Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 05.02.2014, Az. 2 BvR 200/14

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2014, 8165

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

STRAFRECHT EINSTWEILIGER RECHTSSCHUTZ BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STRAFTATEN GRUNDRECHTE KINDERPORNOGRAFIE DURCHSUCHUNG

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der Sichtung und Auswertung von Beweisgegenständen, die im Rahmen einer Durchsuchung sichergestellt worden waren - drohende irreparable Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt Folgen einer bloßen Verzögerung des Ermittlungsverfahrens


Tenor

Die Sichtung und Auswertung der am 25. September 2013 in den Wohnräumen des Beschwerdeführers in Vollziehung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses des [X.] vom 10. Juli 2013 sichergestellten Beweisgegenstände wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers - längstens für die Dauer von sechs Monaten - untersagt.

Gründe

1

1. Gegen den Beschwerdeführer ist seit Anfang des Jahres 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften (§ 184b StGB) anhängig, welches zunächst durch die Generalstaatsanwaltschaft [X.] - Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität -, Außenstelle [X.], geführt wurde. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war der am 6. Oktober 2007 erfolgte Erwerb einer DVD mit kinderpornographischen Inhalten durch den Beschwerdeführer auf der Internetseite [X.], welcher erst im Jahr 2012 im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens bekannt wurde. Der Erwerb der auf dem Video erkennbaren "Posing-Darstellungen" war im Jahr 2007 noch nicht mit Strafe bedroht.

2

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] beantragte am 8. Juli 2013 den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses, mit dem die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften im Sinne von § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB angeordnet werden sollte, da zu vermuten sei, dass der Beschwerdeführer noch immer jedenfalls im Besitz der am 6. Oktober 2007 erworbenen DVD mit nunmehr - nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2008 - strafbaren Inhalten sei. Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 10. Juli 2013 vom Amtsgericht [X.] erlassen und die Durchsuchung am 25. September 2013 vollzogen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht [X.] mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 als unbegründet.

3

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt er zudem, die Sichtung und Auswertung sämtlicher bei der Durchsuchung in behördlichen Gewahrsam gelangten und dort noch befindlichen Daten und Beweisgegenstände bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde zu untersagen.

4

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige Antrag ist begründet.

5

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 103, 41 <42>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnungerlassen würde, ihr der Erfolginder Hauptsache aber zu versagen wäre (vgl. [X.] 99, 57 <66>; stRspr).

6

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

7

b) Die somit nach § 32 [X.] gebotene Abwägung fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.

8

aa) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, würde sich die Auswertung der sichergestellten Beweisgegenstände und damit das gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren lediglich verzögern. Es ist nicht erkennbar, dass wegen dieser Verzögerung ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen wäre. Insbesondere würde der [X.] nicht gravierend beeinträchtigt, zumal es der Staatsanwaltschaft nicht verwehrt wäre, in der Zwischenzeit anderweitige Ermittlungen im vorliegenden Fall anzustellen.

9

bb) Unterbliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung hingegen, stellte sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet heraus, wäre dies demgegenüber mit irreparablen Nachteilen verbunden. In diesem Fall würde die bevorstehende Auswertung der sichergestellten Gegenstände irreversibel das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen.

cc) Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die für den Beschwerdeführer aus einer Auswertung der Unterlagen drohenden Nachteile eines irreparablen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden führt der Erlass der einstweiligen Anordnung lediglich zu einer Verzögerung, nicht aber zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 200/14

05.02.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Gießen, 17. Dezember 2013, Az: 7 Qs 183/13, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 13 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 184b Abs 1 StGB vom 27.12.2003, § 184b Abs 1 StGB vom 31.10.2008, § 184b Abs 4 S 2 StGB, § 102 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 05.02.2014, Az. 2 BvR 200/14 (REWIS RS 2014, 8165)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 851 REWIS RS 2014, 8165

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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