Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2017, Az. VI ZB 21/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 16877

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Gegenstand

Vergütung des Rechtsanwalts: Anfall der Terminsgebühr bei Erlass eines Versäumnisurteils ohne entsprechenden Antrag des Klägers


Leitsatz

Die Gebühr nach Nr. 3105 Anm. Abs. 1 Nr. 2 RVG VV entsteht auch dann, wenn die Entscheidung nach § 331 Abs. 3 ZPO ohne einen entsprechenden (Prozess-)Antrag des Klägers ergeht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 20. April 2016 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis zu 1.000 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger nahm den Beklagten auf Zahlung materiellen und immateriellen Schadensersatzes in Anspruch. Das [X.] verfügte die Zustellung der Klageschrift und forderte den Beklagten unter Fristsetzung gemäß § 276 Abs. 1 ZPO zur Anzeige der [X.] auf. Obwohl der Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte, gab das [X.] der Klage nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist durch Versäumnisurteil gemäß § 331 Abs. 3 ZPO statt und verurteilte den Beklagten zur Kostentragung. Den vom Beklagten hiergegen erhobenen Einspruch ("Anhörungsrüge, hilfsweise Einspruch") hat das [X.] wegen Verfristung als unzulässig verworfen.

2

Im Kostenfestsetzungsverfahren begehrt der Kläger nunmehr unter anderem die Festsetzung einer 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 des [X.] zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ([X.] [X.]). Das [X.] hat die Kosten entsprechend festgesetzt. Das [X.] hat die vom Beklagten dagegen geführte sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er vertritt die Auffassung, die Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] sei nicht angefallen, weil das Versäumnisurteil - prozessordnungswidrig - ohne den nach § 331 Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen Antrag des [X.] ergangen sei.

II.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, das [X.] habe die beantragte 0,5-Terminsgebühr gemäß Nr. 3105 [X.] [X.] zu Recht gegen den Beklagten festgesetzt, weil gegen ihn ein Versäumnisurteil ergangen sei. Zwar dürfte der Erlass eines Versäumnisurteils, was im Streitfall aber offen bleiben könne, ohne entsprechenden Antrag verfahrensfehlerhaft sein. Dies habe aber auf den Anfall der Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] keinen Einfluss. Denn der Anfall der Gebühr knüpfe allein an den Erlass der Entscheidung als formales Prozessmerkmal, ohne dass im Kostenfestsetzungsverfahren zu hinterfragen sei, ob die Voraussetzungen für den Erlass des Versäumnisurteils vorgelegen hätten.

5

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.

6

Ob und unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, dass der [X.] nach § 331 Abs. 3 ZPO - wie das [X.] in dem die Anhörungsrüge des Beklagten zurückweisenden Beschluss vom 30. April 2015 unter Bezugnahme auf das Urteil des [X.] vom 4. April 1962 ([X.], [X.], 79, 81 f.) im Streitfall angenommen hat - konkludent mit dem Sachantrag gestellt ist, kann offenbleiben. Denn die im Streit stehende Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] ist auch dann erstattungsfähig angefallen, wenn der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils nach § 331 Abs. 3 ZPO nicht gestellt wurde.

7

a) Nach Nr. 3104 [X.] [X.] beträgt die Terminsgebühr, soweit in Nummer 3106 nichts anderes geregelt ist, 1,2. Sie ermäßigt sich nach Nr. 3105 [X.] [X.] auf 0,5, wenn nur ein Termin wahrgenommen wird, in dem eine Partei oder ein Beteiligter nicht erschienen oder nicht ordnungsgemäß vertreten ist und lediglich ein Antrag auf Versäumnisurteil, Versäumnisentscheidung oder zur Prozess-, Verfahrens- oder Sachleitung gestellt wird. Nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] fällt die 0,5-Gebühr auch dann an, wenn "eine Entscheidung gemäß § 331 Abs. 3 ZPO" ergeht. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob dies voraussetzt, dass der für den Erlass eines Versäumnisurteils nach § 331 Abs. 3 ZPO erforderliche Antrag gestellt wurde, oder ob die Gebühr auch dann anfällt, wenn das Versäumnisurteil ohne einen entsprechenden Antrag des [X.] ergeht.

8

aa) Von einem Teil der Rechtsprechung ([X.], NJW-RR 2008, 1670, 1671; [X.], [X.] 1984, 950 [noch zu § 35 [X.]]) und Literatur (Hartmann; Kostengesetze, 47. Aufl., [X.] 3105 Rn. 7; unklar [X.] in: [X.]/[X.]/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2017, Nr. 3105 [X.] [X.] Rn. 23) wird vertreten, die Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] falle nur dann an, wenn der Kläger den Erlass des ergangenen Versäumnisurteils, wie von § 331 Abs. 3 Satz 1 ZPO verlangt, beantragt habe. Begründet wird dies zunächst mit dem Wortlaut von Nr. 3105 [X.] [X.], der, wenn auch nicht in [X.]. Abs. 1 Nr. 2, ausdrücklich auf einen Antrag abstelle ([X.] aaO). Verwiesen wird ferner auf den Sinn und Zweck von Rechtsanwaltsgebühren, die anwaltliche Tätigkeit vergüten sollten; anwaltliche Tätigkeit liege im Falle des § 331 Abs. 3 ZPO neben der durch die Verfahrensgebühr bereits abgegoltenen Erhebung einer schlüssigen Klage aber ausschließlich im Stellen des Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils ([X.] aaO). Schließlich wird angeführt, vom Gesetzgeber könne eine gebührenrechtliche Regelung für den Fall des prozessordnungswidrigen [X.] einer Entscheidung nicht erwartet werden ([X.] aaO).

9

bb) Demgegenüber überwiegt die Auffassung, die Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] falle auch dann an, wenn das Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 3 ZPO ohne den erforderlichen Antrag ergeht (z.B. [X.] 2008, 806, 807; [X.], [X.], 913, 914; [X.], [X.] 2006, 1196, 1197; [X.], [X.], 321, 323; [X.] in: [X.]/[X.], Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Aufl., Nr. 3105 [X.] Rn. 17; [X.] in: [X.], Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Aufl., [X.] 3105 Rn. 33; AnwK-[X.]/Onderka, [X.], 7. Aufl., [X.] 3105 Rn. 38; [X.], [X.]report 2013, 82; [X.]/[X.]/Enders/[X.], 3. Aufl., Nr. 3105 [X.] Rn. 22 f.). Auch diese Auffassung stützt sich zur Begründung zunächst auf den Gesetzeswortlaut; Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] verlange dem Wortlaut nach nur eine Entscheidung nach § 331 Abs. 3 ZPO, nicht aber einen entsprechenden Antrag (so: [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; AnwK-[X.]/Onderka, aaO Rn. 38; [X.]/[X.]/Enders/[X.], aaO Rn. 23; wohl auch [X.] aaO). Zudem vergüte die Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] nicht einen besonderen Aufwand des Anwalts, sondern schaffe einen Ausgleich dafür, dass dem Rechtsanwalt durch die Erledigung im schriftlichen Verfahren die bei Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung sonst zu erwartende Terminsgebühr für die Wahrnehmung eines Termins entgehe ([X.] aaO). Schließlich bestehe für kostenrechtliche Tatbestände der Grundsatz, dass sie allein an ein formales Prozessmerkmal, hier den Erlass einer Entscheidung, anknüpften, ohne dass die dafür maßgebenden Voraussetzungen zu hinterfragen seien ([X.] aaO; AnwK-[X.]/Onderka aaO).

b) Die zuletzt dargestellte Auffassung trifft im Ergebnis zu. Die 0,5-Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] fällt unabhängig davon an, ob das Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 3 ZPO auf einem entsprechenden Antrag des [X.] beruht.

Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, dass bereits der Wortlaut der Vorschrift eher für diese Auslegung spricht; denn maßgebliche Voraussetzung für den Anfall der Gebühr ist danach das Ergehen der Entscheidung. Freilich ist der Wortlaut insoweit nicht zwingend, denn das Wort "gemäß" kann - jedenfalls bei isolierter Betrachtung - auch als "in Übereinstimmung mit" verstanden werden, was zur Folge hätte, dass die Voraussetzungen des § 331 Abs. 3 ZPO und damit das Antragserfordernis von Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] in Bezug genommen wären (vgl. hierzu [X.], [X.] 2006, 228, 229). Dass dies vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, ergibt sich aber aus Sinn und Zweck der Vorschrift.

Zu Nr. 3104 [X.]. Abs. 1 Nr. 1 [X.] [X.] hat der [X.] ([X.], Beschluss vom 27. Oktober 2005 - [X.], [X.], 157 Rn. 8) bereits ausgeführt, mit ihr solle - "in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage" (§ 35 [X.]) - erreicht werden, dass der Prozessbevollmächtigte, der in einem Zivilprozess im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten könne, in der mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Gebührennachteil erleide, wenn durch eine andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde. Nichts anderes kann für Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] gelten (im Ergebnis ebenso [X.] 2008, 806, 807). Denn auch mit dieser Vorschrift wird der Fall einer besonderen Gestaltung des Verfahrens ohne mündliche Verhandlung dem entsprechenden "Normalverfahren" mit mündlicher Verhandlung gebührenrechtlich gleichgestellt; auch sie hat ihren Vorläufer in § 35 [X.]. Mit der 0,5-Gebühr nach Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] soll also gerade nicht der mit der Stellung des ([X.] auf Erlass eines Versäumnisurteils verbundene - denkbar geringe - zusätzliche Aufwand des Prozessbevollmächtigten vergütet werden, sondern der dem Prozessbevollmächtigten ohne die Vorschrift drohende gebührenrechtliche Nachteil einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vermieden werden. Dieser Nachteil droht aber unabhängig davon, ob das die mündliche Verhandlung verhindernde Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 3 ZPO auf einem Antrag des [X.] beruht oder nicht.

c) Die von der Rechtsbeschwerde für ihre gegenteilige Auffassung weiter angeführten Argumente greifen nicht. Insbesondere ist anzumerken:

Soweit die Rechtsbeschwerde darauf abhebt, dass Nr. 3105 [X.] [X.] auch im Falle der Wahrnehmung eines Termins für das Entstehen einer auf 0,5 reduzierten Gebühr verlangt, dass ein [X.] gestellt wird, berücksichtigt sie die Vorschrift der Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 1 [X.] [X.] nicht, aus der sich das Gegenteil ergibt. Danach fällt die Gebühr in einem solche Fall gerade auch dann an, wenn der erschienene Rechtsanwalt solche Anträge selbst nicht stellt, sondern das Gericht von Amts wegen eine Entscheidung zur Prozess- oder Sachlage fällt ([X.]/[X.]/Enders/[X.], 3. Aufl., Nr. 3105 [X.] Rn. 16).

Schließlich hilft der Rechtsbeschwerde auch der Hinweis nicht weiter, der Gesetzgeber habe die Regelung der Nr. 3105 [X.] [X.] ausweislich der Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 15/1971, [X.]) damit begründet, dass der Aufwand in der dort geregelten Fallkonstellation in der Regel vermindert sei, bei Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren, welches nicht einmal auf einer dahingehenden vorherigen Antragstellung des Rechtsanwaltes beruhe, könne von einem "Aufwand" aber keine Rede sein. Denn mit dem "verminderten Aufwand" wird im Gesetzentwurf nur die gegenüber Nr. 3104 [X.] [X.] geringere Gebührenhöhe von Nr. 3105 [X.] [X.] begründet, nicht hingegen die in Nr. 3105 [X.]. Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.] geregelte gebührenrechtliche Gleichstellung eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren mit den - eine mündliche Verhandlung einschließenden - "Grundfällen" der Nr. 3105 [X.] [X.].

Galke      

        

Wellner      

        

v. [X.]

        

Offenloch      

        

Müller      

        

Meta

VI ZB 21/16

24.01.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 20. April 2016, Az: 6 W 36/16

Nr 3105 Abs 1 Nr 2 RVG-VV, § 331 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2017, Az. VI ZB 21/16 (REWIS RS 2017, 16877)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1483 REWIS RS 2017, 16877

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VI ZB 21/16

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