Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2019, Az. 1 StR 364/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1396

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Gegenstand

Voraussetzungen der Anordnung eines Berufsverbots: Missbrauch von Beruf oder Gewerbe; Verabreichen von Medikamenten zur Betäubung von Missbrauchsopfern durch einen Kinderarzt


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Januar 2019 im Ausspruch über das Berufsverbot aufgehoben; diese Maßregel entfällt.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang wegen zahlreicher Fälle des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern, überwiegend begangen in Tateinheit mit weiteren Delikten wie Vergewaltigung, Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, gefährlicher Körperverletzung, Entziehung Minderjähriger, Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften mit Realitätsgehalt sowie Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, und in einem weiteren Fall wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Entziehung Minderjähriger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hatte es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ihm für immer verboten, den Beruf des Arztes auszuüben. Der [X.] hat auf Revision des Angeklagten den Schuldspruch in dem zuletzt genannten Fall sowie den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (Beschluss vom 23. Februar 2017 - 1 StR 362/16).

2

Im zweiten Rechtsgang hat das [X.] das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 [X.] hinsichtlich des [X.] eingestellt, bezüglich dessen der [X.] die Verurteilung aufgehoben hatte; zudem hat es die Rechtsfolgen neu festgesetzt. Nunmehr hat das [X.] den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und neun Monaten verurteilt, erneut die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet sowie ihm für immer verboten, den Beruf des Arztes auszuüben. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall des [X.]; im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

I.

3

Die Verfahrensrüge wird aus den vom [X.] genannten Gründen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht gerecht und ist daher unzulässig. Sie hätte zudem in der Sache keinen Erfolg gehabt.

II.

4

Der Strafausspruch und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung halten der auf die Sachrüge vorgenommenen rechtlichen Nachprüfung stand.

5

1. Der Strafausspruch wahrt auch bei den Einzelstrafen das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 [X.]). Das [X.] war entgegen der Auffassung der Revision nicht gezwungen, wegen zusätzlicher Strafmilderungsgründe die im ersten Rechtsgang festgesetzten Einzelstrafen zu unterschreiten. Vielmehr hat es die Höhe der von ihm verhängten [X.] rechtsfehlerfrei begründet. Nichts anderes gilt angesichts des langen Tatzeitraums und der Selbständigkeit der Taten von verschiedener Begehungsweise und mit vielen Opfern für die Gesamtfreiheitsstrafe.

6

2. Die Ermessensentscheidung des [X.]s, die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen (§ 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB), weist ebenso wenig einen Rechtsfehler auf. Die Urteilsgründe lassen auch die Nachprüfung zu, dass das [X.] sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat (vgl. zu den Anforderungen [X.], Beschluss vom 27. Juni 2019 - 1 [X.] Rn. 4 f. mwN). Insbesondere hat es mit sachverständiger Hilfe den Therapiebedarf des Angeklagten, der aufgrund von dessen pädosexueller Deviation über den langen Freiheitsentzug hinaus bestehe, und den gegenwärtig trotz der durchgeführten Einzelgespräche noch unklaren Erfolg von weiteren Behandlungsmaßnahmen eingehend begründet ([X.] ff.). Die damit nur denkbaren positiven Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus, um von der Sicherungsverwahrung absehen zu können (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 [X.] Rn. 14 mwN).

III.

7

Das lebenslange Berufsverbot hat hingegen zu entfallen.

8

1. Diese Maßregel kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil die [X.] sie ermessensfehlerhaft angeordnet hat. Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit oder auch nur ein bestimmter Personenkreis vor weiterer Gefährdung geschützt werden sollen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2017 - 1 StR 570/16 Rn. 8 mwN). Sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB gegeben, liegt es im Ermessen des Tatgerichts, das Berufsverbot auszusprechen.

9

Die [X.] durfte die Erforderlichkeit der Maßregel nicht wie geschehen darauf stützen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat und für den Fall, dass daraufhin seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfallen sollte, ihn das Verschlechterungsverbot vor einem Berufsverbot schütze. Diese Erwägung ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil dem [X.] das Rechtsmittel des Angeklagten nicht bekannt sein konnte, als es die Maßregel verhängt hat. Ebenso rechtsfehlerhaft ist es, auf eine mögliche Aussetzung der Sicherungsverwahrung im Fall eines gesetzwidrigen Vollzugsverlaufs infolge nicht ausreichender Betreuungsangebote (vgl. § 66c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) abzustellen. Ob die auch in diesem Fall eintretende und auszugestaltende Führungsaufsicht (vgl. §§ 68b, 68c StGB) als künftige weitere Maßregel das Berufsverbot entbehrlich machen könnte, hat die [X.] zudem nicht erörtert.

2. Der [X.] lässt entsprechend § 354 Abs. 1 [X.] das Berufsverbot entfallen, da nach den Urteilsgründen (weiterhin) bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht erfüllt sind.

a) Ein Missbrauch von Beruf oder Gewerbe im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Täter unter bewusster Missachtung der ihm gerade durch seinen Beruf oder sein Gewerbe gestellten Aufgaben seine Tätigkeit ausnutzt, um einen diesen Aufgaben zuwiderlaufenden Zweck zu verfolgen. Dazu genügt ein bloß äußerer Zusammenhang in dem Sinne, dass der Beruf dem Täter lediglich die Möglichkeit gibt, Straftaten zu begehen, nicht. Die strafbare Handlung muss vielmehr Ausfluss der jeweiligen Berufs- oder Gewerbetätigkeit selbst sein und einen berufstypischen Zusammenhang erkennen lassen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 17. Mai 1968 - 2 StR 220/68 Rn. 5, [X.]St 22, 144, 145 f. und vom 6. Juni 2003 - 3 [X.] Rn. 7 mwN); sie muss symptomatisch für die Unzuverlässigkeit des [X.] im Beruf erscheinen ([X.], Urteil vom 9. März 2011 - 2 [X.], [X.]R StGB § 70 Abs. 1 Pflichtverletzung 8 Rn. 10).

Des Weiteren ist eine Verletzung der mit dem Beruf oder Gewerbe verbundenen Pflichten nur zu bejahen, wenn der Täter bei Tatbegehung gegen eine der speziellen Pflichten, die ihm bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes auferlegt sind, verstößt. Auch hierfür bedarf es eines berufstypischen Zusammenhangs der Tat zu der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (vgl. [X.]/[X.], 4. Aufl., § 70 Rn. 10 mwN).

b) Der [X.] hat im ersten Rechtsgang für die neue Hauptverhandlung darauf hingewiesen, dass die bis dahin getroffenen Feststellungen - insbesondere das Verabreichen von Medikamenten zur Betäubung zweier Missbrauchsopfer - nicht ausreichten, um einen berufstypischen Zusammenhang der Taten zur ärztlichen Tätigkeit des Angeklagten zu belegen (vgl. Beschluss vom 23. Februar 2017 - 1 StR 362/16, [X.]R StGB § 70 Abs. 1 Pflichtverletzung 9 Rn. 40 f. mwN). Denn zu dieser wiesen die festgestellten Tatumstände lediglich einen äußeren Bezug auf, auch soweit der Angeklagte möglicherweise als Arzt Zugriff auf die eingesetzten Medikamente hatte (vgl. auch [X.], Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 [X.] Rn. 3 für die Berufspflichten eines Krankenpflegers). Hieran hält der [X.] fest.

c) Die Maßregel kann auch nicht auf die neue Feststellung in dem angefochtenen Urteil gestützt werden, der Angeklagte habe die an von ihm organisierten Ausflügen teilnehmenden und hierbei von ihm missbrauchten Kinder, soweit sie gesundheitlich eingeschränkt waren (vgl. Fall D.I. Teil 2, dort [X.]. der Urteilsgründe, [X.]), auch als Arzt betreut. Die Beweiswürdigung des [X.]s trägt diese Feststellung nicht. Die von der [X.] insoweit allein herangezogene Erklärung des Angeklagten nach Ansprache durch eine Zeugin auf die Asthma- und Zöliakie-Erkrankungen ihres [X.], er sei „vom Fach“ und das Kind „bei ihm als Arzt in den besten Händen“ ([X.] f.), belegt das Zustandekommen eines Behandlungsvertrages (vgl. dazu [X.] in [X.], 8. Aufl., § 630a Rn. 27 ff.) nicht. Dass die Zeugin den Angeklagten um die medizinische Behandlung ihres [X.] gebeten hätte, ergeben die Urteilsgründe nicht.

Darüber hinaus konnte das [X.] nicht feststellen, dass der Angeklagte ein an den Ausflügen teilnehmendes Kind tatsächlich im Zusammenhang mit einer der Taten ärztlich behandelt hätte. Demnach bestand zu seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt, die er auch für die [X.] gegenüber den Verantwortlichen der Grundschulen der Kinder hervorhob, allein ein äußerer, nicht aber der notwendige berufstypische Zusammenhang.

d) Die Maßregel ist demgemäß aufzuheben; sie entfällt. Der [X.] entscheidet insoweit selbst in der Sache, da unter den gegebenen Umständen ausgeschlossen ist, dass in einer neuen Verhandlung noch weitere Feststellungen, die das Berufsverbot rechtfertigen würden, getroffen werden könnten.

IV.

Auch angesichts des Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig im Sinne des § 473 Abs. 4 [X.], den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels und den hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen der Nebenkläger (vgl. dazu [X.] in [X.]/[X.], [X.], 62. Aufl., § 473 Rn. 29 mwN) zu belasten. Denn der Angeklagte hätte - zumal er seine [X.] „zurückgegeben“ hat ([X.], 125; vgl. § 9 Satz 1 BÄO) - das Rechtsmittel ebenso eingelegt, wenn bereits das [X.] kein Berufsverbot verhängt hätte.

VRi[X.] Dr. Raum
befindet sich im
Urlaub und ist daher
gehindert zu
unterschreiben.

      

Jäger     

      

Hohoff

Jäger

      

      

      

      

      

     Leplow     

      

[X.]     

        

Meta

1 StR 364/19

19.11.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 29. Januar 2019, Az: 3 KLs 201 Js 135930/14 (2)

§ 70 Abs 1 S 1 StGB, § 176 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2019, Az. 1 StR 364/19 (REWIS RS 2019, 1396)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1396

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 362/16

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3 StR 466/10

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2 StR 609/10

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