Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2009, Az. 5 StR 460/08

5. Strafsenat | REWIS RS 2009, 4640

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5 StR 460/08 [X.] BESCHLUSS vom 10. März 2009 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 10. März 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] [X.], [X.] [X.], [X.] [X.], [X.]in Dr. [X.], [X.] Prof. Dr. König als beisitzende [X.], [X.]

als Vertreter der [X.]schaft, Rechtsanwalt [X.]als Verteidiger, Rechtsanwältin [X.]als Vertreterin der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, - 3 - beschlossen: 1. Der [X.] beabsichtigt zu entscheiden:
Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklag-ten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO. Der [X.] fragt bei den übrigen Strafsenaten an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. 2. [X.] wird ausgesetzt.
[X.] n d e Das [X.] hat gegen den Angeklagten [X.] unter Freisprechung im Übrigen [X.] wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und ihn unter Einbeziehung der (in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten) Einzelstrafen aus einer rechtskräfti-gen Verurteilung (zu zwei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe) zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten ver-urteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf eine [X.]srüge und auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. 1 1. Der [X.] möchte [X.] dem Beschlussantrag des [X.] folgend [X.] das Urteil auf die Sachrüge im Gesamtstrafausspruch wegen fehlender Angabe der Höhe der einbezogenen Einzelstrafen aufheben und die weitergehende Revision verwerfen. Die Verfahrensvoraussetzung eines 2 - 4 - wirksamen Eröffnungsbeschlusses sieht er als erfüllt an; bei den unrichtigen Angaben zur eröffneten Anklage in der schriftlichen Fassung handelt es sich, wie die Anhörung der beteiligten [X.] eindeutig erweist, um ein [X.]. Zum Schuld- und ([X.] hält das angefochtene Urteil sachlichrechtlicher Prüfung stand. Der [X.] hält auch die auf Verlet-zung des § 247 StPO gestützte Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO für unbegründet. So kann der [X.] indes nicht ohne Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 und 3 [X.] entscheiden. 2. Mit der Rüge beanstandet die Revision die fortdauernde Abwesen-heit des Angeklagten während der Verhandlung über die Vereidigung und Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit vernomme-nen geschädigten Zeugin. Während die Beanstandung bezogen auf die [X.] über die Vereidigung der kindlichen Zeugin offensichtlich unbe-gründet ist ([X.] bei [X.] 1978, 460; [X.]R StPO § 247 Abwesen-heit 1; [X.]St 51, 81), gilt dies nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.] nicht bezogen auf die Verhandlung über die Entlassung der Zeugin. 3 3. Entgegen der Auffassung des [X.] hält der [X.] die Rüge für zulässig und das [X.] der Revision hierzu nach dem Protokoll für erwiesen. 4 a) Eine Beanstandung der in fortdauernder Abwesenheit des Ange-klagten getroffenen Entlassungsentscheidung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO entsprechend dem zunehmend ausgeweiteten Verständnis von dieser Norm als einem einer Revisionsrüge notwendig vorzuschaltenden Zwi-schenrechtsbehelf ([X.] in [X.]. § 238 [X.]. 33 ff.; [X.], 387) ist von der Rechtsprechung bislang nicht als Voraussetzung für eine Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO wegen gesetzwidriger Abwesenheit des Angeklagten bei der Entlassungsverhandlung verlangt worden. Mangelnder Vortrag des Angeklagten hierzu berührt daher entgegen der Auffassung des 5 - 5 - [X.] nicht die Vollständigkeit des Vortrags im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Wollte man die Statthaftigkeit der hier in Frage stehenden Verfahrensrüge von diesem Zwischenrechtsbehelf abhängig ma-chen, wäre ein solches Erfordernis seinerseits in dem nun eingeleiteten [X.] nach § 132 [X.] zu klären. b) Das Protokoll ist zur Frage der Wiederzulassung des Angeklagten zur Hauptverhandlung nach Zeugenvernehmung der kindlichen Geschädig-ten nicht etwa derart lückenhaft, dass zur Frage der Abwesenheit des Ange-klagten nach Abschluss ihrer Aussage ein Freibeweisverfahren veranlasst wäre, das der Rüge die Grundlage entziehen könnte. Der Angeklagte hatte (wie im Protokoll vermerkt) vor Beginn der Zeugenvernehmung den [X.] verlassen. Bei seiner (protokollierten) Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO war er wieder anwesend. Dass er früher und nicht erst zugleich mit der unmittelbar zuvor erfolgten Wiederherstellung der während der [X.] ebenfalls ausgeschlossenen Öffentlichkeit [X.] zugelassen worden wäre, schließt der [X.] aus. Das (auf Nachfrage des [X.] dokumentierte) Erinnerungsbild des Strafkam-mervorsitzenden, wonach der Angeklagte noch vor Entlassung der Zeugin über deren Aussage unterrichtet worden wäre, ist mit dem nicht berichtigten Protokoll unvereinbar, findet aber eine Erklärung in der Erinnerung der Bei-sitzerin, wonach die kindliche Zeugin nach Abschluss ihrer Vernehmung noch im Zeugenschutzzimmer auf ihre anschließend vernommene Mutter gewartet und erst mit dieser nach deren Entlassung tatsächlich das Gericht verlassen hat. 6 4. Der [X.] möchte dem Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO bei entsprechenden [X.] nach § 338 Nr. 5 StPO in Abkehr von bis-heriger Rechtsprechung ([X.]St 26, 218; [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; [X.] NStZ 2000, 440; 2007, 352) den Inhalt geben, den er nach ständiger Rechtsprechung des [X.] bei [X.] nach § 338 Nr. 6 StPO hat, mit denen ein zu weit gehender Aus-7 - 6 - schluss der Öffentlichkeit beanstandet wird, wenn dieser gemäß § 171a bis § 172 [X.] für die Dauer einer Vernehmung erfolgt ist. Dort wird —die [X.] im Sinne des entsprechenden Verfahrensabschnitts verstanden; hierzu rechnen alle [X.], die mit der eigentlichen Verneh-mung eng in Zusammenhang stehen oder sich aus ihr entwickeln ([X.] NJW 1996, 2663, insoweit in [X.]St 42, 158 nicht abgedruckt; [X.] NJW 2003, 2761, insoweit in [X.]St 48, 268 nicht abgedruckt; [X.], Beschluss vom 20. Juli 2004 [X.] 4 StR 254/04). Die Wiederzulassung der Öffentlichkeit erst nach Entlassung der Zeugin erfolgte auf dieser Grundlage nach der Verneh-mung und damit noch rechtzeitig. Dieselbe Auslegung ist für § 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 StPO sachgerecht. 8 a) Wortlaut und Wortsinn des § 247 StPO erlauben es, zur —[X.] auch die hiermit eng und unmittelbar zusammenhängenden Verfah-rensvorgänge zu rechnen. Dementsprechend versteht die soweit ersichtlich allgemeine Meinung den Begriff der —[X.] in § 58a Abs. 1 Satz 1 StPO in dem vom [X.] auch für § 247 StPO befürworteten weiteren Sinn ([X.], [X.] Aufl. § 58a [X.]. 4). Die Beiordnung eines anwalt-lichen Beistands —für die Dauer der [X.] umfasst nach § 68b Abs. 1 Satz 1 StPO selbstverständlich die Verhandlung über die Vereidigung des Zeugen sowie die Vereidigung selbst und endet erst mit der Entlassung des Zeugen ([X.] [X.]O § 68b [X.]. 5). Die Anwesenheitsrechte bei rich-terlichen Vernehmungen im Sinne des § 168c StPO enden naturgemäß nicht mit dem Abschluss der Aussage. Auch § 251 Abs. 4 Satz 3 StPO ordnet die Vereidigung des Zeugen ersichtlich der —[X.] zu. Soweit die Vorschrift des § 59 Abs. 2 StPO [X.] entsprechend § 79 Abs. 2 StPO [X.] die Vernehmung und die Vereidigung voneinander trennt (vgl. dazu [X.]St 26, 218, 219), erklärt sich dies aus dem spezifischen [X.] dieser Vorschriften, welche die Abfolge vorgeben (Nach- eid). Eine Begriffsbestimmung der —[X.], die für die gesamte Straf-prozessordnung Gültigkeit beanspruchen könnte, kann ihnen daher, wie die 9 - 7 - erwähnten Gegenbeispiele erweisen, nicht entnommen werden. [X.] gilt für die Vorschriften über die Zeugenbelehrung (§ 52 Abs. 3 Satz 1, § 57 Satz 1 StPO), deren Regelungsschwerpunkt [X.] nicht anders als schließ-lich auch die Vorschrift über die Zeugenentlassung (§ 248 StPO) [X.] in einer Organisation der sachlichen Abfolge während einer Vernehmung liegt, ohne dass jenen Regelungen eine begrenzte Begriffsdefinition zu entnehmen wä-re. b) Dem weiteren Begriffsverständnis folgt der [X.] mit Recht in der Frage des Ausschlusses bzw. der Wiederherstellung der Öffent-lichkeit nach den §§ 171a bis 172 [X.] (Nachweise oben 4). [X.] Gründe, die im Rahmen des § 247 StPO zu einer unterschiedlichen Beurtei-lung zwingen könnten, sind nicht vorhanden. Insbesondere ist ein solcher Grund nicht darin zu finden, dass die §§ 171a bis 172 [X.] anders als § 247 StPO nicht auf den Ausschluss während einer Vernehmung beschränkt sind (a. A. [X.]R [X.] § 171b Abs. 1 Augenschein 1). Dieser Umstand versteht sich wegen des sehr viel weiteren möglichen Anwendungsbereichs dieser Vorschriften von selbst. Sie lassen den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht nur für bestimmte Verfahrensabschnitte, sondern im Extremfall nahezu für die gesamte Hauptverhandlung zu. Wenn aber in dem die Öffentlichkeit aus-schließenden Gerichtsbeschluss (§ 174 [X.]) als Teil der Hauptverhand-lung, für den der Ausschluss gelten soll, die Vernehmung eines Zeugen (oder Mitangeklagten oder Sachverständigen) bezeichnet wird, ist die Lage [X.] ([X.] in Festschrift für [X.] 1995 S. 203, 207). Die zu § 247 StPO getroffene Aussage des [X.], die Verhandlung über die [X.] eines Zeugen stelle einen von der Vernehmung strikt zu trennen-den, selbständigen Verfahrensabschnitt dar (vgl. [X.]R StPO § 247 Abwe-senheit 2 und 3; [X.] [X.], 713, 714), steht deshalb in deutlichem [X.] zur Rechtsprechung betreffend die §§ 171a bis 172 [X.], wonach (auch) dies zum Verfahrensabschnitt —[X.] gerechnet wird. 10 - 8 - Auch der Grundsatz, dass [X.] streng nach dem Wortlaut des Gesetzes auszulegen sind ([X.]St 26, 218, 220), gebietet kein anderes Ergebnis. Die Interpretation des [X.]s überschreitet die Grenzen des Wortlauts der Vorschrift, wie dargelegt, nicht. Zudem handelt es sich bei den §§ 171a bis 172 [X.] ebenfalls um [X.]. Der [X.] verkennt nicht, dass die diesbezügliche Aussage in [X.]St 26, 218 darauf zielt, die zentralen Rechte des Angeklagten abzusichern (vgl. auch [X.] NJW 2003, 597). Jedoch können dessen berechtigte Belange auch nach dem vom [X.] eingenommenen Standpunkt angemessen gewahrt werden (dazu unten d, e). 11 c) Sinn und Zweck des § 247 StPO streiten für die Auffassung des [X.]s. Namentlich § 247 Satz 2 StPO ist [X.] insoweit grundsätzlich überein-stimmend mit § 172 Nr. 1a [X.] [X.] darauf gerichtet, Schaden von dem [X.] abzuwenden. So kommt es in der Praxis nicht ganz selten vor, dass ei-nem verängstigten Zeugen jegliche Konfrontation mit dem Angeklagten [X.] werden muss, weil andernfalls gesundheitlicher Nachteil zu befürchten ist. Es wäre sinnwidrig, wenn der von § 247 Satz 2 StPO gewährte Schutz mit dem Abschluss der Aussage des Zeugen abrupt abgeschnitten würde, obwohl die Gefährdung des Zeugen unverändert andauert. Die bisherige Rechtsprechung trägt den Interessen des Zeugen dabei durchaus Rechnung, freilich nicht durch eine am Schutzzweck orientierte Auslegung des § 247 StPO, sondern auf andere Weise. Sie verfährt dabei teils nicht widerspruchs-frei, was die Rechtsanwendung durch die [X.] erschwert: 12 [X.]) So interpretiert sie die Entlassung des Zeugen nicht als wesentli-chen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO; der Ange-klagte kann demnach abwesend sein, wenn dem Zeugen seine Entlassung bekannt gegeben wird ([X.] NJW 2004, 1187, insoweit in [X.]St 49, 25 nicht abgedruckt; Beschluss vom 15. Dezember 1999 [X.] 1 [X.]). Für die vorangehende Verhandlung über die Entlassung hält der [X.] hingegen daran fest, dass der Angeklagte zugegen sein muss (vgl. 13 - 9 - [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 1; [X.] NJW 1986, 267; vgl. auch [X.] NStZ 2000, 440; [X.], Beschlüsse vom 10. August 1995 [X.] 5 StR 272/95 [X.]und vom 15. Dezember 1999 [X.] 1 [X.]). Um die persönliche Konfronta-tion zu vermeiden, kann jedoch in diesem Fall der Zeuge vorübergehend den Gerichtss[X.]l verlassen ([X.]St 22, 289, 296 f.). [X.]) Demselben Schema folgt die vor Neuordnung der Vereidigungs-vorschriften durch den [X.] vertretene Auffassung, wonach die Verhandlung über die Vereidigung grundsätzlich (außer bei zwingenden [X.]sverboten) wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (mit Anwesen-heitspflicht des Angeklagten) ist, nicht aber die dem Zeugen bekannt gege-bene Entscheidung über seine Nichtvereidigung ([X.] NJW 2004, 1187, in-soweit in [X.]St 49, 25 nicht abgedruckt). In Durchbrechung der engen [X.] hat die Rechtsprechung zudem eine Ausnahme für die fraglos einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung bildende Vereidi-gung eines Zeugen zulassen müssen, dem jegliches Zusammentreffen mit dem Angeklagten erspart werden musste ([X.]St 37, 48, 49 f.; [X.] NStZ 1985, 136; vgl. auch [X.] in Festschrift für Pfeiffer 1988 S. 311, 322). 14 cc) Entsprechendes gilt für andere Beweiserhebungen, namentlich [X.] oder Augenscheinseinnahmen, die in engem inhaltli-chem Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung stehen und sich [X.] wie bei der Vorlage von Schriftstücken oder sonstigen Beweismitteln durch den [X.] zur Untermauerung seiner Aussage [X.] oftmals unmittelbar daraus erge-ben. Die bisherige Rechtsprechung gestattet solche Beweiserhebungen ohne weiteres unter fortdauerndem Ausschluss der von der Vernehmung ausge-schlossenen Öffentlichkeit ([X.]R [X.] § 171b Abs. 1 Augenschein 1), nicht indes in Abwesenheit des während der Vernehmung entfernten Angeklagten ([X.]R StPO § 247 Abwesenheit 4, 5, 25; § 338 Nr. 5 Angeklagter 3; [X.] StV 1981, 57; 1984, 102; 1986, 418; 2002, 8; NStZ 2001, 262; NJW 2003, 597). Zur gebotenen Vermeidung eines Zusammentreffens von Angeklagtem 15 - 10 - und Zeugen bedurfte es allerdings auch in dieser Fallgruppe einer Durchbre-chung für den Augenschein am Körper des Zeugen ([X.]R StPO § 247 Ab-wesenheit 30). [X.]) Schließlich hat es die Rechtsprechung bereits gebilligt, dass die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit in Abwesenheit des [X.] erfolgt ([X.]R StPO § 247 Abwesenheit 11, insoweit nicht abge-druckt in [X.]St 38, 326; [X.] NJW 1979, 276; vgl. auch [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 12, 13). Damit hat sie insoweit zugleich anerkannt, dass an die [X.] und den Öffentlichkeitsausschluss in Fällen der hier in Frage stehenden Art ungeachtet der hinter den jeweiligen Regelungen stehenden unterschiedlichen Schutzgüter (Verteidigungsrechte des Ange-klagten einerseits, Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes andererseits; hierzu [X.] NJW 2003, 597) im Interesse des Zeugen- und Opferschutzes dieselben Maßstäbe angelegt werden müssen. 16 17 d) In den Fällen der mit einer Vernehmung eng zusammenhängenden Beweiserhebung besteht für den von der Vernehmung ausgeschlossenen Angeklagten die Gefahr eines Defizits an Information über Beweismaterial, welches nach förmlicher Einführung in die Hauptverhandlung im Urteil ver-wertet werden kann (§ 261 StPO). Indes bedarf es insoweit nicht des [X.] Schutzes des Angeklagten durch den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO wegen verfahrenswidriger Abwesenheit. Seine Belange sind vielmehr durch eine verantwortungsvolle Ausgestaltung der Unterrich-tung des Angeklagten über das in seiner Abwesenheit Verhandelte gemäß § 247 Satz 4 StPO zu wahren, die in Fällen dieser Art (vgl. näher den weite-ren [X.] vom heutigen Tage [X.] 5 StR 530/08) ein Vorzeigen des in Abwesenheit des Angeklagten besichtigten [X.] oder ein nochmaliges Vorlesen [X.] bei Einvernehmen auch Lesenlassen [X.] einer in Ab-wesenheit des Angeklagten verlesenen Urkunde erfordert. Dabei sind die Belange des Angeklagten ergänzend über eine Protokollierungspflicht zu schützen. Bei Wahrung solcher Unterrichtungsstandards ist den Interessen - 11 - des Angeklagten hinreichend Genüge getan. Dies gestattet die vom [X.] für sachgerecht erachtete, einer thematisch geordneten Hauptverhandlung entgegenkommende, dem verbindlichen Verständnis zu § 338 Nr. 6 StPO i.V.m. § 174 [X.] entsprechende Auslegung des Vernehmungsbegriffs des § 247 StPO. Eine Absicherung der betroffenen Angeklagtenrechte über den absoluten Revisionsgrund ist entbehrlich. e) Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Frage notwendiger Anwe-senheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung eines in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen. Mit der für unerlässlich erachte-ten Teilnahme des Angeklagten an dieser Verhandlung soll verhindert wer-den, dass der Zeuge vor Unterrichtung des Angeklagten über den wesentli-chen Inhalt seiner Vernehmung gemäß § 247 Satz 4 StPO bereits entlassen ist. Dies ist erforderlich, weil dem Angeklagten ein eigenes Fragerecht nach § 240 Abs. 2 StPO zusteht, dessen Wahrnehmung durch eine Entlassung des Zeugen vor Unterrichtung des Angeklagten beeinträchtigt werden könnte (vgl. [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 18). 18 Mit Rücksicht auf eine effektive Wahrung des Fragerechts des Ange-klagten ist es daher [X.] unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der Zu-sammenhangformel für die Auslegung des Vernehmungsbegriffs in § 247 StPO [X.] nicht sachgerecht, wenn der Vorsitzende, wie hier, den Angeklagten erst nach Entlassung des in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen über den Inhalt seiner Aussage unterrichtet. Gleichwohl erscheint es nicht ge-rechtfertigt, eine durch solches Vorgehen möglicherweise verursachte Beein-trächtigung des Fragerechts des Angeklagten von vornherein durch Eingrei-fen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO zu schützen. 19 [X.]) So ist es zunächst auch Aufgabe des Verteidigers [X.] der in Fällen der Anwendung des § 247 StPO stets amtieren wird (vgl. § 140 Abs. 2 StPO) [X.], solcher verspäteten Unterrichtung des Angeklagten beizeiten ent-gegenzutreten. Er ist nicht nur gehalten, auf eine effektive Wahrnehmbarkeit 20 - 12 - des eigenen Fragerechts seines Mandanten in dessen Interesse zu achten, sondern er wird in manchen Fällen darüber hinaus auch an einer Unterrich-tung des Angeklagten über die Zeugenvernehmung interessiert sein, um in-tern eine Reaktion seines Mandanten hierauf erfahren und gegebenenfalls mit weiteren eigenen Fragen an den Zeugen reagieren zu können. Dies wird dem Verteidiger Anlass geben, eine sachwidrig verfrühte Entlassungsanordnung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO zu bean-standen und so die Unterrichtung des Angeklagten vor der Entlassung des Zeugen zu erreichen suchen. Dies korrespondiert in gewisser Weise mit dem [X.] durchaus neuen [X.] Ansatz des [X.], in Fällen der vorlie-genden Art die Revisibilität des beanstandeten, auf die vorzeitige Zeugenent-lassung bezogenen Vorsitzendenverhaltens von einem bereits in der [X.] erhobenen entsprechenden Einwand abhängig zu machen. 21 22 [X.]) Die bestehende Möglichkeit, das Abschneiden des eigenen Frage-rechts des Angeklagten im Einzelfall über einen relativen, unmittelbar hierauf gestützten Revisionsgrund zu sanktionieren, lässt es vor dem Hintergrund der erfahrungsgemäß geringen forensischen Bedeutung dieses eigenen [X.]s angezeigt erscheinen, die bisherige Rechtsprechung zum Eingrei-fen des absoluten Revisionsgrunds in Fällen dieser Art aufzugeben. Im gerichtlichen Alltag ist eine unmittelbare Befragung von Zeugen durch verteidigte Angeklagte eher selten ([X.] [X.]O [X.]). Im Blick auf die umfassende Verantwortung des Verteidigers für die verfahrensrechtlichen Belange seines Mandanten ist der Vorsitzende auch nicht etwa gehalten, dem Angeklagten selbst ausdrücklich [X.] was gelegentlich gar leicht als [X.] missverstanden werden könnte [X.] das Wort zur Zeugenbefragung zu erteilen. Wünscht hingegen der Angeklagte [X.] etwa auch nach Aufforde-rung durch seinen Verteidiger [X.] eine eigene Befragung des Zeugen, so steht ihm diese [X.] im Rahmen zulässiger Fragestellungen (§ 241 Abs. 2 StPO) [X.] unbedingt zu. 23 - 13 - [X.] mithin der Angeklagte den in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen nach Unterrichtung über den Inhalt seiner Aussage selbst befragen, so ist ihm das zu gestatten. Ist der Zeuge sachwidrig zuvor entlassen [X.], so ist er vom Gericht zur Beantwortung dieser Frage [X.] die notfalls zur gebotenen Schonung des Zeugen wieder in vorübergehender Abwesenheit des nach § 247 StPO zu entfernenden Angeklagten erfolgen darf [X.] alsbald erneut vorzuladen. Die ohne Rücksicht auf das Fragerecht des Angeklagten erfolgte vorzeitige Entlassung des Zeugen hindert das Gericht, den Ange-klagten auf den Weg des Beweis- oder Beweisermittlungsantrags zu verwei-sen, wenn dieser eine erneute Vorladung des Zeugen zu dessen ergänzen-der Befragung durchzusetzen wünscht, wie es nach ordnungsgemäßer [X.] entspräche (vgl. Fischer in [X.]. § 244 [X.]. 70; [X.]R StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 16; § 244 Abs. 2 Aussageentstehung 1; [X.] NJW 1986, 267; vgl. hingegen [X.]R StPO § 248 Entlassung 1). Das Gleiche hat zu gelten, wenn der Verteidiger aufgrund der Unterrichtung seines Mandanten und dessen hierauf gestützter Information nunmehr neue zulässige Fragen an den verfrüht entlassenen Zeugen stellen will. 24 cc) In den relevanten Fällen kann mithin im Revisionsverfahren erfolg-reich gerügt werden, dass das Fragerecht des Angeklagten (oder seines Ver-teidigers) durch Verweigerung der erneuten Vorladung eines während der Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen, über dessen Aussage er erst nach dessen Entlassung unterrichtet wurde, verletzt worden ist, weil dem Angeklagten eine bestimmte zulässige Frage versagt wurde und das Urteil auf diesem Verstoß beruht. Sofern die Verhinderung einer zulässigen Frage belegt werden kann, wird auch gerügt werden können, dass das [X.] die berechtigte Beanstandung des Verteidigers zurückgewiesen hat, der Zeuge möge nicht vor Unterrichtung des Angeklagten entlassen werden. 25 Bei einer solchen Verfahrensweise wird auch das Gewicht der durch die betreffenden Maßnahmen jeweils berührten Rechte des Angeklagten in 26 - 14 - ausgewogener Weise berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat die grundlegende Beschneidung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten mit § 247 StPO in weitem Maße dem tatgerichtlichen Ermessen überantwortet ([X.]St 22, 18, 20 f.; [X.]R StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 1 und 2). Hierdurch bleibt der Angeklagte oftmals von den ganz entscheidenden, ihn belastenden und daher besonders verteidigungsrelevanten Teilen der Hauptverhandlung ausgeschlossen ([X.] [X.]O [X.]). Vor diesem Hintergrund erscheint es gänzlich unangemessen, die Position des (lediglich) verspätet unterrichteten Angeklagten gemäß der bisherigen Rechtsprechung durch den absoluten Revisionsgrund ohne Rücksicht darauf zu verstärken, ob er von seinem [X.] überhaupt Gebrauch machen wollte. Eine Reduktion des absoluten Revisionsgrundes durch eine sachgerechte Auslegung des Begriffs der [X.] in § 247 StPO, wie sie der [X.] für angezeigt hält (vgl. zu ent-sprechender Tendenz schon [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 14, 20), besei-tigt dieses Missverhältnis. Dass das [X.] in einem, wie [X.] [X.]O S. 313 zutreffend aufzeigt, von nationalsozialistischem Ungeist geprägten Urteil [X.] abgedruckt in [X.], 47 [X.] betreffend die Frage der [X.] zum selben Ergebnis gelangt ist, kann die Auffassung letztlich nicht in Frage stellen (vgl. ähnlich [X.]St 51, 298, 304). 5. [X.] über die Entlassung eines Zeugen ist in der Praxis meist nicht mit negativen Auswirkungen für den Angeklagten verbunden. Et-waige Negativfolgen sind zudem, wie dargelegt, ohne weiteres vor dem [X.] zu korrigieren. Dementsprechend muss dieser Verfahrensabschnitt [X.] abweichend von der bislang für den [X.] verbindlichen Rechtsprechung [X.] nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung angesehen werden. Selbst wenn daher die der Auffassung des [X.]s entsprechende Neuorientierung bei der Auslegung des Vernehmungsbegriffs unterbliebe, käme der absolute Revisionsgrund allein wegen der Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung eines in seiner Abwesenheit nach § 247 StPO vernommenen Zeugen nicht zur Anwendung; denn der Angeklagte [X.] keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung versäumt ([X.]St 26, 84, 27 - 15 - 91 m.w.N.; [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 17, 22, 24, 26; [X.] NJW 1996, 2382; [X.], 713; vgl. für einen entsprechenden Lösungsansatz bereits [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 18 bis 21, 23). Auch hiernach blieben dem Angeklagten die dargelegten Revisionsmöglichkeiten wegen einer Beschrän-kung seines Fragerechts. 6. Der [X.] fragt daher bei den anderen Strafsenaten im Blick auf de-ren abweichende Entscheidungen (u. a.: [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 1; [X.] NJW 2003, 597 [1. Strafsenat]; [X.]R StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 23 [2. Strafsenat]; [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 3, 15, 19 [3. Strafsenat]; [X.] NStZ 2000, 440; 2007, 352 [4. Strafsenat]), an, ob an ihrer der [X.] Entscheidung des [X.]s widersprechenden Rechtsprechung [X.] wird. 28 [X.] Brause [X.] [X.] König

Meta

5 StR 460/08

10.03.2009

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2009, Az. 5 StR 460/08 (REWIS RS 2009, 4640)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 4640

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