Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.03.2016, Az. 1 C 10/15

1. Senat | REWIS RS 2016, 14069

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Gegenstand

Nachträgliche Beschränkung des Asylantrags auf die Gewährung subsidiären Schutzes


Leitsatz

Stimmt ein von Deutschland ersuchter EU-Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylantragstellers auf der Grundlage der Dublin II-Verordnung (juris: EGV 343/2003) zu, ist eine Überstellung in den um Aufnahme ersuchten Mitgliedstaat auch dann noch möglich, wenn ein Antragsteller nach der Zustimmung seinen Asylantrag auf die Gewährung subsidiären Schutzes beschränkt.

Tatbestand

1

Die Kläger, [X.] Staatsangehörige, reisten im Mai 2011 in die [X.] ein. In ihren [X.]n Reisepässen befanden sich [X.] [X.]. Zur Begründung ihrer Asylanträge gaben die Kläger an, dass sie in ihrem Heimatland politisch verfolgt worden seien.

2

Am 27. Mai 2011 bat das [X.] (im Folgenden: [X.] um Übernahme des Asylverfahrens nach der [X.] II-Verordnung. Die [X.]n Behörden erklärten mit Schreiben vom 13. Juni 2011 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 9 Abs. 2 [X.] [X.]. Mit Bescheid vom 17. Juni 2011 stellte das [X.] fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind und ordnete deren Abschiebung nach [X.] an.

3

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. Juni 2011 nahmen die Kläger ihre Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG sowie auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 [X.] zurück und beantragten nur noch die Feststellung subsidiären Schutzes.

4

Mit Bescheid vom 30. Juni 2011 stellte daraufhin das [X.] die Asylverfahren der Kläger ein (Ziffer 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach [X.] an (Ziffer 2 des Bescheids). Das Verwaltungsgericht gewährte vorläufigen Rechtsschutz und hob mit Urteil vom 16. Mai 2012 die Ziffer 2 des [X.]sbescheids auf. Durch die Rücknahme der Asylanträge mit ex tunc-Wirkung sei die Zuständigkeit [X.]s für die Bearbeitung der Asylanträge rückwirkend wieder entfallen, da der Anwendungsbereich der [X.] [X.] nur Asylanträge, nicht dagegen den sogenannten subsidiären Schutz umfasse.

5

Mit Urteil vom 21. Mai 2015 hat der [X.]hof das Urteil des [X.] geändert und die Klage abgewiesen. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des [X.]sbescheids sei rechtmäßig. Unabhängig von der Frage, ob unter einem Asylantrag im Sinne von Art. 2 Buchst. c der [X.] [X.] lediglich der Antrag auf Flüchtlingsschutz oder auch der auf subsidiären internationalen Schutz zu verstehen sei, sei im vorliegenden Fall die Zuständigkeit [X.]s mit dessen Zustimmung begründet worden, und diese sei durch die Rücknahme der Asylanträge nicht wieder entfallen. Die Erteilung der Zustimmung entfalte für die Zuständigkeitsbestimmung gleichsam konstitutive Wirkung. Die Zustimmung beende das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats; der Hauptzweck der [X.] [X.], d.h. die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, sei damit erreicht. Dem Asylantragsteller sei es verwehrt, gegen eine durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats begründete Zuständigkeit vorzugehen. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] (Urteil vom 10. Dezember 2013 - [X.]/12 [[X.]:[X.]:C:2013:813], [X.] -) könne der Antragsteller dem nur insoweit entgegentreten, als er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt zu werden. Das [X.]-Verfahren diene vorrangig der Klärung der [X.] mit dem Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge; subjektive Rechte des Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat würden nicht begründet. Die durch die Zustimmung begründete Zuständigkeit [X.]s sei durch die Rücknahme der Asylanträge auch nicht wieder entfallen.

6

Die Kläger wenden sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts. Sie machen geltend, das Berufungsgericht habe Bundesrecht verletzt, weil es den Begriff des "Asylantrags" entgegen dem Wortlaut des § 27a AsylVfG (jetzt: [X.]) nicht unionsrechtlich, sondern nach nationalem Recht ausgelegt habe und somit zu einem Ergebnis gelangt sei, das nicht im Einklang mit der [X.] II-Verordnung stehe. Aus Art. 2 Buchst. c [X.] [X.] ergebe sich, dass die [X.] II-Verordnung nur auf Anträge anwendbar gewesen sei, mit denen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht aber auf solche, mit denen unionsrechtlicher subsidiärer Schutz begehrt werde. Denn nach Art. 2 Buchst. c [X.] [X.] sei von der Legaldefinition des "Asylantrags" nicht mehr auszugehen, wenn der Drittstaatsangehörige "ausdrücklich um einen anderweitigen Schutz (ersucht) habe, der gesondert beantragt werden kann". Die Zustimmungserklärung des Mitgliedstaats [X.] habe sich entsprechend dem Regelungsmechanismus der [X.] II-Verordnung daher nur auf die Prüfung der "Asylanträge" im Sinne der [X.] II-Verordnung gerichtet. Infolge der Rücknahme der Asylanträge der Kläger sei die [X.] II-Verordnung im Zeitpunkt der Behördenentscheidung mangels "Asylantrags" im Sinne von Art. 2 Buchst. c Satz 1 [X.] [X.] nicht anwendbar gewesen, so dass das Berufungsgericht für die Begründung der Anwendbarkeit der [X.] II-Verordnung auch nicht auf deren Hauptzweck habe abstellen dürfen. Die Beklagte habe zudem das hier zugrunde liegende Recht, die [X.]-Regeln, außer Kraft gesetzt.

7

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

8

Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die angefochtene Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des [X.] vom 30. Juni 2011) rechtmäßig ist (1.) und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (2.).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Septem[X.] 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. März 2016 ([X.] I S. 390, 394). Denn nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu [X.]ücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie seinerseits zu [X.]ücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. Septem[X.] 2007 - 10 [X.] 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 [X.] regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es - wenn es jetzt entschiede - die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche [X.]-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Abschiebungsanordnung ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (jetzt: [X.]) findet. Ihr Erlass setzt voraus, dass der Antragsteller in den sicheren Drittstaat (§ 26a [X.]) oder in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a [X.]) abgeschoben werden kann. Durch den Verweis auf § 26a [X.] und § 27a [X.] kennzeichnet § 34a Abs. 1 [X.] die Voraussetzungen, die für den Erlass einer Abschiebungsanordnung vorliegen müssen. § 27a [X.] sieht einen Ausschluss vom Zugang zu einer inhaltlichen Ü[X.]prüfung eines Asylantrags u.a. für diejenigen Antragsteller vor, für die ein anderer Staat aufgrund von unionsrechtlichen Vorschriften zuständig ist. Hierbei bestimmt die [X.]-Verordnung die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit im vorliegenden Fall weiterhin die Verordnung ([X.]) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist ([X.]. L 050 S. 1) - [X.] - maßgeblich ist. Dies ergibt sich aus der Ü[X.]gangsregelung in Art. 49 Abs. 2 der am 19. Juli 2013 in [X.] getretenen Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ([X.]. [X.]) - [X.] -. Danach ist die [X.] erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Seit diesem Zeitpunkt gilt sie außerdem - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme von Antragstellern. Hier wurden der Asylantrag und das Aufnahmegesuch vor diesem Stichtag gestellt.

Entgegen der Auffassung der Kläger konnte die kurzzeitige faktische Nichtanwendung der [X.] im Septem[X.]/Okto[X.] 2015 nicht zu einer für das Gericht normativ beachtlichen Außerkraftsetzung der [X.]-Verordnung führen, da diese verbindlich ist und unmittelbar in jedem [X.]-Mitgliedstaat gilt (Art. 288 Abs. 2 A[X.]V).

1.1 Nach den in der [X.] II-Verordnung festgelegten Kriterien obliegt [X.] die Prüfung der klägerischen Anträge. Die originäre Zuständigkeit [X.]s ergibt sich aus Art. 9 Abs. 2 [X.]. Die Zuständigkeit ist nicht nachträglich auf die [X.] ü[X.]gegangen, und zwar weder wegen Ü[X.]schreitens der sogenannten Ü[X.]stellungsfrist (Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 [X.] <1.1.1>) noch durch die Rücknahme der klägerischen Asylanträge und die Beschränkung ihrer Anträge auf die Gewährung subsidiären Schutzes (1.1.2).

Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 [X.] wird der Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des [X.] als zuständiger Staat bestimmt wird. Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden in der in [X.] der Verordnung niedergelegten Reihenfolge geprüft (vgl. Art. 5 Abs. 1 [X.]). Maßgeblich hierfür ist die Situation, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewer[X.] seinen Antrag zum [X.] in einem Mitgliedstaat stellt (sogenannte Versteinerungsregel; vgl. [X.], Urteil vom 6. Juni 2013 - [X.]/11 [[X.]:[X.]:[X.]:2013:367], [X.] u.a. - Rn. 45; Filzwieser/[X.], [X.] II-Verordnung, 2. Aufl. 2007, Art. 5 [X.]. [X.]). Nach Art. 9 Abs. 2 [X.] bestimmt sich die Zuständigkeit eines Staats aufgrund eines von ihm ausgestellten Visums, wenn der Asylbewer[X.] eines der in Art. 2 Buchst. k [X.] genannten [X.] besitzt. Ausweislich der Behördenakte verfügen die Kläger ü[X.] [X.] Schengen-[X.], die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes ü[X.] den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im [X.] ([X.] - AufenthG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.] I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 ([X.] I S. 394) für die Durchreise oder für Kurzaufenthalte bis zu drei Monaten im Hoheitsgebiet der [X.] erteilt werden. [X.] ist daher nach Art. 9 Abs. 2 [X.] als der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat anzusehen.

1.1.1 Die Zuständigkeit ist nicht nachträglich auf die [X.] ü[X.]gegangen. Ein Ü[X.]gang der Zuständigkeit ist zunächst nicht deswegen gegeben, weil die Ü[X.]stellung nach [X.] nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Art. 19 Abs. 3 Satz 1 [X.] bestimmt, dass die Ü[X.]stellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung ü[X.] den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Mit "Entscheidung ü[X.] den Rechtsbehelf" ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Ü[X.]stellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht "ü[X.] die Rechtmäßigkeit des Verfahrens" entscheidet und die der Durchführung des Ü[X.]stellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann (vgl. zur entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d [X.]: [X.], Urteil vom 29. Januar 2009 - [X.]-19/08 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] u.a. - Rn. 53; BVerwG, Beschluss vom 7. Dezem[X.] 2015 - 1 [X.] - juris Rn. 9). Wird die aufschiebende Wirkung - wie hier durch Beschluss des [X.] vom 27. Okto[X.] 2011 - gewährt, so beginnt die Ü[X.]stellungsfrist erst mit der Entscheidung in der Hauptsache zu laufen, da erst ab diesem Zeitpunkt die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zur Ü[X.]stellung getroffen werden können (so auch [X.], [X.], Stand Novem[X.] 2015, § 27a AsylVfG Rn. 49).

1.1.2 Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Zuständigkeit [X.]s auch nicht durch die Rücknahme der klägerischen Asylanträge und die Beschränkung der Anträge auf die Gewährung subsidiären Schutzes wieder entfallen ist.

1.1.2.1 Zwar weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass der Begriff "Asylantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. c [X.] nur Anträge bezeichnet, mit denen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt wird, und auf den unionsrechtlichen subsidiären Schutz beschränkte Anträge nicht mit einschließt. Dass die [X.] nicht für Personen gilt, die ausschließlich subsidiären Schutz beantragen, bestätigt der Bericht der [X.] zur Bewertung des [X.]-Systems vom 6. Juni 2007 ([X.] <2007> 299 endg. 2.3.1). Hierin wird u.a. ausgeführt, dass im Zeitpunkt der Annahme der Verordnung ein subsidiäres Schutzkonzept noch nicht Teil des gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes war. Erst mit der Annahme der Richtlinie 2004/83/[X.] des Rates ü[X.] Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und ü[X.] den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 ([X.]. L 304 [X.], [X.]. [X.]. L 204 S. 24) - sogenannte Qualifikationsrichtlinie - wurde das Konzept des subsidiären Rechtsschutzes zu einem Bestandteil des [X.]-Rechtsrahmens im Asyl[X.]eich.

1.1.2.2 Entgegen der Annahme der Kläger führt die Rücknahme der Asylanträge a[X.] nicht dazu, dass die Anwendbarkeit der [X.] nachträglich entfällt mit der Folge, dass nicht [X.], sondern die [X.] für die Prüfung des subsidiären Schutzanspruchs zuständig wäre. Denn im Zeitpunkt der Rücknahme der Asylanträge durch die Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juni 2011 war die Annahme des Ü[X.]nahmegesuchs durch [X.] (13. Juni 2011) [X.]eits erfolgt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats damit abgeschlossen. Denn mit der Zustimmung steht der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat fest (vgl. auch: [X.], [X.], Stand Novem[X.] 2015, § 27a AsylVfG Rn. 59; [X.], [X.] 2015, 81 <88>).

Für eine auch nach Rücknahme des auf den Flüchtlingsschutz gerichteten Begehrens beachtliche Wirkung der Zustimmung zur Ü[X.]nahme seitens des ersuchten Mitgliedstaats spricht auch Folgendes: Zwar bestimmen allein die Kriterien des [X.] der [X.] II-Verordnung die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags. An diese im Zeitpunkt einer Asylantragstellung bestehende Zuständigkeit eines Staats knüpfen die Verpflichtungen zur Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylbewer[X.]s an (Art. 16 Abs. 1 [X.]; [X.], Das [X.] System, 2008, S. 54 f.). Art. 16 [X.] ist erst dann anzuwenden, wenn die Zuständigkeit anlässlich der ersten Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat (Art. 4 Abs. 2 [X.]) nach den Kriterien des [X.] oder [X.], entweder durch Nichteinleitung eines Aufnahmeverfahrens (wegen angenommener eigener Zuständigkeit oder Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 [X.]) durch den Mitgliedstaat des ersten Asylantrags oder durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zu einem Aufnahmeersuchen nach Art. 17 und 18 [X.] anerkannt worden ist. Die Feststellung der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags im Sinne des Art. 16 Abs. 1 [X.] bedingt somit einen Akt eines Mitgliedstaats (vgl. in diesem Sinne auch: Filzwieser/Sprung, [X.] II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 16 [X.]. K2). Die ausschließliche Zuständigkeit eines Mitgliedstaats wird durch die Zustimmungserklärung zur Ü[X.]nahme eines Asylbewer[X.]s begründet.

Auch systematische Gründe sprechen für die konstitutive Wirkung der [X.]. So sieht Art. 18 Abs. 7 [X.] vor, dass das Einverständnis des ersuchten Mitgliedstaats mit einer Aufnahme fingiert wird, wenn innerhalb einer bestimmten Frist keine Antwort erteilt wird. Bei Verstreichenlassen der in Art. 18 Abs. 7 [X.] genannten Frist wird der ersuchte Mitgliedstaat daher ex lege zuständig (Zuständigkeit infolge Verfristung, vgl. Filzwieser/Sprung, [X.] II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 18 [X.]. [X.]). Die [X.] begründet somit die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats, ohne dass es darauf ankommt, ob die Voraussetzungen der Zuständigkeitskriterien des [X.] der [X.] erfüllt sind. Entsprechendes muss für die innerhalb der Frist erteilte Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats gelten. Denn die Zuständigkeitsbestimmungen dienen in ihrer Gesamtheit dem Ziel, eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (4. Erwägungsgrund der [X.]).

Aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der [X.] vom 3. Mai 2012 - [X.]/10 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] u.a. - ist es als geklärt anzusehen, dass es in den Fällen einer Asylantragsrücknahme für die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsbestimmungen der [X.] maßgeblich darauf ankommt, wann der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zugestimmt hat. Die Folgen einer Rücknahme des Asylantrags sind in der [X.] nur für die Fälle geregelt, in denen einer von mehreren Anträgen zurückgenommen wird (vgl. Art. 4 Abs. 5 und Art. 16 Satz 1 Buchst. d und Abs. 4 [X.]), nicht a[X.] für Sachverhalte wie den vorliegenden, in denen der Asylbewer[X.] den Antrag zurückgenommen hat, ohne in zumindest einem anderen Mitgliedstaat auch einen solchen Antrag gestellt zu haben. Für die Fälle der Rücknahme eines einzigen im Unionsgebiet gestellten Asylantrags hat der Gerichtshof der [X.] in seinem Urteil vom 3. Mai 2012 -[X.]/10 - (Rn. 47) entschieden, dass die [X.] nicht mehr anzuwenden ist, wenn die Rücknahme des Asylantrags erfolgt, bevor der für die Prüfung dieses Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat. Zur Begründung führt der Gerichtshof aus, dass in diesem Fall der Hauptzweck der Verordnung, d.h. die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten, nicht mehr erreicht werden kann ([X.], Urteil vom 3. Mai 2012 - [X.]/10 - Rn. 42). In diesem Fall ist es Sache des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Antrag gestellt wurde, die durch die Rücknahme veranlassten Entscheidungen zu treffen und insbesondere die Antragsprüfung einzustellen ([X.], Urteil vom 3. Mai 2012 - [X.]/10 - Rn. 48). Das Berufungsgericht hat dem Abstellen auf den Zeitpunkt der Rücknahme bzw. Beschränkung des Antrags zu Recht - im Umkehrschluss - die Entscheidung entnommen, dass in Fällen wie den vorliegenden, in denen die Rücknahme des Asylantrags nach Zustimmung zur Ü[X.]nahme erfolgt, die [X.] weiter Anwendung findet. Wegen der Zweistufigkeit des Verfahrens - Klärung der unionsrechtlichen Zuständigkeit und sodann Durchführung des Verfahrens - steht mit der Zustimmung zur Ü[X.]nahme der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat fest und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ist abgeschlossen. Die nachträgliche Rücknahme des Asylantrags kann der Erfüllung des [X.] der [X.] II-Verordnung, der Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaats, nicht mehr entgegenstehen.

1.2 Das Berufungsgericht nimmt ferner zu Recht an, dass die Anwendbarkeit der [X.] im Falle der Rücknahme des (einzigen) Asylantrags nicht davon abhängt, ob man der Antragsrücknahme ex tunc- oder ex nunc-Wirkung beimisst. Denn eine - wirksame - Rücknahme des Asylantrags führt nicht ipso jure zum Abschluss des Asylverfahrens. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn die zuständige mitgliedstaatliche Behörde eine abschließende Entscheidung getroffen hat. Für den Fall der Rücknahme des Asylantrags bestimmt Art. 19 der Richtlinie 2005/85/[X.] des Rates vom 1. Dezem[X.] 2005 ü[X.] [X.] in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und A[X.]kennung der Flüchtlingseigenschaft ([X.]. [X.], [X.]), dass, soweit die Mitgliedstaaten in den nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit einer ausdrücklichen Rücknahme vorsehen, sichergestellt werden muss, dass die [X.] im Fall der ausdrücklichen Rücknahme eines Asylantrags die Entscheidung trifft, entweder die Antragsprüfung einzustellen oder den Antrag abzulehnen. Hat a[X.] die zuständige [X.] im Fall der Rücknahme des Asylantrags noch eine verfahrensbeendende Entscheidung herbeizuführen, setzt dies voraus, dass trotz Rücknahmeerklärung des Asylbewer[X.]s noch die zuständige [X.] nach den Vorgaben der [X.] bestimmt werden kann. Diese Auslegung deckt sich auch mit dem Ziel der [X.], die Zuständigkeiten eines Mitgliedstaats möglichst rasch allein anhand objektiver Kriterien zu begründen und dem Asylbewer[X.] insoweit jeden Einfluss durch die Stellung mehrere Anträge zu nehmen.

1.3. Ob - wie die Beklagte vorträgt - eine wirksame Rücknahme der Asylanträge nicht vorliegt, da die Kläger ihr ursprüngliches Schutzbegehren inhaltlich unverändert aufrechterhalten haben bzw. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Antragsrücknahme vorliegen, kann hier offenbleiben. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, hat die Rücknahme oder Beschränkung der Asylanträge auch dann, wenn sie nach der [X.] durch einen anderen Mitgliedstaat noch wirksam gegenü[X.] dem ersuchenden Mitgliedstaat erklärt werden kann, die Anwendbarkeit der [X.] un[X.]ührt gelassen, da das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren zu diesem Zeitpunkt [X.]eits abgeschlossen war.

2. Schließlich nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass es den Klägern auch sonst verwehrt ist, gegen eine Ü[X.]stellung nach [X.] vorzugehen.

Durch die allgemeinen Zuständigkeitskriterien der [X.]-Verordnung werden dem Einzelnen keine Rechtspositionen des Gemeinschaftsrechts verliehen. Das [X.]-Verfahren dient der Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats mit dem Ziel, durch eine zwischen den Mitgliedstaaten verbindlich vereinbarte Zuständigkeitsregelung unkontrollierte Weiterwanderungsbewegungen innerhalb der [X.] zu vermeiden und mehrfache oder sukzessive Asylanträge auszuschließen. Die Zuständigkeitsregelungen sind als zwischen den Mitgliedstaaten wirkende Organisationsvorschriften konzipiert, die einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats dienen. Ein allgemeines individualschützendes Recht auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat besteht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Okto[X.] 2015 - 1 [X.] 32.14 - juris Rn. 20; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2016, § 34a [X.] Rn. 22).

Der Gerichtshof der [X.] hat in seinem Urteil in der Rechtssache "[X.]" entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewer[X.]s zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewer[X.] in einen anderen Mitgliedstaat zu ü[X.]stellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewer[X.] in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR[X.] ausgesetzt zu werden ([X.], Urteil vom 10. Dezem[X.] 2013 - [X.]-394/12 - Rn. 60). Derartige systemische Mängel sind im vorliegenden Fall für [X.] weder gerichtlich festgestellt noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden.

3. [X.] ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Meta

1 C 10/15

22.03.2016

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 21. Mai 2015, Az: 14 B 12.30323, Urteil

§ 34a AsylVfG 1992, § 27a AsylVfG 1992, § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, Art 18 EGV 343/2003, Art 19 Abs 3 S 1 EGV 343/2003, Art 16 Abs 1 EGV 343/2003, Art 17 EGV 343/2003, Art 2 Buchst c EGV 343/2003, Art 20 Abs 1 Buchst d EGV 343/2003, Art 5 EGV 343/2003, Art 9 Abs 2 EGV 343/2003, Art 4 EUGrdRCh, Art 49 Abs 2 EUV 604/2013

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.03.2016, Az. 1 C 10/15 (REWIS RS 2016, 14069)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14069

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20 B 16.50000

M 8 S 16.50295

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