Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.08.2018, Az. 1 B 25/18

1. Senat | REWIS RS 2018, 5020

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Gegenstand

Abschiebungsverbot für anerkannte Flüchtlinge nach Bulgarien


Leitsatz

1. Der Abschiebung von im Ausland anerkannten Flüchtlingen in den Staat ihrer Anerkennung steht das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, wenn die sie dort erwartenden Lebensverhältnisse Art. 3 EMRK (juris: MRK) widersprechen. Das setzt allerdings voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn die anerkannten Flüchtlinge ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.

2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG setzt keine "Extremgefahr" im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG voraus.

Gründe

I

1

Die Kläger zu 1 und 2 und deren minderjähriger [X.], der Kläger zu 3, sind nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige. Sie reisten nach einem etwa achtmonatigen Aufenthalt in [X.] im Mai 2014 in die [X.] ein. Zuvor war ihnen am 21. Februar 2014 in [X.] die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Im Mai 2014 beantragten sie in [X.] Asyl. Mit [X.]escheid vom 3. März 2015 lehnte das [X.] (im Folgenden: [X.]) die Anträge als unzulässig ab (Ziffer 1.). Es drohte den Klägern die Abschiebung nach [X.] oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an, wenn sie das [X.] nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlassen. Nach [X.] dürften sie nicht abgeschoben werden (Ziffer 2.). Zur [X.]egründung führte das [X.] aus, die Asylanträge seien unzulässig, weil den Klägern bereits in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] internationaler Schutz zuerkannt worden sei.

2

Das Verwaltungsgericht hat Ziffer 2 des angefochtenen [X.]escheids des [X.]s aufgehoben und die Klage im Übrigen (Verpflichtung zur Feststellung eines [X.]s nach § 60 Abs. 5 [X.] in [X.]ezug auf [X.]) abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des [X.] geändert und die [X.]eklagte verpflichtet festzustellen, dass ein [X.] gemäß § 60 Abs. 5 [X.] in [X.]ezug auf [X.] besteht. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die [X.]eklagte mit der [X.]eschwerde.

II

3

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

4

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

5

Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 14. Februar 2018 - 1 [X.] 1.18 - juris Rn. 3).

6

a) Die [X.]eschwerde hält zunächst hinsichtlich eines [X.]s nach § 60 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 [X.] für klärungsbedürftig,

"welchen Schweregrad eine auf die allgemeinen Verhältnisse zurückzuführende Situation jedenfalls erreichen muss, um der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der [X.] mit [X.]lick auf Art. 4 GR[X.] bzw. Art. 3 [X.] entgegenzustehen"

und

"ob insoweit eine Eingriffsschwere erforderlich ist, die dem Grad der 'Extremgefahr', wie sie zur Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 [X.] erforderlich wäre, gleichkommt?".

7

Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie sind bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.], des [X.] und des [X.]undesverwaltungsgerichts geklärt.

8

aa) Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden [X.]ehandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 [X.] ist auf die Rechtsprechung des [X.] zu Art. 3 [X.] zurückzugreifen. Dieser fordert in ständiger Rechtsprechung nur für die Tatbestandsalternativen der "Folter" und der "unmenschlichen [X.]ehandlung" ein vorsätzliches Handeln, nicht hingegen für die Tatbestandsalternative der "erniedrigenden [X.]ehandlung". Hierzu führt er in seinem Urteil vom 21. Januar 2011 ([X.]) - Nr. 30696/09 - M.S.S./[X.]elgien und [X.] - (Rn. 220) aus: Es sei zwar zu berücksichtigen, ob es der Zweck der [X.]ehandlung gewesen sei, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließe dies die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 [X.] nicht zwingend aus ("the absence of any such purpose cannot conclusively rule out a finding of a violation of Article 3"). Der [X.] und das [X.]undesverwaltungsgericht sind dieser Rechtsprechung gefolgt. Der [X.] hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]/10 und [X.]/10 [[X.]:[X.]:[X.]:2011:865], N.S. u.a. - (Rn. 86 bis 94 und 106) entschieden, dass die Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des [X.] unter bestimmten Umständen gegen das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden [X.]ehandlung im Sinne von Art. 4 GR[X.]/Art. 3 [X.] verstoßen kann, wenn sie an einen Mitgliedstaat überstellt werden, bei dem ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen. Diese Rechtsprechung führt der [X.] in [X.] fort und legt die Merkmale der unmenschlichen oder erniedrigenden [X.]ehandlung in Übereinstimmung mit dem [X.] aus (vgl. etwa [X.], Urteil vom 16. Februar 2017 - [X.]/16 [X.] [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] u.a. - Rn. 67). Entsprechendes gilt für die Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 [X.] 15.12 - [X.]VerwGE 146, 12 Rn. 22 ff.).

9

In der Rechtsprechung des [X.] ist weiter geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) erreichen müssen, um ein [X.] nach Art. 3 [X.]/Art. 4 GR[X.] zu begründen (vgl. [X.] <[X.]>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, [X.]/[X.]elgien - Rn. 174; [X.], Urteil vom 16. Februar 2017 - [X.]/16 [X.], [X.] u.a. - Rn. 68). Die [X.]estimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der [X.]ehandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den [X.]etroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des [X.]etroffenen ([X.] <[X.]>, Urteile vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./[X.]elgien und [X.] - Rn. 219 und vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, [X.]/[X.]elgien - Rn. 174). Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts beim [X.] [X.] vom 25. Juli 2018 ([X.]/17 - Rn. 143) muss sich der [X.]etroffene in "einer besonders gravierenden Lage" befinden. Auch nach der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein [X.] nach Art. 3 [X.] begründen ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 [X.] 15.12 - [X.]VerwGE 146, 12 Rn. 23 und 25).

Allerdings enthält Art. 3 [X.] weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen noch begründet Art. 3 [X.] eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen ([X.] <[X.]>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./[X.]elgien und [X.] - Rn. 249). Der [X.] hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine gesteigerte Verantwortlichkeit der [X.]-Mitgliedstaaten gesehen, weil sich diese durch die Richtlinie 2003/9/[X.] vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (A[X.]l. L 31 S. 18) (heute: Richtlinie 2013/33/[X.] des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ) zur Gewährleistung bestimmter Minimalstandards bei der Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet haben. [X.]ei diesem besonders schutzbedürftigen Personenkreis können schlechte Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung das für Art. 3 [X.] erforderliche Mindestmaß an Schwere erfüllen, wenn die [X.]etroffenen - in einem ihnen vollständig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und staatlicher Untätigkeit und Indifferenz gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und [X.]edürftigkeit befinden ([X.] <[X.]>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./[X.]elgien und [X.] - Rn. 250 ff.; [X.]VerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 [X.] 15.12 - [X.]VerwGE 146, 12 Rn. 24).

Die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung von [X.], [X.] und [X.]undesverwaltungsgericht ist auf anerkannte Flüchtlinge zu übertragen, die sich darauf berufen, dass die Lebensbedingungen, denen sie im Staat ihrer Flüchtlingsanerkennung ausgesetzt sind, Art. 3 [X.] widersprechen (so schon [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. August 2017 - 1 [X.] 37.16 - juris Rn. 20). Auch für diesen Personenkreis ergibt sich eine gesteigerte Schutzpflicht der [X.]-Mitgliedstaaten, der sie sich in Gestalt der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/[X.] des [X.] und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder [X.]losen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (A[X.]l. L 337 S. 9) unterworfen haben. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 [X.] erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen [X.]asisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.

Die Frage, ob die vom [X.]erufungsgericht tatrichterlich festgestellten Aufnahmebedingungen für nach [X.] zurückkehrende anerkannte Schutzbedürftige unter [X.]erücksichtigung der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe gegen Art. 3 [X.] verstoßen, betrifft die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung. Diese Frage wird von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten der einzelnen [X.]undesländer unterschiedlich beantwortet (eine vom [X.]erufungsgericht abweichende Einschätzung trifft u.a. das [X.], [X.]eschluss vom 31. August 2016 - 3 L 94/16 - juris; vgl. im Übrigen die Zusammenstellung im angefochtenen Urteil S. 11 f.). [X.] - mögen sie auch von grundsätzlicher [X.]edeutung sein - reichen nach geltender Rechtslage für die Zulassung einer Revision nicht aus (s. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 24. April 2017 - 1 [X.] 22.17 - [X.] 2017, 307). Eine etwa fehlerhafte Anwendung der rechtlich zu Art. 3 [X.] geklärten Maßstäbe im Einzelfall - mag sie auch die von individuellen [X.]esonderheiten weitgehend unabhängige [X.]eurteilung der Lage in einem bestimmten Abschiebungszielstaat betreffen - rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung.

bb) Die von der [X.]eschwerde aufgeworfene Frage, ob die Annahme eines [X.]s in [X.]ezug auf § 60 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 [X.] eine "Extremgefahr" voraussetzt, lässt sich mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen. Der [X.]egriff der "Extremgefahr" wird im Zusammenhang mit dem nationalen [X.] nach § 60 Abs. 7 [X.] verwendet. Danach kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, [X.] in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 [X.] nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser [X.]edingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 [X.] [X.] nach § 60 Abs. 7 Satz 1 [X.] zu gewähren ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 [X.] 15.12 - [X.]VerwGE 146, 12 Rn. 38). Dieser strengere Maßstab ist zur Rechtfertigung der Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 [X.] geboten, lässt sich jedoch nicht auf die in § 60 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 [X.] getroffene Regelung übertragen.

b) Die [X.]eschwerde sieht weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf, ob

"in einer solchen Konstellation vom [X.] (...) im Sinn einer zielstaatsbezogenen Gefahrenursache das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für [X.]gründe i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 [X.] einzustellen ist"

und

"die der Gefahrrealisierung entgegenstehende Einholung einer Zusage über die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit durch die [X.]ehörden des Mitgliedstaats (hier: [X.]) dem Aufgabenbereich des [X.]es oder dem Aufgabenbereich der für die Durchführung der Überstellung zuständigen Ausländerbehörde unterfällt".

Auch diese aufgeworfenen Rechtsfragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

aa) Die Frage, ob das [X.] das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für [X.]gründe im Sinne des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 [X.] einzustellen hat, lässt sich bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Die Zuständigkeit des [X.]s für die Feststellung, ob die Voraussetzungen eines [X.]s nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 [X.] vorliegen, folgt aus § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 [X.] ergibt sich, dass das [X.] den Sachverhalt klärt und die erforderlichen [X.]eweise erhebt. Für das hier relevante [X.] des § 60 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 [X.] bedeutet dies, dass alle für die [X.]eurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden [X.]ehandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen sind. Dafür ist unter anderem auch von [X.]edeutung, ob der rückkehrende Ausländer eine Unterkunft finden kann.

bb) Die weiter aufgeworfene Rechtsfrage, ob das [X.] oder die Ausländerbehörden für die Einholung einer der Gefahrrealisierung entgegenstehenden Zusage über die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit durch die [X.]ehörden des Mitgliedstaats (hier: [X.]) zuständig ist, rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Denn im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Einholung einer derartigen Zusicherung, sondern allgemein um die Verfügbarkeit einer Unterkunftsmöglichkeit. Hierbei handelt es sich um eine zielstaatsbezogene Tatsache, die das [X.] zu klären hat. In diesem Zusammenhang kann es gegebenenfalls auch zu der Feststellung gelangen, dass es zur [X.]eseitigung eines ansonsten bestehenden [X.]s einer Zusicherung bedarf. Etwas anderes gilt nur für Umstände, die Gefahren betreffen, die sich im Einzelfall im Zusammenhang mit der Durchführung einer Abschiebung ergeben. Hierzu zählt jedoch die Frage nicht, ob Flüchtlinge in [X.] Obdach finden können.

2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sind nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor.

a) Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt schon nicht den [X.] des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

Die Rüge einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen [X.]eweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der [X.]eweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 [X.] 58.12 - [X.] 2013, 40 und vom 12. Juli 2018 - 7 [X.] 15.17 - juris Rn. 23). Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerde ersichtlich nicht. Sie hat schon die für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht hinreichend konkretisiert und auch nicht vorgetragen, welche tatsächlichen Feststellungen bei deren Vornahme voraussichtlich getroffen worden wären. Zudem ergibt sich aus dem [X.]eschwerdevorbringen nicht, dass die [X.]eklagte durch einen [X.]eweisantrag oder eine hinreichend bestimmte [X.]eweisanregung im [X.]erufungsverfahren auf eine [X.]eweiserhebung hingewirkt hätte oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem [X.]erufungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.

[X.]ei der Frage, ob eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht vorliegt, ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass es sich beim beklagten [X.] um eine spezialisierte [X.]ehörde handelt, zu deren Aufgabe die Ermittlung der allgemeinen Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller sowie gegebenenfalls in den [X.] gehört, durch die sie gereist sind (Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/[X.] des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ). Die [X.]ehörde muss kraft Unionsrechts angemessen ausgestattet sein und über kompetentes Personal in ausreichender Zahl verfügen. Ferner hat die [X.]eklagte die prozessuale Obliegenheit, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, was die gerichtliche Aufklärungspflicht begrenzt. Das Gericht kann daher im Regelfall davon ausgehen, dass das [X.] ergänzende Erkenntnisquellen, die ihm vorliegen oder für die [X.]ehörde erreichbar sind, auch in das Verfahren einführt, zumal dann, wenn eine bestimmte, erkennbar entscheidungserhebliche Tatsachenfrage - wie hier - gerichtlich umstritten ist, und dass sich weitere, von dem [X.] selbst nicht wahrgenommene oder für erforderlich gehaltene Aufklärungsmaßnahmen auch für das Gericht nicht aufdrängen.

b) Auch die Rüge eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) greift nicht durch.

Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder [X.]eweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und [X.]eweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung ist nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein [X.]eteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 7. Februar 2017 - 6 [X.] 30.16 - juris Rn. 10 und vom 20. Februar 2018 - 1 [X.] 3.18 - juris Rn. 12). Nach diesen Maßgaben ergeben sich verfahrensrechtliche Mängel der Überzeugungsbildung aus der [X.]eschwerdebegründung nicht.

Die [X.]eschwerde sieht einen Verstoß gegen die sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Vorgaben darin, dass das [X.]erufungsgericht die staatliche Gleichgültigkeit [X.]s gegenüber schutzsuchenden Ausländern gerade mit [X.]lick auf die fehlende Akzeptanz der im Juli 2017 in [X.] erlassenen Integrationsverordnung hergeleitet habe (faktische Nichtumsetzung), ohne dies tragfähig zu begründen. Aus den in den Urteilsgründen angeführten Erkenntnisquellen ergäben sich keine für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der [X.]erufungsverhandlung inhaltlich relevanten Aussagen zur Akzeptanz und tatsächlichen Umsetzung dieser neuen Integrationsverordnung. Teilweise stammten die Erkenntnisquellen aus einem Zeitraum vor dem Erlass der Verordnung am 19. Juli 2017, die daneben noch angeführten Mitteilungen aus dem [X.] hätten allenfalls Geltung für einen ersten Umsetzungszeitraum bis zum 21. November 2017 und würden keine Informationen darüber enthalten, ob bzw. in welchem Umfang sich seitdem bis zum Zeitpunkt der [X.]erufungsverhandlung mögliche Verbesserungen ergeben hätten. Es sei nicht auszuschließen, dass inzwischen sehr wohl [X.]emühungen des [X.] Staates zur effektiveren Umsetzung der Integrationsverordnung feststellbar sein könnten.

Der Senat hat im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht über die dem materiellen Recht zuzuordnende Frage zu entscheiden, ob die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage beruht, wofür einiges sprechen könnte (keine genauen Aussagen zum Inhalt der Integrationsverordnung [X.]s vom Juli 2017, nur zwei mit [X.] übersetzte Erkenntnisquellen zu deren Anwendung). Maßgeblich für das Einhalten der verfahrensrechtlichen Grenzen der Überzeugungsbildung ist vielmehr, dass das Gericht auch nach dem Vorbringen der [X.]eschwerde keinen entscheidungserheblichen Akteninhalt unberücksichtigt gelassen oder aktenwidrige Tatsachen zugrunde gelegt hat und die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen auch nicht gegen die Denkgesetze verstoßen. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass das [X.]erufungsgericht sich auch auf Erkenntnisquellen stützt, die vor dem Erlass der neuen Integrationsverordnung vom Juli 2017 datieren. Denn es verstößt nicht gegen die Denkgesetze, wenn für die tatrichterliche Schlussfolgerung, die [X.]emühungen der Republik [X.] zur Verbesserung der Unterbringung von anerkannten Schutzberechtigten seien unzureichend, neben den ersten Erfahrungen seit der Umsetzung der neuen Integrationsverordnung auch Erfahrungen im Umgang mit der früheren Integrationsverordnung einbezogen werden. Soweit die [X.]eschwerde einwendet, das [X.]erufungsgericht habe keine Informationen für den Zeitraum vom 21. November 2017 bis zum nach § 77 Abs. 1 [X.] maßgeblichen Zeitpunkt der [X.]erufungsverhandlung (hier am 31. Januar 2018) einbezogen, genügt die [X.]eschwerde nicht den [X.]. Sie hätte konkret aufzeigen müssen, aufgrund welcher [X.]emühungen des [X.] Staates zur effektiveren Umsetzung der Integrationsverordnung eine Verbesserung festzustellen ist, die für das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung von [X.]edeutung sein könnte. Die bloße Vermutung, es sei nicht auszuschließen, dass inzwischen [X.]emühungen des [X.] Staates feststellbar sein könnten, genügt dafür nicht.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Meta

1 B 25/18

08.08.2018

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 31. Januar 2018, Az: 10 LB 87/17, Urteil

§ 24 Abs 1 AsylVfG 1992, § 24 Abs 2 AsylVfG 1992, § 77 Abs 1 AsylVfG 1992, § 83b AsylVfG 1992, § 60 Abs 5 AufenthG, § 60 Abs 7 AufenthG, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG, § 60 Abs 7 S 5 AufenthG, Art 10 Abs 3 EURL 32/2013, Art 4 EUGrdRCh, Art 3 MRK, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 132 Abs 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO, § 154 Abs 2 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.08.2018, Az. 1 B 25/18 (REWIS RS 2018, 5020)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 5020

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