Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.04.2018, Az. VI ZB 70/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 11093

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Gegenstand

Kostenfestsetzung: Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten des Berufungsbeklagten nach einem in Unkenntnis der Berufungsrücknahme des Klägers erfolgten Antrag auf Zurückweisung der Berufung


Leitsatz

Zur Ersatzfähigkeit der dem Berufungsbeklagten entstandenen Rechtsanwaltskosten, wenn die anwaltliche Tätigkeit (Antrag auf Zurückweisung der Berufung) in Unkenntnis der zwischenzeitlich erfolgten Berufungsrücknahme erfolgt (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016, III ZB 66/15, BGHZ 209, 120).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des [X.] vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] hat der Kläger zu tragen.

Der [X.] wird auf 1.768,70 € festgesetzt.

Gründe

[X.]

1

Die [X.]en streiten über die Frage der Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgebühren nach einem in Unkenntnis der Berufungsrücknahme des [X.] ergangenen [X.] der Prozessbevollmächtigen der Beklagten.

2

Der Kläger legte mit [X.] vom 16. Juni 2016 Berufung gegen das klageabweisende Endurteil des [X.] vom 27. Mai 2016 ein. Der [X.] wurde den Prozessbevollmächtigen der Beklagten am 28. Juni 2016 zugestellt. Mit [X.] vom 24. Juni 2016, eingegangen beim [X.] am selben Tag und den [X.] zugestellt am 5. Juli 2016, nahm der Kläger die Berufung zurück. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten mit [X.] vom 1. Juli 2016, eingegangen beim [X.] am 6. Juli 2016, die Zurückweisung der Berufung. Mit Beschluss vom 28. Juni 2016 erlegte das [X.] dem Kläger nach § 516 Abs. 3 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens auf und setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 70.000 € fest.

3

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten mit [X.] vom 26. Juli 2016 die Festsetzung von Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren in Höhe von insgesamt 1.768,70 € (1,1-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 [X.]-[X.] aus einem [X.] von 70.000 € sowie Pauschale gem. Nr. 7002 [X.]-[X.], [X.] [X.]). Auf Hinweis der Rechtspflegerin vom 12. August 2016 teilten sie mit, die am 28. Juni 2016 zugestellte Berufungsschrift habe ein bis zwei Arbeitstage später zur Bearbeitung vorgelegen. Im Auftrag der Beklagten sei wie üblich eine Prüfung der Formalien erfolgt und sodann der [X.] diktiert worden, datiert auf den 1. Juli 2016, so dass eine Befassung vor Zustellung und Kenntnis der Berufungsrücknahme vorliege.

4

Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 19. September 2016 den Festsetzungsantrag der Beklagtenseite zurückgewiesen.

5

Mit [X.] vom 11. Oktober hat die Beklagte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass die (anwaltliche) Tätigkeit erst nach Zustellung der Berufungsrücknahme habe eingestellt werden können.

6

Das Beschwerdegericht hat den Beschluss des [X.] aufgehoben und die von der [X.] an die [X.] zu erstattenden Kosten wie von der Beklagten mit [X.] vom 26. Juli 2016 beantragt festgesetzt. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

7

Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Festsetzung der anwaltlichen Kosten in Höhe von 1.768,70 € zugunsten der Beklagten.

I[X.]

8

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat mit Recht trotz der erfolgten Rücknahme der Berufung des [X.] die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten der (Berufungs-) Beklagten für das Berufungsverfahren in Höhe einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 [X.]-[X.] aus dem [X.] von 70.000 € festgesetzt.

9

1. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende [X.] - und im Fall des § 516 Abs. 3 ZPO der Berufungskläger - die dem Gegner erwachsenen Kosten zu tragen, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.

2. Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende [X.] die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte. Abzustellen ist mithin auf die Sicht der [X.] in der konkreten prozessualen Situation und dann zu beurteilen, ob ein objektiver Betrachter aus diesem Blickwinkel die Sachdienlichkeit bejahen würde. Die Notwendigkeit bestimmt sich daher aus der "verobjektivierten" [X.] der jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab ([X.], Beschluss vom 7. Februar 2018 - [X.] 112/17, juris Rn. 24 und Beschluss vom 25. Januar 2017 - [X.] 447/16, [X.], 643).

3. Da die seitens der Prozessbevollmächtigten der Beklagten erbrachte anwaltliche Tätigkeit im Streitfall in Unkenntnis der Berufungsrücknahme erfolgte, war diese Tätigkeit im damaligen Zeitpunkt aus der maßgebenden Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden [X.] zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Darauf, dass es der Beauftragung eines Anwalts in Anbetracht der zuvor erfolgten Rücknahme der Berufung objektiv nicht mehr bedurfte, kommt es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht an.

a) Soweit sich die Rechtsbeschwerde zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf einen Beschluss des [X.] vom 25. Februar 2016 ([X.]/15, [X.]Z 209, 120-127) stützt, dringt sie nicht durch. In jenem Fall hatte der Berufungsbeklagte durch Zugang des Hinweises gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Kenntnis von der Absicht des Berufungsgerichts erlangt, die Berufung zurückzuweisen. Aus der Sicht einer vernünftig und wirtschaftlich denkenden [X.] bestand daher kein Anlass, durch [X.] einen Berufungsgegenantrag zu stellen.

b) Auch die Entscheidung des [X.] Zivilsenats des [X.] zu den Kosten für eine Schutzschrift, die nach Rücknahme des Antrags auf einstweilige Verfügung eingereicht wurde, steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen. Soweit darin ein rein objektiver Maßstab zugrunde gelegt wurde (Beschluss vom 23. November 2006 - [X.]/06 - NJW-RR 2007, 1575 Rn. 17), tragen die Ausführungen hierzu die Entscheidung nicht, weil die verfahrensgegenständlichen Kosten bereits vor der Rücknahme angefallen waren (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Februar 2018 - [X.] 112/17, juris Rn. 24). Entsprechendes gilt für die Entscheidung des [X.] Zivilsenats zu Kosten für den Zurückweisungsantrag in einem Berufungsverfahren, in welcher die Erstattungsfähigkeit der reduzierten Verfahrensgebühr schon nicht angegriffen war (Beschluss vom 5. Oktober 2017 - [X.], [X.], 620).

c) Schließlich ist das im Streitfall gefundene Ergebnis auch sachgerecht. Die mit einem Rechtsmittel überzogene [X.] kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung zu veranlassen ist. Ihr kann daher nicht zugemutet werden, zunächst die weiteren Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2002 - [X.], [X.], 877, 878; [X.]/Müller-Rabe, [X.] 19. Aufl. [X.] 3201 Rn. 52). Dieser hat es vielmehr in der Hand, durch seinen Prozessbevollmächtigten die Gegenseite von einer (eventuell) beabsichtigten Berufungsrücknahme frühzeitig zu informieren.

Galke     

        

Wellner     

        

von [X.]

        

Offenloch      

        

Müller      

        

Meta

VI ZB 70/16

10.04.2018

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 30. November 2016, Az: 11 W 1761/16

§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, Nr 3201 RVG-VV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.04.2018, Az. VI ZB 70/16 (REWIS RS 2018, 11093)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1407-1408 REWIS RS 2018, 11093


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZB 70/16

Bundesgerichtshof, VI ZB 70/16, 10.04.2018.


Az. 11 W 1761/16

OLG München, 11 W 1761/16, 30.11.2016.


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