraufhin hat die Antragsgegnerin die Eilanträge anerkannt. Sie hat in ihrem entsprechenden Schriftsatz deutlich gemacht, dass sie nur aus wirtschaftlichen Gründen die Antragstellerin klaglos stellen wolle. Sie gehe zwar nicht von einer Markenverletzung aus, habe aber die Werbekampagne mit den angegriffenen Gegenständen bereits beendet. Daher erkenne sie die Ansprüche an. Dem Anerkenntnis kann damit nicht die Erklärung entnommen werden, die Antragsgegnerin halte den Herausgabeanspruch mitsamt der [X.] für berechtigt. Ein ausreichendes [X.] bestand tatsächlich nicht. Es handelt sich nicht um einen Fall der Produktpiraterie oder einer vorsätzlichen Schutzrechtsverletzung. Die Antragstellerin wirft der Antragsgegnerin vor, eine mit ihrer Formmarke verwechslungsfähige Verpackungsgestaltung gewählt zu haben. Eine konkrete Gefahr des Beiseiteschaffens liegt bei dieser Sachlage eher fern. Eine solche Gefahr wird von der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung auch nicht konkret dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht erfüllt (§§ 574 Abs. 2 i.V.m. 542 Abs. 2 ZPO).


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Meta

6 W 101/21

17.12.2021

OLG Frankfurt 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: W

§ 93 ZPO

Zitier­vorschlag: OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.12.2021, Az. 6 W 101/21 (REWIS RS 2021, 196)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 196

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