Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.12.2013, Az. II E 18/12

2. Senat | REWIS RS 2013, 30

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Gegenstand

Gerichtsgebühren für Revisionsverfahren als Masseverbindlichkeit - Gebühr für einen als nicht ergangen geltenden Gerichtsbescheid


Leitsatz

1. NV: Für ein Revisionsverfahren entstandene Gerichtsgebühren sind Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das FG im zweiten Rechtsgang nach Zurückverweisung der Sache die ihm gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragene Kostenentscheidung trifft .

2. NV: Die Kostenforderung der Staatskasse ist bei einem vom Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch insoweit, als Gebührentatbestände bereits vor Insolvenzeröffnung verwirklicht wurden .

Tatbestand

1

I. Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] (Schuldnerin). Das [X.] ([X.]) hatte die Klage der Schuldnerin gegen das Finanzamt ([X.]) auf Herabsetzung von Umsatzsteuer 1994 durch Urteil vom 18. Oktober 2001  5 K 436/96 abgewiesen. Auf die Revision der Schuldnerin erließ der [X.] ([X.]) am 1. Juli 2004 ([X.]) einen Gerichtsbescheid gemäß § 90a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), gegen den rechtzeitig ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde. Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. November 2004 hob der [X.] durch Gerichtsbescheid das Urteil des [X.] vom 18. Oktober 2001 auf und verwies die Sache an dieses zurück. Dem [X.] wurde die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

2

Nachdem im Jahre 2007 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, nahm der Kostenschuldner im [X.] das Verfahren vor dem [X.] auf. Das [X.] hat mit Beschluss vom 16. Mai 2012 (5 K 86/08), nachdem das [X.] dem Klagebegehren teilweise entsprochen hatte und die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.

3

Die Kostenstelle des [X.] setzte daraufhin in der gegen den Kostenschuldner ergangenen Kostenrechnung vom 9. Oktober 2012 Gerichtskosten von [X.] an. Dabei wurden die Gebühren für das Revisionsverfahren im Allgemeinen sowie für zwei Gerichtsbescheide je zur Hälfte angesetzt.

4

Hiergegen wendet sich der Kostenschuldner mit seiner Erinnerung. Er trägt vor, es sei lediglich der Ansatz einer Gebühr für den zuletzt ergangenen Gerichtsbescheid zulässig. Der Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2004 müsse, da er aufgrund des Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gelte, bei der Gebührenfestsetzung unberücksichtigt bleiben. Ferner sei eine Aufteilung der Gerichtskosten in Insolvenzforderungen bzw. Masseverbindlichkeiten geboten. Die Insolvenzmasse dürfe nur mit solchen Kosten belastet werden, die kausal auf der Aufnahme des [X.] durch den Insolvenzverwalter beruhten.

Entscheidungsgründe

5

II. [X.] ist unbegründet.

6

1. Nach § 72 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes ([X.]G) in der Fassung des [X.] vom 5. Mai 2004 ([X.], 718) ist in Rechtsstreitigkeiten, die --wie hier-- vor dem 1. Juli 2004 anhängig geworden sind, das [X.], d.h. in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 ([X.] 1975, 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 ([X.], 390), weiter anzuwenden.

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2. Der Ansatz einer Gebühr für jeden der beiden ergangenen Gerichtsbescheide ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Teil 3, I, Nr. 3133 des [X.] (Anlage 1 zum [X.]G) sind für einen Gerichtsbescheid (§ 90a [X.]O) 1,5 Gebühren anzusetzen. Die durch den Gerichtsbescheid ausgelöste Gebühr bleibt trotz des Antrags auf mündliche Verhandlung bestehen ([X.] vom 31. August 2006 II E 4/06, [X.], 73). Die für den Gerichtsbescheid anfallende Gebühr wird auch dann erhoben, wenn anschließend ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, für das allerdings in diesem Fall eine ermäßigte Gebühr von 1,5 entsteht (Anlage 1 zu § 11 [X.]G [X.] Nr. 3133, 3134). Einem solchen Urteil steht auch ein in demselben Verfahren ergehender weiterer Gerichtsbescheid gleich, der --wie hier der Gerichtsbescheid des [X.] vom 18. November 2004 V R 16/03-- gemäß § 90a Abs. 3 [X.]O als Urteil wirkt.

8

3. Die für ein Revisionsverfahren entstandenen Gerichtskosten sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung --[X.]--), wenn das [X.] nach Zurückverweisung der Sache im zweiten Rechtsgang die ihm gemäß § 143 Abs. 2 [X.]O übertragene Kostenentscheidung trifft. Der Ansicht des Kostenschuldners, die für das Revisionsverfahren entstandenen Gerichtskosten seien als eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Insolvenzforderung (§ 38 [X.]) zu behandeln, kann nicht gefolgt werden. Insoweit kommt auch eine Aufteilung der für das Revisionsverfahren entstandenen Kosten in Masseverbindlichkeiten bzw. Insolvenzforderungen nicht in Betracht.

9

a) Eine Kostenforderung der Staatskasse ist bei einem vom Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (vgl. z.B. [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 55 Rz 45), und zwar auch insoweit, als Gebührentatbestände vor Insolvenzeröffnung verwirklicht wurden. Im Anwendungsbereich der [X.] wird zwar angenommen, dass im Falle der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter der Kostenerstattungsanspruch des Gegners hinsichtlich der vor Verfahrenseröffnung bereits vollendeten Gebührentatbestände nur als Insolvenzforderung (§ 38 [X.]) zu behandeln ist (vgl. [X.] Münster, Beschluss vom 30. August 2010  11 Ko 4689/08 [X.], Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 354; [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2009  16 W 115/09).

Nimmt der Insolvenzverwalter jedoch ein Verfahren auf, in dem die Entscheidung über die Kosten --auch für einzelne [X.] noch nicht abschließend getroffen wurde, tritt er zu Lasten der Masse in die Verantwortlichkeit für den Prozess ein und übernimmt bewusst das Prozesskostenrisiko für das gesamte Verfahren ([X.] in [X.], Insolvenzordnung, 18. Aufl., § 55 Rz 12; [X.] in Jaeger, Insolvenzordnung, § 55 Rz 21). Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Insolvenzverwalter ein bereits anhängiges Verfahren vorfindet, in dem Feststellungen über Insolvenzforderungen getroffen werden, oder ob ein solches Verfahren erst nach Insolvenzeröffnung anhängig wird. Allein entscheidend ist, dass die nach Abschluss des Verfahrens entstehende Kostenforderung i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] auf eine Handlung des Insolvenzverwalters zurückgeht.

b) Demgemäß sind auch die im Streitfall berechneten Gerichtsgebühren für das Revisionsverfahren als Masseverbindlichkeiten zu beurteilen. Nach Abschluss des vor dem [X.] geführten Revisionsverfahrens V R 16/03 war das beim [X.] im zweiten Rechtsgang anhängige, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zunächst unterbrochene und später vom Kostenschuldner aufgenommene Verfahren im Kostenpunkt noch nicht abgeschlossen. Denn erst das [X.] hatte, da der [X.] ihm in seinem Gerichtsbescheid vom 18. November 2004 V R 16/03 die Kostenentscheidung gemäß § 143 Abs. 2 [X.]O übertragen hatte, über die gesamten Kosten des Verfahrens --einschließlich des vorangegangenen [X.] zu entscheiden. Damit war das im Zeitpunkt der Zurückverweisung an das [X.] noch nicht feststehende Kostenrisiko an den endgültigen Erfolg im gesamten Verfahren und nicht allein an den Erfolg im Revisionsverfahren geknüpft (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 143 Rz 23; [X.] vom 13. Februar 2004 IV E 1/04, [X.]/NV 2004, 966). Das gesamte Kostenrisiko war daher untrennbar mit der Aufnahme des vor dem [X.] im zweiten Rechtsgang anhängigen Verfahrens verknüpft und damit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet.

4. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Meta

II E 18/12

20.12.2013

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

§ 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 143 Abs 2 FGO, § 90a Abs 3 FGO, § 38 InsO, Anl 1 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.12.2013, Az. II E 18/12 (REWIS RS 2013, 30)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 30

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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