Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.01.2020, Az. V ZR 155/18

5. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1015

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT UNTERLASSUNG NACHBARSCHAFTSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) WOHNEIGENTUM

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Gegenstand

Begründung eines Notwegerechts durch konkrete Nutzung eines verbindungslosen Grundstücksteils


Leitsatz

1a. Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn.

1b. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen.

2. Die i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung eines Gewerbegrundstücks kann es nach den Umständen des Einzelfalls erfordern, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie gegebenenfalls auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt erforderlich ist; dies setzt aber in der Regel voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des [X.] vom 1. Juni 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger sind die Eigentümer dreier nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender Grundstücke. Die Grundstücke sind mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebaut. Im rückwärtigen Teil dieser Grundstücke befinden sich Garagen, die baurechtlich nicht genehmigt sind. Die Beklagte ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen sich ein Weg befindet, über den die Kläger die Garagen und die rückwärtigen Bereiche ihrer vorne über die Straße erschlossenen Grundstücke erreichen. Eine entsprechende Nutzung des Weges wurde seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer und nach dem Eigentumsübergang auf die Beklagte durch diese selbst geduldet. Mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 erklärte die Beklagte gegenüber den Klägern die „Kündigung des [X.] über das zu Ihren Gunsten vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht“. Sie kündigte an, den Weg mit Wirkung zum 1. Januar 2017 zu sperren und begann im Dezember 2016 mit dem Bau einer Toranlage. Die Kläger, die sich auf ein zu ihren Gunsten bestehendes Wegerecht, hilfsweise auf ein Notwegrecht berufen, verlangen von der [X.], die Sperrung des Weges zu unterlassen.

2

Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Kläger an der Nutzung des Weges zu hindern, insbesondere durch das Anbringen eines Tores mit Schließanlage. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, möchte die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

3

Nach Ansicht des [X.]erufungsgerichts haben die Kläger gegen die [X.]eklagte jeweils einen Unterlassungsanspruch in entsprechender Anwendung von §§ 1027, 1004 [X.]. Unter dem Gesichtspunkt eines zumindest zu ihren Gunsten bestehenden [X.] seien sie zur Nutzung des [X.] zum rückwärtigen [X.]ereich ihrer Grundstücke zum Erreichen der dort gelegenen Garagen, zum Transport von Mülltonnen sowie zur Ausübung eines Gewerbebetriebes auf einem der Grundstücke berechtigt. Unter der Voraussetzung einer lang andauernden tatsächlichen Übung und der Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch die Einhaltung dieser Übung bestehendes Recht zu befolgen, sei Gewohnheitsrecht auch im privaten und öffentlichen Wegerecht zur [X.]egründung von historisch entstandenen Überwegungsrechten anzuerkennen. Soweit Gewohnheitsrecht nur als Rechtsquelle allgemeiner Art verstanden und deshalb als Rechtsgrund einer Verpflichtung zwischen Privatpersonen nicht anerkannt werde, sei dem nicht zu folgen.

4

Vorliegend bestehe eine langjährige tatsächliche Übung der jeweiligen Eigentümer oder berechtigten Nutzer der in Rede stehenden Grundstücke dahingehend, dass die straßenabgewandte Seite der - heute - klägerischen Grundstücke über eine Zufahrt auf Grundstücken erreicht werden könne, die - heute - im Eigentum der [X.] stünden. Dies ergebe sich sowohl aus einem Lageplan der Grundstücke aus dem [X.] als auch aus einem Schreiben aus dem Jahre 1969 des damaligen Eigentümers der Grundstücke der [X.] an den damaligen Eigentümer des Grundstücks der Klägerin zu 1, in dem das [X.]estehen eines „nicht dinglich gesicherten Wegerechts für die [X.]ewohner der Häuser“ der Kläger vorausgesetzt werde. Anhaltspunkte dafür, dass die jeweiligen Grundstückseigentümer oder Nutzer oder die heutigen Parteien nicht von einer rechtlichen Verpflichtung bzw. [X.]erechtigung hinsichtlich eines Wegerechts ausgegangen seien, bestünden nicht. Ein das Gewohnheitsrecht ablösendes [X.] sei nicht feststellbar.

II.

5

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.]erufungsgericht verkennt den [X.]egriff des [X.] und die Voraussetzungen für dessen Entstehen.

6

1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das [X.]erufungsgericht davon aus, dass die Möglichkeit des Entstehens von Gewohnheitsrecht in der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist und dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Wegerechte gewohnheitsrechtlich entstehen können (vgl. [X.], Urteil vom 21. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 311 zum Inwiekenrecht in Ostfriesland).

7

2. Rechtsfehlerhaft ist aber seine Annahme, ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht könne auch im Verhältnis zwischen einzelnen [X.] durch eine jahrelange Übung in der Annahme einer entsprechenden rechtlichen [X.]erechtigung bzw. Verpflichtung entstehen. Zwar wird in der Rechtsprechung vereinzelt die Ansicht vertreten, dass die lang andauernde Nutzung eines über ein Privatgrundstück führenden Weges als Zuweg zwischen der öffentlichen Straße und einem Hinterliegergrundstück zur [X.]ildung eines örtlich geltenden [X.] führen könne, das objektives Recht darstelle und an das die Anwohner gebunden seien (vgl. [X.], 894, 895; [X.], Urteil vom 30. September 2014 - 12 U 81/14, juris Rn. 50). Diese Ansicht ist aber unzutreffend.

8

a) Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den [X.]eteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird ([X.] 22, 114, 121; 28, 21, 28 f.; 34, 293, 303; 122, 248, 269; [X.], Urteil vom 16. Februar 2001 - [X.], NJW-RR 2001, 1208, 1209; Urteil vom 21. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 311 Rn. 12; Urteil vom 18. November 2016 - [X.], [X.], 30 Rn. 23; [X.], Urteil vom 19. März 2013 - [X.], [X.]Z 197, 1 Rn. 29; [X.]eschluss vom 4. April 2017 - [X.], [X.], 1011 Rn. 24; [X.], [X.], 207 Rn. 55). Als ungeschriebenes Recht enthält es eine generell-abstrakte Regelung; diese muss über den Einzelfall hinausweisen.

9

Zwar muss Gewohnheitsrecht kein „[X.]“ sein. In dem Unterfall der sog. Observanz, bei der es sich um ein örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht handelt (vgl. [X.], 9, 12; [X.], [X.], 98 Rn. 29), kann dieses auch im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und Pächtern zueinander entstehen ([X.], Urteil vom 21. November 2008 - [X.], aaO Rn. 13 mwN), etwa nur für eine Gemeinde oder die Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ([X.]/[X.], [X.], 79. Aufl., Einleitung Rn. 22). Voraussetzung ist aber auch in diesem Fall, dass die ungeschriebene Rechtsnorm, die die [X.]eteiligten als verbindlich anerkennen, alle Rechtsverhältnisse einer bestimmten Art beherrscht ([X.], Urteil vom 21. November 2008 - [X.], aaO Rn. 13; [X.], Nachbarrecht, Stand August 2019, [X.]). Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art (vgl. [X.], NJW-RR 1987, 137, 138 unter 2.; [X.]/[X.], [X.], 79. Aufl., Einleitung Rn. 22) nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in [X.]ezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen [X.] (vgl. [X.], NJW-RR 1987, 137, 138 unter 2.; [X.] 2017, 786, 788; [X.], Urteil vom 14. November 2018 - 12 U 59/18, juris Rn. 37 f.; [X.], Nachbarrecht, Stand August 2019, [X.]; [X.], [X.], 2. Aufl., Rn. 418).

In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen [X.] kann ein Wegerecht nach dem [X.]ürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 [X.] entstehen, nicht aber durch eine - sei es auch jahrzehntelange - Übung unter [X.], die in der Annahme erfolgt, hierzu schuldrechtlich oder nach § 917 [X.] berechtigt bzw. verpflichtet zu sein.

b) Der von dem [X.]erufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegte weite [X.]egriff des [X.] führte im Ergebnis zum Erwerb einer nicht im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit. Das sieht das [X.]ürgerliche Gesetzbuch nicht vor.

aa) Allerdings können bzw. konnten in anderen Rechtsordnungen Grunddienstbarkeiten auch außerhalb des Grundbuchs erworben werden.

(1) So ist etwa in [X.] der auch dort geltende Grundsatz, dass eine dingliche Dienstbarkeit nur durch Eintragung in die öffentlichen [X.]ücher erworben werden kann (§ 481 Abs. 1 A[X.]), mehrfach durchbrochen. Insbesondere besteht nach § 480 A[X.] die Möglichkeit, eine Dienstbarkeit kraft Ersitzung (gesetzlich bezeichnet als „Verjährung“) zu erwerben (vgl. [X.] in Schwimann/Kodek, A[X.], 4. Aufl., § 481 Rn. 4 und § 480 Rn. 2 ff.), etwa indem ein Waldweg durch bestimmte Personen (bzw. ihre Rechtsvorgänger) über mehr als 30 Jahre hinweg zu forstwirtschaftlichen Zwecken befahren worden ist, wenn die Ausübung dieses Wegerechts für den Grundstückseigentümer (bzw. seine Rechtsvorgänger) wegen der regelmäßig vorhandenen Fahrspuren erkennbar war (vgl. [X.], Entscheidung vom 24. Oktober 2011 - 8 Ob 67/11b, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).

(2) Auch nach Teil I Titel 22 § 13 des [X.] (ALR) konnte eine Grunddienstbarkeit (Grundgerechtigkeit) durch Ersitzung (Verjährung) erworben werden, wenn das Recht durch eine wenigstens 30 Jahre lange (Teil I Titel 22 § 14 i.V.m. Teil I Titel 9 § 625 ALR) ununterbrochene Ausübung in Anspruch genommen wurde (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 515 Rn. 12; siehe für eine ausführlichere Darstellung [X.], NJW-RR 1987, 137, 138 sowie [X.], Nachbarrecht, Stand August 2019, [X.] § 36 II 3).

bb) Der Gesetzgeber des [X.]ürgerlichen Gesetzbuches hat sich hingegen mit § 873 Abs. 1 [X.] bewusst für eine Anwendung des Eintragungsprinzips auf die Grunddienstbarkeit entschieden, das Ausnahmen nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässt (siehe zur Fortgeltung altrechtlicher Grunddienstbarkeiten allerdings Art. 184, 187 EG[X.]). Hiermit wollte er gerade den Erwerb von Grunddienstbarkeiten im Wege der Ersitzung ausschließen und der damit verbundenen Gefahr vorbeugen, dass „durch fortgesetzten Mißbrauch einer Gefälligkeit ein Recht erschlichen werde“ (Motive [X.], [X.]), und dass „verwickelte und kostspielige Rechtsstreitigkeiten [entstehen] zwischen demjenigen, welcher eine Dienstbarkeit in Anspruch nimmt, und dem Erwerber des Grundstücks, der von derselben keine Kenntnis erhalten hat, bzw. zwischen dem Erwerber und dem Veräußerer“ (Motive [X.], [X.] f.). Die Eintragung des Rechts stelle die [X.]eziehungen der [X.]eteiligten zueinander der Regel nach vollständig klar (Motive [X.], [X.]). Diesem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers widerspräche es, wenn Grunddienstbarkeiten zwischen [X.] ohne Eintragung in das Grundbuch allein durch eine langjährige Übung entstehen könnten.

c) Nach diesen Maßstäben haben die Kläger nicht aufgrund [X.] ein Wegerecht an den Grundstücken der [X.] erworben. Eine allgemeine, über das Verhältnis der Parteien untereinander hinausgehende Übung, die Grundstücke der [X.] als Zufahrt zu anderen Grundstücken zu nutzen, steht nicht in Rede. Die Kläger behaupten auch nicht, dass die Nutzung des [X.] von der Überzeugung der [X.]eteiligten getragen sei, hiermit eine allgemeine, objektive und gesetzesgleiche Rechtsnorm zu befolgen, die über das konkrete Rechtsverhältnis der Parteien untereinander hinaus Geltung beanspruchen kann.

3. Die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

a) Eine Duldungspflicht der [X.] ergibt sich nicht aus einem zwischen den Parteien bestehenden schuldrechtlichen Verhältnis. Als solches käme allenfalls ein Leihvertrag nach § 598 [X.] in [X.]etracht, dessen Zustandekommen das [X.]erufungsgericht indes nicht festzustellen vermochte. Im Übrigen könnte ein solcher Leihvertrag, wenn er denn auf die Kläger und die [X.] übergegangen wäre, jederzeit gekündigt werden (vgl. [X.], Urteil vom 16. Mai 2014 - [X.], NJW-RR 2014, 1043 Rn. 21; MüKo[X.]/[X.]rückner, 8. Aufl., § 917 Rn. 60); er wäre daher durch die von der [X.] im Jahre 2016 erklärte Kündigung beendet worden.

b) Ein Nutzungsrecht lässt sich auch nicht aus dem nachbarlichem [X.] ableiten. Dieses wird durch die Regelung des [X.] in § 917 [X.] spezialgesetzlich ausgestaltet; die Norm enthält im Hinblick auf die nicht durch dingliche Rechte oder schuldrechtliche Verträge begründeten Wegerechte eine abschließende Regelung. Sind ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, können sie nicht mit Hilfe des nachbarlichen [X.]ses umgangen oder erweitert werden (vgl. [X.], Urteil vom 15. November 2013 - [X.], NJW 2014, 311 Rn. 26; Urteil vom 22. Januar 2016 - [X.], [X.], 382 Rn. 14).

[X.].

Das angefochtene Urteil kann daher keinen [X.]estand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der [X.] weist für die weitere Sachbehandlung auf Folgendes hin:

1. Das [X.]erufungsgericht wird zu prüfen haben, ob den Klägern gemäß § 917 Abs. 1 [X.] ein Notwegrecht zusteht.

a) Diese Vorschrift gestattet die Inanspruchnahme benachbarten, im fremden Eigentum stehenden Grund und [X.]odens als Notweg dann, wenn dem betreffenden Grundstück die zur ordnungsmäßigen [X.]enutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Der Notweganspruch setzt also eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage des Grundstücks voraus. Hinsichtlich dieser Notlage sind strenge Anforderungen zu stellen; sie besteht nicht, wenn eine andere Verbindungsmöglichkeit vorhanden ist, die ebenfalls ordnungsmäßige Grundstücksbenutzung gewährleistet ([X.], Urteil vom 15. April 1964 - [X.], NJW 1964, 1321, 1322). Welche Art der [X.]enutzung eines Grundstücks [X.]. § 917 Abs. 1 [X.] ordnungsmäßig ist, bestimmt sich nicht nach den persönlichen [X.]edürfnissen des Eigentümers des [X.] Grundstücks, sondern danach, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht (vgl. [X.], Urteil vom 15. April 1964 - [X.], aaO; Urteil vom 26. Mai 1978 - [X.], [X.], 1293, 1294; Urteil vom 5. Juni 2009 - [X.]/08, NJW-RR 2010, 445 Rn. 15). Zu berücksichtigen sind dabei die [X.]enutzungsart und Größe des Grundstücks, seine Umgebung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls ([X.], Urteil vom 15. April 1964 - [X.], aaO; Urteil vom 28. Mai 1976 - [X.], [X.], 1061, 1063; Urteil vom 5. Juni 2009 - [X.]/08, aaO).

Handelt es sich bei dem Grundstück nach objektiven Kriterien um ein Gewerbegrundstück, so kann dessen ordnungsmäßige [X.]enutzung es nach den Umständen des Einzelfalls erfordern, dass auf dem [X.] Grundstücksteil Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt notwendig ist (vgl. [X.], Urteil vom 16. April 1958 - [X.], [X.] 1958, 592; Urteil vom 11. November 1959 - [X.], [X.]Z 31, 159, 161; Urteil vom 21. Dezember 1965 - [X.], [X.], 346 ff.; siehe auch MüKo[X.]/[X.]rückner, 8. Aufl., § 917 Rn. 27; [X.]/[X.], [X.] [2016], § 917 Rn. 28; [X.]/[X.], [X.], 79. Aufl., § 917 Rn. 6). Dies setzt aber in der Regel voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt, namentlich eine solche, bei der Waren eingelagert werden (müssen), die aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Gewichts nicht auf dem mit dem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücksteil gelagert oder über diesen hinweg auf den [X.] Grundstücksteil verbracht werden können.

Die ordnungsmäßige [X.]enutzung des Grundstücks kann das Notwegrecht zudem nur begründen, wenn sie tatsächlich in einem Umfang erfolgt, der die Zufahrt erforderlich macht. [X.]leibt die konkret ausgeübte Nutzung dahinter zurück, entsteht das Notwegrecht nicht schon dadurch, dass objektiv nach den Gegebenheiten des Grundstücks eine umfänglichere Nutzung möglich wäre. Ebenso wenig begründet eine konkret ausgeübte Nutzung, die über das hinaus geht, was nach Art, Größe und wirtschaftlichen Verhältnissen des Grundstücks angemessen ist, eine Notlage, die die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks für die Zufahrt zu dem [X.] Grundstücksteil rechtfertigen könnte.

b) Das [X.]erufungsgericht hat bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, wie die klägerischen Grundstücke genutzt werden und ob diese Nutzung sich bei objektiver [X.]etrachtung nach den genannten Kriterien als ordnungsmäßig [X.]. § 917 Abs. 1 Satz 1 [X.] darstellt. Dies wird nunmehr nachzuholen sein.

aa) Sollten die Grundstücke der Klägerin allein zu Wohnzwecken genutzt werden, wird ein Notwegrecht allerdings ausscheiden.

(1) (a) Die Nutzung der im hinteren [X.]ereich der Grundstücke der Kläger befindlichen Garagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen stellt sich nicht als ordnungsmäßige [X.]enutzung im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz 1 [X.] dar, weil die Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch nicht genehmigungsfähig sind. Die für die Zulässigkeit eines [X.]auvorhabens notwendige Erschließung ist nämlich nur dann [X.]. § 30 Abs. 2 [X.]auG[X.] „gesichert“, wenn für die Zuwegung eine [X.]aulast oder eine Grunddienstbarkeit besteht; ein Notweg nach § 917 [X.] genügt nicht (vgl. [X.], Urteil vom 23. Januar 2015 - [X.], NJW-RR 2015, 852 Rn. 21 mwN). Ist eine [X.]ebauung nach öffentlichem Recht mangels Erschließung unzulässig, kann die bauliche Nutzung nicht gleichwohl eine ordnungsmäßige [X.]enutzung im Sinne des § 917 Abs. 1 [X.] deshalb sein, weil sie praktischen [X.]edürfnissen entspricht; was nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts unzulässig ist, kann nicht von der Privatrechtsordnung als „ordnungsmäßig“ gebilligt werden ([X.]VerwGE 50, 282 = NJW 1976, 1987, 1989).

(b) Nichts anderes gilt, soweit die Kläger ihre Kraftfahrzeuge anderweit auf den [X.] Grundstücksteilen abstellen möchten. Liegt ein Grundstück - wie hier - mit seiner Vorderseite an einem öffentlichen Weg, ist die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen, die für die ordnungsmäßige [X.]enutzung eines Wohngrundstücks in der Regel notwendig ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 515 Rn. 24), gewährleistet. Zwar schließt dieser Umstand allein ein Notwegrecht nicht von vornherein aus (vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 398 Rn. 10 f. mwN; Urteil vom 22. Januar 2016 - [X.], [X.], 382 Rn. 7). Eine Zufahrt über das Nachbargrundstück, um das Fahrzeug aus Gründen der [X.]equemlichkeit oder Zweckmäßigkeit auf dem eigenen Wohngrundstück abstellen zu können, ist dem Eigentümer aus dem Notwegrecht nach § 917 [X.] aber nicht zuzubilligen (st. Rspr., vgl. [X.], Urteil vom 9. November 1979 - [X.], [X.]Z 75, 315, 318 f.; Urteil vom 12. Dezember 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 515 Rn. 19; Urteil vom 18. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 398 Rn. 12; Urteil vom 15. November 2013 - [X.], NJW 2014, 311 Rn. 23).

(2) Nachteile, die für die Kläger damit verbunden sind, dass sie die in den hinteren [X.]ereichen ihrer Grundstücke abgestellten Mülltonnen zu den jeweiligen Abfuhrzeiten durch ihre Wohnhäuser hindurch an die öffentliche Straße verbringen müssen, könnten ein Notwegrecht ebenso wenig rechtfertigen. Dies gilt auch für die etwaige Notwendigkeit, sich angesichts zu schmaler Hausflure bzw. anderer Räumlichkeiten kleinere Mülltonnen zu beschaffen, um den Transport durch das Haus hindurch zu ermöglichen.

bb) Sollten die klägerischen Grundstücke hingegen gewerblich genutzt werden, kommt ein Notwegrecht grundsätzlich in [X.]etracht.

(1) Allerdings deuten die von dem [X.]erufungsgericht in [X.]ezug genommenen Lagepläne und Lichtbilder darauf hin, dass die Grundstücke ihrer Art und Größe nach allenfalls eine Nutzung für kleinere Gewerbebetriebe, nicht aber für größere Produktions-, Lager- oder Handelsbetriebe erlauben. Sollte dies zutreffen, dürfte ein Notwegrecht im Hinblick darauf ausscheiden, dass die Grundstücke an einem öffentlichen Weg gelegen sind, die für kleinere Gewerbebetriebe erforderlichen Waren also dort angeliefert und - soweit erforderlich - durch die Geschäfts- bzw. Ladenräume auf den hinteren Grundstücksteil verbracht werden können. Eine konkrete Nutzung, die über ein Kleingewerbe und die typischerweise damit verbundene Nutzung hinausginge, könnte in diesem Fall das Notwegrecht nicht begründen.

(2) Im Übrigen gilt auch insoweit, dass die nach objektivem Maßstab notwendige und der ordnungsmäßigen Grundstücksnutzung entsprechende Einlagerung von Waren in Gebäuden auf den [X.] Grundstücksteilen nur zu einem Notwegrecht nach § 917 [X.] führen kann, wenn die entsprechenden Gebäude baurechtlich genehmigt bzw. zumindest genehmigungsfähig sind.

2. Die Zurückverweisung gibt dem [X.]erufungsgericht zudem Gelegenheit, sich mit der im Revisionsverfahren von den Klägern vertretenen Auffassung auseinanderzusetzen, der Rechtsvorgänger der [X.] habe ein den jeweiligen Eigentümern ihrer Grundstücke von der [X.] im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter (§ 328 [X.]) übernommen; hieran sei auch die [X.]eklagte gebunden.

Stresemann     

        

[X.]rückner     

        

Weinland

        

Kazele      

        

[X.]      

        

Meta

V ZR 155/18

24.01.2020

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 1. Juni 2018, Az: 16 U 149/17, Beschluss

§ 917 Abs 1 S 1 BGB, § 1018 BGB, § 1090 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.01.2020, Az. V ZR 155/18 (REWIS RS 2020, 1015)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 481-482 REWIS RS 2020, 1015


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 16 U 149/17

Oberlandesgericht Köln, 16 U 149/17, 25.11.2020.

Oberlandesgericht Köln, 16 U 149/17, 01.06.2018.

Oberlandesgericht Köln, 16 U 149/17, 16.04.2018.


Az. V ZR 155/18

Bundesgerichtshof, V ZR 155/18, 24.01.2020.


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