Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 20.11.2018, Az. 1 BvR 1502/16

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2018, 1525

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Fachgerichtliche Rechtsausführungen in Entscheidungsgründen begründen für sich genommen regelmäßig keine Beschwerdebefugnis - hier: Störerhaftung des Access-Providers bei Urheberrechtsverletzungen - lediglich potentielle Auswirkung des Urteils des BGH vom 15.11.2016 (I ZR 174/14) nicht hinreichend


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde der im fachgerichtlichen Verfahren erfolgreichen Beschwerdeführerin ist die urheberrechtliche Störerhaftung eines [X.].

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist ein Telekommunikationsunternehmen, das seinen Kunden als [X.] technische Dienstleistungen anbietet. Insbesondere vermittelt sie ihren Kunden mithilfe von breitbandigen Netzzugängen über das [X.]protokoll (IP) den Zugang zum [X.].

3

2. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind Tonträgerhersteller. Sie sahen sich durch das Angebot von Musikstücken zum kostenlosen Herunterladen in [X.] ([X.]) und durch [X.]-Dienste, die den Zugang zu solchen Tauschbörsen vermitteln, in ihren Rechten verletzt. Sie begehrten klageweise, der Beschwerdeführerin zu verbieten, ihren Kunden über das [X.] Zugang zu Tonträgeraufnahmen zu vermitteln, soweit diese über einen bestimmten [X.]-Dienst über eine näher bezeichnete [X.]adresse (URL), die sich einer bestimmten IP-Adresse bedient, abrufbar sind.

4

3. Das [X.] wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens wurde durch das [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat der [X.] mit dem angegriffenen Urteil als nicht begründet angesehen. Dazu hat der [X.] im Wesentlichen ausgeführt, zwar könne ein Telekommunikationsunternehmen, das [X.] den Zugang zum [X.] bereitstellt, von einem Rechteinhaber grundsätzlich als Störer in Analogie zu §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu [X.]seiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Das begehrte Verbot sei für die Beschwerdeführerin indes nicht zumutbar, weil die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht zunächst gegen den Betreiber der [X.]seite "[X.]" und den Host-Provider vorgegangen seien. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitere oder ihr jede Erfolgsaussicht fehle und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstehe, sei die Inanspruchnahme des Zugangsvermittlers als Störer zumutbar. Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge hat der [X.] als unzulässig verworfen.

II.

5

Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG sowie der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 GG.

6

Die Beschwerdeführerin sei durch das Urteil des [X.]s selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt. Zwar sei die Revision der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zurückgewiesen worden. Allerdings habe der [X.] ganz grundsätzlich die Pflicht formuliert, dass Access-Provider auf eine Beschwerde einzelner Rechteinhaber - ohne staatliche Kontrolle - den Zugriff auf ganze [X.]seiten verhindern müssten.

III.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Insbesondere ist die im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren erfolgreiche Beschwerdeführerin durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen, namentlich durch das Urteil des [X.]s, nicht gegenwärtig und unmittelbar beschwert.

8

1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde - wie hier - gegen eine gerichtliche Entscheidung, kann sich die Beschwer in aller Regel nur aus dem Tenor der Entscheidung ergeben (vgl. [X.] 140, 42 <54 Rn. 48>). Der Tenor allein bestimmt verbindlich, welche Rechtsfolgen aufgrund des festgestellten Sachverhalts eintreten (vgl. [X.] 28, 151 <160>; 74, 358 <374>; 82, 106 <116>). Erforderlich ist eine Beschwer im Rechtssinne; eine faktische Beschwer allein genügt nicht (vgl. [X.] 8, 222 <224 f.>; 15, 283 <286>). [X.] sowie nachteilige oder als nachteilig empfundene Ausführungen in den Gründen einer Entscheidung allein begründen keine Beschwer. Dieser im Verfahrensrecht allgemein anerkannte Rechtsgrundsatz gilt auch für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde, da sie in erster Linie dem Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt dient. Deshalb kann eine Verfassungsbeschwerde nicht darauf gestützt werden, dass ein Gericht lediglich in den Gründen seiner Entscheidung eine Rechtsauffassung vertreten hat, die der Beschwerdeführer für grundrechtswidrig erachtet (vgl. [X.] 8, 222 <224 f.>; BVerfGK 10, 263 <265>; 17, 203 <207 f.>).

9

2. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen hat das [X.] Verfassungsbeschwerden gegen die allein in den Gründen einer gerichtlichen Entscheidung liegende Belastung für möglich gehalten. Diese liegen hier nicht vor.

3. Die Beschwerdeführerin hat nach den allgemeinen Grundsätzen ihre Beschwerdebefugnis im Sinne einer verfassungsprozessual relevanten, rechtlichen Beschwer nach § 90 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] 140, 42 <56 Rn. 54>) nicht hinreichend dargetan. Das angefochtene Urteil des [X.]s wirkt auf die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nicht aktuell, sondern allenfalls potentiell ein. Die Beschwerdeführerin wird weder zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen, noch ist bereits jetzt ihre zukünftige Betroffenheit durch die vorliegend angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen klar abzusehen.

Die Annahme der Beschwerdeführerin, sie sei mit Blick auf künftige Sperrbegehren dem Risiko ausgesetzt, von [X.] auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden, begründet keine gegenwärtige Beschwer. Vielmehr kann jedes Gesetz und jeder von einem Gericht angewandte Rechtssatz, der einem Beteiligten Handlungsoptionen eröffnet, für andere Beteiligte, insbesondere den Verpflichteten, mit Ungewissheiten und Unsicherheiten verbunden sein. Dies führt jedoch nicht dazu, dagegen Verfassungsbeschwerde erheben zu können, noch bevor fachgerichtlich entschieden ist, ob ordnungsgemäß von den Rechten Gebrauch gemacht wurde (vgl. [X.] 140, 42 <62 Rn. 75>). Etwaige Rechtsunsicherheiten auf Seiten der Beschwerdeführerin sind vergleichbar mit denen, die sich - spiegelbildlich - auf Seiten der Rechteinhaber hinsichtlich der Einschätzung ergeben, ob ihre Bemühungen, die vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten - den [X.]seitenbetreiber und den Host-Provider - zu ermitteln, den vom [X.] formulierten Anforderungen entsprechen. Die vom [X.] formulierten Voraussetzungen zur Inanspruchnahme eines [X.] als Störer führen schließlich nicht dazu, dass klar abzusehen wäre, dass und wie die Beschwerdeführerin zukünftig betroffen wäre.

4. Eine unmittelbare, gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführerin durch die Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung und die dort niedergelegten Grundsätze lässt sich zudem angesichts der zwischenzeitlichen Fortentwicklung der Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht annehmen. Der [X.] hat nunmehr entschieden, dass der Betreiber eines [X.]zugangs über WLAN und eines Tor-Exit-Nodes auf Grundlage der seit dem 13. Oktober 2017 geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 Telemediengesetz ([X.]) gerade nicht als Störer für von [X.] über seinen [X.]anschluss im Wege des [X.] begangene Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung haftet ([X.], Urteil vom 26. Juli 2018 - [X.] -, [X.]). Allerdings komme ein Sperranspruch des Rechteinhabers gemäß der Neufassung des § 7 Abs. 4 [X.] in Betracht. Die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung ist zunächst den Fachgerichten vorbehalten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1502/16

20.11.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 7. April 2016, Az: I ZR 174/14, Beschluss

§ 90 Abs 1 BVerfGG, § 7 Abs 4 TMG vom 28.09.2017, § 8 Abs 1 S 2 TMG vom 28.09.2017

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 20.11.2018, Az. 1 BvR 1502/16 (REWIS RS 2018, 1525)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 755 REWIS RS 2018, 1525


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 1502/16

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1502/16, 20.11.2018.


Az. I ZR 174/14

Bundesgerichtshof, I ZR 174/14, 07.04.2016.

Bundesgerichtshof, I ZR 174/14, 26.11.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

B 4 AS 13/20 R

1 BvR 2838/19

Zitiert

I ZR 64/17

Zitieren mit Quelle:
x

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