Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. V ZB 41/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8488

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anforderungen an die Unterbringung eines minderjährigen Abschiebungshaftgefangenen


Tenor

Die Vollziehung des mit Beschluss des [X.] vom 28. Januar 2012 gegen den Betroffenen angeordneten und mit Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2012 aufrechterhaltenen [X.] wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Der minderjährige Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste ohne Begleitung am 27. Januar 2012 aus [X.] kommend mit dem Zug in das [X.] ohne Ausweispapiere und Aufenthaltstitel ein und wurde von Beamten der Beteiligten zu 2 festgenommen. Die Beteiligte zu 2 beabsichtigt die Zurückschiebung des Betroffenen nach [X.] am 8. März 2012.

2

Das Amtsgericht hat auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis einschließlich 16. März 2012 angeordnet. Auf die Beschwerde hat das [X.] die Haftdauer bis zum 8. März 2012 verkürzt und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er zugleich im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung der Vollziehung der aufrechterhaltenen Haft erreichen will.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Die Haftgründe der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.] und der Entziehungsabsicht nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] seien erfüllt. Die Haft sei verhältnismäßig. Die Minderjährigkeit des Betroffenen stehe der Inhaftierung nicht entgegen. Ihr werde dadurch Rechnung getragen, dass der Betroffene in der Abteilung für Jugendliche in der [X.] untergebracht worden sei. Eine andere geeignete Einrichtung für die Aufnahme Minderjähriger gebe es - soweit bekannt - nicht.

III.

4

1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamG statthaft (siehe nur [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2010 - [X.], [X.] 2011, 26 Rn. 8; Beschluss vom 18. August 2010 - [X.], [X.] 2010, 440).

5

2. Er ist auch begründet.

6

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2010 - [X.], [X.] 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 - [X.], [X.] 2010, 440). So verhält es sich hier.

7

a) Die Aufrechterhaltung der [X.] dürfte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen. Der [X.] hat bereits entschieden, dass bei minderjährigen Ausländern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Anordnung von [X.] wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zukommt ([X.], Beschluss vom 29. September 2010 - [X.], NVwZ 2011, 320 Rn. 9). Nach der Neuregelung des § 62a Abs. 1 Satz 1 [X.] wird die Abschiebungshaft in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen in einem Land nicht vorhanden, kann die Abschiebungshaft in diesem Land in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die [X.] sind dann getrennt von den Strafgefangenen unterzubringen (§ 62a Abs. 1 Satz 2 [X.]). Zudem sind nach der Regelung des § 62a Abs. 3 [X.] bei minderjährigen [X.] unter Beachtung der Maßgaben der in Art. 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, [X.]) alterstypische Belange zu berücksichtigen. In dieser sogenannten Rückführungsrichtlinie regelt Art. 17 u.a. die Inhaftnahme von Minderjährigen. Danach wird bei unbegleiteten Minderjährigen Haft nur im äußersten Falle und für die kürzestmögliche angemessene Dauer eingesetzt (Art. 17 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie). In Haft genommene Minderjährige müssen die Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungsmöglichkeiten und, je nach Dauer ihres Aufenthalts, Zugang zur Bildung erhalten (Art. 17 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie). Unbegleitete Minderjährige müssen so weit wie möglich in Einrichtungen untergebracht werden, die personell und materiell zur Berücksichtigung ihrer altersgemäßen Bedürfnisse in der Lage sind (Art. 17 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie). Insgesamt ist dem Wohl des Kindes im Zusammenhang mit der Abschiebehaft bei Minderjährigen Vorrang einzuräumen (Art. 17 Abs. 5 der Rückführungsrichtlinie). Diese Anforderungen, die für die Zurückschiebung aufgrund der Verweisung auf § 62a [X.] in § 57 Abs. 3 [X.] in gleichem Maße gelten, dürften von dem Beschwerdegericht nicht ausreichend beachtet worden sein.

8

b) Es beschränkt sich auf die Feststellung, dass ihm keine andere geeignete Einrichtung für die Aufnahme Minderjähriger als die [X.] bekannt und der Betroffene dort in der Abteilung für Jugendliche untergebracht sei. Das besagt nichts darüber, ob dies den Anforderungen genügt, die nach § 62a Abs. 1, Abs. 3 [X.] i.V.m. Art. 17 der Rückführungsrichtlinie an die Unterbringung eines Minderjährigen zu stellen sind. Insbesondere fehlen entgegen der Annahme der Beteiligten zu 2 Feststellungen dazu, ob der Betroffene getrennt von Strafgefangenen untergebracht ist und ob seine weitergehenden Rechte in der Justizvollzugsanstalt gewahrt sind.

Krüger                                              Stresemann                                             Czub

                         Brückner                                                   Weinland

Meta

V ZB 41/12

07.03.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Traunstein, 5. März 2012, Az: 4 T 664/12

Art 17 Abs 1 EGRL 115/2008, Art 17 Abs 3 EGRL 115/2008, Art 17 Abs 4 EGRL 115/2008, § 64 Abs 3 FamFG, § 76 Abs 1 FamFG, § 57 AufenthG, § 62 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62a Abs 1 S 1 AufenthG, § 62a Abs 3 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. V ZB 41/12 (REWIS RS 2012, 8488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8488

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 41/12 (Bundesgerichtshof)


V ZB 137/14 (Bundesgerichtshof)

Ab- und Zurückschiebungshaftanordnung: Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die EG-Richtlinie über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger …


V ZB 180/17 (Bundesgerichtshof)

Vorlage an den EuGH zur Auslegung der Richtlinie über gemeinsame Normen und Verfahren in den …


V ZB 137/14 (Bundesgerichtshof)


V ZB 144/12 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Vollzug der Abschiebehaft gegen einen Drittstaatsangehörigen zusammen mit Strafgefangenen in einer …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.