Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.02.2024, Az. VII R 16/21

7. Senat | REWIS RS 2024, 4639

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Gegenstand

(Haftung eines vorläufigen Sachwalters als Verfügungsberechtigter gemäß § 35 AO)


Leitsatz

Ein vorläufiger Sachwalter ist zumindest dann als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 der Abgabenordnung anzusehen, wenn er nach Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 der Insolvenzordnung auf seinen Namen ein Anderkonto bei einer Bank eröffnet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen des Schuldners über dieses Konto abwickelt.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.]vom 12.03.2021 - 14 K 3658/16 H(L) insoweit aufgehoben, als es den Betrag von [X.]übersteigt.

Die Klage wird im Hinblick auf einen Haftungsbetrag von [X.]abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom [X.]mit Wirkung vom … zum vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der [X.](GmbH) bestellt. Der Geschäftsführer der GmbH, H, hatte wegen drohender Zahlungsunfähigkeit am [X.]die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gmb[X.]in Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. der Insolvenzordnung in der im Streitfall maßgeblichen Fassung (InsO) beantragt. Das AG setzte der Gmb[X.]in dem vorbenannten Beschluss gemäß § 270b InsO eine Frist von drei Monaten, binnen derer ein Insolvenzplan vorzulegen war (sogenanntes Schutzschirmverfahren). Einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des vorläufigen Sachwalters ordnete es nicht an. Mit Beschluss vom xx.xx.2015 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und ernannte den Kläger zum Sachwalter.

2

Die Gmb[X.]beschäftigte zum ... 2014 mehr als … Arbeitnehmer. Im [X.]2014, also noch vor Bestellung des [X.]zum vorläufigen Sachwalter, veranlasste [X.]die Abrechnung der Löhne für den [X.]2014. Er meldete am 20.xx.2014 Lohnsteuer in Höhe von … € und Solidaritätszuschlag in Höhe von … €, zusammen … €, beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) an und zahlte die Nettolöhne den Arbeitnehmern am 30.xx.2014 in voller Höhe aus.

3

Mit Wirkung vom 09.xx.2014 zog der Kläger als vorläufiger Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich. Sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen wurden über ein von ihm hierfür eingerichtetes [X.]bei einer Bank realisiert. [X.]überwies hierzu am 09.xx.2014 das gesamte Bankguthaben der Gmb[X.]in Höhe von … € auf das [X.]des Klägers.

4

Da in der Folgezeit für den [X.]weder Lohnsteuer noch Solidaritätszuschlag entrichtet wurden, meldete das [X.]beide Beträge zur Insolvenztabelle an. Die Beträge wurden zur Tabelle festgestellt und später auf der Grundlage des Insolvenzplans vom xx.xx.2015 mit einer Insolvenzquote von gerundet 2,4 % (… €) an das [X.]ausgezahlt. Mit Beschluss vom [X.]hob das AG das Insolvenzverfahren auf.

5

Mit Haftungsbescheid vom 21.04.2016 nahm das [X.]den Kläger --und zudem mit gesondertem Bescheid auch den früheren Geschäftsführer H-- wegen Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für den [X.]nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 der Abgabenordnung (AO) in Höhe von … € in Haftung. Die zuvor aufgrund der Insolvenzquote vereinnahmten … € berücksichtigte das [X.]bei der Berechnung der Haftungssumme nicht mindernd. Es erläuterte, der Kläger sei als vorläufiger Sachwalter, der die Kassenführung übernommen habe, [X.]im Sinne des § 35 AO. Indem er die am 10.xx.2014 fällige Lohnsteuer für den [X.]nicht beglichen habe, habe er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das [X.]als unbegründet zurückwies.

6

Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin vom Kläger erhobenen Klage statt. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des § 191 AO für eine Haftungsinanspruchnahme hätten nicht vorgelegen. Der Kläger habe nicht zum Personenkreis der §§ 34, 35 [X.]gehört. Er sei weder gesetzlicher Vertreter der Gmb[X.]im Sinne des § 34 Abs. 1 AO noch Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO gewesen. Der Kläger sei zudem kein [X.]im Sinne des § 35 AO gewesen. Es habe an der rechtlichen Verfügungsbefugnis gefehlt, mit Wirksamkeit nach außen selbst und gegebenenfalls gegen den Willen der Gmb[X.]Zahlungen bewirken zu können. Die aus dem Kassenführungsrecht nach § 275 Abs. 2 InsO resultierende Vertretungsmacht des Sachwalters beschränke sich auf die Entgegennahme von [X.]und die Vornahme von Geldzahlungen. Daraus ergäben sich keine steuerlichen Pflichten. Die Kassenführung sei für den Sachwalter ein reines Instrument der Überwachung des Schuldners. Er nehme Verfügungen über das Vermögen des Schuldners grundsätzlich nur auf Veranlassung des Schuldners und nicht aufgrund eigenen Rechts oder gar eigener Pflicht vor. Gegen die Annahme einer Verfügungsberechtigung im Sinne des § 35 AO spreche auch, dass der Kläger nicht als [X.]für die Gmb[X.]nach außen hin aufgetreten sei. Auch das Einrichten eines [X.]reiche nicht aus, um ein Auftreten als [X.]anzunehmen, da der Sachwalter die Verfügungen über das auf dem [X.]vorhandene Guthaben im eigenen Namen und gerade nicht als [X.]für den Schuldner treffe. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Kläger bei Fälligkeit der Lohnsteuer am 10.xx.2014 nach außen hin Verfügungen über das [X.]vorgenommen hätte.

7

Mit seiner Revision rügt das [X.]die Verletzung von Bundesrecht. Das [X.]habe zu Unrecht eine Haftung des [X.]als [X.]gemäß § 35 AO abgelehnt.

8

Nach Ansicht des [X.]ist der Kläger als vorläufiger Sachwalter mit alleiniger [X.]über ein von ihm dafür eingerichtetes [X.]und damit mit alleinigem Zugriff auf die liquiden Mittel der Gmb[X.]in der Eigenverwaltung [X.]im Sinne des § 35 AO. Der Kläger habe Funktionen übernommen, die über die gesetzlich beabsichtigten Kontroll- und Überwachungsaufgaben deutlich hinausgingen. Durch die Überweisung auf das vom Kläger eingerichtete [X.]seien die Gesellschaftsmittel aus dem Vermögen der Gmb[X.]separiert worden, sodass allein der Kläger zur Verfügung über die Gesellschaftsmittel befugt gewesen sei. Aufgrund der Einrichtung des [X.]habe der Kläger bei jeder Ausführung und Entgegennahme von Zahlungen kraft eigenen Rechts Verfügungen getroffen, welche die Gmb[X.]gegen sich habe gelten lassen müssen. Der Kläger sei nicht nur zu einer "Zahlstelle" der Schuldnerin geworden, sondern als Vertreter der Schuldnerin --im [X.]aufgetreten. In der Folge habe er auch deren Pflichten zur Entrichtung fälliger Steuerforderungen zu erfüllen. Ähnlich habe der erkennende Senat bereits entschieden und mit Urteil vom 13.09.1988 - VII R 35/85 ([X.]1989, 139) aus "überschießenden Rechten" des dortigen Sachwalters, der zudem zum Treuhänder bestellt gewesen sei, eine Anwendbarkeit des § 35 AO abgeleitet.

9

Das [X.]beantragt,
die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als sie den Betrag von … € übersteigt, und die Klage als unbegründet abzuweisen,
hilfsweise, das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung hat das [X.]eine Haftung als [X.]im Sinne des § 35 AO zutreffend abgelehnt. Die vom [X.]geäußerte Rechtsauffassung, für die Anwendbarkeit des § 35 AO sei die tatsächliche Verfügungsbefugnis des vorläufigen Sachwalters ausreichend, stehe im Widerspruch zu dem Gesetzeswortlaut. Wer als [X.]im eigenen oder fremden Namen auftrete, habe nach § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nur insoweit, als er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen könne. Der erkennende Senat habe aus diesem Gesetzeswortlaut in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass neben einer wirtschaftlichen auch eine rechtliche Verfügungsberechtigung vorliegen müsse (Senatsbeschlüsse vom 27.05.2009 - VII B 156/08, [X.]2009, 1591 und vom 08.12.2010 - VII B 102/10). Im Streitfall habe das [X.]zutreffend entschieden, dass einem vorläufigen Sachwalter die rechtliche Verfügungsmacht fehle, auch wenn er die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen habe. Bei der Kassenführung handle es sich lediglich um eine interne Kontrollmaßnahme. Daran ändere weder die Einrichtung eines [X.]noch die Umbuchung aller Gesellschaftsmittel auf dieses [X.]etwas. Der kassenführende vorläufige Sachwalter könne nämlich --auch in der beschriebenen [X.]nicht uneingeschränkt über die Geldmittel der Schuldnerin verfügen, da er ähnlich einer Zahlstelle nur auf Weisung der Schuldnerin Zahlungen auslösen dürfe; ansonsten würde er sich schadensersatzpflichtig machen. Dementsprechend habe ein vorläufiger Sachwalter nach der Übernahme der Kassenführung keine steuerlichen Pflichten der Schuldnerin zu erfüllen. Schließlich komme eine Haftung des [X.]auch deshalb nicht in Betracht, weil er als späterer Sachwalter im Falle einer Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit diese Zahlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zweifelsfrei angefochten hätte und das [X.]die Beträge hätte zurückzahlen müssen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ist daher insoweit aufzuheben, als sie den Betrag von … € übersteigt. Die Klage ist im Hinblick auf einen Haftungsbetrag von … € abzuweisen. Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist insoweit rechtmäßig.

Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 [X.]bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.

1. Der Kläger gehörte zu dem von der Haftungsnorm des § 69 Satz 1 AO erfassten Personenkreis. Er war [X.]im Sinne des § 35 AO.

a) Gemäß § 35 AO hat, wer als [X.]im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

aa) [X.]im Sinne des § 35 AO ist danach jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und nach außen hin als [X.]auftritt (Senatsurteile vom 16.03.1995 - VII R 38/94, BFHE 177, 209, [X.]1995, 859, unter 1.a der Gründe und vom 27.11.1990 - VII R 20/89, BFHE 163, 106, [X.]1991, 284, unter [X.]der Gründe; Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 9). Die Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen (Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 12). Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Person als [X.]nach § 35 AO nur dann angesehen werden, wenn die Person auch in der Lage ist, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich zu erfüllen. Mit dieser Einschränkung soll klargestellt werden, dass eine tatsächliche Verfügungsmöglichkeit nicht ausreicht, um die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu begründen. Es bedarf vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln (Senatsurteil vom 21.02.1989 - VII R 165/85, BFHE 156, 46, [X.]1989, 491; Senatsbeschlüsse vom 27.05.2009 - VII B 156/08, [X.]2009, 1591, unter II.2. der Gründe und vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 9; s.a. BTDrucks 7/4292, S. 19 zu § 35 AO).

Dementsprechend hat der [X.]einen "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) nicht als Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO angesehen (Senatsbeschluss vom 27.05.2009 - VII B 156/08, [X.]2009, 1591, unter II.3. der Gründe; [X.]in Hübschmann/Hepp/[X.]--HHSp--, § 35 AO Rz 28; [X.]in Gosch, [X.]§ 35 Rz 17; [X.]in Tipke/Kruse, § 35 AO Rz 5b; Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 35 Rz 19), und zwar selbst dann nicht, wenn er seine Verwaltungsbefugnisse überschreitet (Senatsbeschluss vom 27.05.2009 - VII B 156/08, [X.]2009, 1591). Denn in diesem Fall fehlt es an einer vom Insolvenzgericht übertragenen Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners. Der "schwache" vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht in der Lage, ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts seine Verwaltungsbefugnisse beliebig auszudehnen und sich eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zu verschaffen.

bb) Danach ist ein (vorläufiger) Sachwalter --zumindest ohne Hinzutreten weiterer Umstände-- kein [X.]im Sinne des § 35 AO. Im Falle der Eigenverwaltung hat der Sachwalter die Funktion, den Schuldner zu beaufsichtigen, der gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt ist, die Insolvenzmasse unter der Aufsicht des Sachwalters zu verwalten und über sie zu verfügen. Dasselbe gilt, wenn --wie im [X.]im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO in der im Streitfall anwendbaren Fassung des [X.]der Sanierung von Unternehmen vom 07.12.2011 (BGBl I 2011, 2582, im Folgenden: "[X.]a.F.") bestellt wird.

Denn der (vorläufige) Sachwalter hat gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Dabei hat er grundsätzlich keine eigenen Eingriffsbefugnisse, sondern hat, wenn er Umstände feststellt, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, dies gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Es fehlt in diesem Grundfall an einer Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners. Bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner (vgl. Urteile des [X.]--BGH-- vom 26.04.2018 - IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290, Rz 12 und vom 09.03.2017 - IX ZR 177/15, Rz 8). Zutreffend betrachtet daher das Schrifttum den (vorläufigen) Sachwalter grundsätzlich nicht als Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO, weil der Sachwalter gemäß § 274 InsO nur Kontroll- und Aufsichtspflichten ausübt, ohne dass dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen entzogen wird ([X.]in HHSp, § 34 AO Rz 80 und § 35 Rz 29; [X.]in Gosch, [X.]§ 35 Rz 17; [X.]in Tipke/Kruse, § 35 AO Rz 5b; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 35 Rz 17; [X.]AO/Rosenke, 27. Ed. [15.01.2024], [X.]§ 35 Rz 84).

cc) In Abgrenzung dazu hat der [X.]mit Urteil vom 13.09.1988 - VII R 35/85 ([X.]1989, 139) einen zum Sachwalter der Vergleichsgläubiger (§ 91 Abs. 1 der Vergleichsordnung in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung) bestellten Treuhänder als Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO angesehen. Die Verfügungsberechtigung hat der [X.]aus einer durch einen Notarvertrag eingeräumten Berechtigung des Sachwalters abgeleitet, über das Anlage- und Umlaufvermögen der Schuldnergesellschaft zu verfügen und alle hierzu erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Durch die so übertragene Verfügungsbefugnis ging die Stellung des Sachwalters über diejenige eines mit den gesetzlichen Befugnissen ausgestatteten Sachwalters hinaus (Senatsurteil vom 13.09.1988 - VII R 35/85, [X.]1989, 139, unter 2. der Gründe).

b) Im Streitfall ist der Kläger als [X.]im Sinne des § 35 AO anzusehen. Dies folgt aus der Besonderheit des Streitfalls, dass der Kläger auf seinen Namen ein [X.]bei einer Bank eingerichtet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen der Gmb[X.]hierüber realisiert hat.

aa) Nach den dargelegten Grundsätzen wurde dem Kläger nicht bereits durch den Beschluss des AG vom xx.xx.2014, mit dem der Kläger zum vorläufigen Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO a.F. im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gmb[X.]bestellt worden war, die von § 35 AO vorausgesetzte Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Gmb[X.]übertragen.

bb) Die von § 35 AO vorausgesetzte tatsächliche Verfügungsmacht ergab sich aber aus dem Umstand, dass der Kläger als vorläufiger Sachwalter mit Wirkung vom 09.xx.2014 die Kassenführung an sich gezogen und [X.]das Geldvermögen der Gmb[X.]auf das [X.]überwiesen hatte und dass der Kläger die Kasse fortan über dieses [X.]führte.

Gemäß § 275 Abs. 2 InsO kann der Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden. Dasselbe gilt gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO a.F. für den vorläufigen Sachwalter, auf den die §§ 274 und 275 [X.]entsprechend anzuwenden sind. Es handelt sich um eine gesetzliche Ermächtigung, die keiner weiteren gerichtlichen Anordnung bedarf (Uhlenbruck/Zipperer, Insolvenzordnung, 16. Aufl., § 275 Rz 7; Undritz/Schur, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2016, 549).

Im Schrifttum ist umstritten, welche Bedeutung die Übernahme der Kassenführung durch einen Sachwalter gemäß § 275 Abs. 2 InsO für eine Verfügungsberechtigung im Sinne des § 35 AO hat.

(1) Teilweise wird vertreten, der Sachwalter, der nach § 275 Abs. 2 InsO Zahlungen vornehme, verfüge im fremden Namen und könne daher als [X.]im Sinne des § 35 AO angesehen werden, der nach außen für den Schuldner auftrete ([X.]AO/Rosenke, 27. Ed. [15.01.2024], [X.]§ 35 Rz 84; Thole, Der Betrieb 2015, 662; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405: "spricht einiges dafür").

(2) Nach der Gegenauffassung wird der Sachwalter durch die Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO grundsätzlich nicht zum Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO, weil er Zahlungen nur auf Veranlassung des Schuldners vornehme ([X.]in HHSp, § 35 AO Rz 29; MüKoInsO/Kern, 4. Aufl., § 275 Rz 25; Uhlenbruck/Zipperer, Insolvenzordnung, 16. Aufl., § 275 Rz 8; [X.]in Kayser/Thole, [X.]Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023, § 270c Rz 60; Hobelsberger, Deutsches Steuerrecht 2013, 2545; Sonnleitner/Winkelhog, Betriebs-Berater --BB-- 2015, 88; Undritz/Schur, ZIP 2016, 549; Richert, Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht --NZI-- 2021, 694; Witfeld, NZI 2021, 665; Schädlich, Neue Wirtschafts-Briefe 2021, 1967). Der Schuldner habe die steuerlichen Pflichten --auch [X.]nach wie vor selbst zu erfüllen ([X.]in HHSp, § 35 AO Rz 29 und § 34 AO Rz 80; MüKoInsO/Kern, 4. Aufl., § 275 Rz 25). Diese Rechtsauffassung stützt sich darauf, dass bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis --auch im Falle der Übernahme der [X.]beim Schuldner verbleibt (MüKoInsO/Kern, 4. Aufl., § 275 Rz 26; FK-InsO/Oberle, 10. Aufl., § 275 Rz 12; Uhlenbruck/Zipperer, Insolvenzordnung, 16. Aufl., § 275 Rz 8; [X.]in Prütting/Bork/Jacoby, Insolvenzordnung, § 275 Rz 26; Sonnleitner/Winkelhog, BB 2015, 88; Undritz/Schur, ZIP 2016, 549).

(3) Nach einer vermittelnden Auffassung im Schrifttum ist ein kassenführender Sachwalter zumindest dann als [X.]im Sinne des § 35 AO anzusehen, wenn er mit weitergehenden Befugnissen ausgestattet wird, die ihm eine Rechtsstellung vermitteln, die der eines Treuhänders vergleichbar ist ([X.]in Gosch, [X.]§ 35 Rz 17, unter Verweis auf das Senatsurteil vom 13.09.1988 - VII R 35/85, [X.]1989, 139 und auf Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl., Kap. 3.5, 51; ebenso Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 35 Rz 17). Soweit der Sachwalter hierdurch allein berechtigt ist, Zahlungen zu leisten, ist er nach dieser Auffassung insoweit [X.]im Sinne des § 35 AO (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl., Kap. 3.5, 51).

cc) Der [X.]folgt der letztgenannten Auffassung mit der Maßgabe, dass ein vorläufiger Sachwalter zumindest dann als [X.]im Sinne des § 35 AO anzusehen ist, wenn er nach Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO auf seinen Namen ein [X.]bei einer Bank eröffnet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen des Schuldners über dieses Konto abwickelt. Denn durch die Einräumung derartiger treuhänderischer Befugnisse erlangt der kassenführende Sachwalter die für eine Verfügungsberechtigung im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht. Im Streitfall folgen diese treuhänderischen Befugnisse des [X.]aus der Verwendung des Anderkontos, durch das er zudem als [X.]nach außen aufgetreten ist.

(1) Durch die Einrichtung des auf seinen Namen lautenden [X.]bei einer Bank erhielt der Kläger die nach der Senatsrechtsprechung (Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 9) erforderliche Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln.

Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des [X.]überwies [X.]am 09.xx.2014 das gesamte Bankguthaben der Gmb[X.]in Höhe von … € auf das vom Kläger zuvor bei einer Bank eingerichtete Anderkonto, über das der Kläger in der Folgezeit sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen der Gmb[X.]abwickelte. Daraus ergaben sich treuhänderische Befugnisse des Klägers.

Denn bei Anderkonten handelt es sich um offene Vollrechtstreuhandkonten, aus denen ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (ständige Rechtsprechung, [X.]vom 07.02.2019 - IX ZR 47/18, BGHZ 221, 87, Rz 29; vom 18.12.2008 - IX ZR 192/07, unter [X.]der Gründe; vom 15.12.1994 - IX ZR 252/93, ZIP 1995, 225, unter [X.]der Gründe und vom 19.05.1988 - III ZR 38/87, ZIP 1988, 1136, unter [X.]der Gründe; vgl. auch Undritz/Schur, ZIP 2016, 549). Das Kontoguthaben auf einem [X.]ist kein Bestandteil der (späteren) Insolvenzmasse ([X.]vom 07.02.2019 - IX ZR 47/18, BGHZ 221, 87, Rz 32 und vom 20.09.2007 - IX ZR 91/06, unter [X.]der Gründe). Der Inhaber des [X.]besitzt die [X.]Verfügungsmacht über das Konto und über die darauf befindlichen Mittel. Ein vorläufiger Sachwalter, der --wie im Streitfall der [X.]zugleich Inhaber eines solchen [X.]ist, ist dadurch mit Befugnissen ausgestattet, die ihm durch das [X.]eine Rechtsstellung als Treuhänder vermitteln.

Der Kläger kann sich folglich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe nicht uneingeschränkt über die Geldmittel der Schuldnerin verfügen können, da er ähnlich einer Zahlstelle nur auf Weisung der Schuldnerin Zahlungen habe auslösen dürfen. Als Inhaber eines [X.]war er allein zur Verfügung über die Geldmittel befugt. Welche Absprachen gegebenenfalls im Innenverhältnis bestanden, ist dabei nicht erheblich (vgl. Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 9).

(2) Der Kläger hat diese Verfügungsmacht auch im Außenverhältnis genutzt.

Hinsichtlich des zu fordernden Auftretens nach außen hat es die Rechtsprechung als ausreichend erachtet, dass der Verfügungsberechtigte gegenüber irgendjemanden --auch nur gegenüber einer begrenzten Öffentlichkeit-- auftritt (Senatsbeschluss vom 09.01.2013 - VII B 67/12, Rz 7). So kann etwa die Unterzeichnung eines Vertrags (Senatsbeschluss vom 09.01.2013 - VII B 67/12, Rz 7 und 8) oder die Nutzung einer Kontovollmacht (Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - VII B 102/10, Rz 9 und 10) genügen. Im Streitfall hat der Kläger nach den Feststellungen des [X.]einen Vertrag geschlossen, indem er bei einer Bank ein [X.]auf seinen Namen und in seiner Funktion als vorläufiger Sachwalter eingerichtet und verwendet hat. Zudem hat er als Vollrechtsinhaber auch über dieses [X.]verfügt und ab dem 09.xx.2014 sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen der Gmb[X.]darüber abgewickelt. Durch beides ist er nach außen hin aufgetreten.

Soweit das [X.]davon abweichend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Kläger nicht als [X.]für die Gmb[X.]nach außen hin aufgetreten sei, bindet dies den [X.]gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht. Denn hierbei handelt es sich um eine rechtliche Würdigung der vom [X.]festgestellten Tatsachen. An die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts ist der BF[X.]aber gerade nicht gebunden.

Gegen die Annahme einer aus der Einrichtung und Nutzung des [X.]folgenden Verfügungsberechtigung im Sinne des § 35 AO spricht --entgegen der Auffassung des [X.]nicht, dass der vorläufige Sachwalter Verfügungen über das Guthaben auf dem [X.]im eigenen Namen getroffen hat. Denn § 35 AO stellt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut die Möglichkeiten einander gleich, ob der Verfügungsberechtigte im eigenen oder im fremden Namen auftritt (vgl. [X.]in Tipke/Kruse, § 35 AO Rz 3).

2. Es ist ein [X.]im Sinne von § 69 Satz 1 AO eingetreten, weil Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht erfüllt worden sind.

Von der beim [X.]angemeldeten Lohnsteuer für [X.]in Höhe von … € zuzüglich Solidaritätszuschlag in Höhe von … €, zusammen … €, vereinnahmte das [X.]nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des [X.]nur einen Betrag in Höhe von … € aufgrund der Insolvenzquote. Der Differenzbetrag von … € stellt den [X.]dar.

3. Im Hinblick auf den [X.]hat der Kläger die ihm auferlegten Pflichten verletzt.

a) Welches die maßgebliche Handlung beziehungsweise Unterlassung ist, die dem [X.]zur Last gelegt wird, ist dem Haftungsbescheid zu entnehmen, um dessen Wirksamkeit die Beteiligten streiten (Senatsurteile vom 29.08.2023 - VII R 47/20, BFHE 281, 288, Rz 22; vom 14.12.2021 - VII R 14/19, Rz 20 und vom 19.01.2021 - VII R 38/19, Rz 28).

Im Streitfall hat das [X.]im angefochtenen Haftungsbescheid eine Pflichtverletzung des [X.]darin gesehen, dass er die am 10.xx.2014 fällige Lohnsteuer für [X.]nicht beglichen hat.

Da der Kläger --wie beschrieben-- als [X.]aufgetreten ist, hatte er gemäß § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), die er auch rechtlich und tatsächlich erfüllen konnte. Deshalb hatte er dafür zu sorgen, dass gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AO die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete. Bei Fälligkeit der Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags am 10.xx.2014 (§ 41a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes) hätte der Kläger daher die offenen Steuern an das [X.]abführen müssen. Dies ist nicht geschehen.

b) Eine Pflichtverletzung des [X.]ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die streitgegenständlichen Steuern erst am 10.xx.2014 fällig geworden sind und bereits vor diesem Zeitpunkt wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gmb[X.]in Eigenverwaltung beantragt worden war. Der Kläger unterlag insofern keiner Pflichtenkollision.

aa) Durch einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht kein rechtliches Hindernis, die Lohnsteuer abzuführen (vgl. Senatsurteile vom 22.10.2019 - VII R 30/18, Rz 26 und vom 23.09.2008 - VII R 27/07, BFHE 222, 228, [X.]2009, 129, unter [X.]der Gründe, zu den Pflichten des Geschäftsführers).

Für die Pflichten eines Geschäftsführers hat der [X.]bereits mehrfach entschieden, dass dieser aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Massesicherungspflicht keiner Pflichtenkollision ausgesetzt ist. Ein organschaftlicher Vertreter, der bei [X.]der Gesellschaft seine steuerlichen Zahlungspflichten erfüllt, handelt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne von § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (GmbHG a.F.) und ist nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. gegenüber der Gesellschaft erstattungspflichtig (Senatsurteile vom 26.09.2017 - VII R 40/16, BFHE 259, 423, [X.]2018, 772, Rz 21 und vom 23.09.2008 - VII R 27/07, BFHE 222, 228, [X.]2009, 129, unter [X.]der Gründe; [X.]in Kayser/Thole, [X.]Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023, § 15b Rz 75). Dasselbe gilt für den vorläufigen Sachwalter, der die Kontoführung für die Gesellschaft ausübt und steuerliche Pflichten zu erfüllen hat.

bb) Nichts anderes ergibt sich im Streitfall aus § 15b Abs. 8 InsO i.d.F. des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) --[X.]n.F.--.

Nach § 15b Abs. 8 InsO n.F. liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn --wie im [X.]zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder der Überschuldung nach § 19 InsO und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO (Insolvenzantragspflicht) nachkommen. Diese Neuregelung gilt nach Art. 25 [X.]jedoch erst ab dem [X.]und damit nicht im Streitfall (vgl. Senatsurteil vom 14.12.2021 - VII R 32/20, BFHE 274, 522, [X.]2022, 537, Rz 46; [X.]in Kayser/Thole, [X.]Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023, § 15b Rz 77).

4. Zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen [X.]bestand ein adäquater Kausalzusammenhang.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass er als späterer Sachwalter im Falle einer Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit diese Zahlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zweifelsfrei angefochten hätte und das [X.]die Beträge hätte zurückzahlen müssen, vermag dies den Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem [X.]nicht zu beseitigen. Denn hypothetische Geschehensläufe sind bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem [X.]nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unbeachtlich (Senatsurteile vom 14.12.2021 - VII R 32/20, BFHE 274, 522, [X.]2022, 537, Rz 41; vom 22.10.2019 - VII R 30/18, Rz 35; vom 26.01.2016 - VII R 3/15, Rz 12 ff.; vom 11.11.2008 - VII R 19/08, BFHE 223, 303, [X.]2009, 342, unter II.3. der Gründe und vom 05.06.2007 - VII R 65/05, BFHE 217, 233, [X.]2008, 273, unter II.2. der Gründe; [X.]in HHSp, § 69 AO Rz 55; [X.]in Tipke/Kruse, § 69 AO Rz 21; [X.]in Gosch, [X.]§ 69 Rz 46.1 und 55). Die Frage, in welcher Weise der spätere Sachwalter eine Zahlung der Lohnsteuer behandelt hätte, ist ein hypothetischer Geschehenslauf, da die streitgegenständliche Lohnsteuer tatsächlich nicht bezahlt wurde. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, auf den der Kläger hingewiesen hat, dass in diesem Fall die Person des späteren Sachwalters und die Person des [X.]identisch sind.

5. Den Kläger trifft auch ein Verschulden daran, dass die Lohnsteuer für [X.]bei Fälligkeit nicht an das [X.]abgeführt worden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung dar (Senatsurteile vom 14.12.2021 - VII R 32/20, BFHE 274, 522, [X.]2022, 537, Rz 20; vom 22.10.2019 - VII R 30/18, Rz 24 und vom 23.09.2008 - VII R 27/07, BFHE 222, 228, [X.]2009, 129, unter [X.]der Gründe).

Zudem indiziert nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens das Verschulden im Sinne von § 69 Satz 1 AO (Senatsurteile vom 29.08.2023 - VII R 47/20, BFHE 281, 288, Rz 51 und vom 26.09.2017 - VII R 40/16, BFHE 259, 423, [X.]2018, 772, Rz 20; Senatsbeschluss vom 15.11.2022 - VII R 23/19, BFHE 278, 392, [X.]2023, 549, Rz 33, m.w.N.; [X.]in Gosch, [X.]§ 69 Rz 56). Diese Indizwirkung der Pflichtverletzung führt im Streitfall dazu, dass den Kläger ein Verschulden trifft, da die Indizwirkung nicht durch gegenteilige Anhaltspunkte entkräftet ist.

Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass dem Kläger im Haftungszeitraum die Rechtslage noch nicht hinreichend bekannt gewesen wäre. Zwar hat sich in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung erst in jüngerer Zeit --nach dem [X.]die Erkenntnis verfestigt, dass es für einen Insolvenzverwalter nicht zulässig ist, ein [X.]einzurichten. Nach der Rechtsprechung des BG[X.]ist die Führung eines Kontos, das nicht die Masse selbst als materiell berechtigt ausweist, als Insolvenzkonto unzulässig ([X.]vom 07.02.2019 - IX ZR 47/18, BGHZ 221, 87, Rz 31). Dies dürfte aufgrund der erforderlichen Trennung zwischen künftiger Insolvenzmasse und dem Vermögen des Sachwalters ebenso für einen vorläufigen Sachwalter gelten (vgl. AG Dresden, Beschluss vom 10.07.2019 - 532 IN 876/19, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht 2020, 1261, Rz 7 ff.). Wie oben beschrieben, beruht die Haftung des [X.]gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 35 AO jedoch nicht darauf, dass er sich für die Ausübung seiner Funktion als vorläufiger Sachwalter eines --jedenfalls nach neuerer [X.]unzulässigen [X.]bedient hat, sondern vielmehr darauf, dass es sich nach der gefestigten und langjährigen Rechtsprechung des BG[X.]bei einem [X.]um ein offenes [X.]handelt. Hieraus ist die für die Stellung als [X.]im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht aufgrund der Treuhand abzuleiten. Dafür, dass die Umstände, die zu dieser Würdigung führen, dem Kläger im Haftungszeitraum nicht bekannt gewesen wären, bestehen keine Anhaltspunkte.

6. Eine Haftung ist auch nicht deshalb zu verneinen oder in ihrem Umfang zu reduzieren, weil zur Begleichung der Steuerschulden nicht ausreichende Mittel vorhanden gewesen wären.

Stehen zur Begleichung der Schulden insgesamt keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so bewirkt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das [X.]gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (Senatsurteile vom 27.02.2007 - VII R 60/05, BFHE 216, 487, [X.]2008, 508, unter II.2. der Gründe und vom 01.08.2000 - VII R 110/99, BFHE 192, 249, [X.]2001, 271, m.w.N.).

Diesem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung kommt im Zusammenhang mit der Lohnsteuer allerdings die eingeschränkte Bedeutung zu, dass lediglich das [X.]und die Arbeitnehmer gleichmäßig zu berücksichtigen sind. Daher sind die für die Lohnsteuerabführung erforderlichen Beträge bei der Lohnzahlung zurückzubehalten, die Löhne also entsprechend zu kürzen (Senatsurteil vom 14.12.2021 - VII R 32/20, BFHE 274, 522, [X.]2022, 537, Rz 22; [X.]vom 03.06.2011 - VII B 203/10, Rz 6; [X.]in Gosch, [X.]§ 69 Rz 42).

Ob im Streitfall der Grundsatz der anteiligen Tilgung aber möglicherweise trotz Vorliegens eines [X.]in uneingeschränktem Umfang anzuwenden sein könnte, weil die Löhne bereits vor der Bestellung des [X.]zum vorläufigen Sachwalter am [X.]durch [X.]ausgezahlt worden waren und der Kläger daher keine Möglichkeit hatte, für eine Kürzung der Löhne zu sorgen, kann der [X.]dahinstehen lassen. Denn [es] war ein Bankguthaben der Gmb[X.]in Höhe von … € vorhanden, welches am 09.xx.2014 auf das [X.]des [X.]überwiesen wurde. Dass diese Summe, von der weniger als ein Zehntel für die offenen Steuerforderungen hätte verwendet werden müssen, nicht für die Begleichung der offenen Forderungen ausgereicht hätte, hat der Kläger, den diesbezüglich die Feststellungslast trifft, nicht belegt. Für eine gegenteilige Annahme bestehen keine Anhaltspunkte. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt das Vermögen der Gmb[X.]unter Berücksichtigung anderer Gläubiger nicht ausgereicht haben sollte, worauf die Insolvenzquote von gerundet 2,4 % schließen lässt, gilt dies zumindest nicht für den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden am 10.xx.2014.

7. Schließlich sind Fehler bei der Ausübung des Ermessens, welches das [X.]sowohl im Haftungsbescheid vom 21.04.2016 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 09.12.2016 ausführlich dargelegt hat, weder von den Beteiligten des Revisionsverfahrens vorgebracht noch sonst ersichtlich.

8. Das [X.]hat der Klage in Bezug auf einen Betrag von … € zu Recht stattgegeben, weil das [X.]diesen Betrag, den es zuvor aufgrund der Insolvenzquote vereinnahmt hatte, bei der Berechnung der Haftungssumme von … € nicht mindernd berücksichtigt hatte.

9. [X.]beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Das [X.]ist nur zu einem geringen Teil unterlegen.

Meta

VII R 16/21

20.02.2024

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 12. März 2021, Az: 14 K 3658/16 H(L), Urteil

§ 35 AO, § 69 S 1 AO, § 191 Abs 1 S 1 AO, § 118 Abs 2 FGO, § 270 Abs 1 InsO, § 274 Abs 2 InsO, § 275 Abs 2 InsO, § 270a Abs 1 S 2 InsO vom 07.12.2011, § 41a Abs 1 S 1 EStG 2009, § 130 Abs 1 S 2 InsO, § 64 S 1 GmbHG, § 15b Abs 8 InsO, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.02.2024, Az. VII R 16/21 (REWIS RS 2024, 4639)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 4639

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