Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2021, Az. XII ZB 191/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 4475

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Gegenstand

Unterbringungssache: Zwangsbehandlung eines an Schizophrenie leidenden Betreuten mittels Elektrokonvulsionstherapie


Leitsatz

Zur Zwangsbehandlung eines an Schizophrenie in akut exazerbiertem, teils katatonem Zustand leidenden Betreuten mittels Elektrokonvulsionstherapie/Elektrokrampftherapie (EKT), durch deren Wirkung eine nachfolgende neuroleptische Behandlung ermöglicht werden soll (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Januar 2020 - XII ZB 381/19, BGHZ 224, 224 = FamRZ 2020, 534).

Tenor

Der Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2021 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

1

Für die 38jährige Betroffene ist seit deren 20. Lebensjahr eine Betreuung eingerichtet. Seit November 2018 ist sie wegen einer chronifizierten [X.] Psychose untergebracht und gilt, was die medikamentöse Behandlung betrifft, bis auf einen noch ausstehenden Behandlungsversuch mit [X.] als austherapiert. Im März/April 2019 unterzog sie sich freiwillig einer Behandlung durch Elektrokonvulsionstherapie/Elektrokrampftherapie ([X.]), die für eine gewisse Zeit zu einer Besserung führte. Weitere Behandlungsreihen schlossen sich gegen den Willen der Betroffenen aufgrund gerichtlicher Genehmigungen an.

2

Für die Dauer vom 3. März bis 14. April 2021 hat das Amtsgericht die Anwendung weiterer [X.] in 15 Sitzungen sowie anschließend wöchentliche Erhaltungs-[X.] nebst näher bezeichneter anästhesiologischer Begleitmaßnahmen einschließlich angstlösender [X.] und 7-Punkt-Fixierung genehmigt. Das [X.] hat die Beschwerde der Verfahrenspflegerin - abgesehen von der Verkürzung der Geltungsdauer der Genehmigung um einen Tag - zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie nach Zeitablauf der Maßnahme die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung begehrt.

II.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

4

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die ärztliche Zwangsmaßnahme sei zum Wohl der Betroffenen, deren freie Willensbildung aufgehoben sei, notwendig, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. In den letzten Monaten sei es nach Beendigung der letzten [X.] zu einer zunehmenden Verschlechterung der wahnhaften Symptomatik gekommen, wobei die Betroffene auch in eigengefährdende Situationen gerate, indem sie bei dem Versuch, vermeintliche Angriffe abzuwehren, mehrfach gestürzt sei und sich Kopfverletzungen zugezogen habe. Sie befinde sich in einem zeitweise katatonen Zustand, in dem sie keine Körper- und Außenwahrnehmung mehr habe und beispielsweise bei Sonnenhitze oder Regen und Kälte stundenlang im [X.] stehe. Aufgrund eines Vergiftungswahns habe sie zuletzt auch wenig Nahrung und Flüssigkeit zu sich genommen. Aufgrund ihres [X.] in ihrem psychotischen Wahn bestünden eine durchgehende Eigengefährdung sowie ein schwerer Leidensdruck. Die Behandlung stelle gegenwärtig die einzige Möglichkeit dar, die Betroffene vor vollständiger körperlicher und [X.] Verelendung und konstanter Selbstgefährdung zu bewahren.

5

Für die gegen den Willen eines Betreuten nur in Ausnahmefällen zulässige [X.] bestehe hier eine medizinische Indikation in Form einer akut exazerbierten schizophrenen Psychose nach erfolgloser Neuroleptikabehandlung. Das bei der Betroffenen noch nicht ausgetestete atypische Neuroleptikum [X.] könne nur in Tablettenform eingenommen werden, weshalb dessen Verabreichung eine gewisse Krankheits- und Behandlungseinsicht voraussetze. Die Durchführung der [X.] in Kombination mit neuroleptischen und angstlösenden Medikamenten sei derzeit die einzig sinnvolle und notwendige Möglichkeit, eine Verbesserung des Zustands der Betroffenen herbeizuführen. Mit dem verfolgten Ziel einer Umstellung der Behandlung auf [X.] überwiege der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich und sei die Behandlung verhältnismäßig; dies gelte auch für die angstlösende [X.].

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Ihre Statthaftigkeit ergibt sich auch im Fall der - hier vorliegenden - Erledigung der Zwangsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 5 mwN).

7

3. Der nach Zeitablauf der Zwangsmaßnahme von der Betroffenen noch verfolgte Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amts- und des [X.]s (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) ist jedoch unbegründet, da die angefochtene Entscheidung einer rechtlichen Nachprüfung standhält.

8

a) Anstelle des Betreuten kann der Betreuer in eine im Rahmen einer zivilrechtlichen Unterbringung erfolgende ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn die in § 1906 a Abs. 1 Satz 1 BGB aufgezählten Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Bei der Ausgestaltung dieser Voraussetzungen hatte der Gesetzgeber im Blick, dass es sich bei einer solchen Zwangsbehandlung wegen des mit ihr verbundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das auch das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich der körperlichen Integrität schützt, nur um die ultima ratio handeln darf. Die Anwendung dieses letzten Mittels kommt insbesondere in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung und nur bei Betroffenen in Betracht, die aufgrund psychischer Krankheit oder geistiger oder seelischer Behinderung selbst einwilligungsunfähig sind. Zudem erfordert der mit einer Zwangsbehandlung regelmäßig verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff eine strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 17 mwN).

9

b) Gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Denn die Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens des Betreuten im Wege der Zwangsbehandlung kann schon im Ansatz nur dann gerechtfertigt sein, wenn es gilt, gewichtige gesundheitliche Nachteile des Betreuten zu verhindern. Umgekehrt ist der natürliche Wille des Betreuten zu respektieren, wenn auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 18 mwN).

Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist weiterhin das Erfordernis, dass der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB). Eine solche kann etwa in einer alternativen Behandlungsmethode zu sehen sein, die nicht dem natürlichen Willen des Betreuten widerspricht und ebenfalls das mit der Zwangsbehandlung verfolgte Behandlungsziel herbeizuführen vermag, aber auch in sonstigen, die Behandlung entbehrlich machenden Maßnahmen (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 19 mwN).

Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Zwangsbehandlung nur verhältnismäßig, sofern der von ihr zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB). Dem zu erwartenden Behandlungserfolg sind die mit der Behandlung verbundenen Neben- und Auswirkungen einschließlich der möglichen Komplikationen gegenüberzustellen und Nutzen und Beeinträchtigungen gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 20 mwN).

c) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung einer [X.] vor.

aa) Zu Recht hat das [X.] die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme im Sinne des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB bejaht.

(1) Das vom Gesetz geforderte Merkmal der Notwendigkeit setzt eine feststehende medizinische Indikation voraus, und zwar sowohl hinsichtlich der ärztlichen Maßnahme als solcher wie auch hinsichtlich ihrer gegebenenfalls zwangsweisen Durchführung (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 22 mwN).

Dabei beurteilt sich die Notwendigkeit einer Maßnahme am Maßstab objektivierter, evidenzbasierter Notwendigkeitskriterien. Dem Begriff der Notwendigkeit als Rechtfertigung für eine Zwangsmaßnahme wohnt nämlich inne, dass es sich bezogen auf die konkrete Erkrankung um eine geeignete Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst gemäß den anerkannten medizinischen Standards handeln muss (vgl. dazu auch [X.] FamRZ 2020, 534, 537 f.). Wegen der Schwere des mit einer Zwangsbehandlung verbundenen Grundrechtseingriffs muss sich deren Durchführung auf einen breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens stützen können, und zwar sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 23).

Von einem tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens ist namentlich dann auszugehen, wenn die vorgesehene Behandlung den evidenzbasierten Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums entspricht. Dem dienen die Stellungnahmen des [X.] ebenso wie die von den führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien, welche den - nach definiertem, transparent gemachtem Vorgehen erzielten - Konsens zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen wiedergeben und denen deshalb die Bedeutung wissenschaftlich begründeter Handlungsempfehlungen zukommt (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 24 mwN).

(2) Die in Bezug auf die [X.] veröffentlichten Stellungnahmen und Leitlinien vermitteln einen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens, der die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme bei der an Schizophrenie in akut exazerbiertem, teils katatonem Zustand leidenden Betroffenen rechtfertigt.

Zwar setzt die Anwendung einer [X.] nach der Stellungnahme des [X.] zur Elektrokrampftherapie ([X.]) als psychiatrische Behandlungsmaßnahme ([X.] 100 [2003], [X.]-506) voraus, dass bei gegebener medizinischer Grundindikation auch der Wunsch des Patienten berücksichtigt wird. Dies gilt aus medizinischer Sicht unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten, denn die Stellungnahme schließt damit, dass, falls der vom Gericht eingesetzte Betreuer der [X.] zustimmt, der Patient der [X.] jedoch ausdrücklich widerspricht, im Regelfall auf die [X.] verzichtet wird.

Im [X.] an diese restriktive Grundlegung in Bezug auf die Überwindung eines der [X.] entgegenstehenden Patientenwillens geht gleichermaßen die [X.], Psychosomatik und Nervenheilkunde ([X.]) von dem Grundsatz aus, dass sich [X.]-Behandlungen gegen den natürlichen Willen des Patienten auf Ausnahmefälle beschränken (S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ 2. Aufl. 2015 S. 120, abrufbar unter [X.]).

Nach medizinisch-wissenschaftlichem Verständnis liegt die Bedeutung der Zustimmung des Patienten zur [X.] mithin nicht allein auf [X.] in Gestalt der Behandlungseinwilligung, welche bei fehlendem freiem Willen ersatzweise vom Betreuer erteilt werden könnte. Vielmehr bewirkt der manifestierte Widerstand des Patienten als Ausprägung seines entgegenstehenden natürlichen Willens im Regelfall bereits einen medizinischen Hinderungsgrund - sei es, dass der Behandlungserfolg eine entsprechende Bereitschaft des Patienten voraussetzt, sei es, um Traumatisierungen zu vermeiden und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu verschlechtern, sei es aus medizinisch-ethischen Erwägungen -, so dass die Durchführung der Behandlung gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Patienten regelmäßig schon nicht anerkannten medizinischen Standards entspricht (Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 29).

Da die Stellungnahme des [X.] allerdings (nur) ein Regel-Ausnahme-Verhältnis beschreibt, sind auch Fälle denkbar, bei denen die Durchführung einer [X.] gegen den Widerstand des Patienten kunstgerecht sein kann, etwa in einer akut lebensbedrohlichen Situation mit entsprechender Notfallindikation (vgl. Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 30 mwN).

Im engen Rahmen eines danach grundsätzlich restriktiven Indikationsregimes stellt sich die zwangsweise durchgeführte [X.] auch nicht als eine gegen Art. 15 der [X.] verstoßende grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar (kritisch [X.] NZFam 2020, 898, 899 unter Hinweis auf den UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, Concluding observations on the initial report of Sweden [2014] Rn. 37, abrufbar unter https://undocs.org/en/CRPD/C/SWE/CO/1), sondern als Erfüllung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gründenden staatlichen Schutzpflicht, hilfsbedürftigen Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen und bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren (vgl. [X.] 142, 313 = [X.], 1738 Rn. 67 ff.). Eine zwangsweise Maßnahme, die gemäß diesem Schutzgedanken nach anerkannten medizinischen Grundsätzen therapeutisch notwendig ist, kann grundsätzlich auch nicht als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 [X.] angesehen werden ([X.], 3117, 3120 mwN).

(3) Nach diesen Maßstäben ist die Zwangsbehandlung der Betroffenen durch [X.] als besonderer Ausnahmefall medizinisch gerechtfertigt.

(a) Gemäß der veröffentlichten Stellungnahme des [X.] ist die [X.] als Therapie der zweiten Wahl indiziert für therapieresistente, nicht lebensbedrohliche Katatonien und andere akut exazerbierte schizophrene Psychosen nach erfolgloser Neuroleptikabehandlung. Nach den getroffenen Feststellungen fällt das hier vorliegende Krankheitsbild der schizophrenen Psychose in akut exazerbiertem, teils katatonem Zustand unter diese Indikation.

Auch in der S3-Leitlinie „Schizophrenie“ der [X.] (Stand: 15. März 2019, [X.] ff., abrufbar unter [X.]) ist die [X.] als eine Behandlungsalternative bei Schizophrenie für den Fall medikamentöser Behandlungsresistenz dargestellt. Auf Grundlage der angeführten Studien wird mit dem „[X.]“ die Empfehlung ausgesprochen, dass bei eindeutiger medikamentöser Behandlungsresistenz nach adäquater Therapie in ausreichender Dosis und Zeitdauer eine [X.] zur Augmentierung mit dem Ziel der Verbesserung des klinischen [X.] angeboten werden sollte. Zwar ist die Angebotsempfehlung nur auf mittlerer Evidenzstufe und Empfehlungsstärke mit dem „[X.]“ ausgesprochen, weil es - anders als etwa bei depressiven Erkrankungen - aktuell noch an wissenschaftlich ausreichenden Erkenntnissen über die Ansprechraten der [X.] bei [X.] fehlt. Das hindert die Anwendung der [X.] im vorliegenden Fall aber deswegen nicht, weil diese Maßnahme nach den getroffenen Feststellungen bereits in der Vergangenheit mit Erfolg bei der Betroffenen durchgeführt wurde und deshalb die konkrete Erwartung gerechtfertigt ist, dass die Betroffene (erneut) auf die Behandlung anspricht.

(b) Auch der entgegenstehende Wille der Betroffenen steht der Annahme der medizinischen Notwendigkeit der Maßnahme ausnahmsweise nicht entgegen.

Die [X.]-Behandlung soll hier vornehmlich dazu dienen, einer nachfolgenden Behandlung mit [X.] den Boden zu bereiten - der einzigen noch erfolgversprechenden medikamentösen Behandlungsoption, mit der zumindest eine Teilremission bewirkt werden könnte. Der besondere Nutzen der [X.] liegt somit in der Eröffnung einer weiteren medikamentösen Behandlungsoption bei ansonsten auswegloser Perspektive. Dieses über die reine Therapiewirkung der [X.] hinausgehende Behandlungsziel der Ermöglichung einer freieren Willensbildung über weitere mögliche Behandlungsschritte hat das [X.] zu Recht in den Vordergrund gestellt (kritisch [X.] JZ 2020, 687, 689 f.), denn es handelt sich dabei nicht nur um einen Aspekt der Wiedergewinnung persönlicher (Entscheidungs-)Freiheit - was allerdings bereits für sich genommen als Behebung einer vorliegenden Gesundheitsschädigung verstanden werden kann -, sondern um eine Behandlungsstufe mit dem Ziel der teilweisen Remission der Erkrankung insgesamt. Dabei hat es zugleich darauf hingewiesen, dass wenn der Behandlungsversuch mit [X.] scheitern sollte, die Indikation für noch weitere zwangsweise [X.], die nur kurzfristige Zustandsverbesserungen für jeweils wenige Wochen ohne Aussicht auf eine längerfristige Zustandsänderung versprächen, zweifelhaft wäre.

bb) Der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden in Form des [X.] und der weiteren Verschlechterung des Zustands kann auch durch keine andere die Betroffene weniger belastende Maßnahme abgewendet werden (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB). Alternative Behandlungsmethoden oder sonstige, die Behandlung entbehrlich machende Maßnahmen stehen nach den getroffenen Feststellungen nicht zur Verfügung.

cc) Der von der Zwangsbehandlung zu erwartende Nutzen überwiegt auch die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB). Nach der Stellungnahme des [X.] zur Elektrokrampftherapie ([X.]) als psychiatrische Behandlungsmaßnahme ([X.] 100 [2003], [X.]-506) gehört die [X.] zu den wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmaßnahmen. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass in Narkose und unter Muskelrelaxation durch eine kurze elektrische Reizung des Gehirns ein generalisierter Krampfanfall ausgelöst wird, durch den es zu zahlreichen neurochemischen Veränderungen kommt. Dies stellt aus therapeutischer Sicht für bestimmte psychiatrische Erkrankungen die bestmögliche Behandlung dar, die im Verhältnis zum angestrebten Therapieerfolg mit einem geringen Risiko verbunden ist (vgl. Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 26 mwN).

Hiervon ausgehend hat der Sachverständige auch für den konkreten Fall die möglichen Beeinträchtigungen durch extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen und die Entwicklung einer tardiven Dyskinesie in den Blick genommen und mit dem zu erwartenden Nutzen der Behandlung abgewogen. Dieser liegt darin, eine künftige Behandlung mit [X.] zu ermöglichen, durch die zumindest eine Teilremission bewirkt werden könnte. Auf diese Weise soll der von [X.], passiven Todeswünschen, Angstsymptomatik, religiösem Wahn und fehlender Körper- und Außenwahrnehmung geprägte Zustand der Betroffenen, die keine eigene Körperpflege mehr übt und sich einnässt, keine pflegerische Grundversorgung mehr zulässt und zu niemandem mehr Kontakt aufnimmt, gebessert werden. Auch wenn in der Behandlung mit [X.] keine gesicherte Erfolgschance liegt, entspricht sie doch anerkannten Behandlungsstandards (vgl. Empfehlung 43 der S3-Leitlinie „Schizophrenie“) und entspringt nicht lediglich einem subjektiven „Behandlungsoptimismus“.

Bei der Folgenabwägung ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Betroffene bereits im Jahre 2019 einer [X.] zugestimmt hatte. Die (nunmehr zwangsweise) Anordnung einer erneuten [X.] ist daher voraussichtlich nicht mit dem medizinischen Nachteil verbunden, dass durch sie die Notwendigkeit einer - gegebenenfalls lebenslangen - Erhaltungs-[X.] neu begründet würde (vgl. dazu Senatsbeschluss [X.], 224 = FamRZ 2020, 534 Rn. 4).

Ebenso hat das [X.] näher und ausreichend begründet, dass der Nutzen der dem Eingriff vorausgehenden angstlösenden [X.] die dadurch zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt. Soweit die Rechtsbeschwerde besondere Risiken im Falle einer aus psychovegetativem Erregungszustand heraus eingeleiteten Narkose hervorhebt, dient die vorbereitende angstlösende (anxiolytische) Medikation gerade deren Abwendung.

Ein Verstoß gegen § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB liegt schließlich nicht darin, dass der Beschluss keine abschließende Abwägung der durch die beabsichtigte [X.]behandlung mit [X.] zu erwartenden Beeinträchtigungen enthält. Denn eine Zwangsbehandlung mit [X.] wird durch den Beschluss nicht angeordnet, was aufgrund der Darreichungsform nach den getroffenen Feststellungen auch nicht möglich wäre. Die [X.]-Behandlung führt nicht zwangsläufig zu einer Folgebehandlung mit [X.], sondern dient nur einer gewissen Stabilisierung hin zu einem Zustand, in dem sich die Betroffene für oder gegen eine Folgebehandlung mit [X.] als der einzig verbleibenden Behandlungsmöglichkeit entscheiden kann.

dd) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde, das [X.] habe keine ausreichenden Feststellungen darüber getroffen, dass die Betroffene ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen versucht worden sei (§ 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB). Denn nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene verbal nicht mehr erreichbar und es ist seit Monaten nicht mehr möglich, Kontakt zu ihr zu erhalten. Die ihr angebotene Behandlung mit Neuroleptika und [X.] habe sie aktuell wie in der Vergangenheit häufig vehement abgelehnt, zuletzt in der Anhörung vor dem Amtsgericht.

Dose     

      

Schilling     

      

[X.]

      

Botur     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 191/21

30.06.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Duisburg, 5. März 2021, Az: 12 T 61/21

§ 1906a Abs 1 S 1 Nr 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2021, Az. XII ZB 191/21 (REWIS RS 2021, 4475)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1199-1200 REWIS RS 2021, 4475

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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