Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.11.2021, Az. 5 AV 1/21

5. Senat | REWIS RS 2021, 1118

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Gegenstand

Bindungswirkung eines (einfach) fehlerhaften Verweisungsbeschlusses; hier: Rückerstattung von Elternbeiträgen für Kinderbetreuung


Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] (Oder) bestimmt.

Gründe

I

1

Die Kläger machen im Ausgangsrechtsstreit die Rückzahlung von dem [X.]eklagten, einem privatrechtlichen Verein, für die [X.]etreuung ihrer Kinder erhobener Elternbeiträge sowie die Erteilung der Auskunft über die Ermittlung der Höchstbeiträge und deren Kalkulation geltend.

2

Das [X.] (Oder), vor dem die Kläger ursprünglich Klage erhoben haben, hat nach Anhörung der [X.]eteiligten mit nicht angefochtenem [X.]eschluss vom 27. April 2020 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] (Oder) verwiesen.

3

Das Verwaltungsgericht hat die [X.]eteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit [X.]eschluss vom 26. August 2021 hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das [X.] zur [X.]estimmung der Zuständigkeit angerufen.

II

4

1. Das [X.] ist zur Entscheidung des negativen [X.]s zwischen dem [X.] (Oder) und dem [X.] (Oder) berufen.

5

Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer [X.] zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den [X.] zwischen einem Verwaltungsgericht und einem [X.] weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des [X.]undes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste [X.] den negativen [X.] zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 f.). Denn obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener [X.]eschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die [X.]indungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13 - [X.], 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das [X.] (Oder) als auch das [X.] (Oder) haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.

6

2. Für eine Entscheidung über die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ist das [X.] (Oder) zuständig. Zwar ist für die gerichtliche Geltendmachung dieser Ansprüche der [X.] eröffnet (2.1). Der (fehlerhafte) Verweisungsbeschluss des [X.] (Oder) entfaltet jedoch gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] [X.]indungswirkung (2.2).

7

2.1 Für die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ist der [X.] eröffnet. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 [X.]. [X.]eteiligte des Verfahrens sind mit den Klägern und dem [X.]eklagten, einem nicht mit öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen ausgestatteten privatrechtlichen Verein, zwei Privatrechtssubjekte. Der Streit ist auch auf der Grundlage zivilrechtlicher Normen zu entscheiden, nämlich anhand des zwischen den [X.]eteiligten geschlossenen [X.] und der Vorschriften des [X.]. Ohne [X.]edeutung ist in diesem Zusammenhang, dass § 17 Abs. 3 KitaG [X.][X.] öffentlich-rechtliche Vorgaben für die [X.]emessung der Elternbeiträge enthält. Soweit diese Vorschrift im Rahmen des klageweise geltend gemachten Anspruchs zu berücksichtigen sein sollte, stellte die Anwendung dieser Norm (lediglich) eine vom Zivilgericht zu beurteilende Vorfrage dar und führte nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese liegt auch nicht deshalb vor, weil der [X.]eklagte mit dem [X.]etrieb einer Kindertagesstätte Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem [X.] wahrnimmt. [X.]ei der [X.]estimmung des Rechtswegs kann von der öffentlichen Aufgabe nicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter ihrer Ausführung geschlossen werden ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 6. März 1990 - 7 [X.] 120.89 - [X.]uchholz 310 § 40 VwGO Nr. 244 S. 28).

8

Dass in Streitigkeiten der vorliegenden Art der [X.] eröffnet ist, ist - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - zwischenzeitlich auch in der Rechtsprechung namentlich des [X.]randenburgischen Oberlandesgerichts geklärt (OLG [X.]randenburg, Urteile vom 11. September 2019 - 4 U 42/19 - juris Rn. 18 und vom 1. April 2020 - 11 U 187/18 - juris Rn. 6; vgl. ferner OVG [X.]erlin-[X.]randenburg, Urteil vom 8. Januar 2021 - 6 [X.] 9.20 - juris Rn. 23 f.).

9

2.2 Ungeachtet der Eröffnung des [X.]s ist das [X.] (Oder) aufgrund des Verweisungsbeschlusses des [X.] (Oder) vom 27. April 2020 zuständig.

Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine [X.]indungswirkung entfaltet, hat das [X.] jüngst zusammengefasst: Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] angeordnete [X.]indungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a [X.] eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 [X.] vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete [X.]indungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 <741>).

Der Verweisungsbeschluss des [X.] (Oder) vom 27. April 2020 erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Das [X.] hat das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der [X.]egründung angenommen, die Höhe der Elternbeiträge sei durch die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 17 Abs. 3 KitaG [X.][X.] derart vorgezeichnet, dass für eine vertragliche Regelung kein Spielraum mehr verbleibe. Insoweit hat das [X.] verkannt, dass in [X.]randenburg die Rechtsbeziehungen zwischen den Personensorgeberechtigten eines Kindes und dem privaten Träger einer Kindertagesstätte privatrechtlich ausgestaltet (OLG [X.]randenburg, Urteile vom 11. September 2019 - 4 U 42/19 - und vom 1. April 2020 - 11 U 187/18 - juris; vgl. ferner OVG [X.]erlin-[X.]randenburg, Urteil vom 8. Januar 2021 - 6 [X.] 9.20 - juris Rn. 23 f.) und sich aus dieser Rechtsbeziehung ergebende Ansprüche daher ausschließlich im [X.] zu verfolgen sind. Soweit in diesem Zusammenhang für die [X.]emessung der privatrechtlich vereinbarten Elternbeiträge öffentlich-rechtliche Vorschriften wie etwa § 17 Abs. 2 und 3 KitaG [X.][X.] als gesetzliche "Preisregelungen" (OLG [X.]randenburg, Urteil vom 11. September 2019 - 4 U 42/19 - juris Rn. 23) entscheidungserheblich sein sollten, hätte das [X.] deren Anwendung in eigener Zuständigkeit prüfen müssen. Damit befand sich das [X.] im [X.] (lediglich) in einem Rechtsirrtum über die Reichweite der eigenen Prüfungskompetenz und -pflicht. Ein solcher Irrtum macht den Verweisungsbeschluss nicht unverständlich und offensichtlich unhaltbar. Dies indiziert auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht nach Eingang der Sache bei ihm mit der Sachbearbeitung begonnen hat, indem es den [X.]eklagten mit der Eingangsverfügung vom 22. Juni 2020 zur Klageerwiderung aufgefordert und sodann, nachdem es die [X.]eteiligten mit Verfügung vom 17. August 2020 hierzu angehört hat, noch etwa ein Jahr benötigt hat, die Sache dem [X.] zur Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen.

Meta

5 AV 1/21

12.11.2021

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend VG Frankfurt (Oder), 26. August 2021, Az: 6 K 719/20, Beschluss

§ 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 S 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 40 Abs 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.11.2021, Az. 5 AV 1/21 (REWIS RS 2021, 1118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1118

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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