Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.05.2020, Az. 3 StR 99/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1892

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Gegenstand

Strafverfahren: Revisionsrechtliche Geltendmachung einer rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell; Sachrüge oder Verfahrensrüge


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2018

a) betreffend die Angeklagten    [X.]und [X.]geändert

aa) im Schuldspruch dahin, dass sie des Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung schuldig sind,

bb) im Strafausspruch dahin, dass sie unter Wegfall der gegen sie festgesetzten Einzel- und Gesamtstrafen zu Freiheitsstrafen verurteilt sind,    [X.]zu einer solchen von einem Jahr und sieben Monaten, [X.]zu einer solchen von einem Jahr und zehn Monaten,

b) betreffend alle Angeklagten aufgehoben, soweit das [X.] von einer Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung,    [X.]und [X.]darüber hinaus wegen Raubes verurteilt; [X.]zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, [X.].   zu einer solchen von einem Jahr und zehn Monaten,    [X.]zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sieben Monaten und drei Wochen und [X.]zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Die Vollstreckung der verhängten ([X.] hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Von einer Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens hat die [X.] hinsichtlich aller Angeklagten abgesehen. Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstanden. Die Rechtsmittel führen jeweils auf die Sachrüge hinsichtlich der Angeklagten    [X.]und [X.]zur Änderung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs sowie hinsichtlich aller Angeklagten zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens unterblieben ist. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet im [X.]nne des § 349 Abs. 2 [X.].

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Die miteinander verwandten Angeklagten waren mit dem Nebenkläger ursprünglich freundschaftlich verbunden. Aus diesem Grund hatte der Nebenkläger dem Angeklagten [X.].   ein Darlehen über 13.500 € gewährt, das dieser in der Folgezeit aber nicht zurückzahlte. Als der Nebenkläger im Jahr 2013 das Geld zurückbegehrte und Schwierigkeiten hatte, [X.].   zu erreichen, wandte er sich an die Angeklagten [X.]und    [X.]. Da seine Bemühungen erfolglos blieben, wurde er zunehmend ungehalten.

4

Um den Forderungen des [X.] ein Ende zu bereiten, beschlossen die Angeklagten [X.].   und [X.], dem Nebenkläger eine Lektion zu erteilen. Hierzu wollten sie ihm auflauern, ihn verprügeln und an einen anderen Ort verbringen. Nach ihrem Plan sollte während der Tatausführung eine Frau anwesend sein, damit sie - falls sie währenddessen entdeckt würden - sagen könnten, der Nebenkläger habe die Frau angegriffen und man habe diese verteidigen müssen. Spätestens im Dezember 2013 weihten [X.].   und [X.]die Angeklagten    [X.]und [X.]in den Plan ein. In der Folgezeit überwachten die Angeklagten den Nebenkläger, um seine zeitlichen Gewohnheiten zu ermitteln und ihn in einem geeigneten Moment überraschen zu können.

5

[X.]e beschlossen schließlich, ihm am 25. Dezember 2013 in den Abendstunden nach der Rückkehr von der Arbeit vor seiner Wohnung aufzulauern. Als der Nebenkläger dort mit seinem Pkw vorfuhr und parkte, öffnete [X.]- für den Nebenkläger unvorhergesehen und überraschend - die Fahrertür und zog ihn gemeinsam mit    [X.]aus dem Fahrzeug. [X.]umklammerte den Nebenkläger und hielt ihm den Mund zu.    [X.]durchsuchte ihn und entnahm aus seiner Hosentasche ein Portemonnaie, in dem sich neben persönlichen Papieren ein kleinerer Bargeldbetrag befand. Das Portemonnaie übergab er dem [X.], der es für sich behielt. Feststellungen dazu, dass die Angeklagten [X.].   und [X.]von der Wegnahme des Portemonnaies etwas bemerkten oder dies vom [X.] umfasst war, hat die [X.] nicht getroffen.

6

Während [X.]den Nebenkläger weiter festhielt, versetzte [X.].   diesem einen Faustschlag ins Gesicht. Sodann schlugen und traten [X.].  ,    [X.]und [X.]gemeinsam auf ihn ein. Die Angeklagte [X.]wirkte zwar nicht körperlich auf den Nebenkläger ein, rief aber währenddessen: "Schneller, schneller!" Schließlich packten die drei männlichen Angeklagten den aufgrund seiner Verletzungen wehrlosen Nebenkläger, verbrachten ihn zu einem der beiden Fahrzeuge, mit denen sie zum Tatort gekommen waren und zogen ihn auf die Rückbank. [X.].  ,    [X.]und [X.]stiegen ebenfalls ein. [X.]entfernte sich gesondert mit dem anderen Fahrzeug. Während der anschließenden, wenige Minuten dauernden Fahrt war der Nebenkläger zeitweise bewusstlos und wurde, wenn er das Bewusstsein wiedererlangte, erneut von    [X.]auf den Kopf geschlagen. Kurz darauf wurde das Fahrzeug von zwischenzeitlich verständigten Polizeikräften angehalten.

7

Der Nebenkläger erlitt infolge der Schläge der Angeklagten eine Schädelprellung, eine Mittelgesichtsprellung mit Schwellung, eine Verletzung am rechten Auge, eine Platzwunde an der Unterlippe und eine Thoraxprellung.

8

2. Das [X.] hat das Geschehen hinsichtlich aller Angeklagten als mittäterschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB gewertet.

9

Hinsichtlich der Angeklagten    [X.]und [X.]hat es zudem den Tatbestand des Raubes nach § 249 Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen, indem    [X.]dem Nebenkläger das Portemonnaie entwendete, während [X.]ihn festhielt. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Raub zu den daneben verwirklichten Straftatbeständen der gefährlichen Körperverletzung und der Freiheitsberaubung im Verhältnis der Tatmehrheit nach § 53 StGB stehe, da aufgrund des insoweit eigenen und spontan gefassten Tatentschlusses mehrere natürliche Einzelhandlungen vorlägen, die rechtlich selbständig zu bewerten seien.

3. Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] hinsichtlich des Angeklagten    [X.]für die gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung eine Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten und für den als tatmehrheitlich gewerteten Raub eine Einzelstrafe von einem Jahr verhängt. Diese hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten sowie drei Wochen unter Strafaussetzung zur Bewährung zusammengeführt, wobei es im Wege des [X.]s berücksichtigt hat, dass eine grundsätzlich gesamtstrafenfähige Geldstrafe nach ihrer Vollstreckung nicht mehr hat einbezogen werden können.

Hinsichtlich des Angeklagten [X.]hat die [X.] wegen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung eine Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und wegen des Raubes eine Einzelstrafe von einem Jahr festgesetzt. Aus diesen hat sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten gebildet, deren Vollstreckung sie ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt hat.

4. Von einer Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens hat das [X.] abgesehen. Zwar ist es davon ausgegangen, dass "vorliegend Anhaltspunkte dafür bestehen dürften, dass sich die Verfahrensdauer insgesamt als rechtsstaats- bzw. konventionswidrig darstellen könnte", jedoch hätten die Angeklagten es versäumt, die für eine solche Maßnahme "nach § 199 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.]" erforderliche Verzögerungsrüge zu erheben.

II.

Auf Grundlage der vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Schuldspruch hinsichtlich der Angeklagten    [X.]und [X.]in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] im [X.]nne der [X.] zu ändern.

1. Die rechtliche Annahme der [X.], der Tatbestand des Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) stehe zu den gleichfalls verwirklichten Delikten der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB) und der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Umstand, dass    [X.]und [X.]dem Nebenkläger die Geldbörse auf Grund eines gesonderten, spontan gefassten Entschlusses wegnahmen, trägt diese Wertung nicht. Vielmehr ist im vorliegenden Fall Tateinheit (§ 52 StGB) gegeben, da zwischen den einschlägigen Tatbeständen eine Teilidentität der Ausführungshandlung besteht (vgl. hierzu [X.], StGB, 13. Aufl., § 52 Rn. 21; zur Tateinheit von Raub und Körperverletzung auch nach Vollendung, aber noch vor Beendigung des Raubes vgl. [X.], Urteil vom 6. November 1980 - 4 [X.], nicht veröffentlicht). Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen vollzogen    [X.]und [X.]den Raub zu einem Zeitpunkt, zu dem sie entsprechend dem zuvor von allen Angeklagten gemeinsam gefassten [X.] bereits mit der Begehung der [X.] begonnen hatten.

2. Die Kennzeichnung der Tat als "gemeinschaftlich" begangen hat in der Urteilsformel zu entfallen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Oktober 1977 - 2 StR 410/77, [X.]St 27, 287, 289).

III.

Der Strafausspruch ist hinsichtlich der Angeklagten    [X.]und [X.]in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] zu ändern.

1. Soweit es den Angeklagten    [X.]betrifft, hat das [X.] die gegen ihn verhängte Gesamtfreiheitsstrafe rechtsfehlerhaft auf eine Höhe von einem Jahr sieben Monaten und drei Wochen festgesetzt.

Nach § 39 StGB wird die Freiheitsstrafe von über einem Jahr in vollen Monaten und Jahren bemessen. Zwar sind Ausnahmen von diesem Grundsatz möglich, wenn die Einbeziehung einer früher verhängten Strafe geboten ist und Art und Höhe dieser Strafe mit Blick auf die Grundsätze zur Unter- und Obergrenze der Gesamtstrafenbildung nur eine Berücksichtigung nach Wochen zulassen (vgl. hierzu [X.], StGB, 12. Aufl., § 39 Rn. 7 ff. [X.]). Entsprechendes gilt, wenn ein [X.] vorzunehmen ist, weil eine grundsätzlich einbeziehungsfähige Strafe nach ihrer Vollstreckung nicht mehr zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden kann (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2003 - 2 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 [X.] 13). Ein derartiger Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Ein [X.] war nicht veranlasst, da ein solcher nicht zu gewähren ist, wenn - wie hier - der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt ist und der grundsätzlich einbeziehungsfähigen Tat eine bezahlte Geldstrafe zugrunde liegt (vgl. [X.], Beschluss vom 16. September 2008 - 5 [X.], [X.], 370).

Der Senat setzt die vom [X.] verhängte Strafe daher auf die nächst zulässige Strafeinheit von einem Jahr und sieben Monaten herab (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 4 StR 529/15, juris Rn. 2).

2. Hinsichtlich der Angeklagten    [X.]und [X.]haben die vom [X.] gebildeten Gesamtstrafen nach der Änderung des Schuldspruchs zu entfallen. [X.]e können jedoch jeweils in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] als Einzelstrafen aufrecht erhalten bleiben. Bei - wie hier - unverändertem Schuldumfang ist eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung des [X.] kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2012 - 2 StR 294/12, juris Rn. 5 [X.]). Insbesondere mit Blick auf den vom [X.] vorgenommenen engen Zusammenzug der Einzelstrafen unter maßvoller Erhöhung der jeweiligen Einsatzstrafe ist auszuschließen, dass die [X.] allein aufgrund der geänderten [X.] niedrigere Strafen gegen diese Angeklagten verhängt hätte.

IV.

Soweit das [X.] davon abgesehen hat, über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens im Wege der [X.] zu entscheiden, unterliegt das Urteil der Aufhebung. Dieser Rechtsfehler findet in der hier vorliegenden Fallgestaltung auf die von allen Angeklagten erhobene Sachrüge Beachtung (1.). Entgegen der Auffassung des [X.]s war dieses an einer solchen Entscheidung auch nicht deswegen gehindert, weil die Angeklagten keine Verzögerungsrüge erhoben haben (2.).

1. Der Umstand, dass das [X.] von einer Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens im Wege der [X.] abgesehen hat, ist hier auf die Rüge materiellen Rechts hin zu beachten. Entgegen der Auffassung des [X.] ist für eine solche Beanstandung nicht ausnahmslos die Erhebung einer Verfahrensrüge zu verlangen.

Insoweit gilt:

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist für die revisionsrechtliche Beanstandung einer tatgerichtlichen Entscheidung über die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung im Wege der [X.] grundsätzlich eine Verfahrensrüge zu erheben; ausnahmsweise greift in diesem Bereich die Sachrüge ein, wenn entweder die Voraussetzungen einer solchen Verzögerung den Urteilsgründen zu entnehmen sind, oder aber sich anhand der Urteilsgründe ausreichende Anhaltspunkte ergeben, die das Tatgericht zur Prüfung einer Kompensation drängen mussten, so dass ein Erörterungsmangel zu besorgen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 342; Urteil vom 23. Oktober 2013 - 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21).

Von dieser Spruchpraxis abzuweichen, besteht vorliegend - auch unter Berücksichtigung der vom [X.] in seinen [X.] vorgebrachten Argumente - kein Anlass. Insbesondere vermag der Verweis darauf, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gehöre in systematischer Hinsicht dem Verfahrensrecht an, nicht die zwingende Notwendigkeit einer Verfahrensrüge zu begründen.

Im Einzelnen:

aa) Die Frage, mit welcher Revisionsrüge der Beschwerdeführer seine Beanstandung geltend zu machen hat, ist danach zu beantworten, ob das Urteil wegen der Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder einer anderen Rechtsnorm angegriffen wird (§ 344 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Als Verfahrensvorschriften in diesem [X.]nne sind nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Auffassung im Schrifttum diejenigen Normen anzusehen, die bestimmen, auf welchem Weg der [X.] zur Urteilsfindung berufen und gelangt ist, so dass eine Verfahrensverletzung vorliegt, wenn das Gericht eine vorgeschriebene oder gebotene prozessuale Handlung unterlassen oder eine nicht zulässige prozessuale Handlung vorgenommen hat (vgl. zum Ganzen [X.], Urteile vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, [X.]St 19, 273, 275; vom 10. Januar 1973 - 2 [X.], [X.]St 25, 100, 101 f.; Beschluss vom 22. Oktober 1980 - 2 [X.], [X.] 1981, 157; LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 41; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 337 Rn. 27). [X.] der Beschwerdeführer die Verletzung einer solchen Vorschrift beanstanden, hat er eine Verfahrensrüge zu erheben. In allen anderen Fällen greift die Sachrüge ein.

Demgegenüber hängt der verfahrens- oder sachlichrechtliche Charakter einer Regelung nicht von ihrer systematischen Stellung innerhalb der Gesetze ab (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, [X.]St 19, 273, 275; LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 41). Vielmehr kann nach den Umständen des Einzelfalls etwa auch die Verletzung einer in systematischer Hinsicht dem Verfahrensrecht zuzuordnenden Bestimmung auf die Sachrüge Beachtung finden (vgl. für § 257c StGB im Fall der unzulässigen Vereinbarung einer Punktstrafe [X.], Urteil vom 17. Februar 2011 - 3 [X.], [X.], 648). Ebenso wenig ist für die Zuordnung ausschlaggebend, ob sich sämtliche Voraussetzungen eines Verfahrensfehlers aus den Urteilsgründen ergeben. Ist nach den allgemeinen Grundsätzen ein Rechtsverstoß allein mit einer Verfahrensrüge zu beanstanden, wird deren Erhebung nicht dadurch entbehrlich, dass die Voraussetzungen hierfür in den Urteilsgründen vollständig enthalten sind (vgl. [X.], Beschluss vom 16. März 2011 - 1 StR 60/11, [X.], 276 Rn. 4; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 337 Rn. 27 [X.]; [X.], Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl., Rn. 1268 ff.; [X.]. in Festschrift [X.], 2011, [X.] ff.).

bb) Nach diesen Grundsätzen kann die Beanstandung einer Entscheidung über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung im Wege der [X.] je nach Fallgestaltung in den Anwendungsbereich der Verfahrensrüge oder den der Sachrüge fallen, da sie sowohl verfahrens- als auch materiellrechtliche Aspekte enthält.

Bei der [X.] handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt hat das [X.] Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen - unter Berücksichtigung der mitunter mannigfaltigen Umstände des Einzelfalls (vgl. hierzu [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 757 ff.) - zu ermitteln. Anschließend muss es im zweiten Schritt auf Grundlage der festgestellten Umstände prüfen, ob diese die Anordnung einer Kompensation gebieten und gegebenenfalls auf welche Höhe der deshalb für vollstreckt zu erklärende Teil der zu verhängenden Strafe zu bemessen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 - [X.], [X.]St 52, 124 Rn. 54 ff.).

In diesem [X.]nne weist das Vollstreckungsmodell verfahrensrechtliche Elemente auf, indem es den Weg der Entscheidungsfindung des Gerichts zum Urteil und hierbei vorzunehmende Prozesshandlungen betrifft, namentlich die Aufklärung und Feststellung derjenigen Umstände, die insoweit von Bedeutung sind (vgl. hierzu SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 337 Rn. 66a; [X.], Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 6 [X.] und ihre revisionsrechtliche Geltendmachung, 2006, [X.] f.). Rechtsfehler in diesem Bereich sind mit einer Verfahrensrüge zu beanstanden. Daneben enthält die Entscheidung aber auch materiellrechtliche Implikationen. Dies betrifft insbesondere die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtssätze. Wendet das Tatgericht die Rechtsregeln über die [X.] nicht an, obwohl dies nach den Umständen des Falls geboten wäre, begeht es einen sachlichrechtlichen Fehler bei der Handhabung der Rechtsfolge. Daneben kann das sachliche Recht im Einzelfall auch betroffen sein, wenn die getroffenen Feststellungen zu der Erörterung drängen, ob die Regeln über die Kompensation im Wege der [X.] anzuwenden sind, und die Urteilsgründe eine solche Auseinan[X.]etzung vermissen lassen. Rechtsfehler in diesem Bereich finden auf die Sachrüge Beachtung.

b) Bei sachgerechter Anwendung der aufgezeigten Maßstäbe erweist sich das angefochtene Urteil mit Blick auf das Absehen von einer Entscheidung über die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens in [X.] Hinsicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft, da die vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Ablauf des Verfahrens zu einer solchen Entscheidung gedrängt hätten.

Nach den Urteilsgründen wurden die Angeklagten    [X.], [X.].   und [X.]am 25. Dezember 2013 vorläufig festgenommen. Nach Durchführung weiterer Ermittlungen wurden die gegen sie erlassenen Haftbefehle am 6. Mai 2014 aufgehoben und kurz darauf das Verfahren gegen den abwesenden [X.]abgetrennt. Unter dem 21. Juli 2014 wurde die öffentliche Klage gegen die Angeklagten    [X.], [X.].   und [X.]erhoben. Die Anklageschrift ging am 28. Juli 2014 beim [X.] ein, ihre Zustellung wurde unter dem 6. August 2014 verfügt. Anschließend wurde das Verfahren unter wiederholtem Vermerk in der Akte, dass eine Bearbeitung wegen vorrangiger Haftsachen nicht möglich sei, bis zum 2. Mai 2018 - mithin knapp vier Jahre lang - in der Sache nicht gefördert. An diesem Tag wurde das Verfahren gegen den zwischenzeitlich fest- und vorübergehend in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten [X.]mit dem Verfahren gegen die Angeklagten    [X.], [X.].   und [X.]verbunden, die Anklageschrift zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung begann am 22. August 2018.

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s war dieses an einer [X.] auch nicht deswegen gehindert, weil die Angeklagten keine Verzögerungsrüge erhoben haben.

Über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Wege der [X.] hat das mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen zu entscheiden. Die vorherige Erhebung einer Verzögerungsrüge ist hierfür auch nach den durch das am 3. Dezember 2011 in [X.] getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.] I, [X.] ff.) eingeführten Regelungen der §§ 198, 199 [X.] nicht erforderlich (so auch [X.], [X.], 26. Aufl., § 199 [X.] Rn. 19; KK-[X.]/Barthe, 8. Aufl., § 199 [X.] Rn. 4; [X.] [X.]/[X.], [X.]., § 199 [X.] Rn. 20; [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 199 [X.] Rn. 14; [X.], Überlange Verfahrensdauer und Verhältnismäßigkeit, 2020, [X.] f.; [X.], [X.] 2012, 121, 126 f.; [X.]/[X.], [X.], 300, 303 f.; [X.], [X.], 254, 262; [X.], [X.], 107, 110; ausdrücklich offengelassen für die Kompensation im Wege der [X.] [X.], Beschlüsse vom 5. Dezember 2012 - 1 StR 531/12, [X.]R [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 43; vom 23. September 2014 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 198 Abs. 4 Verzögerungsrüge 1; vom 10. Mai 2016 - 5 [X.], juris; vom 31. August 2016 - 5 [X.], juris).

Hierzu gilt:

a) Nach der allgemeinen Regelung des § 198 Abs. 1 [X.] wird derjenige, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen materiellen oder immateriellen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]). Allerdings kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 [X.] für Nachteile, die nicht Vermögensnachteile sind, eine Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist. Eine solche ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 [X.] insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war; daneben kommen aber auch andere Maßnahmen in Betracht (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]).

Einschränkend sieht das Gesetz nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] vor, dass ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur erhält, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Hierbei handelt es sich um eine zwingende Voraussetzung für den Anspruch auf Entschädigung (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]).

Für das Strafverfahren legt § 199 Abs. 1 [X.] fest, dass die allgemeinen Grundsätze des § 198 [X.] nach Maßgabe der speziellen Regelungen, die in § 199 Abs. 2 bis 4 [X.] enthalten sind, Anwendung finden. § 199 Abs. 3 Satz 1 [X.] bestimmt, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise im [X.]nne des § 198 Abs. 2 Satz 2 [X.] gegeben ist, wenn ein Strafgericht oder die Staatsanwaltschaft die unangemessene Dauer des Verfahrens zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt. Als Wiedergutmachung auf andere Weise in diesem [X.]nne ist nach dem ausdrücklichen [X.]en des Gesetzgebers die Kompensation im Wege des [X.] anzusehen (vgl. BT-Drucks. 17/3803, [X.] f., 24).

b) Das aufgezeigte Regelungsgefüge ist dahin zu verstehen, dass im Fall der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Wege der [X.] eine vorherige Verzögerungsrüge des Angeklagten nicht erforderlich ist.

aa) Dieses Verständnis ist vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Denn bei der Kompensation im Wege der [X.] handelt es sich nach dem gesetzgeberischen [X.]en um eine Wiedergutmachung auf andere Weise im [X.]nne des § 199 Abs. 3 Satz 1 [X.] i.V.m. § 198 Abs. 2 Satz 2 [X.] und nicht um eine "Entschädigung", für die allein nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] die Erhebung einer Verzögerungsrüge verlangt wird.

bb) Ungeachtet der Begrifflichkeiten spricht für ein solches Verständnis auch die Systematik der gesetzlichen Regelungen. Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] wird die Erhebung einer Verzögerungsrüge für den Fall der Entschädigung des Beteiligten als Voraussetzung benannt. Demgegenüber sieht § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] für die Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 [X.] vor, dass diese durch Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer auch dann möglich ist, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 [X.] nicht erfüllt sind; mithin insbesondere dann, wenn keine Verzögerungsrüge erhoben wurde (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 22; so auch [X.], [X.], 26. Aufl., § 199 [X.] Rn. 19; [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 199 [X.] Rn. 14; ebenso [X.], [X.], 254, 262; [X.]/[X.], [X.], 300, 304). Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht gleichsam für weitere Formen der Wiedergutmachung auf andere Weise - insbesondere die Kompensation im Wege der [X.] - gilt, sind nicht ersichtlich, zumal die ausdrückliche Benennung der "Feststellung" als Art der Kompensation "auf andere Weise" keinen abschließenden Charakter haben sollte (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]).

cc) Auch der erkennbare [X.]e des Gesetzgebers spricht in der Konstellation der Kompensation im Wege des [X.] gegen das Erfordernis einer Verzögerungsrüge. Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Hinweise darauf, dass mit der Neuregelung des [X.] eine Abkehr von der zuvor geltenden Rechtsprechung des [X.] und des [X.] beabsichtigt war, nach der eine Verzögerungsrüge in diesem Bereich gerade nicht erforderlich war (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 327/02 u.a., NJW 2003, 2225; [X.], Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00, [X.]St 46, 159, 170 ff.). Im Gegenteil lässt der Umstand, dass der Gesetzgeber bei seinen Erläuterungen zu § 199 Abs. 3 [X.] wiederholt auf die frühere Rechtsprechung des [X.] und des [X.] Bezug genommen hat, erkennen, dass eine Änderung der Voraussetzungen einer [X.] in diesem Bereich nicht vorgesehen war. Andernfalls hätte es nahegelegen, auf ein nunmehr bestehendes Erfordernis der Verzögerungsrüge hinzuweisen (so auch [X.], [X.] 2012, 121, 126 f. unter Verweis auf BT-Drucks. 17/3802, [X.]; ebenso KK-[X.]/Barthe, 8. Aufl., § 199 [X.] Rn. 4; [X.]/[X.], [X.], 300, 304).

Die Notwendigkeit einer Verzögerungsrüge wi[X.]präche zudem dem gesetzgeberischen Ziel, mit den Regelungen der §§ 198, 199 [X.] die Rechtsposition des Betroffenen zu stärken (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 1 f.); denn sie würde im Vergleich zu der zuvor geltenden Rechtslage zu einer Schlechterstellung des Betroffenen führen.

Ferner hat der Gesetzgeber in den Materialien zu § 199 [X.] ausgeführt, dass für die Entschädigung eines Beschuldigten eines Strafverfahrens die Maßgaben des § 198 [X.] ohne Modifikationen gelten und insbesondere eine Verzögerungsrüge erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]), woraus umgekehrt zu schließen ist, dass eine Verzögerungsrüge für die Wiedergutmachung auf andere Weise gerade nicht verlangt wird (vgl. [X.], [X.] 2012, 121, 126 f.; so auch [X.], Überlange Verfahrensdauer und Verhältnismäßigkeit, 2020, [X.] f.).

dd) Im Übrigen ist die Wiedergutmachung im Wege des [X.] auch nicht mit dem [X.]nn und Zweck der Verzögerungsrüge in Einklang zu bringen. Während nämlich die Verzögerungsrüge zum einen den präventiven Zweck einer Warnfunktion gegenüber dem mit der Sache befassten Gericht verfolgt, und zum anderen einen Missbrauch im [X.]nne eines "Dulde und [X.]" durch den Betroffenen verhindern soll (vgl. BT-Drucks. 17/3802, [X.]), sind dem Vollstreckungsmodell derartige Zielsetzungen fremd. Dieses sucht nicht nach Fehlern des Betroffenen bei der Mitwirkung im Verfahren, sondern ausdrücklich nach Fehlern der Gerichte und Behörden; es ist ausschließlich auf den nachträglichen Ausgleich für die staatlich zu verantwortende rechtsstaatswidrige Verursachung der Verzögerung gerichtet (vgl. [X.]/[X.], [X.], 300, 304).

Schäfer     

        

Ri'in[X.] Dr. Spaniol befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.

        

[X.]

                 

Schäfer

                 
        

Paul     

        

     Berg     

        

Meta

3 StR 99/19

28.05.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 30. Oktober 2018, Az: 20 KLs 23/14

§ 198 GVG, § 199 GVG, § 337 StPO, § 344 StPO, Art 6 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.05.2020, Az. 3 StR 99/19 (REWIS RS 2020, 1892)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1892

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