Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2012, Az. 2 StR 70/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7448

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Gegenstand

Klammerwirkung einer minderschweren Dauerstraftat; Strafzumessung bei Rücktritt vom Versuch und zugleich verwirklichtem vollendetem Delikt


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist ([X.] 3. der Urteilsgründe),

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Nötigung (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung ([X.] 3. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

I. Nach den Feststellungen zum Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 ([X.] 3. der Urteilsgründe) versteckte sich der Angeklagte am Arbeitsplatz seiner ehemaligen Freundin, die sich einige Zeit zuvor von ihm getrennt hatte. Als sie den Raum betrat, packte der Angeklagte die Geschädigte am Hals, nahm sie in einen Würgegriff und drückte sie gegen einen Spind. Er verlangte von ihr, die Beziehung zu ihm wieder aufzunehmen. Die Geschädigte, die sich schon wegen früherer Nachstellungen und tätlicher Übergriffe des Angeklagten auf kein Gespräch mit ihm einlassen wollte, wies sein Ansinnen ab und versuchte den Raum zu verlassen. Dies verhinderte der Angeklagte, indem er sich ihr in den Weg stellte und den Raum verschloss. Nachdem die Geschädigte ihm erneut erklärt hatte, eine Fortsetzung der Beziehung abzulehnen, stach der Angeklagte, als sie ihm den Rücken zuwandte, unvermittelt zweimal mit einem Küchenmesser auf sie ein. Als die Geschädigte daraufhin aufgrund der Stichverletzungen kaum Luft bekam und vor Schmerzen stöhnte, forderte der Angeklagte sie auf, ruhig zu sein, und drohte damit, ihr sonst ins Herz zu stechen. Mit gleicher Todesdrohung zwang der Angeklagte die Geschädigte im weiteren Verlauf, ihm [X.] Verse nachzusprechen. Schließlich ließ der Angeklagte die Geschädigte etwa 25 Minuten nach seinen Messerstichen telefonisch Hilfe herbeirufen.

3

II. Die Verurteilung des Angeklagten in Bezug auf das Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

4

1. Die nicht näher begründete Annahme des [X.]s, die nach seiner rechtlichen Würdigung verwirklichten Straftatbestände stünden untereinander im Verhältnis der Tatmehrheit, ist rechtsfehlerhaft.

5

Grundsätzlich kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht, andere Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stehen, zur Tateinheit verbinden, wenn es seinerseits mit jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des [X.] nur dann nicht ein, wenn eine minderschwere Dauerstraftat jeweils mit schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft. Wiegt dagegen nur eines der betroffenen Delikte schwerer als dasjenige, das die Verbindung begründet, so bleibt es bei der [X.] mit der Folge, dass alle während der Begehung des [X.] zusätzlich verwirklichten Gesetzesverstöße zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengefasst werden ([X.]St 31, 29, 31; [X.], 39, 40; 2008, 209, 210 mwN; [X.], Beschluss vom 10. November 2010 - 5 [X.] [X.]. 5; vgl. auch [X.] NStZ 2011, 577, 578). Danach steht hier einer Verklammerung der Nötigung und der gefährlichen Körperverletzung durch die Freiheitsberaubung zur Tateinheit nicht entgegen, dass das [X.] der Freiheitsberaubung in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafdrohung Ausdruck findet, deutlich hinter dem Körperverletzungsdelikt zurückbleibt.

6

2. Die Strafkammer hat mit ihrem Schuldspruch zudem den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Tat nicht ausgeschöpft und ist somit ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.

7

a) So hat das [X.] nicht erörtert, ob sich der Angeklagte der Geiselnahme (§ 239b StGB) schuldig gemacht hat. Diese Erörterung drängte sich nach den Feststellungen auf. Danach bemächtigte sich der Angeklagte der Geschädigten zwar zunächst nicht, um sie - wie später geschehen - zum Nachsprechen der Verse zu nötigen. Soweit er sich hierzu aber später während des andauernden psychischen Herrschaftsverhältnisses über das Tatopfer entschloss, könnte er objektiv und subjektiv die von ihm geschaffene Lage zu einer (qualifizierten) Nötigung mittels der von ihm ausgesprochenen Todesdrohung genutzt haben, § 239b Abs. 1 2. Halbsatz StGB (vgl. auch [X.] NStZ 2008, 209, 210; NStZ-RR 2011, 142, 143).

8

b) Der festgestellte Sachverhalt enthält eine weitere Körperverletzung, die von der im Hinblick auf die Messerstiche erfolgten Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nicht erfasst ist: Danach nahm der Angeklagte die Geschädigte zu Beginn des Tatgeschehens zunächst in einen Würgegriff.

9

3. Die Verurteilung des Angeklagten zum Tatgeschehen vom 8. Juli 2011 ([X.] 3.) hat deshalb keinen Bestand. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

4. Ergänzend bemerkt der Senat:

Das [X.] hat hinsichtlich der Einzelstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, die es im [X.] 3. wegen der gefährlichen Körperverletzung verhängt hat, sowohl bei der Bestimmung des anzuwendenden Strafrahmens als auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung zulasten des Angeklagten darauf abgestellt, "dass ein versuchtes Tötungsdelikt nur wegen des strafbefreienden Rücktritts ausscheidet" ([X.]). Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Ist ein Täter vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen, darf der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. [X.]St 42, 43, 45; Senat, NStZ 2003, 533; [X.], Beschluss vom 4. November 2010 - 4 [X.]; [X.], StGB 59. Aufl., § 24 Rn. 46 mwN).

[X.]                                    Appl                           Berger

                    Eschelbach                            Ott

Meta

2 StR 70/12

04.04.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 28. November 2011, Az: 2070 Js 39258/11 - 10 KLs

§ 24 StGB, § 46 StGB, § 52 Abs 1 StGB, § 53 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB, § 239 StGB, § 240 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2012, Az. 2 StR 70/12 (REWIS RS 2012, 7448)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7448

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