Landgericht Köln, Teilurteil vom 21.10.2020, Az. 24 O 394/19

24. Zivilkammer | REWIS RS 2020, 6106

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Tenor

  1.

              Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 25.07.2019 in Bergisch Gladbach verstorbenen I, geboren am ##.##.1943, zuletzt wohnhaft in Bergisch Gladbach, zu erteilen, wobei der Bestand des Nachlasses vom Todestag anzugeben ist, auch wenn sich der Bestand des Nachlasses zwischenzeitlich, etwa durch die Veräußerung von Nachlassgegenständen, geändert hat, und wobei hinsichtlich des Nachlasses die Auskunftserteilung durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Kläger sowie dessen rechtlicher Beistand hinzuzuziehen sind, zu erfolgen hat, und dass insbesondere auf folgende Angaben zu enthalten hat:

              a)

              alle im In und Ausland befindlichen Aktiva, also alle beweglichen und unbeweglichen Vermögensgegenstände sowie Forderungen, insbesondere Immobilien, Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Forderungen aus Miet-, Darlehens- und sonstigen Verträgen, Steuererstattungsansprüche, sonstige Zahlungsansprüche, auch wenn sie ungewiss, unsicher, bedingt oder befristet sind, Kontokorrent- und Sparkonten, Bargeldbestände, Bankschließfächer, Bankdepots, Aktien, Wertpapiere, Genussscheine, Investmentanteile, sonstige Anteile, Kunstgegenstände, Schmuck, unverarbeitete Edelmetalle sowie Gold und Silber, ungefasste Edelsteine und Perlen, Briefmarken-, Münz- und sonstige Sammlungen, Waffen, Musikinstrumente, Bilder, Teppiche, Hausrat, Kraftfahrzeuge, Boote, Tiere etc., wobei die Beklagte auch solche Gegenstände anzugeben hat, die sie für wertlos hält;

              b)

              durch den Todesfall fällig gewordene und/oder später fällig werdende Lebens- und Unfallversicherungen, Sterbegelder, Abfindungsansprüche, Renten, Hinterbliebenen- und Versorgungsbezüge sowie andere wiederkehrende Bezüge;

              c)

              alle Beteiligungen an Gesellschaften, unabhängig davon, ob die Gesellschafterstellung des Erblassers vererblich war oder nicht;

              d)

              sonstige Rechte wie etwa Urheberrechte, Erfindungen, Patente etc.;

              e)

              Angaben dazu, ob der Erblasser bei seinem Tode selbst an einer Erbengemeinschaft oder an einer fortgesetzten Gütergemeinschaft beteiligt war, ob er Vorerbe oder Vorvermächtnisnehmer eines anderen Erblassers war, ob er aufgrund eines anderen Erbfalls Begünstigter eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses war, ob er Nacherbe oder Nachvermächtnisnehmer eines anderen Erblassers werden sollte oder ob ihm aufgrund eines anderen Erbfalls selbst ein Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch zustand;

              f)

              alle lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers, die in den Anwendungsbereich des § 2325 BGB fallen oder auch nur fallen könnten, also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen, Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogene Zuwendungen; hierbei sind auch solche Zuwendungen anzugeben, die am Todestag länger als 10 Jahre zurücklagen;

              g)

              Lebensversicherungen und sonstige Verträge zugunsten Dritter (Sparguthaben, Bausparguthaben etc.) sowie die Namen und Anschriften der jeweiligen Begünstigten;

              h)

              alle Zuwendungen, die gemäß §§ 2050 ff., 2316 BGB ausgleichungspflichtig sein könnten;

              i)

              Angaben dazu, ob und – falls ja – mit wem der Erblasser einen Pflichtteilsverzichts- oder Erbverzichtsvertrag abgeschlossen hat;

              j)

              Angaben dazu, in welchem Güterstand der Erblasser zuletzt gelebt hat;

              k)

              alle Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden).

              2.

              Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

              3.

              Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.200,00 € vorläufig vollstreckbar

Entscheidungsgründe

T a t b e s t a n d :

Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.

Der Kläger ist der einzige Sohn des am ##.##.1943 geborenen und am 25.07.2019 in Bergisch Gladbach verstorbenen I.

Mit vor dem Notar G aus Wipperfürth errichtetem notariellem Testament vom 23.09.2015 (UR-Nr. ####/2015, Anlage K1, Bl. 11 ff. GA) widerrief der Erblasser vorsorglich seine zuvor getroffenen Verfügungen von Todes wegen und bestimmte die Beklagte, ein Hospital, zur Alleinerben, der er zur Auflage macht, seinen Nachlass allein für Zwecke der von ihm näher bezeichneten Palliativstation mit angegliedertem Hospiz der Beklagten zu verwenden. Zudem vermachte er seinem Enkelsohn einen Geldbetrag i.H.v. 40.000,00 €.

In der notariellen Urkunde heißt es unter Ziffer VI:

„Meinem Sohn entziehe ich gemäß § 2333 Abs. (1) Nr. 4 BGB den Pflichtteil. Er hat mehrfach strafbare Handlungen begangen, wegen derer er zum Teil auch bereits strafrechtlich verurteilt worden ist. Derzeit befindet er sich zur Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe im Strafvollzug. Die Straftaten richteten sich zum Teil auch gegen Familienangehörige. Die Teilhabe meines Sohnes am Nachlass ist mit daher unzumutbar.

Der Notar hat mich darauf hingewiesen, dass die Pflichtteilsentziehung gemäß § 2333 Abs. (1) Nr. 4 BGB voraussetzt, dass die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass dem Erblasser wegen der Straftaten unzumutbar ist und dass die Tat zur Zeit der Errichtung des Testaments zumindest begangen sein worden muss.“

Der Kläger war vor Errichtung der notariellen Urkunde vom 23.09.2015 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach vom 13.12.2013 – 46 Ds 707/11 – war er wegen Betrugs unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Leverkusen und unter Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von neun Monaten, wegen Betrugs in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, wegen Betruges in sieben Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten sowie wegen Betruges in sechs Fällen und Urkundenfälschung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Wegen der Einzelheiten wird auf das von der Beklagten als Anlage B1 vorgelegte Urteil Bezug genommen (Bl. 93 ff. GA).

Mit Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach vom 28.05.2015 – 46 Ds-911 Js 2516/13-393/14 – war der Kläger wegen Erschleichens von Leistungen in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Wegen der Einzelheiten wird auf das von der Beklagten als Anlage B2 vorgelegte Urteil Bezug genommen (Bl. 103 ff. GA).

Am 19.03.2015 war der Kläger verhaftet worden. Er verblieb bis November 2018 Strafhaft. Im April 2019 wurde der Kläger erneut festgenommen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.10.2019 (Anlage K2, Bl. 17 ff. GA) forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sowie zur Auszahlung seines Pflichtteils auf. Die Beklagte wies mit anwaltlichem Schreiben vom 22.11.2018 (Anlage K3, Bl. 21 f. GA) die Ansprüche zurück und begründete dies damit, dem Kläger sei der Pflichtteil entzogen worden.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die im notariellen Testament erfolgte Pflichtteilsentziehung nicht wirksam sei. Diese Pflichtentziehung genüge bereits nicht den formalen Anforderungen, die § 2336 BGB an eine solche stelle. Die konkreten Straftaten, auf die sich der Erblasser habe beziehen wollen, seien in seiner letztwilligen Verfügung nicht einmal im Kernsachverhalt angegeben. Es werde zudem nicht klar, um welche Straftaten es sich handele.

Der Kläger stellt zunächst den folgenden Antrag (Klageantrag zu 1) zur Entscheidung:

              1.

              Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 25.07.2019 in Bergisch Gladbach verstorbenen I, geboren am ##.##.1943, zuletzt wohnhaft in Bergisch Gladbach, zu erteilen, wobei der Bestand des Nachlasses vom Todestag anzugeben ist, auch wenn sich der Bestand des Nachlasses zwischenzeitlich, etwa durch die Veräußerung von Nachlassgegenständen, geändert hat, und wobei hinsichtlich des Nachlasses die Auskunftserteilung durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Kläger sowie dessen rechtlicher Beistand hinzuzuziehen sind, zu erfolgen hat, und dass insbesondere auf folgende Angaben zu enthalten hat:

              a)

              alle im In und Ausland befindlichen Aktiva, also alle beweglichen und unbeweglichen Vermögensgegenstände sowie Forderungen, insbesondere Immobilien, Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Forderungen aus Miet-, Darlehens- und sonstigen Verträgen, Steuererstattungsansprüche, sonstige Zahlungsansprüche, auch wenn sie ungewiss, unsicher, bedingt oder befristet sind, Kontokorrent- und Sparkonten, Bargeldbestände, Bankschließfächer, Bankdepots, Aktien, Wertpapiere, Genussscheine, Investmentanteile, sonstige Anteile, Kunstgegenstände, Schmuck, unverarbeitete Edelmetalle sowie Gold und Silber, ungefasste Edelsteine und Perlen, Briefmarken-, Münz- und sonstige Sammlungen, Waffen, Musikinstrumente, Bilder, Teppiche, Hausrat, Kraftfahrzeuge, Boote, Tiere etc., wobei die Beklagte auch solche Gegenstände anzugeben hat, die sie für wertlos hält;

              b)

              durch den Todesfall fällig gewordene und/oder später fällig werdende Lebens- und Unfallversicherungen, Sterbegelder, Abfindungsansprüche, Renten, Hinterbliebenen- und Versorgungsbezüge sowie andere wiederkehrende Bezüge;

              c)

              alle Beteiligungen an Gesellschaften, unabhängig davon, ob die Gesellschafterstellung des Erblassers vererblich war oder nicht;

              d)

              sonstige Rechte wie etwa Urheberrechte, Erfindungen, Patente etc.;

              e)

              Angaben dazu, ob der Erblasser bei seinem Tode selbst an einer Erbengemeinschaft oder an einer fortgesetzten Gütergemeinschaft beteiligt war, ob er Vorerbe oder Vorvermächtnisnehmer eines anderen Erblassers war, ob er aufgrund eines anderen Erbfalls Begünstigter eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses war, ob er Nacherbe oder Nachvermächtnisnehmer eines anderen Erblassers werden sollte oder ob ihm aufgrund eines anderen Erbfalls selbst ein Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch zustand;

              f)

              alle lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers, die in den Anwendungsbereich des § 2325 BGB fallen oder auch nur fallen könnten, also insbesondere Schenkungen, gemischte Schenkungen, Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogene Zuwendungen; da die höchstrichterliche Rechtsprechung zahlreiche Fallgruppen entwickelt hat, in denen die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht gilt, sind auch solche Zuwendungen anzugeben, die am Todestag länger als Jahre zurücklagen;

              g)

              Lebensversicherungen und sonstige Verträge zugunsten Dritter (Sparguthaben, Bausparguthaben etc.) sowie die Namen und Anschriften der jeweiligen Begünstigten;

              h)

              alle Zuwendungen, die gemäß §§ 2050 ff., 2316 BGB ausgleichungspflichtig sein könnten;

              i)

              Angaben dazu, ob und – falls ja – mit wem der Erblasser einen Pflichtteilsverzichts- oder Erbverzichtsvertrag abgeschlossen hat;

              j)

              Angaben dazu, in welchem Güterstand der Erblasser zuletzt gelebt hat;

              k)

              alle Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden).

Die Beklagte beantragt,

                               die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dem Kläger stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil er nicht pflichtteilsberechtigt sei. Der Erblasser habe in dem notariellen Testament vom 23.09.2015 dem Kläger den Pflichtteil wirksam entzogen. Da der Kläger durch die Urteile des Amtsgerichts Bergisch Gladbach vom 13.12.2013 und 28.05.2015 zu Freiheitsstrafen mit in eine Gesamtdauer von insgesamt 37 Monaten verurteilt worden sei, lägen die Voraussetzungen für eine wirksame Entziehung vor. Die Pflichtteilsentziehung genüge auch den formalen Erfordernissen. Es lasse sich jedenfalls durch Auslegung ermitteln, dass der Erblasser die Entziehung auf die fünf Freiheitsstrafen ohne Bewährung mit einer Gesamtdauer von 37 Monaten habe stützen wollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die zulässige Klage hat hinsichtlich des zur Entscheidung gestellten Klageantrags zu 1) Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus § 2314 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses einschließlich der im Klageantrag unter 1.a) bis 1.k) konkretisierten Auskünfte zu. Der Kläger hat zudem Anspruch darauf, dass bei dessen Aufnahme er selbst sowie sein rechtlicher Beistand hinzugezogen werden.

1.

Die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs gemäß § 2314 Abs. 1 BGB liegen vor.

a)

Der Kläger ist als Sohn des Erblassers Pflichtteilsberechtigter gemäß § 2303 BGB.

Er ist durch Verfügung von Todes wegen nicht Erbe geworden. Alleinerbin ist die Beklagte, sie ist somit Anspruchsgegnerin.

b)

Die vom Erblasser in Ziffer VI seines notariellen Testaments vom 23.09.2015 geregelte Pflichtteilsentziehung ist unwirksam.

Der Erblasser hat die in seinem Testament vom 23.09.2015 unter Ziffer VI angeordnete Pflichtteilsentziehung ausdrücklich auf § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB gestützt. Der in § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB normierte Entziehungsgrund setzt voraus, dass der Abkömmling wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gemäß § 2336 Abs. 2 Satz 2 BGB muss die Tat zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung die Tat begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen.

aa)

Es fehlt an den objektiven Voraussetzungen des Entziehungstatbestandes.

Weder hat die Beklagte aufgezeigt, noch ist sonst ersichtlich, dass der Kläger am 23.09.2015 eine vorsätzliche Straftat begangen hatte, wegen derer er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde.

In den von den Beklagten in Bezug genommenen Entscheidungen ist eine solche Verurteilung nicht erfolgt. Durch Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach – Aktenzeichen: 46 Ds 707/11 – vom 13.12.2013 ist der Kläger zwar u.a. wegen Betrugs zu vier Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt wurden. Bereits die gebildeten vier Gesamtfreiheitsstrafen lagen jedoch jeweils unterhalb eines Jahres. Auch die Verurteilung des Klägers durch Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach – Aktenzeichen: 46 Ds 393/14 – vom 20.05.2015 erfolgte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und beträgt damit weniger als ein Jahr. Den Verurteilungen liegt damit keine Einzeltat zugrunde, die eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr nach sich gezogen hat.

Dass eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung oder gar die Addition mehrerer (Gesamt-)Freiheitsstrafen, die in der Summe zu mindestens einem Jahr führen, für § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ausreichend wäre, lässt sich weder dem Wortlaut dieser Norm entnehmen noch mit deren Zweck vereinbaren. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll es auf die Schwere des sozialwidrigen Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten ankommen, die in der „einen“ Straftat ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. LG Bonn, Teilurteil vom 18.12.2019, 2 O 66/19, ErbR 2020, 285 ff., zitiert nach: juris, Rn. 34). Der Gesetzgeber stellt auf den Unrechtsgehalt der Tat ab, der durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zum Ausdruck kommt. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist daher auf die jeweiligen Einzelstrafen abzustellen (vgl. LG Bonn, a.a.O., Rn. 34Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2333 Rn. 44). Eine andere Betrachtung würde der gesetzgeberischen Intention nicht gerecht. Der Testierfreiheit des Erblassers werden durch die Regelungen über das Pflichtteilsrecht Grenzen gesetzt. Dies ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerechtfertigt durch die engen familienrechtlichen Beziehungen zwischen Erblasser und Berechtigtem und soll eine gesetzliche Mindestteilhabe gewährleisten. Die Entziehung des Pflichtteils ist der schwerste Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Position des Pflichtteilsberechtigten (BT-Drs.16/8954, S. 22). Daher können nur schwere schuldhafte Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten die grundsätzlich gesetzlich abgesicherte Mindestteilhabe am Erblasservermögen in Frage stellen. Bei deren Beurteilung auf die Einzelstrafe abzustellen ist gerechtfertigt, weil der konkreten Straftat dieses Gewicht zukommen muss. Dies wird auch daran deutlich, dass in den Gesetzesmaterialien ausgeführt ist, dass der Gesetzgeber (deshalb) darauf verzichtet hat, die Regelung an ein Verbrechen anzuknüpfen, damit vor allem schwere Vergehen aus dem Sexualstrafrecht erfasst werden (BT-Drs.16/8954, S. 24). Daraus lässt sich erkennen, dass das schwere sozialwidrige Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten sich gerade in der konkreten (Einzel-)Tat niedergeschlagen haben muss. Andernfalls führte dies dazu, dass unter Umständen auch die Verwirklichung von weniger schwerwiegenden Vergehen – wie beispielsweise „Schwarzfahren“ – die gesetzlich grundsätzlich vorgesehene Mindestteilhabe des Pflichtteilsberechtigten verhindern könnte, sofern der Pflichtteilsberechtigte diesen Straftatbestand nur hinreichend häufig verwirklicht, um hierfür schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt zu werden. Für ein solch weites Verständnis der gesetzlichen Regelung, das im Wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, bleibt mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in eine Position des Pflichtteilsberechtigten kein Raum.

bb)

Darüber hinaus bestehen durchgreifende Bedenken daran, dass die Pflichtteilsentziehung im Testament vom 23.09.2015 den in § 2336 BGB normierten Formerfordernissen genügt.

Gemäß § 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB muss für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Tat zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung begangen sein sowie der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen und beides muss in der Verfügung angegeben werden. Dabei muss die Angabe hinreichend konkret erfolgen, sodass später geklärt werden kann, auf welchen konkreten Umstand sich die Entziehung gründet und ob sie gerechtfertigt ist. Zwar schreibt die Norm nicht vor, auf welche Weise und in welchem Umfang der Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Es ist jedoch anerkannt, dass der Erblasser zumindest einen „Sachverhaltskerns“ angeben muss, mithin eine substantiierte Bezeichnung, die es erlaubt festzustellen, weshalb konkrete Pflichtteil entzogen worden ist und auf welchen Lebenssachverhalt sich der Erblasser bezieht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.2019, 7 U 134/18, ErbR 2020, 195 f., zitiert nach: juris, Rn. 29; Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2336 Rn. 11).

Die in Ziffer VI. des notariellen Testaments vom 23.09.2015 enthaltene Formulierung „mehrfach strafbare Handlungen begangen, wegen derer er zum Teil auch bereits strafrechtlich verurteilt worden ist“, lässt nicht erkennen, welche konkreten Sachverhalte dem Erblasser vor Auge standen. Selbst wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, dass insoweit auf die erfolgten Verurteilen zur Auslegung zurückgegriffen werden könnte, was bereits nicht frei von Bedenken ist, so lässt die Formulierung jedoch erkennen, dass die Verurteilungen nur ein Ausschnitt der strafbaren Handlungen sind („zum Teil“), die der Erblasser meinte. Ob ihn bereits die abgeurteilten Taten oder nur deren Zusammenschau mit weiteren, nicht näher konkretisierte Taten zu der Einschätzung geführt haben, die Teilhabe des Klägers an seinem Nachlass sei ihm unzumutbar, lässt sich der Formulierung in Ziffer VI des Testaments nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnehmen.

cc)

Ob die Pflichtteilsentziehung wirksam wäre, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer der in § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB geregelten Entziehungsgründe vorläge, oder ob dem entgegen stünde, dass der Erblasser die Pflichtteilsentziehung ausdrücklich auf § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB gestützt hat, kann offen bleiben. Denn Gründe, die eine Entziehung gemäß § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB rechtfertigen könnten, sind in Ziffer VI des notariellen Testaments vom 23.09.2015 nicht – wie dies § 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB erfordert – angegeben.

Soweit dort angegeben ist, die Straftaten hätten sich zum Teil auch gegen Familienangehörige gerichtet, ist dies für die Angabe von Umständen, die einen der Entziehungstatbestände in § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB begründen würden, nicht ausreichend.

2.

Nach § 2314 Abs.1 Satz 1 BGB hat der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. In zeitlicher Hinsicht kommt es dabei auf den Stand beim Erbfall an. In gegenständlicher Hinsicht erfordert der Zweck des Auskunftsanspruchs, der Beweisnot des Pflichtteilsberechtigten abzuhelfen, nicht eine enge, sondern eine weite Grenzziehung: Zum auskunftspflichtigen Bestand des Nachlasses gehören daher nicht nur die (beim Erbfall) tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände (reale Nachlassaktiva), sondern auch die sonstigen Berechnungsfaktoren, die der Berechnung des Pflichtteils einschließlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu Grunde zu legen sind, nämlich einerseits – als fiktive Nachlassaktiva – die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers und seine Schenkungen, andererseits die Nachlassverbindlichkeiten (vgl. BGH, Urteil vom 02.11.1960, V ZR 124/59, NJW 1961, 602 f., zitiert nach: juris, Rn. 11).

Der Auskunftsanspruch im vorgenannten Umfang ist grundsätzlich nach § 260 BGB dadurch zu erfüllen, dass der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten ein geordnetes Verzeichnis des Bestandes vorlegt. Dieses Verzeichnis hat sowohl den realen als auch den fiktiven Nachlassbestand zu enthalten (BGH, Urteil vom 02.11.1960, V ZR 124/59, NJW 1961, 602 f., zitiert nach: juris, Rn. 12). Daher ist auch über die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers gemäß §§ 2050 ff. BGB sowie pflichtteilsergänzungspflichtigen Schenkungen im Sinne von § 2325 BGB Auskunft zu erteilen (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 10). Letztere Auskunftspflicht umfasst nicht nur die konkrete Angabe der in den letzten zehn Jahren vor dem Tod erfolgten Schenkungen des Erblassers. Wegen der Regelung in § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB ist eine solche Beschränkung abzulehnen. Vielmehr ist auch zeitlich unbegrenzt über die Schenkungen und unbenannten Zuwendungen zugunsten des überlebenden Ehegatten Auskunft zu erteilen und über solche Schenkungen, die außerhalb der Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB erfolgt sind, sofern Umstände vorliegen, aufgrund derer die Frist infolge (fristschädlichen) Vorbehalts eines Nutzungsrechts nicht mit Eigentumsübergang angelaufen ist. Bei gemischten Schenkungen ist der Wert der ausgetauschten Leistungen anzugeben.

Zudem ist der Erbe verpflichtet, auch darüber Auskunft zu geben, in welchem Güterstand der Erblasser gelebt hat (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 16).

Der dem Pflichtteilsberechtigten zur Auskunft verpflichtete Erbe darf sich nicht darauf beschränken, sein eigenes Wissen an den Berechtigten weiterzuleiten. Er ist auch verpflichtet, sich ggf. fremdes Wissen zu verschaffen und Auskunftsrechte und Informationsansprüche gegenüber Dritten zu nutzen, um sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 13).

Gemäß § 2314 Abs. S. 3 BGB hat der Kläger Anspruch darauf, dass das Verzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird.

Nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB kann der Kläger verlangen, dass er bei der Erstellung des notariellen Verzeichnisses zugezogen wird. Dieses Anwesenheitsrecht umfasst auch die Zuziehung eines Vertreters oder Beistandes (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 42).

II.

Die Kostenentscheidung war der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 1.000,00 €

Meta

24 O 394/19

21.10.2020

Landgericht Köln 24. Zivilkammer

Teilurteil

Sachgebiet: O

Zitier­vorschlag: Landgericht Köln, Teilurteil vom 21.10.2020, Az. 24 O 394/19 (REWIS RS 2020, 6106)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 6106

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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