Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.10.2020, Az. 1 StR 158/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2171

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Gegenstand

Gefährliche Körperverletzung: Schönheitsbehandlung durch eine nicht als Heilpraktikerin zugelassene Täterin unter Verwendung einer Hyaluronsäurespritze


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Dezember 2019 im Ausspruch über die in den Fällen 1, 2, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30, 31 und 34 bis 49 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. Hinsichtlich der Fälle 34 bis 49 der Urteilsgründe werden auch die dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der Heilkunde und mit Betrug in 33 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s fasste die Angeklagte spätestens im [X.] den Entschluss, Schönheitsbehandlungen mit Hyaluronsäure im [X.] anzubieten. Über den zu diesem Zweck eingerichteten [X.] bot sie unter dem Namen „D.      “ insbesondere die Vergrößerung von [X.] sowie Nasenkorrekturen mittels Unterspritzungen mit Hyaluronsäure an, obwohl sie - wie sie wusste - die hierfür erforderliche Zulassung als Heilpraktikerin nicht besaß.

3

1. Fälle 1 bis 33 der Urteilsgründe:

4

Die Angeklagte führte zwischen September 2016 und April 2019 bei 33 Kunden Behandlungen mit Hyaluronsäure durch, wobei sie in den [X.], 2, 11, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe die Nase oder Nasolabialfalte der Kunden unterspritzte. Bei der Unterspritzung der [X.] kam es aufgrund einer fehlerhaften Behandlung in neun Fällen zu der Bildung von Knötchen oder „[X.]“ in der [X.] der Kundinnen, die teilweise sichtbar, teilweise lediglich für die Betroffene spürbar waren (Fälle 5, 9, 10, 11, 17, 19, 23, 27 und 33 der Urteilsgründe).

5

Das sachverständig durch eine Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie beratene [X.] stellte zudem fest, dass „eine intravasale Injektion - versehentlich in ein Gefäß - mit der Folge von [X.] und [X.] ... selten, ... aber im Einzelfall schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen (kann) bis hin zur Erblindung und zum Schlaganfall“, wobei dieses Risiko vornehmlich bei der Behandlung der Nase und Nasolabialfalte besteht, sodass Unterspritzungen in diesem Bereich „generell geeignet (sind), das Leben der Patienten zu gefährden, auch wenn die möglichen Komplikationen einer Erblindung bzw. eines Schlaganfalls sehr selten sind“ ([X.] 14).

6

2. Fälle 34 bis 49 der Urteilsgründe:

7

Die Angeklagte erzielte mit den Schönheitsbehandlungen, die sie entweder in einem im Wohnhaus der Schwester eingerichteten Behandlungszimmer oder im Rahmen sog. Behandlungstage in Hotels durchführte, mindestens einen Umsatz von 118.500 Euro im [X.] und von 177.750 [X.]. Obwohl sie wusste, dazu verpflichtet zu sein, gab sie für die [X.] und 2017 keine Umsatzsteuererklärungen ab. Sie hinterzog hierdurch Umsatzsteuer in Höhe von 22.515 Euro im [X.] und 33.772,50 [X.] (Fälle 34 und 35 der Urteilsgründe). In den Monaten Januar 2018 bis Februar 2019 erzielte die Angeklagte zudem einen monatlichen Umsatz von mindestens 19.750 Euro. Danach gab sie für die jeweiligen Monate keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab, obwohl ihr bewusst war, dass sie die Einkünfte gegenüber dem Finanzamt hätte erklären müssen. Hierdurch hinterzog die Angeklagte monatlich einen Betrag in Höhe von 3.752,50 Euro (Fälle 36 bis 49 der Urteilsgründe). Insgesamt verkürzte sie im Tatzeitraum Umsatzsteuer in Höhe von 108.822,50 Euro. Den Steuerschaden glich sie im Laufe der Hauptverhandlung vollständig aus.

II.

8

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

9

1. Soweit das [X.] die Unterspritzung der Nase oder Nasolabialfalte mit Hyaluronsäure (Fälle 1, 2, 11, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe) als gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet hat, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Der Schuldspruch bleibt hiervon unberührt, da das [X.] im Hinblick auf die Verwendung einer Spritze zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht hat.

a) Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" voraus. Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 24. März 2020 - 4 [X.] Rn. 6 [X.]).

b) Die vom [X.] getroffenen Feststellungen belegen eine solche generelle Eignung der Verletzungshandlung, das Leben des Opfers zu gefährden, nicht. Zwar kann es nach den Urteilsfeststellungen „sehr selten“ in Folge der Unterspritzung der Nase oder Nasolabialfalte mit Hyaluronsäure zu Komplikationen und schließlich einem Schlaganfall kommen. Eine generelle Eignung der Behandlung, das Leben zu gefährden, ist damit jedoch noch nicht belegt. Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, ist für die generelle Eignung der Lebensgefährdung mehr als der lediglich in „sehr seltenen“ Fällen mögliche tödliche Ausgang der Verletzungshandlung zu fordern.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt in den [X.], 2, 12, 20, 21, 22, 25, 28, 30 und 31 der Urteilsgründe zur Aufhebung der Einzelstrafen von jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe. Die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StGB). Der Senat schließt aus, dass weitergehende Feststellungen möglich sind, die das [X.] einer lebensgefährdenden Behandlung tragen könnten. Die Einzelstrafe im Fall 11 der Urteilsgründe hat dagegen Bestand, da das [X.] angesichts der sich in der Folge der Behandlung ausgebildeten Knoten in der [X.] der zusätzlichen Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB keine Bedeutung beigemessen hat.

2. In den Fällen 34 bis 49 der Urteilsgründe hat das [X.] den Schuldumfang der Hinterziehung von Umsatzsteuer rechtsfehlerhaft bestimmt.

a) Bei der Ermittlung der [X.] für die Umsatzsteuer hat das [X.] versäumt, Feststellungen zu einem möglichen [X.] der Angeklagten zu treffen.

aa) Soweit eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Leistung war und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG erworben wurden, steht das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 [X.]) einer Verrechnung von Vorsteuer und Umsatzsteuer nicht entgegen. Denn dann besteht ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz. Voraussetzung eines Vorsteuerabzugs ist allerdings, dass auch die übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG - der Besitz - im maßgeblichen Besteuerungszeitraum gegeben sind (vgl. [X.], Urteil vom 13. September 2018 - 1 [X.] Rn. 19 ff. [X.], [X.]St 63, 203).

bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs handelt es sich bei den von der Angeklagten erworbenen Hyaluronsäurespritzen um Eingangsumsätze, die in einem direkten Zusammenhang mit den im Rahmen der Schönheitsbehandlungen erzielten [X.] stehen. Zwar hat das [X.] festgestellt, dass die Angeklagte die von ihr verwendeten Hyaluronsäurespritzen zu einem üblichen Preis von etwa 200 Euro für zwei Fertigspritzen à 1 ml über das [X.] bezogen hat. Darüber hinaus finden sich jedoch keine Feststellungen zu den Modalitäten des Erwerbs der Spritzen - insbesondere zu der Frage, ob und in welcher Höhe die Angeklagte Vorsteuern gezahlt hat. Insoweit führt das [X.] lediglich im Rahmen der rechtlichen Würdigung aus, dass die eingetretene Steuerverkürzung nicht dadurch verringert werde, „dass die Angeklagte gezahlte Vorsteuer nicht geltend gemacht hat, ..., da sie hierzu mangels ordnungsgemäßer Rechnung auch nicht berechtigt gewesen wäre“ ([X.] 41). Dies steht jedoch im Widerspruch dazu, dass die Angeklagte die Spritzen (legal) im [X.] erworben hat, sodass Rechnungen hätten ausgestellt sein müssen. Der von Rechts wegen bei der Bemessung des [X.] zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigende [X.] kann daher den Feststellungen im Urteil nicht entnommen werden.

cc) Dies betrifft aber nur den Schuldumfang und hat keine Auswirkungen auf den Schuldspruch, da angesichts der Feststellungen zu den Preisen der Hyaluronsäurespritzen und den von der Angeklagten für ihre Dienstleistungen berechneten Preise auszuschließen ist, dass in einem der verfahrensgegenständlichen [X.] keine zu erklärende Umsatzsteuerzahllast verblieben sein könnte.

b) Die festgestellten Besteuerungsgrundlagen beruhen zudem nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung.

aa) Die vom [X.] vorgenommene Schätzung der Umsätze der Angeklagten ist fehlerhaft. Zwar geht das [X.] im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass es insoweit eine Schätzung vornehmen durfte. Nach der Rechtsprechung des [X.] kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18 Rn. 7 [X.]). So verhält es sich hier: Die Angeklagte hat zwar eingeräumt, im Tatzeitraum Behandlungen mit Hyaluronsäure durchgeführt zu haben; zu dem genauen Umfang ihrer Tätigkeit hat sie jedoch keine Angaben gemacht. Da auch im Rahmen der Durchsuchungen keine [X.] sichergestellt werden konnten, durfte das [X.] die erzielten Umsätze schätzen.

bb) [X.] hat in den Fällen 36 bis 47 der Urteilsgründe (Januar bis Dezember 2018) nachvollziehbar die Höhe des jährlichen Umsatzes, den die Angeklagte im Rahmen der Behandlungstage in Hotels erreichte, dargelegt. Die Umsätze, die die Angeklagte aus der Behandlung der Kunden im Wohnhaus ihrer Schwester erzielt und die das [X.] für das Jahr 2018 mit 105.000 Euro beziffert hat, sind hingegen nicht nachvollziehbar belegt. Insoweit hat das [X.] festgestellt, dass die Angeklagte bei 350 Kunden pro Jahr eine Unterspritzung mit einem durchschnittlichen Behandlungsentgelt von 300 Euro durchgeführt hat. Die hierfür vom [X.] herangezogene Schätzgrundlage trägt die Feststellung von einer Behandlung von 350 Kunden pro Jahr jedoch nicht; denn insoweit stützt das [X.] seine Feststellung darauf, dass die Angeklagte an 200 Arbeitstagen pro Jahr durchschnittlich 1,5 Kunden pro Tag behandelt hat. Unter Zugrundelegung dieser Schätzgrundlage ergibt sich jedoch lediglich eine Anzahl von 300 Kunden pro Jahr sowie ein entsprechend niedrigerer Jahresumsatz in Höhe von lediglich 90.000 Euro.

Da das [X.] ausgehend von den Umsätzen des Jahres 2018 die Umsätze für die [X.] und 2017 sowie für Januar und Februar 2019 ermittelt hat, erstreckt sich dieser Fehler auch auf die Fälle 34, 35, 48 und 49 der Urteilsgründe.

c) Die Rechtsfehler bei der Bestimmung der [X.] in den Fällen 34 bis 49 der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung der entsprechenden [X.] mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht auch die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Bär     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 158/20

28.10.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 17. Dezember 2019, Az: II-2 KLs 46/19

§ 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.10.2020, Az. 1 StR 158/20 (REWIS RS 2020, 2171)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2171

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