Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2009, Az. 4 StR 276/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2009, 485

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[X.] vom 19. November 2009 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.]schwerdeführers am 19. November 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Januar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fäl-len, Raubes, gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperver-letzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1 1. Das Urteil hat insgesamt keinen [X.]stand, weil die Revision zu Recht geltend macht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gege-ben ist. 2 a) Der zulässig erhobenen Rüge der Verletzung der §§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 2 StPO liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: 3 Am zweiten Verhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten [X.] acht [X.]weisanträge. Zu dem auf den 23. Dezember 2008 anberaumten 4 - 3 - Fortsetzungstermin erschien der Angeklagte nicht. Der Vorsitzende erklärte, der Angeklagte sei, wie vom Verteidiger mitgeteilt, nach telefonischer Auskunft [X.] am frühen Morgen in das Krankenhaus eingelie-fert worden. Der Angeklagte habe zweimal das [X.]wusstsein verloren und [X.] aufgrund einer früher dort behandelten Herzproblematik stationär untersucht, um einen Herzinfarkt auszuschließen. Die Verhandlung wurde in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt. Gegen einen ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erschienen war, wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Ord-nungsgeld festgesetzt. Danach verkündete der Vorsitzende einen [X.]schluss der Kammer, mit dem drei der vom Verteidiger des Angeklagten am zweiten Verhandlungstag gestellten [X.]weisanträge gemäß § 244 Abs. 6 StPO abge-lehnt wurden. Danach wurde die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden unter-brochen und Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den 13. Januar 2009 anberaumt. b) Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den am dritten [X.] ausgebliebenen Angeklagten verstößt gegen § 230 Abs. 1 StPO. Die Verhandlung ohne den Angeklagten war hier auch nicht ausnahms-weise nach § 231 Abs. 2 StPO zulässig. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt [X.]n, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (vgl. [X.]St 37, 249, 251), er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Nach dem von der Revision vorgetragenen Verfahrensgang, der durch die [X.] bestätigt wird, ist die [X.] auf der Grundlage der vom [X.] eingeholten telefonischen Auskunft der Ärztin des Krankenhauses ersicht-lich nicht von einem eigenmächtigen Fernbleiben des Angeklagten ausgegan-gen und hat demgemäß auch nicht die vom Gericht nach pflichtgemäßem [X.] - 4 - messen zu treffende Entscheidung über die Erforderlichkeit der ferneren Anwe-senheit des Angeklagten (vgl. [X.] 52. Aufl. § 231 Rdn. 20) getroffen. Es kann dahinstehen, ob der Ausnahmetatbestand des § 231 Abs. 2 StPO schon deshalb zu verneinen ist. Jedenfalls lässt sich heute nicht mehr aufklären, ob der Angeklagte, was zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nachgewiesen sein muss und vom Revisionsgericht im Freibeweis selbständig zu klären ist (vgl. [X.] aaO § 231 Rdn. 25 m.N.), am dritten Verhand-lungstag eigenmächtig ausgeblieben ist. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Angeklagte nach den Feststellungen unter Herzproblemen leidet und dass er deswegen im Frühjahr 2008 in stationärer [X.]handlung war, ist der Nachweis, dass er die zweimalige [X.]wusstlosigkeit, die zu seiner Aufnahme in das [X.] führte, nur vorgetäuscht hat, nicht mehr zu führen. Die Verkündung des [X.]schlusses, mit dem drei vom Verteidiger des [X.] gestellte [X.]weisanträge abgelehnt wurden, stellt einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung dar. Da eine Heilung durch Nachholung des vom Angeklagten versäumten Teils der Hauptverhandlung nicht erfolgt ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor. 6 2. Entgegen der Auffassung des [X.] genügt auch die Rüge der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) den [X.] des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision beanstandet die aus-weislich der Sitzungsniederschrift von der [X.] jeweils durch [X.]schluss ohne Angabe des Grundes angeordnete Verlesung der die psychische Verfas-sung der Zeugin [X.]. betreffenden [X.]richte des Leitenden Oberarztes der [X.]und des Leitenden Arztes der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik des . [X.] zu Recht. Das [X.] hat die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen [X.] zum Nachteil der Zeugin [X.]. maßgeblich auf die Aussage dieser Zeu-7 - 5 - gin gestützt, die —vollständig aussagetüchtigfi gewesen sei. Die [X.]hauptung der Verteidigung, die Zeugin sei schizophren, finde im Ergebnis der [X.]weisaufnah-me keine Stütze. Insbesondere aus den in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen [X.]scheinigungen lasse sich eine solche Schlussfolgerung nicht [X.]. Danach diente die Verlesung der ärztlichen [X.]scheinigungen aber ent-gegen der Auffassung des [X.] nicht lediglich der Abklärung dem Freibeweis unterliegender Tatsachen. Das [X.] hat sich nicht dar-auf beschränkt, in den ärztlichen [X.]richten einen Anknüpfungspunkt für [X.] Verhalten zu sehen (vgl. dazu [X.]St 47, 270, 273). Vielmehr waren die darin mitgeteilten Tatsachen, insbesondere die in den Urteilsgründen wörtlich mitgeteilten Angaben des Leitenden Oberarztes der [X.]zum psychischen [X.]fund, für die Glaubwürdigkeit der Zeugin und damit für die [X.]urteilung der Schuldfrage von [X.]deutung und unterlagen deshalb den in den §§ 244 bis 265 StPO festgelegten Regeln des Strengbeweises (vgl. [X.] aaO S. 273). Danach hätte die nach § 250 StPO gebotene Vernehmung der Verfas-ser der ärztlichen [X.]richte aber unter den hier gegebenen Umständen nicht durch die Verlesung der [X.]richte ersetzt werden dürfen. Einer Verlesung nach § 256 Nr. 1 a StPO steht entgegen, dass es sich bei dem . R. Hospital um ein in Trägerschaft eines [X.] geführtes konfessionelles Krankenhaus handelt. Der ärztliche [X.]richt des Leitenden Oberarztes der [X.]stellt mangels eines Vertretungszusatzes kein [X.]hördengutachten dar. Nach § 256 Nr. 2 StPO sind die [X.]richte schon [X.] nicht verlesbar, weil sie sich nicht auf Körperverletzungen beziehen. [X.] diente die Verlesung der [X.]richte, soweit es den Vorwurf der [X.] betrifft, nicht ausschließlich dem Nachweis einer Köperverletzung (vgl. [X.], [X.]schluss vom 11. Juli 1996 [X.] 1 StR 392/96, [X.], 199 m. N.). Die Vorrausetzungen des § 251 Abs. 3 Nr. 3 StPO liegen ebenfalls nicht vor. [X.] der Sitzungsniederschrift hat keiner der Verfahrensbeteiligten aus-8 - 6 - drücklich sein Einverständnis mit der Verlesung erklärt. Die Annahme eines stillschweigend erklärten Einverständnisses (vgl. dazu [X.] aaO § 251 Rdn. 27) kommt hier schon deshalb nicht in [X.]tracht, weil der Grund der Verlesung in den jeweiligen [X.]schlüssen nicht angegeben worden war. 3. Der neue Tatrichter wird im Falle einer Verurteilung wegen Vergewal-tigung der Zeugin [X.]. bei der [X.] zu beachten haben, dass die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei einem Zusammentreffen mit ge-wichtigen Milderungsgründen, wie sie nach den bisherigen Feststellungen vor-gelegen haben, entfallen und die Annahme eines minder schweren Falles in [X.]tracht kommen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2005 [X.] 4 [X.], [X.], 6). Hinsichtlich des Vorwurfs des Raubes wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob unter den gegebenen Umständen schon das
9 - 7 - Vorliegen des vertypten [X.] des § 21 StGB die Annahme eines minder schweren Falles rechtfertigen kann. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Ri[X.] [X.] ist infolge Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien

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4 StR 276/09

19.11.2009

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2009, Az. 4 StR 276/09 (REWIS RS 2009, 485)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 485

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