Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.02.2014, Az. 2 StR 558/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 7772

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Gegenstand

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach Zurückverweisung bei Entscheidung über ein hinzuverbundenes Verfahren und erstmals getroffener Unterbringungsanordnung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. April 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe abgesehen wurde; insoweit wird die Sache zur Entscheidung gemäß §§ 460, 462 StPO, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1

In einem ersten Urteil vom 8. Juli 2011 hatte das [X.] den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen, weil eine konkrete Erfolgsaussicht nicht bestehe.

2

Der Senat hat auf die Revision des Angeklagten dieses Urteil aufgehoben, soweit eine Unterbringung unterblieben war, und die Sache insoweit an das [X.] zurückverwiesen (Beschluss vom 12. Juli 2012 - 2 StR 602/11).

3

Die neu zur Entscheidung berufene [X.] hat ein weiteres, auf einer neuen Anklage vom 1. Juni 2012 basierendes Verfahren hinzuverbunden. Mit Urteil vom 19. April 2013 hat das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet; von dem neuen Tatvorwurf hat es ihn freigesprochen. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit einer am 20. März 2013 vom [X.] rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen einer am 19. Dezember 2012 begangenen Tat hat das [X.] abgesehen, weil Schuldspruch und Strafausspruch in der vorliegenden Sache mit dem Beschluss des Senats vom 12. Juli 2012, mithin vor Begehung der neuen Tat, rechtskräftig geworden seien.

II.

4

Die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB ist rechtsfehlerfrei; die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist insoweit unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Das Urteil war aber aufzuheben, soweit von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen wurde.

5

1. Für die Anwendbarkeit des § 55 StGB kommt es auf die letzte tatrichterliche Sachentscheidung zur Schuld- oder Straffrage an (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 1960 - 2 StR 147/60, [X.]St 15, 66, 69 f.; [X.], Beschluss vom 1. September 2009 - 3 [X.], [X.], 41; LK/[X.], 12. Aufl., § 55 Rn. 6 f.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 6 ff.). Anders hingegen ist es bei der Vollstreckungssituation: für deren Beurteilung ist der Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verurteilung maßgeblich, da dem Angeklagten der einmal erlangte Rechtsvorteil der nachträglichen Gesamtstrafenbildung durch sein Rechtsmittel nicht genommen werden soll (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 22. August 2013 - 3 [X.], [X.], 474 f.; [X.], StGB, 61. Aufl., § 55 Rn. 6a, 37, jeweils mwN).

6

2. Danach ist - entgegen der Ansicht des [X.]s - für die Anwendbarkeit des § 55 StGB auf das zweite Urteil vom 19. April 2013 abzustellen.

7

Hierbei handelt es sich schon deswegen um eine tatrichterliche Sachentscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB, weil das [X.] auch über ein nachträglich hinzuverbundenes Verfahren verhandelt und - indem es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat - entschieden hat.

8

Hinzu kommt, dass auch die Frage der Unterbringungsanordnung eine tatrichterliche Sachentscheidung, insoweit zur Straffrage, darstellt. Zwar handelt es sich dabei - isoliert betrachtet - um eine vom eigentlichen Strafausspruch getrennte Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Diese betrifft aber wegen der vom Tatgericht in der Folge zu prüfenden Frage, wie die [X.] geregelt werden soll (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB), zwangsläufig den Strafausspruch; dies wird insbesondere in den Fällen deutlich, in denen eine Entscheidung über den [X.] nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB zu treffen ist, bei der es wegen der Orientierung am [X.] entscheidend auf die Dauer der ([X.] ankommt. Insoweit, aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Sollvorschrift ist daher noch eine Entscheidung über den Strafausspruch zu fällen (vgl. [X.] aaO § 67 Rn. 9), zu der gegebenenfalls gesonderte Feststellungen (Therapiedauer) getroffen werden müssen. Solange diese Entscheidung - wie hier - noch aussteht, ist über die Straffrage gerade nicht abschließend tatrichterlich entschieden und eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung möglich.

9

Insoweit ist diese Konstellation mit dem Fall vergleichbar, dass nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht nur noch eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu treffen ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es sich dabei um eine Entscheidung über die Straffrage im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB handelt, obwohl die Strafhöhe nicht mehr abänderbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 1960 -2 StR 147/60, [X.]St 15, 66, 70; LK/[X.] aaO; [X.] aaO § 55 Rn. 6; [X.]/[X.] aaO Rn. 9). Gleiches gilt für die Entscheidung über eine unterbliebene Gesamtstrafenbildung selbst (vgl. [X.], Beschluss vom 1. September 2009 - 3 [X.], [X.], 41 mwN).

Die Teilrechtskraft des Strafausspruchs steht dabei der Anwendung des § 55 StGB nicht entgegen, da sogar das nachrangige Beschlussverfahren gemäß § 460 StPO einen Eingriff in die Rechtskraft erlaubt (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2012 - 4 StR 22/12, [X.], 221; vgl. auch Beschluss vom 7. Juli 2010 - 1 [X.], [X.]St 55, 220 Rn. 35 ff.).

3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu entscheiden. Die Kosten- und Auslagenentscheidung war dem Verfahren gemäß §§ 460, 462 StPO vorzubehalten, bei dem auch die auf [X.] erwähnten, zum Urteilszeitpunkt freilich nicht rechtskräftigen weiteren Verurteilungen in den Blick zu nehmen sein werden.

[X.]                               Appl                     Schmitt

                Eschelbach                        Ott

Meta

2 StR 558/13

19.02.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 19. April 2013, Az: 115 KLs 14/12

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 55 Abs 1 S 2 StGB, § 64 StGB, § 67 Abs 1 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67 Abs 5 S 1 StGB, § 177 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.02.2014, Az. 2 StR 558/13 (REWIS RS 2014, 7772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7772

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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