Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.10.2011, Az. B 9 V 3/11 B

9. Senat | REWIS RS 2011, 2602

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsbedürftigkeit - Anti-D-Hilfegesetz - MdE-Bewertung - Anwendbarkeit des § 30 Abs 2 BVG)


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die 1957 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache die rückwirkende Gewährung einer höheren monatlichen Rente nach dem am 1.1.2000 in [X.] getretenen Gesetz über die Hilfe für durch [X.] mit [X.] infizierte Personen ([X.] - [X.]) vom [X.] ([X.] 1270) unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit.

2

Mit bestandskräftigem Bescheid vom [X.] stellte das [X.] Versorgungsamt - fest, dass die Klägerin infolge einer in den Jahren 1978/1979 durchgeführten [X.] und den dabei verwandten infizierten Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesens des [X.] mit dem [X.] infiziert worden ist. Weiter erkannte das Amt bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um [X.] infolge der [X.] an. Es gewährte der Klägerin eine Einmalzahlung von 12 000 DM sowie ab 1.1.2000 eine monatliche Rente nach einer MdE um [X.].

3

Der Antrag der Klägerin vom [X.], bei ihr ab 1.1.2000 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine höhere MdE festzustellen, wurde mit der Begründung abgelehnt, das [X.] sehe dies nicht vor (Bescheid des [X.] Versorgungsamt - vom 9.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides des [X.] vom [X.]).

4

Die auf Rücknahme des Bescheides vom [X.] sowie auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer MdE von [X.] ab 1.1.2000 zunächst gegen den [X.] und nach einem Zuständigkeitswechsel gegen den [X.] gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht ([X.]) und dem [X.] (L[X.]) keinen Erfolg (Urteil des [X.] Hannover vom 31.3.2006; Urteil des L[X.] Niedersachsen-Bremen vom 16.12.2010).

5

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des L[X.] Beschwerde eingelegt, die sie mit grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G) und dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) begründet.

6

II. [X.] ist zulässig, aber unbegründet.

7

1. Soweit die Klägerin das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) rügt, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G.

8

Zur formgerechten Rüge einer Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das L[X.] abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 21, 29).

9

Diese Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt; insbesondere hat sie nicht herausgearbeitet, inwiefern das L[X.] mit einem abstrakten Rechtssatz von einem abstrakten Rechtssatz in dem Urteil des [X.] (B[X.]) vom 5.11.1964 - 10 RV 99/64 - (B[X.]E 22, 82 = [X.] zu § 35 [X.]) abgewichen sein soll. Vielmehr hat sie lediglich geltend gemacht, dass das L[X.] bei seiner Entscheidung die in dem vorgenannten Urteil aufgestellten Grundsätze nicht beachtet habe. Mit ihrem Vorbringen rügt sie demnach im [X.] eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.]).

2. Soweit die Klägerin als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G) geltend macht, genügt die Beschwerdebegründung zwar den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G. [X.] hat jedoch insoweit ebenfalls keinen Erfolg, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl B[X.]E 40, 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]; B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.]). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl B[X.]E 40, 40 = [X.] 1500 § 160a [X.]) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 65). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist in diesem Sinne nicht klärungsbedürftig.

Die Klägerin hat die Rechtsfrage bezeichnet, ob bei der Bewertung der MdE (seit 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen - [X.]) im Rahmen des [X.] neben § 30 Abs 1 [X.] ([X.]) auch § 30 Abs 2 [X.] Anwendung findet.

Zwar ist es richtig, dass diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Das B[X.] hat sich in seinem Beschluss vom 24.4.2008 - [X.] VJ 7/07 B - lediglich mit der Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" im Anwendungsbereich des [X.] auseinandergesetzt. Im Urteil vom 10.12.2003 - [X.] VJ 2/02 R - hat das B[X.] die Entstehungsgeschichte des [X.] aufgezeigt (vgl B[X.]E 92, 34 = [X.] 4-3100 § 60 [X.] 1, Rd[X.]). Zu weiteren die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des [X.] betreffenden Fragen hat sich das B[X.] (ebenso wenig wie die anderen obersten Bundesgerichte) noch nicht geäußert.

Die Antwort auf die aufgeworfene Frage steht jedoch von vornherein außer Zweifel, denn sie ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzestext (vgl hierzu etwa B[X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] 7 Rd[X.] 8). Das [X.] ordnet nicht wie andere Gesetze - etwa das Opferentschädigungsgesetz in § 1 Abs 1 Satz 1 oder das [X.] in § 60 Abs 1 Satz 1 - umfassend eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des [X.] an, sondern verweist nur in einigen Bestimmungen auf dort im einzelnen genannte Regelungen des [X.], so auch in § 3 Abs 4 Satz 1 [X.]. Dort wird hinsichtlich der Bestimmung der MdE (seit 21.12.2007: [X.]) nur auf § 30 Abs 1 [X.] Bezug genommen, nicht jedoch auf § 30 Abs 2 [X.]. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung kann deshalb nur zu dem Ergebnis gelangen, dass im Rahmen des [X.] die Regelung über die besondere berufliche Betroffenheit (§ 30 Abs 2 [X.]) keine Anwendung findet.

Diese Auslegung kann sich zudem auf die Entstehungsgeschichte des [X.] stützen. In den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 14/2958 [X.] zu § 3) heißt es ausdrücklich: "Basis der Bewertung ist allein der tatsächlich bestehende Gesundheitsschaden. Eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 [X.] ist nicht vorgesehen; diese wird pauschal in der Höhe der Rente berücksichtigt." Daraus ergibt sich zugleich, dass diese Frage vom Gesetzgeber nicht versehentlich offengelassen wurde, so dass mangels unbeabsichtigter Regelungslücke auch eine analoge Anwendung des § 30 Abs 2 [X.] ausscheidet.

Diese Auslegung entspricht außerdem dem Zweck des [X.], einem begrenzten Personenkreis, nämlich Frauen, die im Beitrittsgebiet anlässlich der Durchführung einer dort gesetzlich vorgeschriebenen [X.] in den Jahren 1978 und 1979 durch bestimmte Chargen mit dem [X.] infiziert wurden (vgl § 1 Abs 1 Satz 1 [X.]), durch ein spezielles Hilfegesetz aus "humanitären und [X.] Gründen" Leistungen, insbesondere finanzielle Hilfen (monatliche Renten nach § 3 Abs 2 [X.] und Einmalzahlungen nach § 3 Abs 3 [X.]), zu gewähren (vgl dazu BT-Drucks 14/2958 [X.], 7 f), deren Höhe sich nur hinsichtlich der Bestimmung der MdE (des [X.]) nach der entsprechenden Regelung des [X.] (§ 30 Abs 1) richtet; die vom Gesetzgeber festgelegten Geldbeträge sind bei entsprechender MdE ([X.]) höher als bei der Grundrente nach § 31 Abs 1 [X.].

Soweit die Klägerin meint, eine isolierte Anwendung des § 30 Abs 1 [X.] entspreche nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (B[X.] Urteil vom 5.11.1964 - 10 RV 99/64 - B[X.]E 22, 82 = [X.] zu § 35 [X.]), verkennt sie, dass es in dem entschiedenen Fall um die Auslegung des Begriffes "erwerbsunfähig" im Sinne der damals geltenden Fassungen des § 35 Abs 1 Satz 3 bzw Satz 4 [X.] ging. In diesem Zusammenhang hat das B[X.] klargestellt, dass bei einer solchen Rechtslage die Bewertung der MdE einheitlich zu erfolgen hat, nämlich nach den dort zweifelsfrei anwendbaren Bestimmungen des § 30 Abs 1 und Abs 2 [X.]. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass § 30 Abs 1 [X.] nicht angewendet werden könne, ohne zugleich eine Wertung iS des § 30 Abs 2 [X.] vorzunehmen. Das zeigt im Übrigen auch das Schwerbehindertenrecht, wo der Grad der Behinderung auch nur nach § 30 Abs 1 [X.] - also ohne Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit - festzusetzen ist; § 69 Abs 1 Satz 5 [X.]B IX enthält ebenfalls nur eine auf § 30 Abs 1 [X.] beschränkte Verweisung.

3. Nach alledem liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen. [X.] der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] ist deshalb unter Hinzuziehung [X.] nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 [X.]G zurückzuweisen.

[X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 V 3/11 B

06.10.2011

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Hannover, 31. März 2006, Az: S 18 VM 1/03

§ 1 AntiDHG, § 3 Abs 4 S 1 AntiDHG, § 30 Abs 1 BVG, § 30 Abs 2 BVG, § 31 BVG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, §§ 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.10.2011, Az. B 9 V 3/11 B (REWIS RS 2011, 2602)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2602

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